Ein Korb voller Gemüse wird von zwei Händen getragen.

Welche Pflanzen brauchen wir in Zukunft?

Gesunde Ernährung, aber auch Ernährungssicherung und Hunger sind Megathemen unserer Zeit. Doch spielte eine adäquate Nahrung nicht schon immer eine große Rolle auf dem Entwicklungsweg des Menschen? Dem geheimnisvollen gemeinsamen Weg von Mensch und Kulturpflanze ging die Saatgut-Tagung der Zukunftsstiftung Landwirtschaft der GLS Treuhand dieses Mal in Kassel nach.

Mensch und Kulturpflanze – Eine intensive Beziehung

In vielerlei Hinsicht ist die Entstehung unserer heutigen Nahrungspflanzen noch immer geheimnisvoll. Sie lässt sich auch nicht ohne weiteres erklären, das machte der Schweizer Apfelzüchter Niklaus Bolliger am Beispiel des Apfels deutlich. Es ranken sich Mythen und Sagen um die “Götterfrucht”, doch lasse sich die Entwicklung nur bis zu einem bestimmten historischen Punkt zurückverfolgen.

Ähnlich verhält es sich mit den Anfängen unserer Getreide-, Gemüse- und Obstsorten, die sich in grauer Vorzeit – durch die Begleitung des Menschen – langsam aus Wildformen zu Kulturpflanzen entwickelten. Ohne Zweifel hatten Menschen, die eine besondere Beziehung zu bestimmten Nahrungspflanzen aufbauten und sich ihrer Pflege widmeten – frühe Züchter*innen, wenn man so will, und auch Heilkundige – dadurch indirekt auch einen Einfluss auf die Menschheitsentwicklung.

Wohin wollen die Kulturpflanzen?

Und heute? Entwickeln Gärtner*innen und Landwirte, Obstbäuerinnen und gar Konsumenten eine Beziehung zu den Pflanzen, die sie anbauen und essen? Biologisch-dynamische Züchter*innen jedenfalls halten es für eine Voraussetzung und eine Notwendigkeit, sich den Kulturpflanzen zuzuwenden. Sich in die Art und Weise, wie sie in der Welt stehen, hineinzufühlen. Und zu erspüren, welches Potenzial in einer bestimmten Pflanzenart steckt und welche besonderen Ernährungsqualitäten eine Sorte entwickeln kann, um zu einer gesunden und stärkenden Lebensgrundlage für die Menschen der Gegenwart und der Zukunft zu werden.

Ein Rotkohl ist zu sehen, der verkostet werden soll.

Dazu haben Menschen aus der ökologischen Züchtungsbewegung viele Wege beschritten, viel experimentiert und reichlich Erfahrungen gesammelt. Einige davon teilten unter anderen die Gemüsezüchterinnen Christina Henatsch und Johanna Fellner sowie der Getreidezüchter Karl-Josef Müller auf der Saatgut-Tagung mit dem Publikum.

 

Liebevolle Begleitung der Pflanzen

Johanna Fellner beschrieb biodynamische Züchtung als „sehr komplexen Prozess“, in dem sie sich als Begleiterin der Kulturpflanzen sieht. Sie versucht mit den Pflanzen, die sie betreut, eine Art Kommunikation zu entwickeln. Dabei bringe sie den Pflanzen große Aufmerksamkeit und ihr liebevolles Interesse entgegen, trete in einen Dialog, bleibe achtsam und offen, um Verwandlung und zukünftig mögliche Entwicklungsstufen wahrzunehmen. Tatsache sei, dass jede*r Züchter*in sich besonders zu bestimmten Pflanzenarten und Sorten „hingezogen“ fühle, eine Sympathie für diese entwickle, erklärte sie.

Nahrungspflanzen für die Zukunft

Gemüsezüchterin Christina Henatsch treibt die Frage nach den Nahrungspflanzen der Zukunft schon lange um. Mit ungewöhnlichen Methoden wie etwa Meditation tastet sie sich mit Offenheit und Zugewandtheit an eine sogenannte “Züchtung aus der Zukunft” heran. Dieser Ausdruck bedeutet, dass durch die intensive Beschäftigung mit der Pflanze der Züchterin ein Bild entgegenkommt, wohin die Pflanze sich mittelfristig entwickeln will bzw. welche Potenziale die Pflanze noch veranlagt hat.

An einer Schreibtafel entstand ein Bild von der Zukunft einer Pflanze.

Die Gemüsezüchterin hat dabei sowohl die Notwendigkeiten einer zeitgemäßen als auch einer zukünftigen Ernährung im Blick. Denn heute tue sich vielfach die Frage auf, “was ernährt diese verfeinerte, durchlässige, oft hochsensible Konstitution heutiger Menschen, mit ihren diversen Nahrungsmittelunverträglichkeiten und geringer körperlicher Belastbarkeit. Diesen Veränderungen sollten wir in unseren züchterischen Bemühungen Rechnung tragen.” Als Züchterin müsse sie sich daher fragen: “Welche Qualität muss ich anbieten, um der Konstitution dieser Menschen durch passende, zukünftige Nahrungspflanzen dienlich zu sein.”

Wege zu einer neuen Sorte: Die Pflanze gibt Antworten

Aus dem Bemühen um das Verständnis der Pflanzen entstehen ein „Dialog“ und schließlich Antworten, waren sich die meisten Vortragenden einig. Die Pflanze selbst offenbare ihre Wirksamkeit für diejenigen, die aufmerksam hinschauen und zeige damit den Weg in die Zukunft. Hinter dieser vereinfachten Darstellung verbirgt sich allerdings oft ein jahrzehntelanger Weg bis zu einer neuen „fertigen“ Sorte. Denn schließlich müssen auch noch eine Reihe anderer Anforderungen – anbautechnischer und wirtschaftlicher Art – erfüllt sein, damit eine Sorte in den Anbau, in die Regale des Handels und auf die Teller der Konsument*innen kommt.

Impulse für die ökologische und biodynamische Züchtung

Martin von Mackensen, Landwirt und Züchter auf dem Dottenfelderhof, formulierte die Quintessenz der Tagung: Die zukünftige Pflanze entsteht im Herzen des Züchters. Wissen, Intuition, Initiative, Gelassenheit, Positivität und permanente Offenheit seien entscheidende Werkzeuge einer Züchtung, die sich am Zukünftigen orientiert. „Wir können den Züchtungsprozess besser verstehen, wenn wir erkennen, dass in diesem Prozess auf beiden Seiten Resonanzen entstehen“, erklärte von Mackensen. „Der Mensch ist derjenige, für den die Pflanze entsteht, und er ist gleichzeitig derjenige, der der Pflanze die Möglichkeit gibt, sich zu entwickeln.” Die Züchtung betrachtend, erläuterte der Landwirt, schauen wir auf ein großes Rätsel: “Die Züchtung ist die Fortsetzung der Evolution durch den Menschen.”

Die Aufgabe der Zukunftsstiftung Landwirtschaft

Oliver Willig von der Zukunftsstiftung Landwirtschaft dankte den über 120 Unterstützer*innen und Besucher*innen für ihr Interesse an der ökologischen Züchtung und erinnerte daran, dass diese noch vor vielfältigen Aufgaben steht. Er betonte, dass die ökologische Züchtung – sei es beim Getreide, Gemüse oder Obst – chronisch unterfinanziert ist und stark vom Idealismus der Züchter*innen getragen wird. „Deshalb wird es auch weiterhin Aufgabe der Zukunftsstiftung Landwirtschaft sein, mit der Unterstützung von Verbraucher*innen, Unternehmen und Stiftungen finanzielle Mittel für die ökologische Züchtung einzuwerben und gemeinnützigen Züchtungsinitiativen zur Verfügung zu stellen.“

Wenn du die ökologische und nachhaltige Landwirtschaft finanziell unterstützen möchtest, kannst du dies auf der Webseite der Zukunftsstiftung tun: https://zukunftsstiftung-landwirtschaft.de/spenden-und-schenken/online-spende/  

Auch im vergangenen Jahr haben wir über die Saatgut-Tagung berichtet. Wenn du mehr über den Öko-Saatgut-Markt erfahren willst, kannst du diesen Blogbeitrag lesen.

Markt für Öko-Saatgut wächst trotz globaler Riesen

  1. Gebt das Hanf frei!

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