„Wenn wir etwas lieben, schützen wir es auch“

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Heute hier, morgen dort – Wasser fließt in Kreisläufen. Unser Umgang damit wirkt also weiter, als uns häufig bewusst ist. Wem gehört also das Wasser? Allen, sagt Wasserbotschafterin Anoosh Werner. Ein Interview.

Von Hannah El-Hitami

2010 hat die UNO den Zugang zu sauberem Wasser zum Menschenrecht erklärt. Trotzdem spitzt die Wasserkrise sich weltweit zu. Woran liegt das?

Das liegt daran, dass wir viele Entscheidungen nicht im Einklang mit dem Ökosystem treffen. Das Hauptproblem ist die menschengemachte Klimakrise. Erderwärmung verändert Niederschlagsmuster. Verschärfend kommt hinzu: Wir brechen den natürlichen Wasserkreislauf, weil wir Flüsse begradigen, Flächen versiegeln, Staudämme bauen, Regenwasser ableiten, Wälder roden, natürliche Lebensräume verändern. Bis 2030 wird laut Prognosen der Bedarf an Wasser das Angebot um 40 Prozent übersteigen. Schon heute leiden drei Milliarden Menschen unter Wasserknappheit.

Wer ist besonders betroffen?

Wasser ist weltweit ungleich verteilt. In Indien wird beispielsweise mehr als die Hälfte des gesamten Bewässerungswassers für Baumwollanbau genutzt – weil wir billig produzieren wollen. Dadurch wird mehr Wasser verbraucht, als verfügbar ist, worunter die Bevölkerung leidet. Außerdem hängen Wasser und Geschlechterungleichheit eng zusammen. In Ländern, wo das Wasser nicht einfach aus dem Hahn kommt, müssen vor allem Frauen und junge Mädchen Kilometer laufen, um Wasser zu besorgen. Sie können dadurch nicht zur Schule gehen, was zu Geschlechterungleichheit und sozialer Ungleichheit führt.

Wasser ist weltweit ungleich verteilt.

Anoosh Werner, Wasserbotschafterin

Der Dürremonitor des Helmholtz-Instituts verdeutlicht, dass die Grundwasserentnahme die Grundwasserneubildung übersteigt. Wenn es weniger regnet, wird weniger Grundwasser gespeichert. Dazu kommt, dass wir immer mehr Flächen versiegeln und Regenwasser nicht versickern kann. Einige deutsche Städte beziehen ihr Wasser über Fernleitungen, zum Beispiel aus dem Bodensee. Und gerade in landwirtschaftlich intensiv genutzten Gebieten überschreiten die Nitratwerte im Grundwasser wiederholt den Schwellenwert. Auch Rückstände von Medikamenten, Plastik und anderen langlebigen Chemikalien wie PFAS wurden schon teilweise bei der Untersuchung von Wasserproben festgestellt. All das hat Auswirkungen auf die Qualität unseres Trinkwassers und es muss dann aufwendiger aufbereitet werden, um die strengen Grenzwerte der Trinkwasserverordnung einzuhalten. Dadurch steigt der Preis für Trink- und Abwasser, und den zahlt aktuell noch die Allgemeinheit.

Wasserbotschafterin Anoosh Werner steht in einer Installation zum Thema Wassser mit der rechten Hand hält sie ein Gefäß, welches sie in großes Glaßgefäß entleert.
Anoosh Werner ist eine von drei Botschafter*innen der internationalen Blue-Community-Bewegung in Deutschland. (©Lena Gansmann)

Wer sollte diese Mehrkosten Deiner Meinung nach tragen?

Wir brauchen ein Verursacherprinzip. Die Verschmutzung von Wasser verursachen vor allem Industrie und konventionelle Landwirtschaft. Diese Branchen sollten finanziell in die Verantwortung genommen werden.

Geld könnte also eine lenkende Rolle beim Schutz von Wasser übernehmen?

Auf jeden Fall. Gebrochene Wasserkreisläufe kosten eine Menge Geld. Sei es, weil Erträge in der Landwirtschaft ausbleiben, sei es durch Extremwetter wie Starkregen und Hochwasser. Was wir heute nicht in regenerative Stadtentwicklung investieren, fällt uns später kostenmäßig um ein Vielfaches erhöht auf die Füße. Schauen wir zum Beispiel auf die Folgen der Flutkatastrophe 2021 im Ahrtal: Mit viel Geld müssen dort nun Häuser wieder aufgebaut und Straßen repariert werden.

Die Wasserfrage geht uns alle an, weil wir alle von den Folgen betroffen sein werden.

Anoosh Werner

Wie lässt sich Wassergerechtigkeit finanzpolitisch regulieren?

Zunächst ist es wichtig, dass wir Wasser als Allmende betrachten: Wasser gehört allen. Stattdessen steigt das Interesse bei Investoren, in Wasser zu investieren. Wir brauchen Investitionen in nachhaltiges Wassermanagement und vor allem in Bildung, denn so entsteht ein anderes Wasserbewusstsein. In anderen Ländern können wir indigene Völker beim Landkauf unterstützen. Sie wissen, wie man Wasser schützt und Gebiete in Einklang mit natürlichen Gesetzen bringt. Letztendlich gilt es, eine neue Kultur zu etablieren, die nicht geld- sondern ökosystembasiert ist.

Anoosh Werner schafft kreative Räume, in denen Utopien vorstellbar werden. Statt nur über Wasserprobleme zu sprechen, möchte sie mehr über Lösungen reden.(Photo: Daniel Falk)

Wie sieht so eine Kultur in der Realität aus?

Die konventionelle Landwirtschaft verbraucht weltweit 70 Prozent des verfügbaren Süßwassers. Wir brauchen also vor allem eine Agrarwende, nach dem Motto: Natur kapieren, kopieren und mit ihr kooperieren. Es dürfen keine Chemikalien zum Einsatz kommen. Regenerative Kreisläufe sollten ausgebaut werden. In Deutschland ist die Industrie der größere Faktor. Für das Kühlen von Maschinen sollten Unternehmen kein sauberes Trinkwasser nutzen, sondern Wasserkreisläufe anpassen und zum Beispiel Regen- oder Grauwasser nutzen. Auch die Energiewende würde in der Industrie viel Wasser sparen. Investitionen in Wasser könnten übrigens auch andere Formen als die von Geld annehmen. Unternehmen können ihren Mitarbeitenden drei bis fünf Stunden im Monat geben, um sich in einem Wasserschutzprojekt ehrenamtlich zu engagieren. Dann wäre das, was zivilgesellschaftliche Organisationen machen, nicht auf wenige Schultern verteilt. Die Wasserfrage geht uns alle an, weil wir alle von den Folgen betroffen sein werden und schon sind.

Ist den meisten Menschen das Ausmaß des Problems bewusst?

Ich arbeite seit sieben Jahren mit anderen Wasseraktivist*innen daran, einen Bewusstseinswandel anzustoßen. Mittlerweile bin ich überzeugt davon, dass es nichts bringt, nur über die Probleme zu reden. Besser ist es, kreative Räume zu schaffen, in denen Utopien vorstellbar werden. Wir sollten nicht nur unsere Flüsse renaturieren, sondern auch unser Denken und unsere Lebensweise. Wenn ich eine Schwammstadt habe, dann lasse ich die Grenze zwischen Mensch und natürlichen Räumen verschwimmen, weil ich Flächen entsiegele, Dächer und Fassaden begrüne, Bäume pflanze, weil ich das Regenwasser auffange und nutzen kann, wenn ich es brauche. Dadurch verändert sich das Mikroklima, ich atme bessere Luft, höre die Vögel zwitschern, fühle mich besser und entspannter. So würden wir ganzheitliche Win-win-Situationen kreieren.

Das Bankspiegel-Cover zeigt eine Hand, die eine wassertriefende Pflanze auswringt.

Wasser für alle

Die GLS Bank widmet sich in der aktuellen Ausgabe ihres Kundenmagazins Fragen rund um Wasser und wie wir darauf wirken.

Viele denken bei Umweltschutz an Einschränkungen statt Utopien. Wie inspirierst Du die Leute zum Umdenken?

Ich wohne in Neustrelitz und habe dort das Projekt „Wasser in Bewegung“ entwickelt. Bei den sogenannten transformativen Flaniergängen konnten Menschen mich und den Journalisten Jens Wiesner am Marktplatz treffen, mit uns flanieren und über ihre Wasservisionen sprechen. Wir wollten erfahren: Was wären eure Ideen, wenn Geld keine Rolle spielt? Die Gespräche haben wir aufgezeichnet und fiktive Geschichten daraus entwickelt. Bei einer Abschlussveranstaltung haben wir die Geschichten vorgelesen und in einer Abstimmung entschieden, welche wir versuchen, in die Realität umzusetzen.

Wasser für alle

Die GLS Bank widmet sich in der aktuellen Ausgabe ihres Kundenmagazins Fragen rund um Wasser und wie wir darauf wirken.

Das Bankspiegel-Cover zeigt eine Hand, die eine wassertriefende Pflanze auswringt.

Welche Utopie wollt ihr realisieren?

Wir haben in Neustrelitz einen 30 Meter tiefen See, den Glambecker See. Die Idee kam auf, eine Wärmepumpe in den See zu bauen und diese mit Solarenergie ans Fernwärmenetz anzuschließen. So könnten wir regenerative Wärme aus dem See gewinnen, der tief genug ist, um die Temperatur zu regulieren. Dabei entsteht kein Schaden für Lebewesen. Im Rahmen unserer Veranstaltungsreihe „Die Zukunft unseres Wassers“ laden wir nun Expert*innen ein und überlegen, ob wir dieses Projekt als Blue Community Neustrelitz realisieren können.

Was ist die Blue Community?

Die Blue Community ist eine internationale zivilgesellschaftliche Initiative, die sich für Wassergerechtigkeit und den Schutz von Wasser einsetzt. Gegründet wurde sie 2011 von der Wasseraktivistin Maude Barlow in ihrer Heimat in Kanada. Blue Communities werden unterstützt von der Zivilgesellschaft und NGOs, aber auch öffentliche Wasserversorger sind Teil der Bewegung. Das macht es niedrigschwellig und ermöglicht es, von unten und unabhängig von Parteien zu agieren. Die Blue-Community-Bewegung kann als konkreter Lösungsansatz und Antwort auf Wasserprivatisierung gesehen werden. Eine Blue Community folgt drei Prinzipien: Wasser und sanitäre Grundversorgung als Menschenrecht, Wasser als öffentliches Gut, Leitungswasser vor Flaschenwasser, wo es möglich ist. In Deutschland kommen noch der Schutz der Gewässer und Grundwässer und die internationale Vernetzung dazu. Jede Stadt, Kommune, Schule oder Hochschule kann Blue Community werden, wenn sie sich verpflichtet, diesen Prinzipien nachzukommen. Ich bin neben Karin Brahms und Claus Wilkens eine von drei Botschafter*innen für die Blue Communities in Deutschland.

©Mina Schmidt

Anoosh Werner arbeitet als Wasserbotschafterin, -künstlerin und -pädagogin. Für Deutschland und Neustrelitz ist sie als Botschafterin der Blue Community aktiv. Die internationale Initiative, 2011 von der Kanadierin Maude Barlow ins Leben gerufen, kämpft weltweit für Wassergerechtigkeit. Darüber hinaus setzt sich Werner mit Partner*innen für mehr Wasserbewusstsein ein, darunter GLS Kund*innen wie Okeanos Stiftung und AVE Institut gGmbH. Gemeinsam mit anderen Engagierten steht Anoosh Werner kurz vor der Gründung des gemeinnützigen Vereins carewasser e.V.. Kehrwasser entsteht in Kurven naturbelassener Flüsse und fließt für einen Moment gegen den Strom. Davon inspiriert, will der Verein einen Wasserbewusstseinswandel auslösen.

Wasser gehört uns allen, das ist auch eine Kernaussage der Blue Communities. Warum ist das so wichtig?

Wir brauchen Wasser –  Wasser ermöglicht Leben: Prozesse wie Metamorphose, Fortpflanzung, Wachstum, Stoffwechsel sind ohne Wasser nicht möglich. Wenn Wasser privatisiert und damit zum Luxusgut wird, bedeutet das letztendlich: Leben wird zu einem Privileg. Wenn wir in Kreisläufen denken und eine lebendige Beziehung zum Wasser pflegen, hat das unmittelbaren Einfluss auf unseren Umgang damit. Wir haben alle technischen und ökonomischen Mittel, um unsere Gesellschaft zu transformieren. Jetzt brauchen wir einen Kulturwandel. Vielleicht kann der schon damit anfangen, dass wir uns jeden Tag ein paar Atemzüge Zeit nehmen und das Hamsterrad stoppen – einfach mal an einen Baum setzen, auf ein Gewässer gucken und uns fragen: Wenn Wasser meine beste Freundin wäre, wie würde ich es behandeln? Wenn wir etwas lieben und eine Verbindung dazu haben, schützen wir es auch.

Wie können wir dieses Bewusstsein als Verbraucher*innen in unserem Alltag konkret umsetzen?

Wir können in kleinen Kreisläufen denken, zum Beispiel, indem wir bei einer Solidarischen Landwirtschaft mitmachen, lokal und saisonal essen, Bauern fördern, die etwas Gutes für den Boden tun. Auch für die Produktion von Konsumgütern wird wahnsinnig viel Wasser verbraucht. Wir sprechen von virtuellem Wasser, weil wir das nicht direkt sehen. Um an dieser Stelle zu sparen, können wir Second Hand kaufen oder Dinge miteinander tauschen. Wenn es unbedingt neu sein muss, können wir uns für nachhaltige Optionen entscheiden. Wenn Häuser neu gebaut werden, sollten von Anfang an Zisternen mitgedacht werden, und eine eigene Leitung für Grau- und Brauchwasser, damit wir nicht sauberes Trinkwasser für die Toilettenspülung benutzen.

(Titelbild: © Daniel Falk)

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