„Eine besondere Verbindung“

Schwerpunktthema | Zukunft

Die Freie Aktive Schule Wülfrath (FASW) bereitet Kinder ohne Druck auf die Zukunft vor. Warum diese Vision ohne Geld und eine starke Gemeinschaft nicht möglich gewesen wäre? Geschäftsführer und Mitgründer Robert Freitag im Interview.

Autor: Henri Backmund

Welche Bildung braucht die Zukunft?

Bei guter Bildung geht es zukünftig meiner Meinung nach darum, den Kindern einen flexiblen Umgang mit allem beizubringen, was ihnen in ihrem Leben begegnet. Welche Herausforderungen das konkret sein werden, können wir nicht wissen, dazu ist die Zukunft zu ungewiss. Wir können aber mit Sicherheit sagen, dass Teamarbeit und das gemeinsame Erarbeiten von kreativen Lösungen eine große Rolle spielen werden.

In Schulen sollte mehr Wert auf soziale Kompetenz als auf Fachkompetenz gelegt werden. Wie setzt ihr das um?

Der Grundsatz unserer Pädagogik lautet: „Wir sind selbstständig und verantwortlich für uns und unsere Gemeinschaft“. Wir sind der Überzeugung, dass ein motivierendes und lebensbejahendes Lernumfeld eng gekoppelt ist mit einem funktionierenden Gemeinwesen. Als Geschäftsführer der FASW verstehe ich es als meine Aufgabe, einen solchen Sozialraum zu schaffen. Unsere Schüler*innen sollen frei von Angst ihre Kompetenzen entwickeln können. Die Kinder werden aktiv dabei begleitet, unabhängig von Erwachsenen zu werden. Die Lehrkräfte muten ihnen individuell in jeder Entwicklungsphase das zu, was sie vertragen können. Und keine Erkenntnisse werden vorweggenommen. Gleichzeitig ist das hier immer noch eine Schule und kein Jugend-Freizeitzentrum. Das heißt, dass es einen Lehrplan gibt und es uns wichtig ist, dass die Kinder die Inhalte verstehen.

Man sieht Kinderhände, die einen Stoffwürfel besticken.

Wie sieht eure Pädagogik im Schulalltag der Kinder aus?

Die Selbstbestimmung fangt schon da an, dass es keinen Stundenplan und keinen Klassenverband gibt. Notendruck, Hausaufgaben und Frontalunterricht, das alles ersparen wir den Kindern. Sie entscheiden selbst, welchen Stoff sie wann und auf welche Weise lernen wollen. Wenn ein Kind beispielsweise montags morgens in die Schule kommt und erst mal spielen mochte, kann es das machen.  Hat es genug davon, stehen die unterschiedlichsten Lernmaterialien bereit. Durch regelmäßiges Feedback kommen die Kinder mit der Zeit selbst dahinter, wie sie ein Thema bearbeiten, wie sie es abschließen und ab wann es mit dem nächsten Thema weitergehen kann. Das ermöglicht ihnen Selbstkontrolle.

Das ist ein großer Unterschied zu Schule, wie man sie sonst kennt. Wie kam es zur Schulgründung?

Als ich Vater wurde, haben meine Partnerin und ich uns viel mit Pädagogik beschäftigt. In der Umgebung haben wir damals nicht das Bildungsangebot gefunden, das wir uns für unsere Kinder wünschen. Dann hatten wir die Idee einer Schulgründung. Diese hatten wir zu zweit niemals stemmen können. Deswegen haben wir Informationsveranstaltungen veranstaltet und innerhalb kurzer Zeit Gleichgesinnte gefunden. Mit ihnen gründeten wir 2001 schließlich die Elterninitiative der FASW.

Eine private Schulgründung ist eine Mammutaufgabe und wird vom Staat nur zu Teilen finanziell unterstützt. Wie seid ihr mit den Herausforderungen umgegangen?

Eine Sorge war, ob das Geschäftskonzept langfristig aufgeht. Die laufenden Betriebsmittel sowie die Schulausstattung bedeuteten gleich zu Beginn einen enormen finanziellen Aufwand. Zum Glück konnten wir uns von Anfang an auf das Netzwerk der Schulgemeinschaft verlassen. Als es 2005 losgehen sollte, haben wir innerhalb von zwei Wochen ein ehemaliges Hortgebäude in eine Grundschule umgebaut. In die Entkernung des einstigen Krankenhauses, das wir 2011 für die Unterbringung der Gesamtschule gekauft hatten, sind sicherlich mehrere Tausend Stunden ehrenamtlicher Arbeit geflossen. Wir zogen als Eltern, Kinder, Pädagogen und Unterstützer*innen an einem Strang. Das ist bis heute so. Ohne den Einsatz wurde es die FASW so nicht geben. Die Finanzierung konnten wir mithilfe eines Kredits der GLS Bank klären, der unter anderem über Kleinbürgschaften unseres Elternnetzwerks abgesichert war. Diese Bürgschaftskredite eignen sich besonders gut für unsere Zwecke und zeigen die besondere Verbindung der Eltern zu dem Ort, den wir gemeinsam schaffen.

Kinder dabei begleiten, unabhängig zu werden

Robert Freitag

Gemeinsam Lösungen zu erarbeiten, lernen die Kinder nicht nur in der Schule. Ihr lebt es auch in der Elterninitiative vor. Was kommt als Nächstes?

Das Wissen, das wir über die Jahre sammeln konnten, wollen wir mit anderen Elterninitiativen teilen. Uns alle verbindet die gleiche Vision: Wir wollen einen breiteren Zugang zu Bildung und die Vielfalt von Lernmöglichkeiten erweitern. Freie Schulen sind haufig kleine Systeme, die nur von einer Handvoll Eltern und Pädagogen betrieben werden. Da fehlt nicht nur das Personal, sondern auch das administrative Wissen. Deshalb haben wir die Genossenschaft „Freie Bildung NRW eG“ gegründet. Der Zusammenschluss soll es erleichtern, Verwaltungsaufgaben zu bewältigen. So können wir uns auf ein Netzwerk Gleichgesinnter verlassen und starken das freie Bildungswesen.

Am Anfang war die Schule

Als die Waldorfschule in Bochum-Langendreer keinen Kredit bekam, entwickelte Anwalt Wilhelm Ernst Barkhoff Ende der 1950er-Jahre eine andere Lösung. Seine Idee: ein Bürgschaftskredit – der Grundstein für die spätere Gründung der GLS Bank. Bis heute ist die Forderung von Bildungsvielfalt ein zentrales Ziel der Bank. Mit unseren Bürgschaftsdarlehen und Schenkgemeinschaften haben wir mittlerweile mehr als 1.000 Schulen und andere gemeinwohlorientierte Initiativen unterstützt.

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