Renu Sharma

Erdbeben in Nepal: Wie der Wiederaufbau behindert wird

Am 25. April 2015 erschütterte ein schweres Erdbeben Nepal, gefolgt von mehreren heftigen Nachbeben.  Rund 9.000 Menschen starben, 21.000 wurden verletzt, 3,5 Millionen Menschen verloren ihr Zuhause. Zahlreiche Schulen, Straßen oder Krankenstationen wurden zerstört. Wie kommt der Wiederaufbau voran?
Dr. Dorit Battermann sprach mit Renu Sharma von der Women‘s Foundation Nepal (WFN), der größten Partnerorganisation der Zukunftsstiftung Entwicklung in Nepal. Die WFN leistete vom ersten Tag an Hilfe und hat Erstaunliches geleistet. Dabei stößt die Organisation aber auch an Grenzen.

„Zu sehen wie die Menschen leiden, aber aufgrund der Bürokratie hilflos zu sein, ist so schwer zu ertragen.“  Renu Sharma, Präsidentin der Women’s Foundation Nepal (WFN).

Renu, die WFN hat zwei Versuche unternommen, die Genehmigung der nepalesischen Regierung für den Wiederaufbau von Dörfern mit jeweils ca. 60 Häusern und dazugehöriger Infrastruktur zu bekommen.

Wir haben bereits im September 2015 begonnen über den Wiederaufbau eines Dorfes nachzudenken. Die Entscheidung fiel auf Ravi Opi im Distrikt Kavre, weil dieser Distrikt stark vom Erdbeben betroffen ist und die Erfahrungen mit den Dorfbewohnern während der Wiederaufbauphase sehr gut waren. Ravi Opi besteht aus 61 Häusern von denen 58 komplett zerstört oder unbewohnbar sind. Die Zukunftsstiftung Entwicklung sagte zu, das Projekt zu unterstützen.

Hilfe nach dem Erdbeben in Nepal

Von Beginn an standen wir in einem regelmäßigen und kontinuierlichen Austausch mit den zuständigen Behörden und haben dann auch eine Genehmigung des lokalen Entwicklungskomitees des Distrikts und der nationalen Baubehörde erhalten, die zu der Zeit für alle Genehmigungen zuständig war.

Später, im Februar 2016, wurde die „Nepal Reconstruction Authority“, die Nationale Wiederaufbaubehörde Nepals, eingerichtet und übernahm im Namen der Regierung die Verantwortung für den Wiederaufbau. Die Regeln und Auflagen änderten sich und wir vereinbarten ein Treffen mit dem Sprecher der Wiederaufbaubehörde, Dr. Bhishma Bhusal, um unseren Projektantrag zu präsentieren. Die klare Antwort war, dass unser Projekt gegen die Regeln der Behörde verstößt, da es nicht erlaubt ist, den Hausbau einer Familie mit mehr als 200.000 Nepali Rupees (ca. 1.700 Euro) zu unterstützen. Zudem sollten wir dem Projekt zusätzliche Komponenten hinzufügen.

Für uns und für jede andere Organisation war von Beginn an klar, dass es unmöglich ist, für diese Summe ein erdebensicheres Haus zu bauen. Selbst ein kleines, aber massives Haus mit zwei Zimmern und ca. 40 qm Grundfläche kostet mindestens 7.000 Euro, oft sogar mehr, wenn die Transportkosten hoch sind. Später hat die Wiederaufbaubehörde die Summe, die als Unterstützung erlaubt ist, auf 300.000 Nepali Rupees (ca. 2.500 Euro) angehoben, aber auch das ist eben noch viel zu wenig.  …

Nachdem die Regierung in Nepal am 4. August 2016 wechselte, schien es als änderten sich die Auflagen der NRA und wir schöpften wieder Hoffnung. Wir überarbeiteten den Antrag für ein anderes Dorf mit dem Namen Badal Gaun. Es liegt auch im Kavre Distrikt. Aber im Prinzip wiederholte sich nun die ganze Geschichte. Es gab mehrere Treffen mit Vertretern der Wiederaufbaubehörde und zu Beginn stimmten sie unserer Idee eines Modeldorfes zu. Wir bekamen wieder Hoffnung und vertrauten ihren Aussagen, aber schließlich machte uns der Chief Executive Officer der Wiederaufbaubehörde, Herr Govinda Pokharel, unmissverständlich klar, dass es bei der Summe von 300.000 Nepali Rupees als Unterstützung pro Haus bleibt. Wir haben dann noch einmal versucht die Kostenpläne zu überarbeiten, um möglicherweise die Kosten zu senken, aber es ist einfach unmöglich, mit dieser Summe sinnvoll ein Haus zu bauen.

Und um ehrlich zu sein, Vertreter der Wiederaufbaubehörde selbst schlugen uns sogar vor, das Budget zu manipulieren und mehr Mittel für Gemeinschaftsbauten einzustellen, um diese später für den Bau von Privathäusern zu nutzen. So ein Vorgehen war für uns inakzeptabel, denn ohne schriftliche Zusage hätten sie uns im Nachhinein sehr leicht bestrafen können.

Nun habt ihr entschieden, die Projekte nicht weiterzuverfolgen.

Wir haben jedes der beiden Dörfer, Ravi Opi und Badal Gaun, mindestens sieben- bis achtmal besucht. Abgesehen von der Zeit, die alle Beteiligten aufgewendet haben, sind auch hohe Kosten entstanden.  …  Alles in allem haben wir von der ersten Idee bis zur endgültigen Entscheidung, das Projekt nicht weiterzuverfolgen, 19 Monate daran gearbeitet – eine sehr lange, kräftezehrende und schließlich frustrierende Zeit. Keine realistische Chance mehr zu sehen, dass das Projekt sinnvoll umgesetzt werden kann, gab den endgültigen Ausschlag. Der WFN wurde ganz klar damit gedroht, dass wir unsere Registrierung als Organisation verlieren, wenn wir die Regeln nicht beachten und den Hausbau mit einer größeren Summe als 300.000 Nepali Rupees fördern. Wenn wir unsere Registrierung verlieren, riskieren wir nicht nur unsere ganzen Aktivitäten und die ganze Organisation, sondern die Regierung hat darüber hinaus das Recht all unser Vermögen einzuziehen.

Was ist denn mit den Menschen in den Dörfern und wie geht es dir jetzt mit der Situation?

Schlechte Lebensbedingungen nach dem Erdbeben in NepalFür die Dorfbewohner ist die Situation die zweite Katastrophe, die sie durchmachen müssen. Viele Hoffnungen und hohe Erwartungen sind entstanden, in unserem Fall und vielen anderen Fällen auch. Und nun, nach Wochen und Monaten müssen die Menschen erkennen, dass es keine Hilfe geben wird. Die Menschen in Ravi Opi sprechen nicht mehr mit uns. Wir haben immer wieder versucht die Situation und Gründe zu erklären, aber in ihren Augen sind wir es, die sie enttäuscht haben. Das tut weh, das tut sehr, sehr weh.  …

Nach all dem, was denkst du, wie wird sich die Situation in Sachen Wiederaufbau in Nepal weiter entwickeln?

Wir als WFN werden versuchen andere Wege zu finden, um den Wiederaufbau voranzubringen – nicht den Bau von privaten Häusern. Aber für die Menschen…? Die meisten haben die erste Rate von 50.000 Nepali Rupees (ca. 430 Euro) als Unterstützung von der Regierung genommen. Aber auch sie wissen, dass sie mit der Summe von 300.000 Nepali Rupees kein Haus bauen können. Also haben nur wenige das Geld tatsächlich für den Hausbau verwendet. Die meisten haben damit andere wichtige Dinge für ihr Leben und Überleben gekauft – Lebensmittel oder Kleidung. Das heißt, sie werden auch keine zweite Rate mehr bekommen.

Lest das vollständige Interview.

Dr. Dorit Battermann, freiberufliche Trainerin und Projektbegleiterin. Sie  arbeitete von 1997-2003 in Nepal und ist seitdem mit der Women’s Foundation Nepal eng verbunden.

Wenn Ihr die Women´s Foundation Nepal unterstützen möchtet, könnt ihr hier  online spenden.

Fotos: Zukunftsstiftung Entwicklung

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