Ein langer Krieg ist unerträglich für die betroffenen Menschen. Es braucht dringend Hoffnung und Widerstand. Das Projekt „HOPE HOME • НАДІЯ“ der Kuratorin Adrienne Goehler ist eine künstlerische Initiative, die für einen ökologischen, also anderen Aufbau von Lebens- und Wohnraum in der Ukraine steht.
Kunst für die Resilienz der Menschen
Als Kuratorin ist Adrienne Goehler auch Nachhaltigkeitsforscherin. Sie war über ein Jahrzehnt mit künstlerischen und wissenschaftlichen Konzepten zu den großen Fragen des Überlebens mit der Ausstellung „Zur Nachahmung empfohlen!“ unterwegs und wurde dabei – ganz zu Beginn – auch ein Stück von der GLS Bank begleitet. Jetzt nutzt Adrienne Goehler Kunst, um die Resilienz und den Mut der ukrainischen Menschen zu stärken. Mut für einen nachhaltigen Wiederaufbau, der Zeichen setzt und zukunftsweisend ist.
Die Wiederverwendung von Materialien hilft dem Wiederaufbau in der Ukraine
Bei HOPE HOME • НАДІЯ spielen Kreislaufwirtschaft und nachhaltiges Bauen eine zentrale Rolle. Goehler und ihr künstlerisch-wissenschaftliches Kernteam integrieren zusammen mit ihren ukrainischen Kolleg*innen die Konzepte alter Kulturtechniken, um den Wiederaufbau in der Ukraine mit ökologischen Aspekten zu verknüpfen. Lehm, Stroh, Hanf, Holz und Wolle sind langlebige, wiederverwertbare und lokale Materialien. Sie sind leicht zu beschaffen, preisgünstiger und vielseitig in der Verwendung.
Die Kreislaufwirtschaft, die auf Wiederverwendung und das Recycling der Materialien abzielt, wird in den Projekten praktisch umgesetzt. Dies reduziert die Umweltbelastung und stärkt die lokale Wirtschaft. HOPE HOME • НАДІЯ bindet Menschen vor Ort aktiv in den Prozess ein; es geht darum, Wissen zusammenzutragen aus Landwirtschaft, Bodenkunde, Biologie. Auch das Wissen der Schadstoff-Expert*innen ist gefragt.
Aufbauen unter Beschuss
Der Krieg ist nicht zu Ende. Dennoch wollen Menschen in der Ukraine mit dem Wiederaufbau beginnen, ihre Häuser reparieren, sie bewohnbar machen. In Deutschland blickt Adrienne Goehler oft in erstaunte Gesichter und wird gefragt: „Wie jetzt? Mitten im Krieg?“ Alles habe im Krieg eine Gleichzeitigkeit. Menschen, die nicht im Kriegsgeschehen sind, können sich das nicht vorstellen. Ihre ukrainische Kollegin Sofia Galat entgegnete darauf: „Sollen wir warten, bis Putin die Lust verliert, Bomben zu werfen? Lass uns Dinge anpacken und selbstwirksam sein. Gib den Menschen etwas zu Bauen in die Hand und sie blicken voller Hoffnung in die Zukunft. Durch den Aufbau setzen wir ein Zeichen. Ein Zeichen, dass wir gemeinsam an eine Zukunft ohne Krieg glauben.“
Auf einen Blick: Das Projekt HOPE HOME • НАДІЯ
Das Projekt HOPE HOME • НАДІЯ betont die Kraft der Hoffnung als Schlüssel für Veränderung und Widerstand. Im Sommer 2024 zeigten die Projektbeteiligten in Kyiv eine Materialschau und veranstalteten Workshops. Sie setzen sich dafür ein, mit Freiwilligen, mit Hochschulen und Handwerk, Bäuer*innen und Jugendlichen ein Netzwerk zu bilden, um in dem Dorf Pervomaisk Häuser zu reparieren. Der Wiederaufbau wird ausschließlich mit recycelten Materialien und nachhaltigen Baupraktiken vorangetrieben. Ressourcenschonung und Umweltbewusstsein stehen im Mittelpunkt. In der gemeinsamen Aufarbeitung von altem Wissen wird die Gemeinschaft gestärkt und Menschen befähigt, positiv in die Zukunft zu blicken. Mehr Infos auf: hope-home.info
Stroh, Hanf und Pilze als Baustoffe
Die Bauindustrie ist für mehr als 40 Prozent des CO2-Ausstoßes weltweit verantwortlich. In Zeiten des Krieges verdient die Bauindustrie durch die großflächige Zerstörung viel Geld. Um den Klimawandel einzudämmen, ist es entscheidend, anders zu bauen: zirkulär und nachhaltig. Ressourcenschonung ist das Stichwort, davon will das Projekt die Menschen überzeugen.
HOPE HOME • НАДІЯ hat durch ein Memorandum mit der Militärverwaltung der Region Mykolaiv Kontakt mit einem Dorf aufgenommen. Die Gemeinschaft in dem Dorf Pervomaisk will die erste sein, die ihre Häuser nachhaltig aufbaut und zeigt, dass es ökologisch geht.
Mykolaiv ist die Kornkammer der Ukraine. Die Region ist früh beschossen worden. Für die schnelle Reparatur werden Asbestdächer verwendet, weil diese günstig in der Beschaffung sind. Finanzielle Zuschüsse für den Wiederaufbau gibt es nur für Fenster und Dächer. Da, wo Geld fehlt, ist Ohnmacht nicht weit. Die vorläufige Haushaltsführung hat die Anstrengungen vieler Menschen durchkreuzt – auch Adrienne Goehlers Mission wurde unterbrochen. Sie will jetzt Zeichen für eine Perspektive schaffen und sammelt Spenden, um in Pervomaisk zwei Versammlungsräume mit Hanfbauwänden instand zu setzen. Das Kyiver Unternehmen Hempire, ein Partnerunternehmen von HOPE HOME • НАДІЯ, wird mit vorgefertigten Hanfbausteinen in die Gemeinde fahren und Workshops mit den Dorfbewohner*innen machen.
So streckt das Projekt weiter die Fühler aus. Mit lokalen Partnerorganisationen und biologischen Baustoffen werden neue Versuche gestartet. In kürzester Zeit ist ein transdisziplinäres Netzwerk für den Einsatz nachwachsender Baustoffe gewachsen, das sich mit dem ganzen Spektrum rund um nachhaltiges Bauen beschäftigt: von der notwendigen Bodendekontaminierung über den Anbau biologischer Baustoffe, die Wiederverwendung von Materialien aus zerstörten Häusern bis hin zum modellhaften Hausbau mit Hanf, Stroh, Holz, Lehm und Reet, Pilz und Wolle. Jedes Material ist besonders und besonders wertvoll in seiner Funktion.
Heilende Architektur – Healing Architecture
Neubau bedeutet Flächenversiegelung und hohe Emissionen. Ihren anderen Ansatz beschreibt Adrienne Goehler wie folgt: „Wie können wir die Baustoffe nutzen, die die Natur uns schenkt? Ich will Wissen integrieren. Wir knüpfen an Kulturtechniken an, die verschüttet sind. Wir graben die Techniken wieder aus und nutzen sie. Das ist in meinen Augen ein heilsamer Prozess, der in den Menschen stattfindet. Wir bauen nachhaltige Häuser mit der Aufarbeitung von altem Wissen. Wir bauen eine Brücke aus der Vergangenheit in die Zukunft.“
Adrienne Goehler geht es neben dem pragmatischen Wiederaufbau um mehr. Sie möchte mit dem ukrainisch-deutschen Team ein Beispiel setzen, das eine Nachahmung findet. „Examples to follow“ werden geschaffen, Lern- und Lehrhäuser entwickelt, die sich die Menschen global zu Nutze machen können.
Man kann HOPE HOME • НАДІЯ auch so beschreiben: Kunst wird als Plattform genutzt, um wichtige ökologische und soziale Themen zu adressieren. Kunst wird genutzt, um praktische Lösungen für eine nachhaltigere Zukunft mit den Dorfräten oder anderen Dorfinitiativen zu erarbeiten.
Dann schaue Dir diese Spendenaktion von Adrienne Goehler an. Zum Winterbeginn geht es dabei um die ersten Hanfbauwände für das Dorf Pervomaisk. Es wird fortlaufend vom Fortschritt berichtet, im Moment etwa dass bereits 65 Kubikmeter Hanfmaterial vor dem Gemeindehaus bereitliegen.
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