Die Illustration zeigt, wie das Industrieareal nach Fertigstellung aussehen soll.

Reallabor für die zukünftige Arbeits- und Lebenswelt

Auf einem ehemaligen Industrieareal in Heidelberg entsteht derzeit eine Blaupause dafür, wie Städte in Zukunft aussehen können. Treiber des Projekts sind die Architekten Stefan Loebner, Armin Schäfer und Stephan Weber. Wie das Betriebswerk soziale und ökologische Nachhaltigkeit verbindet, erzählt Armin Schäfer im Interview.

Mit dem Betriebswerk Heidelberg setzen Sie ein Projekt um, das zeigt, wie sich Städte in Zukunft neu denken lassen. Was macht in Ihren Augen die Stadt der Zukunft aus?

Armin Schäfer: Die Stadt der Zukunft zeichnet sich aus meiner Sicht durch drei Eigenschaften aus: Sie hat erstens viele Talente und ist offen gestaltet. Zweitens ist sie – entgegen gängiger Meinungen – arm an Technik, und drittens gibt sie der Natur ihren Raum zurück.

Das Foto zeigt drei nebeneinander stehende Architekten in einem Raum.
Die drei Architekten hinter dem Betriebswerk (v.l.n.r.): Armin Schäfer, Stefan Loebner, Stephan Weber

Wie sehen Städte mit vielen Talenten aus?

Armin Schäfer: Städte sollten der Vielseitigkeit des Lebens mehr Raum geben. Bislang haben wir unsere Städte aufgeteilt: Ich arbeite an der einen Stelle, wohne an der anderen, meine Freizeit verbringe ich wieder woanders. Wir merken, dass diese Trennung nicht funktioniert. Wir brauchen Orte, die mehrere Bedürfnisse zugleich abdecken.

Die aber ohne viel Technik funktionieren sollen. Ist das realistisch?

Armin Schäfer: In Zukunft werden wir dankbar sein für jedes technische Gerät, das wir nicht haben. Wenn wir immer mehr Technik in unsere Häuser einbauen, müssen wir diese instand halten, warten und entsorgen. Gebäude, die nach dem Low-Tech-Prinzip geplant werden, beschränken sich dagegen auf das Notwendige. Bauweise und Materialien tragen dazu bei, dass das Raumklima stimmt und wenig Energie verbraucht wird. Die Herausforderungen der Zukunft werden Städte nicht vorwiegend durch Digitalisierung lösen.

An welche Herausforderungen denken Sie?

Armin Schäfer: Angesichts des Klimawandels und dessen Folgen müssen wir ganzheitlich denken und der Natur dringend mehr Raum geben. Lösungsansätze liefern zum Beispiel Konzepte wie die sogenannte Schwammstadt. Solche Städte sind so gestaltet, dass Regenwasser dort versickert, wo es niedergeht. Dafür braucht es Flächenentsiegelung, Sickerflächen und Begrünung.

Wie passt das Betriebswerk in Ihr Bild einer zukunftsfähigen Stadt?

Armin Schäfer: Ich glaube, die europäische Stadt kann eine ideale Blaupause bieten, wie auf engem Raum eine große Anzahl von Menschen friedlich miteinander leben können. In diesem Sinne verstehen wir das Betriebswerk als Reallabor für die zukünftige Arbeits- und Lebenswelt. Es soll zeigen, wie wir solche Zukunftsorte in unseren Städten entstehen lassen können. Das fängt bei der Struktur unserer Gesellschaft an, die das Projekt entwickelt, plant, baut und betreibt. Dahinter stehen keine klassischen Immobilienentwickler, sondern private Investoren, die unsere Vision teilen. Die überschüssige Rendite fließt ins Betriebswerk zurück. Damit das so bleibt, haben wir Leitlinien formuliert, an die sich alle halten müssen. Ein Beirat stellt deren Umsetzung sicher und behält unsere Ziele im Blick.

Die Illustration zeigt das komplette Reallabor aus der Vogelperspektive.
Das Industrieareal aus der Vogelperspektive. Man erkennt sehr gut, wie groß das Betriebswerk Heidelberg ist.

Welche Ziele sind das?

Armin Schäfer: Wir wollen einen zeitgemäßen Arbeitsort schaffen: offen, lebendig und attraktiv für Akteur*innen unterschiedlicher gesellschaftlicher Bereiche. In das Betriebswerk werden eine Gastronomie, eine Managementschule und mehrere Kultureinrichtungen einziehen. Daneben gibt es Veranstaltungsräume, die Unternehmen für Workshops und zum Beispiel eine Tanzkompanie zum Proben nutzen wird. Dabei gewinnen alle durch die Begegnung miteinander, die wir durch offene und transparente Räume fördern. Die Kunst inspiriert und verbindet.

Wie sind Sie auf das Betriebswerk gekommen?

Armin Schäfer: Unser Architekturbüro hat schon immer herausfordernde Sanierungsprojekte bearbeitet. Austausch ist uns wichtig, unsere Büroräume im Tankturm waren von Anfang an offen: für eigene Veranstaltungen, für Kunstschaffende und Unternehmen. Als die Nachfrage stieg, kam uns die Idee, das benachbarte Bahnbetriebswerk zu nutzen. Das Gebäude hat eine spezielle Atmosphäre: Wenn das Projekt 2027 fertig ist, wird es genau hundert Jahre alt sein. Seinerzeit war es das modernste Betriebswerk Europas. Ein zeitgemäßer Arbeitsort, an dem die Menschen zusammenkamen. Wenn wir es schaffen, die Arbeit von damals mit der von heute zusammenzubringen, entsteht ein Gemeinschaftsort für morgen.

Die Illustration zeigt einen Teil des Reallabors.
Die Illustration gibt einen Eindruck, wie Arbeits- und Lebenswelten miteinander verschmelzen sollen.

Welche Rolle spielt dabei der Anspruch, technikarm und ökologisch zu bauen?

Armin Schäfer: Das eine geht nicht ohne das andere. Im Sinne der Gemeinschaft kann ich nur verbrauchen, was ich habe. Wenn ich mehr brauche, nehme ich anderen etwas weg. Unser Motto ist daher: nicht neu, sondern weiterbauen, im Sinne von wieder nutzbar machen. Wenn ich Bestehendes erhalte, spare ich eine Menge „grauer Energie“. Das ist die Energie, die ein Bauprojekt vor Betrieb insgesamt verbraucht, also durch Herstellung, Transport, Lagerung und Entsorgung.

Wie setzen Sie Ihr Motto mit dem Betriebswerk um?

Armin Schäfer: Wir passen das Konzept in die historische Logik ein: Es wird zu einem Drittel aus Bestandsbauten bestehen. Die Neubauten setzen auf vorhandenen Elementen auf. Als zentrales Material nutzen wir Leichtbeton – das dämmt gut, ist ein monolithisches Baumaterial und ist deshalb wieder verwertbar. Technik nutzen wir bewusst. Zum Beispiel werden wir auf über 3.000 Quadratmetern Dachfläche Solarstrom erzeugen. Mit unserem Konzept werden wir bei der Deutschen Gesellschaft für nachhaltiges Bauen eine Zertifizierung nach Goldstatus erreichen.

Auch im GLS nWert-Audit hat das Betriebswerk einen hohen Score, nämlich 83 Punkte, erzielt. Das GLS eigene Rating misst die sozial-ökologische Nachhaltigkeit von Immobilien und trägt zur Kreditentscheidung bei. Dabei geht es weit über gesetzliche Anforderungen hinaus. Dieses Echo hat uns gefreut und uns die Gewissheit gegeben, mit unserem Projekt Wirkung zu erzeugen.

Inzwischen müssen alle Banken Nachhaltigkeitskriterien abfragen, aber die GLS Bank geht mit ihren 50 Indikatoren sehr weit. Diese ganzheitliche Betrachtung ist der Grund, weshalb wir mit der GLS Bank zusammenarbeiten. Wir waren schon vor dem Projekt Kunden, die Zusammenarbeit mit der GLS Bank als Immobilienbank war allerdings neu. Nach ersten Gesprächen war schnell klar, dass wir die gleichen Ziele verfolgen: Wir stellen das Gemeinwohl in den Vordergrund.

Danke für das Gespräch!

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Dieser Text ist im Sinnmacher 2023 / 1 erschienen. Sie möchten über unsere Sinnmacher-Beiträge informiert werden? Dann abonnieren Sie unseren Newsletter für Firmenkundinnen und erhalten Sie neben wissenswerten Informationen auch unser Magazin für Geschäftskundinnen.

Sanieren mit Herz: Das Bild zeigt ein Mehrfamilienhaus in Holzbauweise mit Balkonen, auf denen Menschen stehen.

Wie gelingt die sozial-ökologische Bauwende? Welche Antworten die GLS Bank darauf hat und welchen Dreischritt sie dabei verfolgt, erfährst du in dem Blogtext „Sanieren mit Herz, Neubau mit Bedacht“.

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2 Antworten zu „Reallabor für die zukünftige Arbeits- und Lebenswelt“

  1. Avatar von Eva Grillo
    Eva Grillo

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    Mein Verständnis nach dem Gespräch mit Herrn Schäfer ist folgendes: Anliegen ist weniger, sämtliche Funktionen von Stadt zu bündeln und Mobilität zu vermeiden. Es geht bei diesem Projekt darum Austausch zwischen Wirtschaft und Kultur zu fördern und Räume so zu gestalten, dass sie das Zusammentreffen von Menschen aus ermöglichen, die sich in ihrem Berufsalltag sonst nicht begegnen. Dabei können sie sich gegenseitig unterstützen, kreativ zu bleiben und die Gesellschaft mit Impulsen zu bereichern. Wohnen wird im Betriebswerk nach meiner Information nur auf Zeit in einem Gästehaus möglich sein. Das spart dann natürlich auch Wege und unterstützt Austausch.

  2. Avatar von Gebhard
    Gebhard

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    Das Konzept, da zu leben, wo man arbeitet (oder umgekehrt) gibt es ja schon sehr sehr lange, es ist nur für ein paar Jahrzehnte (der noch länger) aus der Mode gekommen. Was man allerdings beim Transfer in die Gegenwart und Zukunft gerne vergisst: Die heutige Arbeitswelt verlangt Mobilität und die Menschen haben dieses Paradigma angenommen. Wenige arbeiten noch 20 Jahre in der gleichen Firma. Leben wo man arbeitet funktioniert nur dann gut. Wenn die Menschen aus der (Lebens-)Welt „Betriebswerk“ nach 5 Jahren zu einer anderen Firma in Heidelberg wechseln, ist das Modell dahin und es ist so, wie es überall ist: Ich wohne hier aber fahre (mit was auch immer) dorthin zu arbeiten. Und wenn ich wieder woanders arbeite, fahre ich woanders hin (wenn nicht zu weit weg). Oder muss man aus dem Betriebswerk ausziehen, wenn man nicht mehr dort arbeitet?

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