Geld ist für die Menschen da. Was im Jahr 2045 selbstverständlich wirkt, ist Ergebnis einer jahrzehntelangen Entwicklung. Ein Interview mit Aysel Osmanoglu, im Jahr 2024 Vorstandssprecherin der GLS Bank
Autorin: Liliana Morgentau*
Was ist das für ein Ort, an dem wir uns heute treffen?
Hier in Berlin-Gropiusstadt haben wir unsere „Kiez-Bank“ verwirklicht, die mehr ist als eine Bankfiliale. Zwischen einer Reparaturwerkstatt und einem Nachbarschaftszentrum haben wir einen Ort geschaffen, der Menschen und Projekte zusammenbringt. Ziel ist es, sozialökologische Initiativen zu gründen, Nachbarschaft zu entwickeln und „Geldbewusstsein“ zu fördern. Gemeinsam Zukunft gestalten, das machen wir seit 1974 bei der GLS Bank.
… die als Gemeinschaftsbank für Leihen und Schenken gegründet wurde. Welche Rolle spielt das Schenken in einer Zeit wie heute, in der viel Geld ins Gemeinwohl fließt?
Es geht nicht nur um Geld. Es geht auch darum, einander Zeit, Ideen und Kompetenzen zu schenken. Die Kiez-Bank bietet Raum für gemeinsame Entwicklung.
Du hast viele Jahre im Vorstand der Bank gestaltet. Mit welchen Gefühlen blickst du zurück?
Ich genieße die Gewissheit, dass die große Krise hinter uns liegt. Zum Glück waren wir vorbereitet. Wir haben uns schon in den 2020er-Jahren intensiv mit möglichen Bruch- und Fundstellen beschäftigt. Zum Beispiel hat sich damals schon gezeigt, dass die Biolandwirtschaft Antworten liefert. Naturnah bewirtschaftete Böden speichern länger Wasser. Der Verkauf der Produkte in die Region sichert den Absatz in Krisenzeiten. Kurze Wege erweisen sich als Vorteil, da der CO2-Preis stark gestiegen ist. Ein anderes Beispiel ist unser Fokus aufs Soziale, etwa bei Energieprojekten. Damit haben wir Maßstäbe gesetzt und inspiriert. Heute gibt es kaum Projekte ohne Bürgerbeteiligung. Das hat den Ausbau beschleunigt. Unsere Saaten sind aufgegangen.
Welche Meilensteine sind Dir besonders in Erinnerung?
Einige unserer Initiativen haben grundsätzlichen Wandel ausgelöst. Unser Netzwerk Ernährung etwa ermöglicht es selbst kleinen Biobauernhöfen eine Lieferkette unabhängig von profitgetriebenen Strukturen aufzubauen und ihre Existenz zu sichern. Vom Acker bis auf den Teller, sozusagen. Auch jedes der von uns finanzierten Projekte war ein Schritt auf dem Weg in eine Zukunft, die den Menschen in den Mittelpunkt stellt. Möglich wurden sie durch die Kraft unserer Gemeinschaft. 2021 hatten wir erstmals mehr als 100.000 Genossenschaftsmitglieder. Diverse Krisen haben weiteren Zulauf beschert und unsere Wirkung vergrößert. Als wir es geschafft haben die Wirkung unseres Geschäfts messbar zu machen, hat das für Aufsehen gesorgt. Dass sich heute viele in der Branche daran ein Beispiel nehmen, macht mir Hoffnung.
Liliana Morgentau ist Protagonistin des Bildbands „Zukunftsbilder 2045″ von Stella Schaller, Ute Scheub, Sebastian Vollmar und Lino Zeddies. Die fiktive Journalistin beschreibt, wie der ökosoziale Wandel gelang. Zum Geburtstag der GLS Bank hat das Team von Reinventing Society Liliana Morgentau nach Berlin geschickt. Das Buch GLS Treuhand e.V. gefordert.
Wie hat sich das Finanzsystem also verändert?
Lange waren wir die Einzigen, die ausschließlich und nachvollziehbar in sozial-ökologische Realwirtschaft investiert haben. Das ist heute anders: Heute wollen alle genau wissen, wohin ihr Geld fließt. Finanzströme sind weitgehend transparent, zu spekulieren ist verpönt. Die Anti-Greenwashing-Richtlinie der EU 2024 und die drastische Verschärfung der EU-Taxonomie Anfang der 2030er-Jahre haben den Wandel beschleunigt. Das neue Geldbewusstsein hat die Politik endlich dazu ermutigt, das Steuersystem umzukrempeln. Seit Kapital stärker besteuert und Arbeitseinkommen entlastet werden, strömt mehr Geld in die Haushaltskasse und daraus wiederum auch in die Transformation.
Was freut Dich am meisten?
Noch vor zwanzig Jahren wurden wir in der Bankenwelt belächelt für unsere Ethik. Die habe in der Wirtschaft nichts zu suchen. Das hat sich geändert. Die Wirtschaftsweise ist lebensdienlicher geworden – das zeigt sich auch hier in Berlin an jeder Ecke.
Was verstehst Du unter einer lebensdienlichen Wirtschaft?
Wir alle wollen gesund und in Würde leben, sind für Freiheit und Gleichberechtigung. Diese Werte schienen in der Wirtschaft lange ausgehebelt, sobald sie Profitzielen im Weg standen. Nach der Pandemie Anfang der 2020er-Jahre setzte ein Umdenken ein. Den Menschen wurde es wichtiger, ob ihre Arbeit Mensch und Natur schadet oder nutzt.
Wie hat sich die GLS Bank verändert?
Wir hatten eine gute Ausgangsposition, aber auch wir haben uns hinterfragt: Wie schaffen wir ein gesundes Umfeld für alle Beteiligten? Wie arbeiten wir vertrauensvoll und intuitiv zusammen? Heute arbeiten wir von überall aus – und trotzdem miteinander. Das gilt im Übrigen für die gesamte GLS Gemeinschaft. Wir sind durchlässiger geworden und beteiligen gezielt die Perspektiven unserer Mitglieder, Kund*innen und weiterer mit uns verbundener Menschen.
Wie dürfen wir uns diese Beteiligung vorstellen?
Uns hat die Entwicklung der politischen Demokratie der vergangenen Jahre inspiriert. Heute gibt es neben unserer Generalversammlung weitere Möglichkeiten der Mitwirkung, etwa diverse Beratungskreise. Große Freude macht mir der jährliche Zukunftstag mit Mitgliedern und Kund*innen, wo wir unsere Zukunftsbilder justieren und Handlungsansätze diskutieren. Ein Lackmus-Test für unsere Strategie.
Wer übernimmt heute Verantwortung im Vorstand der Bank?
Die Bank ist so vielfältig wie noch nie, das zeigt sich auch im Vorstand. Hier kommen unterschiedliche Perspektiven und Erfahrungen zusammen. Das freut mich sehr. In den vergangenen Jahrzehnten ging es gerade jüngeren Generationen nicht gut – Klimaangst, Lockdowns und Demokratiekrise sorgten für Perspektivlosigkeit. Die Medien berichteten darüber, aber es wurde nicht ernst genommen. Mir wird immer noch eng ums Herz, wenn ich daran zurückdenke. Dann übernahmen die ersten von ihnen Verantwortung in der Zivilgesellschaft, der Wirtschaft und der Politik. Das sorgte für Reibung und disruptive Veränderungen. Auch im Vorstand der GLS Bank sitzen jetzt Aktivistinnen und Aktivisten von damals.
Welche Herausforderungen siehst Du, wenn Du in die Zukunft blickst?
Vieles, was gut gemeint ist, kann sich negativ entwickeln. Etwa erleichtern es digitale Innovationen und technischer Fortschritt schnell Geld anzuhäufen. Wir bleiben daher wachsam und setzen uns dafür ein, dass solche Potenziale allen zugutekommen und Einzelinteressen nicht überhandnehmen.
Jetzt Du: Stell dir vor!
Unsere Vorstellungskraft lässt sich trainieren wie ein Muskel. Ein paar Fragen zum Warmwerden:
- Welche innere Stimme hat sich beim Lesen der Visionen mit welchen Argumenten bei Dir gemeldet: die der Realistin, des Zuversichtlichen, des Zynikers?
- Stell Dir vor: Deine Heimat im Jahr 2045 hat sich zum Guten verändert. Wie sehen Deine Umgebung, Deine Lieblingsplatze und andere prägnante Orte aus?
- Welche Schritte kannst Du unternehmen, um Deiner Vision jetzt und in Zukunft näherzukommen?
Mehr davon? Reinventing Society bietet viel Übungsmaterial rund um Utopien, um Deinen Zukunftsmuskel zu trainieren.
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Dein Anteil an einer guten Zukunft?
Deine GLS Anteile sind die Basis für unsere Kredite für nachhaltige Projekte und Unternehmen. Das Besondere: Jeder Anteil ermöglicht ein Vielfaches seines Werts an Krediten.
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