Häuserfassaden in Berlin.

„Ein Dach über dem Kopf ist ein Grundbedürfnis“

Werner Landwehr war mehr als 20 Jahre Teil der GLS Bank. 2018 gründete er eine Wohngenossenschaft, die den Menschen statt dem Profit dient. Ein Gespräch über Wohnflächen, Mieten – und das, was geschehen müsste, damit das Wohnen sozialer wird.

Autor: Lothar Schmitz

Portraint von Werner Landwehr. Er lächelt und trägt einen schwarzen Pullover.

Immer mehr Menschen in Deutschland finden keine geeignete Wohnung. Der Wohnungsmangel ist zur sozialen Frage geworden. Was sind aus Ihrer Sicht die drängendsten Herausforderungen in Deutschland, wenn es ums Wohnen geht?

Ein Dach über dem Kopf ist – wie Essen und Trinken und gesunde Luft zum Atmen – ein Grundbedürfnis. Es liegt in unserer Verantwortung als Gesellschaft, dafür zu sorgen. Der Staat ist deshalb in der Pflicht, die Situation ernstzunehmen und gegenzusteuern.

Wie könnte die Politik gegensteuern?

Immer wieder werden Zahlen in die Debatte geworfen, wie viele Wohnungen jährlich neu gebaut werden müssten. Von mehreren Hunderttausend ist die Rede. Der Fokus sollte aber keinesfalls nur auf Neubau liegen. Wir sollten uns lieber grundsätzlich damit beschäftigen, wie der Mangel zustande kommt. Tatsächlich gibt es genug Wohnraum in Deutschland, theoretisch zumindest. Jeder Person stehen statistisch knapp 48 Quadratmeter zur Verfügung – 13 mehr als noch vor 30 Jahren. Trotzdem werden immer größere Wohnungen gebaut und die genutzte Wohnfläche steigt deutlich, dabei müsste sie abnehmen. Die Frage, wie viel Wohnfläche eine Person benötigt, ist zu einer sozialen und ökologischen Frage geworden – auch weil die Wohnfläche extrem ungleich verteilt ist.

Die Politik diskutiert weiterhin darüber, wie sich möglichst schnell möglichst viele neue Wohnungen errichten lassen. Dabei soll auch der Verzicht auf geplante energetische Baustandards für Beschleunigung sorgen.

Das wäre fatal. Stattdessen müssen wir das Soziale und das Ökologische zusammendenken. Unsere gesamte Gesellschaft wird ihr Verhalten mit Blick auf den fortschreitenden Klimawandel in den kommenden Jahren massiv verändern müssen. Beim Bauen heißt das zum Beispiel, dass wir die Wahl und den Umgang mit Baustoffen sowie die energetische Versorgung der Gebäude zwingend mitdenken müssen – und selbstverständlich die Wohnfläche.

Wie kann Bauen und Wohnen denn sozialer werden?

Sozial hieße vor allem, dass Menschen eine echte Chance haben, eine Wohnung zu bekommen. Dazu ließe sich der Anspruch an Wohnfläche definieren. In der Schweiz beispielsweise werden 37 Quadratmeter pro Person diskutiert. Ich finde, man könnte den Anspruch auch auf rund 30 Quadratmeter festschreiben. Steigende Mietkosten sind eine weitere Herausforderung. Sozial wäre, wenn die Mieten – bei einer Wohnfläche von 30 Quadratmetern pro Person – 30 bis maximal 35 Prozent des Haushaltseinkommens der Mietpartei nicht überschreiten würden.

Wie wollen Sie das steuern?

Als ein erheblicher Treiber der Mietpreise zeigt sich der Verkauf von Mehrfamilienhäusern. Eigentümer*innen finanzieren ja über die Mieteinnahmen die Kosten für den Bau sowie die laufenden Kosten der Instandhaltung ihrer Immobilie. Verkaufen sie ihr Gebäude, müssen Käufer*innen zusätzlich den Kaufpreis refinanzieren. Er oder sie wird also zwangsläufig die Mieten erhöhen.

Man müsste es also schaffen, dass mehr Eigentümer*innen ihre Immobilienbestände dauerhaft halten?

Genau! Dazu gibt es zahlreiche Ansätze. In Wien beispielsweise sind große Teile des Wohnungsbaus gemeinwohlorientiert. Bei rund einer von zwei Wohnungen sind die Mieten angemessen – und ein Verkauf ist mindestens erschwert. Vermietet werden sie etwa von der Kommune, kommunalen Gesellschaften oder Genossenschaften. Sie haben das Ziel, gemeinsam den Wohnungsbestand zu halten, nicht weiterzuveräußern.

Das ist in Deutschland anders?

Natürlich gibt es auch hier Organisationen, die es so machen, aber leider viel weniger als etwa in Wien.

Sie selbst führen eine solche Organisation. Sie sind Mitgründer der Wohnungsgenossenschaft DIESE eG in Berlin, eines solidarischen Gemeinschaftsprojekt, mit dem Sie – so steht es auf Ihrer Website – dem Ausverkauf der Berliner Innenstadtbezirke etwas entgegensetzen wollen. Was machen Sie anders?

Es gab eine Zeit, in der in Berlin viele Altbauten innerhalb des S-Bahn-Rings veräußert wurden. Die vielen Verkäufe waren ein Riesenproblem, die Preise stiegen rasch – und damit auch die Mieten. Es gab zwar ein Vorkaufsrecht für die öffentliche Hand. Doch der Kommune fehlte in vielen Fällen das Geld. Immerhin durfte sie das Vorkaufsrecht weiterreichen, zum Beispiel an Genossenschaften. Deshalb gründeten wir in dieser Zeit unsere Genossenschaft und erwarben einige Wohngebäude. Derzeit sind es acht Gebäude mit 153 Wohneinheiten, in denen aktuell 301 Menschen leben. Daneben gibt es noch sieben Gewerbeeinheiten.

betrug 2023 die durchschnittliche Nettokaltmiete bei von der GLS Bank finanzierten Wohnprojekten und -genossenschaften. Im Verhältnis zur durchschnittlichen Marktmiete ist das 20,4 Prozent günstiger.

Wie profitieren die Mieter*innen von dem genossenschaftlichen Modell?

Wie andere Wohnungsgenossenschaften auch bringen die Menschen Eigenkapital ein. 1.000 Euro pro Quadratmeter. Das sind 100.000 Euro bei einer 100-Quadratmeter-Wohung und damit ungefähr 25 Prozent der Baukosten. Das Kapital gehört ihnen, sie bekommen es zurück, wenn sie eines Tages ausziehen. Mit diesem Kapital kann die Genossenschaft einen Teil der Kosten für den Erwerb der Immobilien finanzieren. Zugleich ist in unseren Statuten festgelegt, dass wir die Wohneinheiten nicht verkaufen, sondern langfristig halten. Es gibt also keinen Handel mit Immobilien und keine wechselnden Eigentümer*innen. Außerdem profitieren die Bewohner*innen langfristig von gleich bleibenden, allenfalls sehr moderat steigenden Mieten. Denn binnen 25 oder 30 Jahren sind die Gebäude entschuldet und die Mieten müssen dann nicht mehr Zins und Tilgung finanzieren.

Wie könnte der Staat denn dafür sorgen, dass mehr Initiativen wie die DIESE eG entstehen?

Wir selbst haben in zwei Fällen von Zuwendungen des Landes Berlin und einem Förderdarlehen profitiert. Das halte ich für einen starken Hebel: langlaufende Förderdarlehen, etwa der KfW oder der Europäischen Investitionsbank. Am besten über 30, 40 oder 50 Jahre. Wohnungsunternehmen benötigen günstiges Geld, um Wohnraum schaffen und günstige Mieten anbieten zu können. Anstatt immer mehr kostbare Fläche mit teuren und viel zu großen Neubauten zu versiegeln, könnte der Staat mit langlaufenden Förderdarlehen für eine öko-soziale Wende im Bestand sorgen und viel günstigen Wohnraum schaffen.

Aber wie wollen Sie verhindern, dass Wohngebäude verkauft werden und das die Mieten treibt?

Man könnte die Förderdarlehen an Bedingungen knüpfen und den Eigentumswechsel über Steuern erschweren. Wie wäre es beispielsweise mit einer Art Wohnraumverkaufssteuer statt einer Grunderwerbssteuer? Die Verkäufer*in müsste sie zahlen, nicht die Person, die die Immobilie erwirbt. Zudem sollten in Deutschland die Kommunen bei Verkäufen stärker mitreden dürfen, das wurde zuletzt politisch leider arg eingeschränkt.

Sie waren vor der Gründung der Genossenschaft, bis 2018, bei der GLS Bank, zuletzt leiteten Sie den Standort in Berlin. Nun sind Sie mit Ihrer Genossenschaft Geschäftskunde der GLS Bank. Wie erleben Sie „Ihre“ Bank in dieser Zusammenarbeit?

Die GLS Bank hat uns von Anfang an sehr geholfen. Sie ist zu 100 Prozent ins Risiko gegangen und hat uns bereits zu einem Zeitpunkt mit einem Kredit unterstützt, als es beim Erwerb der Gebäude noch juristische Unwägbarkeiten gab. Wir teilen dasselbe Ziel, auch die GLS Bank tritt aktiv und mit ihrem Geschäftsmodell für ein anderes Wohnen ein. Das hat GLS Vorstand Dirk Kannacher bei der Bilanzpressekonferenz 2024 erneut deutlich gemacht.

Können Sie das ausführen?

Seine Anmerkungen haben mich sehr beeindruckt. Er betonte, dass knapper Wohnraum auch für die GLS Gemeinschaft ein wichtiges Thema sei. Unter anderem habe die GLS Bank durch einen Teil ihrer Kredite an die Wohnungsbranche über 64.000 Quadratmeter Wohnfläche in gut 1.000 Wohneinheiten geschaffen. Den Fokus richtet die Bank dabei auf Gemeinschaftsflächen. Das finde ich sehr gut. Besonders interessant ist dabei, dass die durchschnittliche Wohnfläche, die die Bank finanziert hat, bei 63,3 Quadratmetern liegt. Das ist ein Drittel weniger als der Durchschnittswert in Deutschland. Die Bank finanziert also kleinen, kompakten Wohnraum. Dieses Beispiel zeigt, wie die Strategie der GLS Bank wirkt.

Was würden Sie Menschen empfehlen, die sich für ein sozialeres Wohnen engagieren möchten?

Wen dieses Anliegen allgemein umtreibt, dem würde ich empfehlen: Werden Sie Mitglied der GLS Bank, zeichnen Sie Anteile! So stellen Sie sicher, dass Ihr Geld in eine andere Form von Wohnen fließt! Wer konkret darüber nachdenkt, Wohnraum zu schaffen, dem würde ich raten, über eine Stiftung oder eine Genossenschaft nachzudenken, die den Verkauf der Wohnungen ausschließt. Stichwort: Purpose. Und: Denken Sie schon jetzt darüber nach, was geschehen soll, wenn das Objekt sich in etwa 30 Jahren refinanziert hat. Sie könnten die Mieten reduzieren. Oder vergleichbare Projekte unterstützen, damit sich dieser andere Ansatz des Wohnens verbreitet!

Zur Person

Werner Landwehr startete 1994 als Azubi bei der GLS Bank in Bochum. Nach der Ausbildung zum Bankkaufmann wirkte er in verschiedenen Funktionen und Städten für die Bank, vor allem im Kreditgeschäft. Zuletzt leitete er zehn Jahre lang die Geschäftsstelle der GLS Bank in Berlin, bis er 2018 die Wohnungsgenossenschaft DIESE eG gründete.

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