Wieso gibt es derzeit den Trend der peer-to-peer-Modelle? Was sind die Chancen und die Grenzen des p2p-Ansatzes im Versicherungswesen? Wie entsteht Vertrauen zwischen den Nutzern eines Risikokollektivs? Diese und viele andere Fragen stellte sich eine Runde von Experten am 25. Januar im Rahmen eines Workshops in den Räumen der GLS Bank in Bochum. Zudem wurde die Onlineplattform Elinor* vorgestellt, die ein solches Modell ermöglicht.
Ein Gastbeitrag von Lukas Kunert
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Die Access- und Sharing Economy erobert immer größere Teile unserer Wirtschaft und Gesellschaft (z.B. Uber, Airbnb, Foodsharing). Diese in verschiedenen Branchen erfolgreichen neuen Geschäftsmodelle beruhen auf der Vermittlung von Peer-to-Peer-Leistungen. Das heißt: Leistungen einer Privatperson werden (meist durch einen Intermediär) an eine andere Privatperson vermittelt. Dieser Lösungsansatz lässt sich auch auf den Bereich der Versicherungen übertragen. Die Geschwindigkeit, mit der neue Start-Ups rund um den Begriff peer-to-peer (p2p) in der Versicherungsbranche entstehen, wird immer schneller, auch befeuert durch das immer größere Venture Capital, welches in derartige Start-Ups fließt.
So neu ist das p2p-Prinzip eigentlich nicht, genauer gesagt ist er schon mehrere tausend Jahre alt: Im 2. Jahrtausend v. Chr. ist aus Babylonien bekannt, dass sich Karawanenteilnehmer gegenseitig verpflichteten, Schäden gemeinsam zu ersetzen. Über die Zeit veränderte sich die Struktur der gegenseitigen Absicherung immer mehr, so dass nur noch ein anonymes, zentralisiertes und auf Geldbeiträgen basierendes Versicherungssystem übrigblieb. In dieser Form bestehen Versicherungen seit vielen Jahren nahezu unverändert.
Elinor: Peer-to-peer in der Versicherungsbranche
Im Workshop berichtete Dr. Thomas Zwack (Versicherungsforen Leipzig), wie das Sharing-Model auf die Versicherungsbranche übertragen werden kann. Dr. Zwack ist Autor des Buches „Peer-to-Peer-Geschäftsmodelle zur Absicherung privater Risiken“; darin untersucht er die Anwendbarkeit des p2p-Prinzips in der Jägergemeinschaft in Bezug auf Wildschäden. Auch gibt er einen Überblick über die aktuellen Start-Ups in diesem Bereich (siehe dazu auch die bei Neopolis in 2016 publizierte Broschüre) und macht Vorschläge, wie man diese sinnvoll kategorisieren kann. Außerdem schilderte Dr. Zwack, dass das p2p-Prinzip in den allermeisten Fällen auf beschränkte Schadenssummen angewendet wird. Das bedeutet, dass es eine Höchstsumme gibt, welche über p2p abgesichert werden kann. Problematisch sind Risiken mit unbeschränkten Schadenssummen wie z.B. bei Gebäudeversicherungen oder Haftpflichtversicherungen. Damit sind auch mögliche Grenzen des p2p-Prinzips skizziert.
Soziale Plattform Elinor demnächst online
Im zweiten Teil des Workshops wurde Elinor vorgestellt. Federführend wird Elinor von Falk Zientz (GLS Bank) und Neopolis-Mitglied Lukas Kunert (Gründer von Elinor) betrieben. Mit Elinor entsteht in Kooperation mit der GLS Bank, den Hannoverschen Kassen und dem Forschungsnetzwerk Neopolis eine Plattform, auf der sich Menschen zusammenfinden können, um sich – wie die babylonischen Karawanenteilnehmer – gemeinsam gegen Risiken abzusichern.
Aktuell wird ein Prototyp dieser Onlineplattform entwickelt. Anfang April wird die beta-Version dieser p2p-Absicherung über https://www.elinor.network zugänglich sein.
Wie sollen p2p-Versicherungsverträge aussehen?
Im Workshop wurde die Plattform präsentiert, diskutiert und weiterentwickelt. Eine wichtige Frage, die die Runde der versammelten Experten lange beschäftigte, betraf geeignete Versicherungsverträge. Sollten die Verträge unter den Nutzer möglichst kurz und prägnant sein oder ist die Auseinandersetzung mit einem ausführlichen Vertrag die notwendige und hilfreiche Voraussetzung für das Gelingen einer Gruppe? Ein weiterer Punkt war der Umgang mit Menschen, die häufig hohe Schadenssummen erzeugen (z.B. aufgrund chronischer Krankheiten). Wie kann dafür gesorgt werden, dass solche Menschen nicht aus dem System fallen und weiter partizipieren können? Dabei kamen verschiedene Ideen und Modelle zur Sprache wie z.B. der „Zehnte“, welcher auf einer übergeordneten Ebene eine gruppenübergreifende Solidarität ermöglicht, sodass besondere Härtefälle ausgeglichen werden können.
Vertrauen als wichtige Komponente im p2p-Modell
Das wohl wichtigste Thema wurde in der letzten Einheit des Workshops besprochen: Vertrauen. Gerade in einer immer schneller und komplexer werdenden Welt kann Vertrauen eine notwendige Unterstützung sein. Niklas Luhmann schreibt unter anderem, „(…) dass es bei Vertrauen um Reduktion von Komplexität geht, und zwar speziell um jene Komplexität, die durch die Freiheit des anderen Menschen in die Welt kommt.“[1] Für die Workshopteilnehmer*innen stand im Mittelpunkt die Frage, wie ein solches Vertrauen entsteht und gestaltet werden kann, mit der besonderen Herausforderung, dieses Vertrauen nur im digitalen Raum unterstützen zu können. Dabei kam das Bild einer hybriden Vertrauensstruktur, welche auf einer Mischung aus Online- und Offline-Vertrauen basieren würde. Z.B.: Person A kennt und vertraut Person B. So kann Person C, welche Person A sehr gut kennt, auch Person B vertrauen.
Eine andere Möglichkeit ist die Schaffung eines „Online-Schöffengerichts“, welches aus allen Plattform-Nutzern gewählt wird und somit eine große Akzeptanz genießt. Dieses kann in Streitsituationen als Vermittler oder Mediator angerufen werden.
Auch wurde unterstrichen, dass Transparenz und Erfahrung notwendige Grundlagen für Vertrauen sind und somit möglichst alle Aktionen der Gruppenmitglieder den anderen sichtbar sein sollten. Auch Niklas Luhmann sagt, „(…) es bedarf der Geschichte als Hintergrundsicherung. Man kann nicht ohne jeden Anhaltspunkt und ohne alle Vorerfahrung Vertrauen schenken, aber Vertrauen ist keine Folgerung aus der Vergangenheit, sondern es überzieht die Informationen, die es aus der Vergangenheit besitzt und riskiert eine Bestimmung der Zukunft. Im Akt des Vertrauens wird die Komplexität der zukünftigen Welt reduziert.“[2]
Fragen oder Anregungen nimmt Lukas Kunert gerne entgegen: lukas@neopolis.network.
*In der Beta-Phase hatte das Projekt den Name „faisichern“.
Quellen:
[1] Niklas Luhmann (2014). „Vertrauen“, 5. Auflage 5. Auflage: UVK Verlagsgesellschaft mbH, Konstanz und München, S.36
[2] ebd, S.26
Text: Lukas Kunert
Foto „Gruppengespräch“ & Editing: Benjamin Brockhaus
Foto „Gründungsteam“: Stephan Münnich
Grafik 1: Daria Urman
Grafik 2: Thomas Zwack
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