Antworten auf globale Herausforderungen findet Ekta Parishad in den Dörfern Indiens. Die größte Massenbewegung des Landes und Projektpartner der GLS Zukunftsstiftung Entwicklung bringt Menschen zusammen, die gemeinsam Lösungen entwickeln. Dabei geht es um soziale Gerechtigkeit, Armut, Umweltkatastrophen, die Klimakrise und weitere große Themen unserer Zeit. Ein gelebtes Wir im Jetzt.
Autorinnen: Wiebke Bomas und Anna Marlene Bosbach

Es ist brüllend heiß in den Hügeln von Odisha. Doch die Frauen von Dhaunrabhata wuchten Säcke mit Hirse über den staubigen Hof, dreschen Saaten aus Pflanzenstroh. Sie sind es gewohnt: Temperaturen von weit über 40 Grad Celsius sind in dieser Gegend von Kalahandi, der ärmsten Region Indiens, normal. Hier, auf dem Gemeindeland ihrer Vorfahren, haben sich rund 50 Farmerinnen gemeinsam das Recht auf die weitere Nutzung dieses Landes erkämpft. Bereits unzählige Generationen vor ihnen haben es für den Anbau von Hirse, Getreide, Hülsenfrüchten und Gewürzen bewirtschaftet – indigene Kulturpflanzen mit hoher Hitzeresistenz. Ihr Anbau ist traditionell sehr naturnah. Schließlich muss das Land auch die Lebensgrundlagen der nachfolgenden Generationen sichern.
Ekta Parishad verhilft Millionen zu Landbesitz und Perspektiven
Das Recht auf Land: Für Menschen aus den unteren sozialen Schichten Indiens ist es überlebenswichtig. Ohne Zugang zu Ausbildung und auskömmlicher Arbeit ist das eigene Stück Land meist der einzige Weg zu Selbstversorgung und Einkommen. “Knapp 55 Prozent der Bevölkerung Indiens ist sozial, ökonomisch und politisch marginalisiert. Sie leben vor allem in ländlichen Gegenden ohne Landbesitz, oft sogar ohne Unterkunft. Es sind Nomaden, Indigene, alleinstehende Frauen, Fischer und viele weitere Gruppen”, beschreibt Ramesh Sharma, Projektkoordinator der Massenbewegung Ekta Parishad, diese Mehrheit.
Bei ihr setzt Ekta Parishad an. Die größte Graswurzelbewegung Indiens ist in mehr als 12.000 Dörfern und 14 Bundesstaaten Indiens vertreten. Sie hilft Landlosen, sich ihrer Rechte bewusst zu werden, sie einzufordern und ihr Land nach Prinzipien der Agroökologie und mit uraltem indigenen Wissen langfristig zu erhalten. Millionen von Menschen hat die Gemeinschaft schon zu Landbesitz und einer Perspektive verholfen. “Ein besonderer Schwerpunkt liegt für uns auf Landrechten für Frauen, da mehr als 80 Prozent der landwirtschaftlichen Arbeit in Indien von Frauen betrieben wird, sie aber nicht als Farmerinnen anerkannt werden”, sagt Ramesh Sharma. „Bei knapp 70 Prozent, die in Indien von der Landwirtschaft leben, betrifft das eine riesige Gruppe.“


Die Mehrheit der Bevölkerung Indiens ist sozial, ökonomisch und politisch marginalisiert.
Ramesh Sharma, Ekta Parishad
Durch unsere Zusammenarbeit mit der GLS Zukunftsstiftung Entwicklung konnten wir die Frauen mit Garn und vier Webmaschinen unterstützen.
Ramesh Sharma, Ekta Parishad
Mit gebündelten Kräften für mehr Selbstbestimmung
So sind es auch Frauenkooperativen, für die die GLS Zukunftsstiftung Entwicklung mit Ekta Parishad zusammenarbeitet. Mit gebündelten Kräften wandeln sie das Geld der Spenderinnen und Spender in Perspektiven für ganze Regionen um. So wie das Weberinnen-Kollektiv indigener Frauen aus Tinsukia, einer stark von Armut betroffenen Region in Assam. Jedes Jahr zerstören die Fluten des Brahmaputra Land und Lebensgrundlagen der Region, die für ihre reiche Kultur handgewebter Kleidung bekannt ist. In nahezu jedem der typischen Lehmhäuser weben Frauen einzigartige Farbkombinationen und Texturen. Als die Pandemie zu den Zerstörungen der Naturgewalten auch noch die der Lieferketten addierte, standen sie vor dem Nichts. So kamen die Frauen auf Ekta Parishad zu. Sie suchten Unterstützung für die Bündelung ihrer Weberei in einem verlassenen, flutresistenten Betongebäude. “Durch unsere Zusammenarbeit mit der GLS Zukunftsstiftung Entwicklung konnten wir die Frauen mit Garn und vier Webmaschinen unterstützen”, erzählt Ramesh Sharma. “In kürzester Zeit bildeten sie Teams für Einkauf, Materialmanagement, Arbeitsorganisation, Buchhaltung und weitere Aufgaben. Mit gemeinsamen Kräften und der starken Webkunsttradition tragen sie sich schon seit zweieinhalb Jahren selbst.”
Kooperativen wie diese und die vielen Gemeinden, die sich zur Bewegung Ekta Parishad zusammenschließen, folgen den Prinzipien Ghandis: Gewaltfreiheit, Kooperation und Selbstbestimmung. Hierzu gehören die berühmten Fußmärsche auf die Hauptstadt Delhi, um den Forderungen nach Landrechten Nachdruck zu verleihen, genauso wie eine offene, dezentrale Organisation. Vor Ort sieht das so aus: Jede Familie, die Mitglied von Ekta Parishad ist, wird auf rotierender Basis durch eine Person in der Dorfgemeinschaft vertreten. Nach der Pandemie entschied Ekta Parishad, dass es möglichst junge Menschen sein sollen. Aus dieser Gruppe der Vertreter*innen der Dorfgemeinschaft wählt die Gemeinschaft Vertreter*innen für die Distriktebene. Auch diese Vertretung rotiert. Auf Distriktebene gibt es dann wieder Vertreter*innen, die sich für drei Jahre auf bundesstaatlicher Ebene für die Ziele der Dorfgemeinschaften einbringen. Alle Entscheidungen gehen so von denen aus, die sie unmittelbar betreffen.
Im Wir und Jetzt

Auch in Zeiten wachsender Herausforderungen können wir Einiges bewirken – wenn wir uns verbinden. Unser aktueller Schwerpunkt zeigt mit inspirierenden Beispielen und Ideen, wie wir gemeinsam heute für morgen aktiv werden können. Unsere Chance liegt im Wir und Jetzt.
Indigener Wissensschatz liefert Antworten
Ekta Parishad sensibilisiert die Gemeinschaften für ihre Stärken, mit denen sie den Wandel antreiben können. “Die indische indigene Gemeinschaft hat einen der reichsten traditionellen Wissensschätze der Welt und gibt ihr Wissen mündlich von einer Generation an die nächste weiter”, erläutert Projektkoordinator Sharma. Ekta Parishad fördert die Rückbesinnung auf indigenes Wissen und seine Transformation für Antworten auf aktuelle Herausforderungen wie Klimakrise und Umweltkatastrophen.
Genauso förderte die Bewegung auch die Farmerinnen aus Dhaunrabhata. Als nach der Pandemie der komplette Saatguthandel und damit die Lebensgrundlage der Frauen zusammengebrochen war, haben sie Rat bei Ekta Parishad gesucht. Gemeinsam entwickelten sie die Idee einer krisenfesten Saatgutbank für die klimaresistenten Kulturpflanzen. Heute haben sie mit dieser gemeinschaftlich verwalteten Saatgutbank ihre Lebensgrundlage zurückgewonnen. Umso mehr, da ihr Saatgut – im Unterschied zu den Hochzuchten der Agrarindustrie – eine Antwort auf die Klimakrise gibt. “Aus dem Projekt ist eine kleine Schule geworden”, sagt Ramesh Sharma mit hörbarer Freude. “Die jungen Farmerinnen und Farmer aus der ganzen Region kommen zu den Frauen, um über den traditionellen Anbau zu lernen. Sogar Poster, Postkarten und digitale Displays gibt es. Wir sind sehr glücklich zu sehen, wie ernsthaft diese Frauen ihre Ziele in den vergangenen zwei Jahren verfolgt haben.“
Die Stiftung macht es sich zur Aufgabe, die Ursachen von Hunger und Armut zu bekämpfen. Dafür unterstützt sie Menschen in Ländern Asiens, Afrikas und Lateinamerikas dabei, ihre Lebensverhältnisse eigenverantwortlich zu gestalten.
Fotos: Zukunftsstiftung Entwicklung
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