Zwei Mädchen, gekleidet in farbenfrohen Fußballtrikots, laufen von der Seitenlinie eines sonnigen Fußballfeldes los.

Teamsport Demokratie

Schwerpunktthema | Im Wir und Jetzt

Demokratie braucht Miteinander. Trotzdem liegt der Fokus unserer Gesellschaft viel zu häufig auf Einzelinteressen und wie wir sie verwirklichen. Was aber wäre, wenn wir Kooperation trainieren statt sie zu verlernen?

Autor: Lars-Thorben Niggehoff/3×3 Journalistenbüro

Auf dem Fußballplatz des LFC Laer tief im Bochumer Osten steht ein knappes Dutzend Mädchen im Alter von acht bis zehn Jahren. Die Kinder umringen ihre Trainerin Lena, das Mannschaftstraining beginnt, die erste Übung steht an. Doch anstatt die Übung selbst zu erklären, übergibt Trainerin Lena an eine der Spielerinnen, die die anderen instruiert. Und Lena? Guckt zu und lässt die Mädels machen.

Was hier so selbstverständlich wirkt, dürfte Fußballerfahrenen zumindest ungewohnt vorkommen. Denn vor noch nicht allzu langer Zeit galt als guter Fußballtrainer nur, wer möglichst autoritär führte. Legendär war etwa Rinus Michels. Der Niederländer wurde 1999 von der FIFA zum Jahrhunderttrainer gekürt. Aufgrund seines Führungsstils nannten Spieler und Öffentlichkeit Michels allerdings nur den „General“. An seinem Vorbild orientierte sich eine ganze Generation Übungsleiter auch in Deutschland. Und wie das häufig der Fall ist: Was die Profis machen, ahmen die Amateure nach. So finden sich auf diversen Kreisligaplätzen und Jugendturnieren immer noch autoritäre Schreihälse, die ihre Mannschaften übers Grün jagen.

„Damit vernachlässigt man gerade im Jugendfußball den wichtigen Aspekt der Persönlichkeitsentwicklung“, sagt Robert Tigges, der das Training der Jugendmannschaft von Lena regelmäßig besucht. Er ist Projektleiter bei der GLS Zukunftsstiftung Bildung und der Impulsgeber hinter dem Trainingskonzept, das Lena anwendet: kooperativ, unter Einbindung der Spieler*innen, der Teamgeist steht im Mittelpunkt. Die Methode soll nicht nur den Spaß am Spiel sichern, sondern die Spieler*innen auch mit demokratischen Fähigkeiten ausstatten. Der Verein liegt damit voll im Trend. Ähnliche Graswurzelprojekte gibt es überall in Deutschland, von Bochum bis Berlin – und zurück.

GLS Zukunftsstiftung Bildung

Die GLS Zukunftsstiftung Bildung stärkt Demokratiefähigkeit, Persönlichkeitsentwicklung und Soziales Lernen. Dabei setzt sie auf Peer-Learning: Durch demokratiepädagogische Methoden lernen Ältere und Jüngere mit- und voneinander. Die GLS Zukunftsstiftung Bildung feiert 2025 ihr 25-jähriges Bestehen und ist Teil des GLS Treuhand e.V.

zukunftsstiftung-bildung.de

Lernen unter Gleichen

Es ist ein Donnerstag im März, einer der ersten milden Frühlingstage. Und, wie jeden Donnerstag beim LFC Laer: Mädchentag. Mehrere Jugendmannschaften trainieren an diesem Tag, darunter auch die von Trainerin Lena. Die 17-Jährige bietet den Gegenentwurf zum autoritären Trainingsstil: Die Kickerinnen werden eingebunden, dürfen Übungsspiele selbst ausarbeiten und erklären. „Die Mädchen freuen sich total, wenn sie mitentscheiden dürfen, was wir machen. So bleiben sie motivierter“, sagt die Trainerin.

Ein Ansatz, der Schule machen soll, wenn es nach Robert Tigges geht. Das Ganze ist nicht nur Teil seiner Masterarbeit, die er an der Ruhr-Universität Bochum (RUB) schreibt. Zugleich arbeitet der zukünftige Lehrer für Sport und Englisch bei der GLS Zukunftsstiftung Bildung, die das Projekt unter dem Namen „TeamKickers“ gemeinsam mit Partner*innen realisiert. Die Stiftung setzt sich seit 25 Jahren für Bildungsvielfalt für junge Menschen ein. Dabei nutzt sie bevorzugt demokratiepädagogische Praktiken wie das Peer-Learning. TeamKickers übersetzt die Methode aus dem klassischen Bildungsbereich in den Jugendsport. „Wir kombinieren Ideen des Peer-Learnings mit Fußballtraining“, erklärt Tigges.

Kooperatives Lernen

Peer-Learning bedeutet im Kern: Nicht eine Lehrperson leitet die Lernenden an. Stattdessen lernen diese miteinander und voneinander, von Gleichaltrigen also, ihren Peers. Das Projekt lief über die gesamte Saison 2024/25. Finanziert wird es von der DFL Stiftung (Deutsche Fußball Liga) als Hauptförderin. Im Idealfall, so der Wunsch aller Beteiligten, entsteht hier nicht nur eine neue Art des Fußballtrainings, sondern eine Graswurzelbewegung, die demokratische Strukturen stärkt.

Das klingt auf den ersten Blick hochtrabend. Aber die Idee hat Hand und Fuß, wie Christian Gaum erklären kann. Er leitet den Lehr- und Forschungsbereich Sportpädagogik an der RUB und hat Robert Tigges bei der Ausarbeitung des Konzepts betreut. „Die Bedingungen für die Entwicklung demokratischer und sozialer Kompetenzen sind beim Fußballtraining günstig“, sagt er: „Kinder und Jugendliche sind mit Begeisterung bei der Sache. Sie erleben und gestalten aktiv die Herausforderungen des Miteinanders und Gegeneinanders.“ Dafür braucht es nur das nötige Handwerkszeug. Im Rahmen von TeamKickers erhalten Trainer*innen im Alter von 14 bis 18 Jahren eine Schulung. Neben fachlichen Fragen lernen sie auch, wie partizipatives und kooperatives Training funktioniert und wie sie dabei soziale Fähigkeiten fördern.

Im Wir und Jetzt

Auch in Zeiten wachsender Herausforderungen können wir Einiges bewirken – wenn wir uns verbinden. Unser aktueller Schwerpunkt zeigt mit inspirierenden Beispielen und Ideen, wie wir gemeinsam heute für morgen aktiv werden können. Unsere Chance liegt im Wir und Jetzt.

Ruhrpott für Europa öffnet Räume

Die Idee ist bewährt: Erste Wurzeln kann man bereits bei Aristoteles entdecken, der sich für den Einsatz von Gleichaltrigen als Erzieher aussprach. Die moderne Inkarnation entstand vor allem an US-amerikanischen Hochschulen in den Sechziger- und Siebzigerjahren. In Schulen hierzulande wird bereits seit vielen Jahren mit dem Konzept gearbeitet, die GLS Zukunftsstiftung Bildung fördert mehrere Projekte. Untersuchungen haben gezeigt, dass Peer-Learning nicht nur soziale Kompetenzen und Teamfähigkeit stärkt, sondern auch das Selbstbewusstsein.

All das sind Dinge, die Kinder und Jugendliche weniger anfällig für autoritäre Erzählungen und Denkmuster machen sollen. Gerade im Ruhrgebiet zeigt sich dringender Bedarf. Bei der Bundestagswahl Anfang 2025 war Gelsenkirchen eine von zwei westdeutschen Städten, in denen die AfD das beste Zweitstimmenergebnis erzielte. Auch in anderen Kommunen der Region erreichte die Partei gute Ergebnisse, gerade unter jüngeren Menschen. Wie konnte das passieren?

Auf der Suche nach Antworten spricht man am besten mit Milad Tabesch. Der 28-jährige Sohn afghanischer Flüchtlinge ist Bochumer durch und durch. Er hat beobachtet, wie gerade die Coronapandemie viel soziale Infrastruktur in der Region kaputtgemacht hat. „Damals ist alles weggebrochen, was Jugendlichen Kontakt zur Gesellschaft ermöglicht“, sagt er. Schulen, Sportvereine, Jugendclubs: Über Monate blieben Treffpunkte egal welcher Art geschlossen. „Der einzige Berührungspunkt waren Social-Media-Kommentarspalten“, so Tabesch. Auch nach der Pandemie sei dieser Schaden nicht behoben worden. „Es fehlt massiv an vorpolitischen Räumen zum Austausch“, beklagt er.

Deswegen hat Tabesch „Ruhrpott für Europa“ gegründet. Das Netzwerk soll über verschiedene Wege genau diese Räume schaffen. Tabesch und seine Mitstreiter*innen geben Seminare an Schulen, betreiben einen Podcast und organisieren Veranstaltungen, die sich an das junge Publikum richten.

„Es geht darum, den Jugendlichen auf Augenhöhe zu begegnen, ohne Hintergedanken und den Versuch, sie für eine Partei oder anderes zu gewinnen“, erklärt der Initiator. Entsprechend jung ist das Team von Ruhrpott für Europa, Tabesch selbst ist nach eigener Aussage der Älteste. Die Demokratie-Workshops gestalten also mehr oder weniger Gleichaltrige für Schüler, kooperativ und ohne Frontalvortrag, wie Tabesch betont. Oder, wie man es auch nennen könnte: Peer-Learning.

Ruhrpott für Europa

Die Initiative „Ruhrpott für Europa“ hat sich gegründet, um junge Menschen für politische Partizipation zu begeistern. Das Projekt wird von der Landeszentrale für politische Bildung NRW gefördert. Das Netzwerk pflegt den Dialog mit Workshops, einem Podcast und mit Vorträgen. Initiator Milad Tabesch spricht auch auf der GLS Jahresversammlung am 28. Juni 2025 in Bochum.

Play Dates Berlin gegen Einsamkeit

Peer-Learning steht aktuell also hoch im Kurs. Mit Jugendlichen kurz vor dem wahlberechtigten Alter Demokratie zu üben, erscheint logisch. „Gerade in jungem Alter hat die Art und Weise, wie ich lerne, sei es in der Schule oder auf dem Sportplatz, große Wirkung auf meine Persönlichkeitsentwicklung“, sagt Robert Tigges. Heißt: Wer früh lernt, dass Kooperation und Teamfähigkeit mehr zählen, als immer recht zu haben, der wird dieses Wissen später auf andere Bereiche übertragen. Und, auch dieser Punkt ist Tigges wichtig: „Am Ende macht diese Art des Trainings mehr Spaß, was dazu führt, dass Kinder und Jugendliche sich besser entwickeln und mehr lernen.“

Und damit nennt er eine weitere Lehre aus Peer-Learning: Zusammen machen Dinge einfach mehr Spaß. Das zeigt sich auch gut 450 Kilometer nordöstlich des Ruhrgebiets, in Berlin. In der Hauptstadt kämpfen viele Menschen mit Einsamkeit, wie Waldemar Zeiler weiß und wie Studien etwa von der Techniker Krankenkasse, belegen. Der Sozialunternehmer beklagt das Fehlen von dritten Orten, also Plätzen zwischen dem Privaten und Öffentlichen, etwas ohne Konsumzwang. So würden Menschen weniger in den Austausch kommen, sich einsam fühlen, verbittern. Das Einsamkeitsbarometer der Bundesregierung 2024 hat zudem herausgearbeitet, dass mit der Einsamkeitsbelastung auch die Distanz zu politischen Institutionen wächst.

Auch deswegen organisiert Zeiler seit einigen Monaten sogenannte Play Dates, Events in Berlin, bei denen er und sein Team lediglich ein paar Tischtennisplatten hinstellen. Kommen dürfen alle, mitbringen müssen sie nur ihre eigenen Schläger. Auch Gesellschaftsspiele sind gerne gesehen, alles, was Interaktion und Spaß fördert. Es kostet keinen Eintritt, es gibt keinen Mindestverzehr. Man könnte es ein Forum im vorpolitischen Raum nennen. „Bisher ist das ein voller Erfolg, der auch mich überrascht hat“, berichtet Zeiler. 400 Menschen seien zum ersten Termin gekommen. „Eine magische Nacht, um 22 Uhr mussten wir die Leute drängen, zu gehen“, erinnert er sich. Mittlerweile finden die Play Dates einmal im Monat statt, Zeiler plant Ableger in Hamburg und München. „Ich glaube, dass wir Menschen so aus der Einsamkeit holen können, was auch Radikalisierung vorbeugt“, erklärt er. Wichtig sei, dass es ohne Zwang und mit Leichtigkeit passiere.

58 %

der Menschen in Deutschland geben
an, das Gefühl der Einsamkeit zu kennen. Besonders bei Jugendlichen besteht ein Zusammenhang zu
antidemokratischen Haltungen.*

*Einsamkeitsreport 2024, Techniker Krankenkasse; Studie: Extrem einsam?,
Kollekt, Das Progressive Zentrum e.V., 2023

Play Date Berlin

GLS Kunde Waldemar Zeiler lädt jeden ersten Montag im Monat zum Spieleabend in die Markthalle Neun in Berlin ein. Egal ob Tischtennis, Brettspiele oder Kartenspiele – es geht darum, gemeinsam Spaß zu haben und sich zu verbinden. Zur Nachahmung empfohlen!

So also, wie es auch im Peer-Learning angelegt ist und auf dem Platz des LFC Laer bereits funktioniert. Die Sorgen um die Demokratie, sie bleiben hier dann aber doch im Hintergrund. Auch Lena, die Jugendtrainerin, will das Thema nicht zu hoch hängen. „Ich will vor allem eine bessere Trainerin sein“, sagt sie. „Und ich möchte, dass meine Spielerinnen Spaß haben und sich für das Training begeistern.“ Dabei seien die Methoden von TeamKicker hilfreich. Robert Tigges hofft, dass das Projekt nach dieser Saison weitergeht. „Wichtig wäre, dass solche Methoden sich auch in der regulären Trainerausbildung wiederfinden“. Er will das Gespräch mit den Verbänden suchen.

Fotos: Teresa Rothwangl

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