Auf gutem Grund

Schwerpunktthema | Im Wir und Jetzt

In Genossenschaften entfalten die einzelnen Mitglieder ungeahnte Kräfte. So bewirken sie Veränderung, wo die Politik Antworten schuldig bleibt. Wie das aussehen kann, zeigt seit zehn Jahren die BioBoden Genossenschaft.

Autorin: Christiane Langrock-Kögel/Kombüse

Das Wetter war trüb an jenem Oktobermorgen, an dem Johanna Vortmann, ihr Freund Simon Lietz und die kleine Tochter Marlena über die Hügel des Kraichtals fuhren. Ihr Weg führte vorbei an Streuobstwiesen, Wäldern und Weinbergen. Ziel ist der „Hof am Seeberg“. Ein Milchviehbetrieb nordöstlich von Karlsruhe sucht neue Betriebsleiter* innen. „Der Innenhof schien mir klein und ein wenig verbaut“, erinnert sich Vortmann, „und dann dieses Altrosa des Wohnhauses.“ Doch dann kam plötzlich die Sonne heraus, ihr Blick fiel auf die weitläufigen Wiesen rund um den Hof – und auf die Jersey-Rinder, die „in einem richtig schönen, offenen Kuhstall standen und mich unheimlich interessiert ansahen“. Das war der Augenblick, in dem Johanna Vortmann dachte: Das ist es. Hier kann ich mich einbringen und gestalten.

Seit zwei Jahren bewirtschaften Johanna Vortmann, 24, und ihr Lebensgefährte Simon Lietz, 30, nun den Demeter-Hof im badischen Gochsheim. Sie halten rund 80 Jersey-Rinder, eine alte Rasse, die von der gleichnamigen britischen Kanalinsel stammt. Weltweit wird sie wegen ihrer Milchleistung und ihres sanften Charakters geschätzt. Auf dem Hof leben auch Pferde, Minischweine, Hühner, Hunde und Schafe; auf den Feldern wachsen Futtermais, Nackthafer und Dinkel. Ihre Rohmilch verkaufen Vortmann und Lietz in ihrer Milchtankstelle sowie an die Molkerei-Genossenschaft Schrozberger Milchbauern. Das Getreide des Hofs geht an die Spielberger Mühle, wie auch Schrozberger ein biologisch-dynamisch wirtschaftendes Unternehmen.

Gemeinsam Boden sichern

Der Hof am Seeberg, familiengeführt seit den 1960er Jahren, war früher ein Demeter-Vorzeigebetrieb. Dass es ihn heute noch gibt, liegt an der BioBoden Genossenschaft. Vor genau zehn Jahren wurde sie aus der Gemeinschaft der GLS Bank heraus und unter ihrem Dach gegründet, um Bio-Betriebe wie den Kraichtaler Demeter- Hof zu unterstützen. Viele Bio-Produkte werden nach Deutschland importiert, weil dem Öko-Landbau zu wenig Boden zur Verfügung steht – BioBoden sichert deshalb seit 2015 bestehende und neue Flächen. Wo Politik und private Wirtschaft den Schutz des Gemeinguts Boden hintenanstellen, macht die Genossenschaft vor, wie man es schützt: Mit ihrem Kapital kauft sie Weiden, Äcker oder Höfe, um sie an biologisch wirtschaftende Landwirte und Landwirtinnen zu verpachten. In Deutschland haben sich die Bodenpreise im vergangenen Jahrzehnt verdoppelt; zugleich werden Betriebe auf maximalen Ertrag getrimmt. Boden ist verstärkt zur Handelsware und zum Spekulationsobjekt geworden. Was bedeutet das für eine nachhaltige Landwirtschaft, die auf Bodengesundheit und Humusaufbau statt auf Monokultur und Kunstdünger setzt? Wer keinen Hof erbt, kann sich die nötigen Flächen nicht leisten.

Ohne BioBoden würde hier keine Öko-Landwirtschaft mehr existieren.

An dieser Stelle kommt die geballte Kraft all jener Menschen ins Spiel, die sich in der BioBoden Genossenschaft zusammentun. Gemeinsam gelingt es ihnen, immer mehr Boden für die dringend notwendige Agrarwende gutzumachen. „Bodenpflege ist Daseinsvorsorge“, sagt Jasper Holler, 37, seit dem Gründungsjahr 2015 Teil des BioBoden-Teams, heute einer der beiden Vorstände. „Wir nehmen den Schutz unserer Lebensgrundlage selbst in die Hand. Mit dem Geld, das unsere Mitglieder durch den Kauf von Anteilen investieren, erwerben wir sukzessive landwirtschaftliche Flächen und Betriebe.“ Was vor zehn Jahren mit 1.367 Mitgliedern begann, ist heute zu einer großen Genossenschaft mit 7.000 Mitgliedern geworden. Jahresergebnis 2023: 270.000 Euro. Bilanzsumme: 70 Millionen Euro.

Liebe zur Landwirtschaft teilen

 „Ohne BioBoden würde hier keine Öko-Landwirtschaft mehr existieren“, sagt Johanna Vortmann. Ihr Freund Simon Lietz ist als Betriebsleiter angestellt, auch Vortmann hat einen 40-Stunden-Vertrag. „Es mildert unseren Druck immens, dass wir durch die Genossenschaft mitgetragen werden. Wir können so vieles ausprobieren, in Ruhe ein tragfähiges Konzept für die Zukunft entwickeln.“ Dazu gehört auch, den Hof zu öffnen, die Verbraucher*innen einzubeziehen. Johanna Vortmann ist auf dem Dottenfelderhof aufgewachsen. Der renommierte Demeter-Betrieb in Hessen bekommt regelmäßig Besuch von Schulklassen und Fachpublikum. Vortmann will auch in Gochsheim ihre Liebe zur Landwirtschaft teilen. Die Menschen, die an der Milchtankstelle bei der Hofeinfahrt anhalten, dürfen gerne zum Kuhstall weitergehen. Denn wer sieht, dass die Kälbchen hier bei ihren Müttern stehen dürfen, versteht: Tierwohl ist nicht für ein paar Cent pro Liter Milch zu haben.

In Gochsheim, auf dem Hof am Seeberg, stehen die Jersey-Rinder heute unter einem solarpanelgedeckten Stalldach, das Melken übernehmen zwei Melkroboter. Der Traditionsbetrieb war vor einigen Jahren ins Schlingern geraten und stand kurz vor dem wirtschaftlichen Aus. Bis sich die Spielberger Mühle, eine GLS Kundin, zu deren Lieferant*innen der Hof am Seeberg schon lange gehörte, an BioBoden wandte: „Könnt ihr nicht …?“ Die Genossenschaft konnte. Sie schickte ihre Fachleute, die fragten, zuhörten, analysierten. Einige Monate lang leiteten Mitarbeiter*innen von BioBoden den angeschlagenen Betrieb und stabilisierten ihn.

Es gibt kein einheitliches Konzept, das die BioBoden Genossenschaft ihren Partnerhöfen überstülpt. Das Wichtigste ist Jasper Holler und seinem Vorstandskollegen Uwe Greff im Rückblick auf zehn Jahre BioBoden, „in Kontakt zu sein, gemeinsam Zukunftsbilder für Höfe und Menschen zu entwickeln. Wir begleiten intensiv, weit über einen Hof- oder Flächenkauf hinaus“. Die Generalversammlungen der Genossenschaft finden jedes Jahr auf einem der Partnerhöfe statt. Hunderte Mitglieder erleben dann, was sich gemeinsam bewegen lässt. Christiane von Recklinghausen war schon oft dabei, seit sie 2019 – zunächst mit einem einzelnen Genossenschaftsanteil in Höhe von 1.000 Euro – Mitglied wurde. „Ich bin ein Stadtmensch“, sagt die 42-jährige Bauingenieurin aus Essen. „Ich will wissen, wie Landwirtschaft funktioniert, wo die Probleme liegen, wo echte Lösungen entstehen.“ Von Recklinghausen ist überzeugt von dem Organisationsmodell Genossenschaft: „Es ist grunddemokratisch, ermöglicht so viel Mitsprache wie kaum ein anderes. Und: Einer Genossenschaft kann man einen Zweck geben, der weit über Gewinnmaximierung hinausreicht. Wie eben hier der Schutz der Böden.“

Genossenschaften blühen auf

Vielen galten Genossenschaften als eine Art Auslaufmodell, als angestaubtes Konzept. „Das hat sich in den vergangenen Jahren verändert“, sagt Jasper Holler. „Heute kann man eher von einer Renaissance sprechen. Die Idee blüht überall dort wieder auf, wo es darum geht, gemeinsam einen Missstand zu beheben.“ Die Vereinten Nationen haben das Jahr 2025 zum Internationalen Jahr der Genossenschaften erklärt, wollen deren Rolle zum „Bau einer besseren Welt“ würdigen. Immaterielles UNESCO-Kulturerbe ist die Genossenschaft schon seit zehn Jahren.

 Jasper Holler hört von Mitgliedern von BioBoden immer wieder, wie sehr sie es schätzen, dass hier jede undjeder eine Stimme hat – nach Kopf, nicht nach Anzahl der Aktien. Sie haben das gute Gefühl, tätig zu sein, nicht nur zu spenden, sondern zu gestalten. „Unsere Mitglieder sind Möglichmacher“, sagt Holler. „Es gibt da draußen gerade ziemlich viele schlechte Nachrichten. Aber dass sich 7.000 Menschen gemeinsam für das Thema Boden engagieren, bestätigt meinen Glauben, dass gemeinschaftliches Handeln das Ruder herumreißen kann.“

10 Jahre BioBoden: Jetzt mitmachen

BioBoden rettet seit zehn Jahren erfolgreich Grund und Boden vor Spekulation – mit einer wachsenden Zahl von Mitgliedern. Wer ebenfalls mitmachen will, findet alle notwendigen Informationen auf:

Jubiläumsangebot für junge Menschen

Zum Geburtstag und zum Internationalen Jahr der Genossenschaft erleichtert BioBoden den Weg in gemeinschaftliches Wirken: In diesem Jahr können junge Menschen (bis 27 Jahre) ihre Anteile in Raten zahlen (auch als Geschenk möglich). So wird Stück für Stück Boden gutgemacht.

Fotos: Jana Hartmann

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