Gespräch mit Hendrik Reimers, dem Menschen hinter fairafric. Die Schokoladenmarke aus Ghana ist Kundin der GLS Bank.
Auf eurer Website steht: „Wir wissen, wo unser Kakao wächst. Vor unserem Fenster.“ Hendrik, wie bist du darauf gekommen, in Afrika Schokolade herzustellen? Was ist die Gründungsgeschichte hinter fairafric?
Ein entscheidender Moment für die Gründung von fairafric ereignete sich in Irland. Ich machte eine typische Unternehmenskarriere im Vertrieb und arbeitete dort für ein amerikanisches Unternehmen. Bei einem Training für Führungskräfte sagte man zu mir: „Dieser Job ist nichts für dich. Du tickst nach dem Prinzip ‚People first‘. Hier gilt aber ‚Money first‘, und das wird sich beißen.“ Sie hatten recht – und mir die Augen geöffnet.
Ich habe das Unternehmen dann tatsächlich verlassen und ein Sabbatical begonnen, denn ich wollte herausfinden, was mich nachhaltig motivieren kann. So war ich mit Rucksack und Zelt in Uganda unterwegs. Auf einer Kaffee-Farm erlebte ich einen zweiten Aha-Moment. Wir bereiteten sehr aufwändig Kaffee zu: Wir stampften die grünen Kaffeebohnen auf, rösteten sie auf offenem Feuer, mahlten den Kaffee mit der Hand und brühten ihn endlich auf. Ich saß am Ende schwitzend da, ehrlich, und sagte zu dem Farmer: „Du musst diesen Kaffee verkaufen, nicht deine grünen Bohnen.“ Er schaute mich an, als käme ich vom Mond. In Uganda hat fast keiner ein Bankkonto – und erst recht keiner eine Vorstellung von Zielmärkten für Produkte und wie sie funktionieren.
In dem Moment tauchte bei mir der Gedanke auf, dass ich in diesem Bereich vielleicht eine Brücke bauen kann. Ich hatte mich schon immer mit der Frage beschäftigt, warum reiche Länder reich sind und warum es vielen afrikanischen Ländern so schlecht geht. Vor Ort ist die Antwort offensichtlich: Es wird alles exportiert, was Rohstoff ist, und alles importiert, was Fertigprodukte sind. Die Ursachen dafür liegen in der Kolonialzeit. In England zum Beispiel war es den Kolonien gesetzlich verboten, Wertschöpfung zu betreiben.
Kurz darauf bin ich durch Zufall auf eine Kakao-Plantage gekommen. Und mir wurde klar: Schokolade ist es! Die Wertschöpfung ist enorm: Von der Bohne bis zur fertigen Tafel verfünffacht sich der Wert mindestens. Das habe ich mir zugetraut: herauszufinden, wie das geht, und den Vertrieb zu machen. Uganda war zu weit weg von Europa, daher habe ich zuerst zu einem Kakao-Anbaugebiet in Sierra Leone recherchiert. Das war illusorisch und auch naiv, denn es war keine Infrastruktur vorhanden. Dort habe ich aber von einem kleinen Schokoladen-Produzenten in Ghana gehört, der für den lokalen Markt 20-Gramm-Täfelchen macht.
Meine Idee war geboren. Ich ging noch mal in München Geld verdienen und habe dann mit den Menschen in Ghana zusammen die erste Charge Schokoladetafeln produziert. Das war 2016. Das war der Anfang.
Welche Herausforderungen musstest du meistern, um in Ghana Schokolade zu produzieren? Was ist schwierig daran? Und hast du in Afrika inzwischen Konkurrenz bekommen? Gibt es andere Schokoladenfabriken, die exportieren?
Konkurrenz haben wir in Afrika insgesamt leider sehr wenig. Es gibt ein paar kleinere Manufakturen in Sao Tomé und Madagaskar, die hochwertigen Kakao verarbeiten und ihre lokalen Märkte bedienen. In Sao Tomé gibt es ein kleines Projekt, das exportiert, aber das läuft eher über den Spezialitäten-Handel.
In Ghana und der Elfenbeinküste wird viel Kakao verarbeitet. Anfang der 2000er Jahre trat eine neue Zollgesetzgebung in Kraft und die Regierung hat enorme Anreize geschaffen. Dadurch ist in Ghana wirklich etwas passiert. Dort gibt es jetzt so um die zehn Kakaoverarbeitungswerke, die ein Drittel der Jahresernte vor Ort verarbeiten. Das macht die Sache für uns viel einfacher, denn wir haben einen großen Arbeitnehmer*innen-Pool: Menschen, die wissen, wie Fabrikanlagen funktionieren, wie Heiß- und Kaltwasser erzeugt wird, wie Rohre zusammengeschweißt werden, wie das Wasser durch die Leitungen geleitet wird etc. Das ist ein großer Vorteil. Überhaupt: Es gibt so viele qualifizierte Menschen in Ghana, so viele gut ausgebildete Menschen, die total motiviert sind. Es gibt genug Schulen, es gibt von allem genug. Nur keine Jobs. Und das ist das Thema.
Eine große Herausforderung war es, während der Pandemie eine Fabrik in Afrika zu bauen. Der Präsident des Landes findet unser Projekt zum Glück so cool, dass er uns unterstützt und uns zum Beispiel in Corona-Zeiten die Einreise ins eigentlich abgeriegelte Land ermöglicht hat.
Ich glaube, die größte Herausforderung ist, beides parallel zu machen: eine Marke aufzubauen, samt der Produktion, der Distribution und Logistik, der Öffentlichkeitsarbeit – und die Ursprungsidee lebendig zu halten. Warum stehen wir jeden Morgen auf und arbeiten hart? Weil wir diese Arbeitsplätze vor Ort in Ghana schaffen wollen und damit in der Weiterverarbeitung von Rohstoffen ein Vorbild sein wollen. Das geht alles vor Ort, das können andere auch machen, und es gilt auch für andere Industrien wie zum Beispiel Kaffee oder Tee, Branchen, die viel größer sind als Schokolade. Zumindest die Verarbeitung könnte in den Ländern stattfinden. Da hängt einfach so viel dran. Die Menschen bei uns, die in der Produktion tätig sind, haben fließend Wasser, Strom, ein Smartphone, motorisierte Bewegung, Zugang zu Ärzten mit Krankenversicherung, eine Pension. Die Menschen, die im Kakao-Anbau arbeiten, haben nichts davon, gar nichts. Das ist der riesengroße Unterschied.
Mein Wunsch ist es, Leute zu finden, die das verstehen, weitererzählen und unterstützen. Ich kenne viele Menschen, die über Anteile oder Zinspapiere privat in uns investieren. Das finde ich großartig, dafür bin ich wirklich dankbar.
Schokolade ist neben Kaffee eines der ersten Produkte, die wir mit dem Fairtrade-Siegel in Verbindung bringen. Das tauchte bereits 1992 auf. Wie schwer ist es 30 Jahre später, mit einer neuen Marke in der Bio-Fair-Trade-Schokoladen-Branche sichtbar zu werden?
Ich sehe in fairafric eine Marke, der die Konsument*innen vertrauen können, weil wir das Beste für die ganze Wertschöpfungskette herausholen wollen. Fairafric heißt auch bewusst nicht fairghana, weil es als Plattform für weitere Produkte gedacht ist.
Bei unserer ersten Kickstarter-Kampagne, als wir das Interesse an der Schokolade im Vorverkauf testen wollten, sind fast 30.000 Euro zusammengekommen und 850 Leute aus der ganzen Welt haben Schokolade vorbestellt. Ein halbes oder dreiviertel Jahr später, als die Ware da war, rief mich jemand an und fragte nach dem Bestellformular für die Schokolade. Ein Bekannter hatte ihm geraten, unsere Tafeln ins Sortiment aufzunehmen. Ich kannte seinen Bekannten nicht. Er hatte unser Projekt Monate zuvor auf Kickstarter gesehen und fand es so toll, dass er uns weiterempfohlen hat.
Diesen Effekt, dass die Crowd unsere Idee weiterträgt, den finde ich sensationell und den haben wir weiter genutzt. Für unsere Bio-Zertifizierung zum Beispiel, den Bau der Fabrik, die Gründung einer Tochtergesellschaft, deren erste Schritte und so weiter. Wir haben in einer Produktionspartnerschaft angefangen und die Qualität war Horror, unfassbar inkonsistent. In diesen Momenten mit Fans zusammen zu arbeiten, ist existenziell. Wenn du da mit einem Profi zusammenarbeitest, bist du raus und das war’s, da kriegst du nie wieder eine Chance.
Das haben wir also – durch Zufall oder irgendein Gefühl – richtig gemacht. Wir haben am Anfang mit vielen Menschen im Fair-Trade-Bereich gearbeitet, vor allem mit dem Fairen Handel für Weltläden. Das sind Menschen, die einem viel verzeihen und das Projekt ideologisch mittragen. Es war keine pure Katastrophe, aber unsere 100-Gramm-Tafeln haben am Anfang zwischen 78 und 129 Gramm alles gewogen.
Wir probieren gerade viele neue Produkte aus, denn unser nächster großer Meilenstein liegt bei der Schaffung von 10.000 gut bezahlten und qualifizierten Arbeitsplätzen mit Krankenversicherung und allem. Da müssen wir größer als eine Tafel Schokolade denken. Wir haben eine Chocolatier-Schule ins Leben gerufen, ein Marketing-Team aufgestellt, das unser Marketing in Europa aus Ghana heraus unterstützt und die Verpackungen macht. Wir verarbeiten in unserer Kantine die Produkte der Farmer*innen in unserer Region, wir haben unseren eigenen Schneider, der die Uniformen näht. Man kann einfach vieles machen, um sinnvolle Arbeit zu finden.
Welche Kriterien hältst du im fairen Handel für besonders wichtig?
Ich persönlich richte mich nur nach einer einzigen Angabe: Bio. Bei jedem anderen Siegel im Fairtrade-Segment kann die Tafel Schokolade genauso pestizidbelastet sein wie jede andere Schokolade. Wenn ich also ein Siegel auswählen sollte, dann ist das Bio.
Beim Kakao zum Beispiel heißt Bio, dass die Produkte immer wieder getestet werden. Vor allem bedeutet es auch, dass die Menschen, die den Kakao anbauen, die Chance hatten, ihre Farm zu entwickeln. Die haben sich Gedanken darüber gemacht, warum sie Bio anbauen, wie wichtig die Natur und ihre Umgebung für sie ist. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es den Familien, die sich für den Bioanbau entschieden haben, viel besser geht.
Ist es schwierig, Menschen von der Fairness in der Lieferkette zu überzeugen? Begegnen dir mehr Skeptiker*innen oder mehr positive Mitgestalter*innen?
Das, was wir machen, ist relativ erklärungsbedürftig. Leider. Im Prinzip behindert uns da das Fairtrade-Denken. Dahinter steckt eigentlich das alte koloniale Ausbeutungssystem: Rohstoff her – und bei uns, in den Industrieländern, erfolgt die Wertschöpfung aus den Rohstoffen. Kakao wird in Afrika wie vor 100 Jahren angebaut, das muss man sich mal vorstellen. Für die Menschen, die die wertvollen Rohstoffe liefern, entwickelt sich nichts weiter oder gar zum Besseren. Es gibt für sie kaum Alternativen zur Abhängigkeit vom Kakao. Wenn sie irgendeine andere Option hätten, würden sie sofort etwas anderes machen. Und das ist erklärungsbedürftig.
Sobald jemand versteht, warum wir vor Ort verarbeiten und unsere Bäuerinnen und Bauern fragen, was sie für sinnvoll halten, ist diese Person von unserer Herangehensweise überzeugt. Wenn wir vor Ort produzieren, dann kommen nicht nur unter zehn Cent die Tafel in Ghana an, sondern 80 Cent bis einen Dollar. Dieses Geld bewirkt überall in der Lieferkette etwas. Wir haben vor Ort Lieferanten von Verpackungen, von Zutaten, die wir versuchen, alle lokal zu beschaffen, von Kartonagen. Wir haben lokale Zulieferer für die Fabrikausstattung und die Klimatechnik.
Schokolade war nach Entdeckung der Kakaopflanze zunächst ein erlesenes und teures Produkt, wurde dann zur Massenware, die den Süßigkeiten-Markt überschwemmt hat, und nimmt nun teilweise wieder die Form eines Luxusartikels an. Was sagst du als Schokoladen-Experte: Wohin geht die Reise? Steigt die Nachfrage im fairen Bio-Schoko-Markt, weil die Verbraucher*innen mehr Wert auf Nachhaltigkeit und Fairness legen?
Stand 2022 ist, dass die Discounter-Volumen im Schokoladenbereich durch die Decke gehen und die Premium-Bio-Absätze einbrechen. Das liegt an der angespannten Energielage, die sich auf das Kaufverhalten der Konsument*innen auswirkt. Das geht auch an fairafric nicht spurlos vorbei. Wir verkaufen nicht weniger, aber wir stecken definitiv in einem viel schwierigeren Marktumfeld, als wir gedacht hätten.
Ich bin Optimist. Sonst würde ich nicht das tun, was ich mit der Fabrik in Ghana mache. Ich verstehe auch, dass manche Sachen dauern und Zeit brauchen. Das schützt mich allerdings nicht davor, ein wenig zu verzweifeln, wenn ich die dicken Nachhaltigkeits-Kampagnen von manchem Schokoladenhersteller an deutschen Bahnhöfen sehe. So viel Geld, wie in die Werbung fließt, ist in die Anbau-Länder nicht investiert worden.
Ich glaube, die Konsument*innen lassen sich da auch ganz gerne veräppeln. Wer glaubt denn ernsthaft, dass eine faire Schokolade für einen Euro zu haben ist? Wie lange würde jemand denn selbst für einen Euro arbeiten, in der Hitze, von Malaria geplagt, ohne fließend Wasser und Strom, ohne Krankenversorgung, ohne Perspektive? Es ist offensichtlich, dass da was nicht stimmt.
Aber es wird sich etwas verändern. Da bin ich sicher. Ich weiß nicht, was passieren wird, aber zum Beispiel im Klimawandel zeigt sich jetzt, dass der Bio-Anbau viel resilienter ist und Trockenperioden besser übersteht. In vielen Bereichen wächst Bio unaufhaltsam. Im konventionellen Kakao-Anbau in Ghana werden die Pflanzen von Hand bestäubt. Man hat es geschafft, alle Insekten zu töten, die sonst die Bestäubung übernehmen würden. Ich glaube, das sagt schon viel darüber aus, wie es um den konventionellen Anbau steht, das ist eine Sackgasse. Ich hoffe, dass bald noch mehr Menschen verstehen, was da abläuft. Einige gibt es ja schon.
Hendrik, die letzte Frage an dich: Was macht dich glücklich mit deiner Schokoladenfabrik?
Wenn ich daran denke, dass alles, was wir aufgebaut haben, durch Crowdfunding entstanden ist, bin ich glücklich. Menschen haben uns Geld geliehen, in unsere Idee investiert. Das zeigt mir, dass Konsument*innen mehr Macht haben, als den Menschen manchmal Glauben gemacht wird. Wenn so etwas wie fairafric eine Erfolgsgeschichte wird, hat das viel mehr Wirkung als nur dieses eine Unternehmen. Ich finde, da haben wir schon sehr viel erreicht und mit den Menschen zusammen etwas auf die Beine gestellt. Das ist ja auch einer der Kernwerte bei der GLS Bank: gemeinsam etwas bewegen zu wollen. Die GLS Bank hat unserem Projekt immer wieder Aufmerksamkeit und Reichweite geschenkt. Das ist für mich der Ubuntu-Gedanke, der in Westafrika so stark ist und Menschlichkeit bedeutet.
Vielen Dank für das Gespräch!
Neun Kilogramm Schokolade isst jede*r Deutsche durchschnittlich pro Jahr. Solche Dinge erfährst du in unserem Blogbeitrag zum Schokohasen-Geschäft an Ostern. Gehörst du auch zu den Schoko-Großabnehmer*innen? Und wenn ja, wie hältst du es mit fair gehandelter Schokolade?
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