3 Fragen an Nicola vom Bündnis “Wir haben es satt”

Am 18. Januar 2025 zeigt sich das Bündnis „Wir haben es satt!“ zum 14. Mal auf den Straßen Berlins. Das Bündnis besteht aus rund 60 Organisationen und 10.000 Mitstreiter*innen. Es setzt zum Auftakt der größten Agrarmesse ein Zeichen für eine ökologischere Landwirtschaft und bäuerliche Betriebe. Im Vorfeld des diesjährigen Protests haben wir dem Bündnis drei Fragen gestellt.

Eine gemeinsame Allianz für die Agrarwende

Der Januar ist ein hitziger Monat in Berlin. Nicht, weil in dem Monat die größte Agrarmesse – die Internationale Grüne Woche (IGW) – mit politischen und wirtschaftlichen Vertreter*innen aus der ganzen Welt stattfindet. Sondern weil seit 2011 das Bündnis „Wir haben es satt!“ ihren Unmut über die Folgen der Agrarindustrie auf die Straßen Berlins bringt. Die Protestbewegung bildet sich aus verschiedenen zivilgesellschaftlichen Organisationen. Vertreten sind die Landwirtschaft, das Lebensmittelhandwerk sowie Verbände für den Umwelt-, Natur- und Tierschutz. Hinzu kommen Aktivist*innen und Menschen aus der internationalen Zusammenarbeit. Die erste Großdemonstration des Bündnisses sorgte für so viel Aufmerksamkeit und Erfolg, dass sie seither jährlich wiederholt wird und zum festen Bestandteil der Agrardebatte in Deutschland geworden ist.

Zukunft braucht Höfe! Die Landwirtschaft braucht mehr Wertschätzung und die Bäuerinnen und Bauern mehr Geld für ihre Arbeit! Nur eine nachhaltige und vielfältige Landwirtschaft, jenseits von Maximalerträgen, wird langfristig unser Lebensgrundlagen sichern. Wir sind Teil des Bündnisses „Wir haben es satt“, um gemeinsam von der Politik entsprechende Rahmenbedingungen zu fordern.

Oliver Willing, Geschäftsführung Zukunftsstiftung Landwirtschaft, GLS Treuhand

Ziele und Forderungen

„Wer profitiert hier eigentlich?“: So lautet das Motto für das Jahr 2025. Damit wendet sich das Bündnis mit seinen Forderungen an die kommende Bundesregierung und an die Europäische Union. Das Ziel ist, eine sozial-gerechte Agrarstrategie im Koalitionsvertrag zu verankern. Auch auf europäischer Ebene soll die ökologischere Landwirtschaft gestärkt werden. Um die Politik in Berlin und in Brüssel zu erreichen, hat das Bündnis seine Anliegen in Positionen und dazugehörige Förderungen zusammengefasst.

GLS Bank als Verbündeter

Was das Bündnis erreichen will, unterstützen wir als GLS Bank von Beginn an. Über die Zukunftsstiftung Landwirtschaft der GLS Treuhand, die zum Trägerkreis des Bündnisses gehört, sind wir mit der Protestbewegung verbunden.

Das MERCOSUR-Freihandelsabkommen

Was ist das?
MERCOSUR steht für „Mercado Comun del Sur“ und ist ein Abkommen zwischen der Europäischen Union und den Staaten Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay für eine neue Freihandelszone. Es beinhaltet Bestimmungen zum Handel, zur Kooperation sowie zum politischen Dialog und stellt mit über 715 Millionen Menschen die weltweit größte Freihandelszone da.
 
Was ist der Deal?
Die Vereinbarung erlaubt den Export von landwirtschaftlichen Produkten durch die MERCOSUR-Staaten in die EU, als Ausgleich importieren sie industrielle Produkte aus der EU. Das Ziel ist der Abbau von Zöllen in den Handelsregionen. 
 
Was ist der aktuelle Stand?
Das Abkommen wird seit über 20 Jahren verhandelt. 2024 schien eine Einigung in Sicht, allerdings wurden Ende des Jahres Proteste dagegen laut. Diese kommen aus der Landwirtschaft sowie von Umwelt- und Klimaschützer*innen. Landwirt*innen haben Sorge, dass der Markt mit günstigen Produkten aus den südamerikanischen Staaten geflutet wird. Umwelt- und Klimaschützer*innen warnen vor den unterschiedlichen Nachhaltigkeitsstandards der beteiligten Staaten. Sie befürchten zudem die vermehrte Erzeugung industrieller Produkte, was einen negativen Einfluss auf Klima und Umwelt hätte. Die Finale Entscheidung über den Ausgang des MERCOSUR-Abkommens wird im Sommer vom Europäischen Parlament beschlossen.

3 Fragen an Nicola Puell vom Bündnis „Wir haben es satt“ 

Das diesjährige Motto der Demo lautet: „Wer profitiert hier eigentlich?“ Wie ist das Motto entstanden? Und was antwortet ihr selbst auf diese Frage? Im Gegenzug dazu: Wer sollte eurer Ansicht nach profitieren?

Die Bauernproteste 2023/2024 haben deutlich gemacht, dass die Höfe massive wirtschaftliche Probleme haben. Daraus ist eine rege Debatte um kostendeckende Erzeugerpreise erwachsen. Wenn Bäuerinnen und Bauern keine Verträge über ihre Milchlieferungen vereinbaren dürfen, dann profitieren nur die Molkereikonzerne. Die Höfe sind die Verlierer. Ohne marktpolitische Regeln verlieren Tierwohl, Klimaschutz und Artenvielfalt in der Landwirtschaft, denn sie sind kostenintensiv. Entsprechend konnte sich das gesamte Bündnis sofort dem Motto anschließen: „Wer profitiert hier eigentlich?“

Im aktuellen Ernährungssystem profitieren große Konzerne der Agrarindustrie, der Lebensmittelindustrie und des Einzelhandels. Um Beispiele zu nennen: In den Jahren 2021 bis 2023 haben sich die Gewinne der fünf größten Agrarrohstoffhändler im Vergleich zu den Jahren davor verdreifacht. Gleichzeitig sind global 733 Millionen Menschen von Hunger betroffen, das sind 150 Millionen mehr als vor der Corona-Pandemie. Jeder dritte Mensch auf der Welt kann sich keine ausgewogene Ernährung leisten. In Deutschland etwa sind die Lebensmittelpreise seit 2021 insgesamt um fast 33 Prozent gestiegen. Mit höheren Produktionskosten allein lässt sich das nicht erklären. Entlang der Wertschöpfungskette entstehen teils hohe Gewinne – auf den Höfen landet nur wenig. Unsere Antwort auf die Frage „Wer profitiert hier eigentlich?“ ist daher die ernüchternde Feststellung: Jedenfalls nicht die bäuerlichen Betriebe, Mensch, Tier, Umwelt oder Klima! Aus diesem Blickwinkel heraus stellen wir entsprechenden Forderungen an die Politik.

Ihr listet neun Positionen und Forderungen an die Politik. Wenn ihr 10 Minuten Zeit hättet, einem Minister eure Forderungen vorzutragen, welche würdet ihr in den Vordergrund rücken?

Die Breite unseres Bündnisses ist unsere Stärke: Bei uns vereinen sich die Stimmen der unterschiedlichsten Interessengruppen des Ernährungssystems. Sogar die stimmlosen, etwa Tiere und Artenvielfalt werden vertreten. Wir lassen uns nicht spalten, bringen Stadt und Land, konventionelle und Bio-Bäuer*innen gemeinsam auf die Straße. Und unser Bündnis hat viele junge Stimmen. Diese Diversität ermöglicht es uns, ausführliche und fundierte Forderungen zu formulieren. Daher listen wir unter unseren neun Positionen…

  • Gutes Essen für alle
  • Zugang zu Land
  • Klimaschutz
  • Weniger Tiere, mehr Tierwohl, viele Höfe
  • Gerechter Handel und faire Preise
  • Starke Höfe und lebendige Regionen
  • Mehr Artenvielfalt, weniger Pestizide
  • Gentechnikfreiheit sichern, Patente stoppen
  • Ökolandbau

… jeweils detaillierte Forderungen auf. Sie sind ein wichtiges Gegenstück zu den vereinfachten populistischen „Lösungen“, die insbesondere in der Wahlkampfzeit allzu oft präsentiert werden. Komplexe Zusammenhänge sollten differenziert beantwortet werden! Unser Bündnis fordert eine bäuerliche und agrarökologische Landwirtschaft. Sie ist der Gegenentwurf zum agrarindustriellen System, welches seine Kosten auf die Gesellschaft abwälzt. Unser Ruf nach Berlin und Brüssel: Gemeinwohl vor Konzerninteressen – Sichern Sie das Recht auf angemessene Nahrung, unsere Existenzgrundlagen, den sozialen Zusammenhalt und ein gutes Leben für Mensch und Tier, in Stadt und Land, in Deutschland und der ganzen Welt! Um das zu bewerkstelligen, muss die Politik endlich mutig handeln und für verbindliche Gesetze, kostendeckende Erzeugerpreise und eine sichere Finanzierung sorgen.

Ein Traktor mit einem Schild fährt während einer Demo über die Straße. Vorne ist ein Schild mit der Aufrschrift "Bauern vor Konzerninteressen" angebracht.
Photo von Alexander Puell./ www.wir-haben-es-satt.de

Eure Forderungen gehen über nationale Grenzen hinaus und richten sich auch an die Europäische Union. Vor allem im Agrarsektor werden Entscheidungen auf der europäischen Ebene getroffen, wie zum Beispiel erst kürzlich beim Mercosur-Abkommen. Wie schafft ihr es als Bündnis über Deutschland hinaus gehört zu werden? Gibt es schon Zusammenschlüsse mit anderen Ländern, um die Europäische Stimme zu stärken?

Die Gemeinsame Agrarpolitik der Europäischen Union steuert über Verordnungen und Fördermittel maßgeblich die Entwicklung der Landwirtschaft und des ländlichen Raumes in den europäischen Staaten. Ein prominentes Beispiel ist die Verlängerung der Glyphosat-Genehmigung durch die EU-Kommission vor gut einem Jahr, durch die das vollständige Verbot von Glyphosat in Deutschland, das zum 1.1.2024 gültig geworden wäre, wieder aufgehoben werden musste. Optimalerweise würde natürlich eine zukunftsweisende deutsche Landwirtschaftspolitik positiv in die Europäische Union hineinwirken. Dass wir uns darauf nicht verlassen können, hat die Vergangenheit oft genug gezeigt. Daher wurde schon bald nach der Gründung des „Wir haben es satt!“-Bündnisses über europäische Allianzen nachgedacht und schließlich „Good Food Good Farming“ ins Leben gerufen. Das Aktionsbündnis „Good Food Good Farming“ bringt Organisationen und Gruppen aus ganz Europa zusammen, die sich für ein nachhaltiges Ernährungssystem einsetzen. Neben Möglichkeiten für Austausch und Kooperation organisiert das Bündnis gemeinsame Aktionstage und Proteste.

Darüber hinaus sind viele der „Wir haben es satt!“-Bündnisorganisationen über ihre europäischen Dachverbände vernetzt. Für die landwirtschaftlichen Organisationen sind das zum Beispiel das European Milk Board oder European Coordination Via Campesina. Über diese Verbände sind die europäischen Akteure im ständigen Austausch und über nationale Aktivitäten informiert. Dachverbände und einzelne Organisationen setzen sich auch direkt in Brüssel für eine bäuerliche und ökologischere Landwirtschaft ein.

Um auf das MERCOSUR-Freihandelsabkommen zurückzukommen: Auch wenn die Verhandlungen der MERCOSUR-Staaten mit der Europäischen Union abgeschlossen sind – noch ist es nicht unterzeichnet oder in Kraft. Zuvor muss die Europäische Kommission die Abkommenstexte rechtlich prüfen. Die Bäuerinnen und Bauern unseres „Wir haben es satt!“-Bündnisses sehen das MERCOSUR-Abkommen sehr kritisch. Wir erwarten auf der Demo am 18. Januar entsprechende Botschaften Richtung Brüssel. Wir sind sicher, dass sich viele Menschen solidarisch unserem Protest anschließen und unsere Stimmen europaweit gehört werden!

Beitragsbild von Fabian Melber / www.wir-haben-es-satt.de

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