Die Klimabewegung hat viele Gesichter

Am 20. August 2018 saß eine 15-jährige Klimaschutzaktivistin vor dem schwedischen Parlament. In ihren Händen hielt sie ein weißes Schild mit den Worten „Skolstrejk för klimatet“ (Schulstreik fürs Klima). Wenig wusste Greta Thunberg an diesem Tag über die Wirkungen ihres Tuns, und erst recht ahnte sie nicht, dass es nicht mal ein Jahr dauern würde, bis sich aus dieser Protestaktion eine globale Bewegung entwickelt.

Allerdings datiert das nicht den Beginn der deutschen Klimabewegung und das ist auch gar nicht so einfach. In den 1960er und 70er Jahren entsteht die politische Umweltbewegung. Die ersten Umweltinitiativen kämpften gegen Atomkraft, Waldsterben und Tierquälerei. Es dauerte einige Jahrzehnte, bis der Klimawandel zu dem dominierenden Querschnittthema wurde und die dazugehörige Klimabewegung Fahrt aufnahm.

Heute besteht die deutsche Klimabewegung aus einer Vielzahl an Gruppen. Wir wollen uns die vier Größten und Einflussreichsten genauer angucken. Was sind ihre Strategien und Ziele? Wie unterscheiden Sie sich?

Ende Gelände – Auf zur Revolution!

In weißen Maleranzügen strömten zum ersten Mal 2015 tausende Menschen in deutsche Kohlereviere. Seitdem organisiert das Bündnis jährlich mindestens eine solche Großaktion. Dabei werden Schienen und Kraftwerkszufahrten blockiert und Kohlebagger besetzt. All diese Aktionen fallen unter den Überbegriff – ziviler Ungehorsam. Die Aktivist*innen sind es leid darauf zu warten, dass irgendwelche Entscheidungsträger*innen in die Gänge kommen. Sie wollen sich selbst um den Kohleausstieg kümmern. „We shut shit down“ (Wir stellen die Scheiße ab) gehört zu den Slogans, die Ende Gelände den Einsatzkräften bei ihren Aktionen entgegenschreien. Gewalt gegen Menschen ist für das Bündnis tabu. Das ein oder andere Kabel kann bei einer Aktion aber schon mal durchtrennt werden.

Das Bündnis hat sich auf den Kampf gegen fossile Energien konzentriert. Aber Ende Gelände geht es um das Grundsätzliche. Sie wollen an die Wurzel. Das Bündnis will eine Welt ohne Patriarchat, Rassismus, Kapitalismus und jede andere Form der Unterdrückung. Es liegt wohl nicht zuletzt an ihrem kompromisslosen Auftreten und der deutlichen Kapitalismuskritik, dass der Verfassungsschutz Ende Gelände als einzige Gruppe aus der deutschen Klimabewegung als „linksextremistisch beeinflusst“ einstuft.

Fridays For Future – Der Herausforderung sind wir nur gemeinsam gewachsen!

Was mit Greta Thunberg anfing, umfasst heute viele Millionen Menschen weltweit. Corona bremste zwar auch Fridays For Future aus, aber sie bleibt die mit Abstand größte Gruppe der Klimabewegung. Die Fridays wollen alle mitnehmen. Neben den Großdemonstrationen sitzen sie deshalb in Talkshows, geben Studien in Auftrag und treffen sich mit Politiker*innen und Gewerkschaften. Die Forderungen sind geradeheraus: Deutschland muss seinen Beitrag leisten, um das 1,5 Grad Ziel einzuhalten, und seiner globalen und historischen Verantwortung gerecht werden.

Was die sinnvollste Strategie betrifft, da sind sich die verschiedenen Flügel der Gruppe nicht so wirklich einig. Während manche mit radikaleren Protestformen, wie zivilem Ungehorsam liebäugeln, befürchten andere dadurch den Rückhalt in der Gesellschaft zu verlieren. Ähnlich zerrissen ist auch die Kritik, die von außen auf die Gruppe einprasselt. Konservativen Medien gingen schon die Schulstreiks zu weit und andere Klimagerechtigkeitsgruppen kritisieren die Fridays immer wieder dafür, zu moderat und zu wenig aktionistisch zu sein. Es ist nicht leicht, es allen recht zu machen.

Extinction Rebellion – Rebellion gegen das Artenaussterben!

„Emotionen sind unser Hauptfokus, denn rein rational lässt sich die Krise nicht lösen“, sagt Susanne Egli, Pressesprecherin von Extinction Rebellion (XR) in einem Interview mit Klimareporter°. Mal mit Kunstblut und mal verkleidet als der Tod werden sie diesem Credo gerecht. Auch die 2018 in Großbritannien gegründete Gruppe glaubt an die Wirkung des zivilen Ungehorsams. Anstatt in die Kohlegrube setzen sich die Aktivist*innen auf die Straßen, kleben sich an Kunstwerke oder stören Sportveranstaltungen. Wenn die Krise nicht mehr ignoriert werden kann, muss die Politik handeln, so die Logik.

Bei XR ist Jede*r willkommen – von Vollzeit-Aktivist*in bis Polizeibeamt*in. Selbst zu den Autofahrer*innen, die sie wütend von der Straße zerren wollen, sind sie freundlich. Mittlerweile ist es um die Gruppe allerdings, zumindest in Deutschland, etwas ruhiger geworden.

Letzte Generation – Rebellion gegen das Artenaussterben 2.0!

Keine Gruppe hat die Schlagzeilen in den letzten Monaten so beherrscht, wie die Letzte Generation. Sie ist die jüngste und aufrührerischste Gruppe der deutschen Klimabewegung. Ihren Anfang 2021 bildete zwar ein Hungerstreik, mittlerweile liegt der Fokus aber auch eher auf Straßenblockaden. Nicht nur die Argumente und das Aktionsrepertoire ähnelt dem von XR. Es ist deshalb wenig überraschend, dass die Letzte Generation, zumindest teilweise, aus XR hervorgegangen ist.

Im Gegensatz zu XR setzen die Aktivist*innen der letzten Generation allerdings weniger auf Großaktionen, sondern mehr auf den langen Atem. Die Aktionen des Bündnisses dauern gerne mal mehrere Wochen an. Ihr Ziel ist es, die Regierung mit ständigen Störaktionen dazu zu zwingen, auf ihre Forderungen einzugehen. Momentan müssen sie sich in verschiedenen Bundesländern mit Gerichtsprozessen herumschlagen.

Die Geschichte lehrt uns: Soziale Bewegung mit vielfältigen Ansätzen und Aktionsformen hatten am meisten Erfolg. Solange sich die einzelnen Gruppen also ergänzen, ist die Vielfalt der Bewegung ihre Stärke.

Mehr interessante Informationen findest du im Interview mit Klimaaktivistin Luisa Neubauer

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Eine Antwort zu „Die Klimabewegung hat viele Gesichter“

  1. Avatar von Matthias Losert
    Matthias Losert

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    Seit den 60er Jahren wurzeln soziale Bewegungen im naturwissenschaftlichen Verständnis für Wachstum. Nach physikalischen Einsichten findet Evolution in begrenzter Unendlichkeit statt. Das widerspricht der axiomatischen Wirtschaftswissenschaft, die eine offene Unendlichkeit gewährt.
    Die zahlentheoretische Unterscheidung ist alles andere als trivial; ergibt sich doch aus der Abstraktion unterschiedliche Ziele mit gesellschaftlicher Wirkung, was für eine bewusstere Wahl diskutiert werden sollte.

    Evolutionstheoretisch gibt es nur drei Zukunftsperspektiven:
    1) Wir lösen das inhärente Wachstumsrisiko im Güterkreislauf logistisch
    2) Wir reduzieren die Art, da 1 fehlt und 3 verhindert werden soll
    3) Wir sterben aus, da das Ökosystem kollabiert

    Im Zeitablauf wurde zunehmend 2 wahrscheinlicher und u. a. als Ukrainekrieg real. Im Grunde ist 2 eine evolutionäre Anpassungsstrategie auf knapper werdende Lebensräume! Nicht gut, nicht anspruchsvoll; aber das kleinere Übel zu 3!
    Wenn NGOs u. a. Interessierte eine anspruchsvollere Lösung wollen, sollten Sie anfangen Wirtschaftsaxiome infrage zu stellen und ggf. eine Korrektur fordern. … Warum also keine wissenschaftsübergreifende Plausibilitätsüberpfrüfung initiieren? …
    Warum in aller Welt sollen Menschen mit jeder Transfer-Entscheidung im Finanzkreislauf nur über die Vermögensverteilung abstimmen? … Marktwirtschaft geht auch für den Lebensraum; sie muss allerdings politisch gewollt werden.

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