GLS Projekt Schenkwindrad Gnannenweiler: Erlöse aus einer Windenergieanlage bleiben in der Region
Im Kreis Heidenheim zwischen Stuttgart und München stehen 42 Windenergieanlagen, die gemeinsam über 100 Megawatt Strom im Jahr erzeugen. Der Windpark Gnannenweiler sticht mit einer Anlage heraus: Dort dreht sich das Schenkwindrad für die Menschen in der Region. Denn der Erlös fließt in die Heidenheimer Klinik für Integrative Medizin. Ein Projekt zum Nachahmen, finanziert von der GLS Bank.
„Das Beste an unserem Schenkwindrad ist, dass eine Idee von zwei Standpunkten aus entstanden ist und sich in diesem Projekt getroffen hat“, sagt Daniel Büttner, Lehrer an einer Waldorfschule in Aalen, 25 Kilometer oberhalb von Gnannenweiler. Er ist auch Vertreter der Bürgerwindrad für Gemeinwesen und Gesundheit GmbH & Co. KG, die die Anlage betreibt.
Ein Standpunkt ist die Sicht des Unternehmers. Erwin Schweizer und Georg Honold sind Windparkprojektierer und -betreiber mit langjähriger Erfahrung. Sie haben gemerkt, wie wichtig es ist, dass Überschüsse aus Windenergieanlagen in der Region bleiben. „Das ist für die Akzeptanz der Windenergie ein ganz entscheidender Faktor“, sagt Schweizer. Der andere Standpunkt ist eine Haltung, die sowohl Menschen wie Daniel Büttner als auch die GLS Bank haben: Geld ist ein zentraler Gestaltungsfaktor in der Gesellschaft. Geld sollte vor allem dafür eingesetzt werden, wesentliche Lebensbedürfnisse zu erfüllen und notwendige Arbeiten zu ermöglichen.
Genau das wird für die Menschen im Kreis Heidenheim erlebbar. Die Überschüsse des Windrads, das auf ihrem Land steht, fließen nicht an anonyme Investoren oder sonst wohin auf der Welt. Sie fließen in das eigene Krankenhaus und sind somit ein regelmäßiges Geldgeschenk an die Gemeinschaft. Mit diesem Modell können sich die Einwohner*innen des Landkreises gut verbinden.
Wo liegt eigentlich Gnannenweiler?
Gnannenweiler ist ein kleiner Ort auf der Höhenlage der Schwäbischen Alb im Kreis Heidenheim. Es ist ein kleiner Weiler, eine Ansammlung von einigen Häusern, die offiziell zur Gemeinde Steinheim gehören. Von weithin sichtbar ist der Windpark Gnannenweiler, der seit 2009 besteht und zunächst neun Windenergieanlagen umfasste. 2021 wurden zwei neue Windräder als Erweiterung errichtet und von der GLS Bank finanziert. Eines davon ist das Schenkwindrad. Die GLS Bank hat bereits im Vorfeld intensiv mit den Projektierern zusammengearbeitet, um eine tragfähige Finanzierung für beide Windräder und die besondere Aufgabe des Schenkwindrads zu ermöglichen.
Einweihung des Schenkwindrads nach nur einem Jahr Bauzeit
Im September 2021 wurde das auf den Namen „Schenkwindrad Gnannenweiler“ getaufte Projekt nach nur einjähriger Bauzeit fertig – und feierlich eingeweiht. Es ist das erste Windrad in Deutschland, das nicht nur nachhaltigen Strom erzeugt, sondern dessen Gewinne auch ausschließlich gemeinnützigen Zwecken zugutekommen. Der Weg dahin war dennoch kein leichter. Die Planungszeit betrug ganze sieben Jahre, kompliziert war die Organisation eines Bürgerwindrads in Kombination mit dem Thema Gemeinnützigkeit. Windparkpionier Erwin Schweizer hielt an seiner Überzeugung fest, dass die Bürger*innen bei der Windenergie als Investor*innen beteiligt werden müssen. Das Echo bestätigte ihn: Der Wunsch der Menschen, beim Schenkwindrad mitzumachen, war so groß, dass gar nicht alle zum Zug kommen konnten.
Wie wurde finanziert?
Zehn Gesellschafter brachten jeweils 1.000 Euro als Startkapital ein. Bei einer Versammlung für interessierte Anleger*innen kamen über 300.000 Euro für Nachrangdarlehen mit vier Prozent Verzinsung zusammen. Die Nachrangdarlehen haben unterschiedliche Laufzeiten und werden entsprechend zurückgezahlt. Seitens der GLS-Bank wurden über 95 Prozent des Schenkwindrads per Kredit finanziert.
Interview mit Lehrer Daniel Büttner, Klinikleiter Dr. Ulrich Geyer und Unternehmer Erwin Schweizer
Der Windpark Gnannenweiler, die Bürgerbeteiligung und das Schenkwindrad – wie hängen diese drei Dinge zusammen, Herr Büttner? Geben Sie uns einen kurzen Abriss der Erneuerbare-Energien-Geschichte in Ihrem Landkreis.
Daniel Büttner: Die einzelnen Anlagen des Windparks sind in den Jahren 2009 und 2021 in Betrieb gegangen, gemeinsam projektiert von unseren jetzigen Geschäftsführern Erwin Schweizer und Georg Honold. Sie sind beide Windkraftpioniere, haben vor über 20 Jahren ihre ersten Windkraftanlagen auf den Weg gebracht. Beide haben immer das große Anliegen gehabt, die Bürgerinnen und Bürger mitzunehmen und an den Standorten zu beteiligen. Sie haben Bürgerwindgesellschaften gegründet und dann gemeinsam mit den Banken die Windräder finanziert.
Über die Jahre machten die beiden dennoch die Erfahrung, dass der Erlös aus der regenerativen Stromgewinnung meist über auswärtige Investoren aus den ländlichen Regionen abfloss. Sie selbst mussten bei einigen Projekten ebenfalls Windräder an externe Investoren verkaufen, da das Eigenkapital der Bürger aus der Region erschöpft war und die Banken nicht bereit waren, mehr als 50 Prozent einer Windenergieanlage in Bürgerhand zu finanzieren.
Eigentlich sollte das Geld aber in der Region bleiben. So entstand die Idee, ein Windrad zu bauen, dessen Erlöse gemeinnützigen Zwecken in der Region zugutekommen. Ich bin Lehrer an einer Waldorfschule und Erwin Schweizers Sohn war einer meiner Schüler. Er erzählte mir davon. Ich war sofort begeistert und dachte, das ist eine schöne Möglichkeit, den Überschuss aus der Windenergie in Heidenheim mit dem Unterschuss einer wichtigen medizinischen Versorgung in Heidenheim zu verbinden. Man muss wissen, dass die Klinik für Integrative Medizin am Klinikum Heidenheim existiert, weil die Bevölkerung sich eine naturheilkundliche bzw. integrativmedizinische Behandlung wünscht. Diese Klinik ist aber seit ihrem Bestehen auf Spenden angewiesen.
Herr Geyer, Sie leiten die Klinik für Integrative Medizin. Erläutern Sie uns die Hintergründe.
Ulrich Geyer: Die Klinik gibt es bereits seit über 75 Jahren in unserem Landkreis, was sicherlich sehr ungewöhnlich ist. Wir sind eine komplementärmedizinische Abteilung mit einem Schwerpunkt auf anthroposophischer Medizin. Das heißt, wir bieten Disziplinen und Behandlungsmethoden an, die die konventionelle Medizin ergänzen – wie stehen sozusagen für das produktive Zusammenspiel zwischen diesen beiden Welten. Mit einem erfahrenen Team aus Ärzt*innen und Pfleger*innen betreuen wir 14 Betten und zusätzlich Patient*innen auf anderen Stationen des Krankenhauses.
Als das Krankenhaus in Heidenheim in den 1970er Jahren neu gebaut wurde, war plötzlich diese Abteilung nicht mehr vorgesehen. Es entwickelte sich eine unglaubliche Bürgerbeteiligung und innerhalb von kürzester Zeit wurden 10.000 Unterschriften für den Erhalt der Abteilung gesammelt. Zu dem Zeitpunkt ist ein Förderverein entstanden, der uns seit vielen Jahren finanziell trägt. Er ist bis heute der Garant dafür, dass wir weiter bestehen, weil die Bürgerinnen und Bürger das möchten. Doch auch von politischer Seite wird unsere Klinik inzwischen im Land wahrgenommen. Landesgesundheitsminister Manne Lucha bezeichnete uns kürzlich anlässlich unseres Jubiläums als ein „Leuchtturmprojekt“ für die Klinik und die Region.
Wie groß war Ihre Freude über diese zweite Säule? Und waren alle von der Idee des Schenkwindrades sofort überzeugt?
Ulrich Geyer: Die Freude war sehr groß! Und wir sind für diese Initiative sehr dankbar. Krankenhäuser sind in unserem Gesundheitssystem prinzipiell unterfinanziert. Die integrative Medizin, die im Vergleich zur konventionellen Medizin noch zusätzliche Therapien anbieten, noch viel mehr. Dafür ist viel Man- und Womenpower notwendig. Mit dem Erlös aus dem Schenkwindrad ermöglichen wir Dinge, die wir sonst nicht machen könnten. Wir haben jetzt eine Achtsamkeitstherapeutin angestellt, bieten jetzt rhythmische Massage an und konnten die Stunden für Heileurythmie und Kunsttherapie deutlich aufstocken. Außerdem bekommen wir demnächst zwei Ganzkörper-Hyperthermie-Geräte. Was wir alles anbieten, ist für eine kleine Abteilung, die wir mit 14 Betten definitiv sind, ein kleines Wunder – und nur dadurch möglich, dass wir diese Extra-Finanzierung erhalten.
Und es waren tatsächlich alle begeistert. Allein die Idee, dass man eine Windenergieanlage hat, die Wind in Strom und dann in Geld umsetzt, und dass man dieses Geld an eine Institution verschenkt, die es braucht – das hat alle überzeugt.
Herr Schweizer, was hat Sie angetrieben und zur Idee des Schenkwindrads gebracht?
Erwin Schweizer: Mir bzw. uns, meinem Partner Georg Honold und mir, geht es hauptsächlich um die Energiewende. Wir müssen mehr Erneuerbare ausbauen, um die Energiewende zu schaffen und den Klimawandel zu stoppen. Das größte Thema dabei ist die Akzeptanz. Die meisten Windräder werden von Großprojektierern gebaut und werden dann an meistbietende, teilweise sogar internationale Investoren verkauft. Das fördert die Akzeptanz nicht.
Ich habe bisher mit Bürgerbeteiligung immer sehr gute Erfahrungen gemacht. Windräder sind sehr teuer, man braucht dafür viel Geld. An dieser Stelle kommen die Banken ins Spiel. Meist geben die Banken den Bürgerinnen, die sich beteiligen möchten, 50 Prozent Kredit, die andere Hälfte müssen sie mit Eigenkapital einbringen. Der reiche Investor hingegen erhält 100 Prozent Kredit. Ich finde, das ist nicht fair, so verteilen wir bei den Erneuerbaren Geld von Arm nach Reich. Unsere Idee war: Wenn wir den Bürgerinnen 100 Prozent Kredit geben können, erreichen wir viel mehr Menschen, die sich daran beteiligen möchten – dann ist nicht alles entscheidend, wie viel Geld ihnen selbst zur Verfügung steht. Und es bedeutet: Wir brauchen keine Investoren mehr. Wir können vor Ort ein Modellprojekt daraus machen, indem die Erlöse aus der Windenergieanlage einem gemeinnützigen Zweck dienen – wie eben ein Krankenhaus oder ein Kindergarten oder andere Infrastruktur.
Diese Idee haben wir zehn Jahre lang mit uns herumgetragen – bis ich auf Daniel Büttner traf und wir das Schenkwindrad ins Leben gerufen haben. Es heißt Schenkwindrad, aber es ist nichts verschenkt. Wir haben die Anlage aufgebaut und dabei ganz normal verdient. Wir haben die Anlage aber nicht meistbietend mit einer halben oder ganzen Million Aufschlag weiterverkauft. Für uns war die Bürgerbeteiligung das A und O und die gemeinnützige Verwendung der Überschüsse. Wir haben eine kleine Gesellschaft gegründet, die sich über den gemeinnützigen Zweck einig war und die das Windrad trägt.
Der Ausbau der Erneuerbaren ist ein Milliardenmarkt. Es kann nicht sein, dass damit nur die Seite der Großinvestoren gefüttert wird – und auf der anderen Seite die sozialen Zwecke kein Geld mehr haben. Mit dem Schenkwindrad konnten wir die beiden Seiten miteinander verbinden. Das bringt uns Akzeptanz und ist ein Türöffner. Im Einklang mit der Bevölkerung Windräder zu bauen, ist zukunftweisend.
Das Schenkwindrad ging 2021 in Betrieb. Wie sieht die Bilanz für die ersten beiden Jahre aus? Und was wurde mit den Erlösen im Krankenhaus bewirkt?
Daniel Büttner: Von unserer Seite aus, also vom Betrieb des Windrads her geblickt, sieht es hervorragend aus. Das Windrad hat seine Ertragserwartung übertroffen. Weil wir im Bau sehr schnell vorangekommen sind, sind wir bereits im September 2021 in Betrieb gegangen, ein halbes Jahr eher als gedacht. Durch solide Finanzplanung und unerwartet hohe Einnahmen – durch guten Wind, aber auch durch die hohen Strompreise während der Energiepreiskrise 2022 – bildete sich rasch ein richtiges Polster auf unserem Konto. Die Klinik hatte inzwischen eine Liste mit Wünschen gemacht – und wir konnten sagen: Okay, ja, das können wir alles machen. Das war hervorragend! Auch das Einsammeln von Geld hat wunderbar funktioniert. Über Nachrangdarlehen kamen schnell die erforderlichen 300.000 Euro zusammen, und alle sind hochzufrieden. Wir haben von mehreren Richtungen her richtig Glück gehabt und finanziell sieht es gut aus.
Ulrich Geyer: Ich gehe kurz auf unsere Wunschliste ein. Wir hatten natürlich erst einmal eine lange Liste erarbeitet und uns die Frage gestellt: Was könnte alles in den nächsten Jahren gemacht werden, wenn wir Geld hätten? Dann erkannten wir auf einer Sitzung zum Schenkwindrad, dass wir tatsächlich schon Vieles umsetzen konnten. Das hat uns erstaunt und unglaublich motiviert.
Wir arbeiten unsere Liste nun nach und nach ab. Ich habe unsere neuen Therapien bereits erwähnt. Zusätzlich erproben wir eine Nachbehandlung nach dem Aufenthalt in unserer Klinik. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass viele Patient*innen nach dem Krankenhaus noch weiter behandelt werden sollten. Gerade die äußeren Anwendungen spielen hier eine wichtige Rolle, sind für viele Menschen aber allein zuhause nur schwer durchführbar. Deshalb haben wir ein Modellprojekt gestartet: unser „Wickel-Mobil“. Eine erfahrene Schwester fährt zu den Menschen nach Hause und führt dort Wickel und äußere Anwendungen durch. Das wird sehr gut angenommen und wir das Wickel-Mobil weiter evaluieren.
Zum Abschluss eine letzte Frage an Sie, Herr Büttner: Was begeistert Sie am meisten am Schenkwindrad?
Daniel Büttner: Dass wir an einem kleinen Beispiel einmal vorführen können: Es geht auch anders! Wir geben in unserem Modellvorhaben einmal eine andere Antwort auf eine entscheidende Frage, die sich bei jedem wirtschaftlichen Vorhaben stellt, die aber aus den alten Denkgewohnheiten heraus meistens übersehen wird: Wie gestalten wir die Geldströme?
Im sozialen Organismus sind ja alle Unternehmen miteinander verbunden – in einer komplexen Arbeitsteiligkeit, jedes wird für eine sehr spezielle Aufgabe gebraucht. Um bei unserem Projekt zu bleiben: Das eine Unternehmen hat die Aufgabe, Strom zu erzeugen, das andere hat die Aufgabe, Menschen wieder gesund zu machen. Zwei völlig unterschiedliche Aufgaben, die wir jetzt im Schenkwindrad miteinander verknüpft haben. Das zeigt uns, dass Geldströme gestaltet werden können.
Wo das Geld hinfließt, ist nichts Naturgegebenes, da wirken keine Naturgesetze. Wir Menschen können diese Geldströme originell gestalten. Unser kleines Modellprojekt führt also vor, dass Geld nicht immer dorthin fließen muss, wo ein Eigentumsrecht oder ein Profitrecht es üblicherweise hinzieht. Es kann auch ins Gemeinwesen wieder zurückfließen.
Vielen Dank für das Gespräch!
Daniel Büttner
Mitinitiator des Schenkwindrads, Gesellschafter der Betreibergesellschaft. Waldorflehrer und Musiker, entwickelte durch seine jahrelange Beschäftigung mit der Dreigliederung und Wilhelm Schmundts „Urbild des Geldkreislaufes“ den Wunsch, den assoziativen Ausgleich von Über- und Unterschüssen zwischen Unternehmen praktisch im Modell umzusetzen.
Dr. med. Ulrich Geyer
Mitinitiator des Schenkwindrads, Gesellschafter der Betreibergesellschaft. Zusammen mit Dr. Andreas Laubersheimer und Dr. Tobias Daumüller Leitender Arzt der Klinik für Integrative Medizin am Klinikum Heidenheim, niedergelassener Hausarzt und Internist, Lehrbeauftragter der Universität Ulm. Seit Jahren politische Tätigkeit, um Freiräume für die anthroposophische und komplementäre Medizin zu erhalten bzw. zu schaffen.
Erwin Schweizer
Mitinitiator des Schenkwindrads, Geschäftsführender Gesellschafter der Betreibergesellschaft. Landwirt und Unternehmer im Bereich der Windenergie. Entwickelte aus seinen jahrelangen Erfahrungen mit der Finanzierung von Bürgerwindrädern die Idee eines gemeinnützigen Windrads. Führte mit seinem Partner Georg Honold, ebenfalls Geschäftsführer der Betreibergesellschaft, die Projektierung und den Bau das Schenkwindrads durch.
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