Ein Kartoffelfeld mit einem Trecker im Hintergrund

Das Kartoffel-Kombinat: Mehr als nur Gemüse

„Null Ahnung, null Quadratmeter für den Anbau und null Eigenkapital. So haben wir gestartet“, erinnert sich Daniel Überall, einer der beiden Gründer des Kartoffelkombinats. Zwölf Jahre später ist daraus die größte solidarische Landwirtschaft Europas geworden. Für ihre nachhaltige und innovative Arbeit wurde die Genossenschaft 2024 mit dem EU Organic Award ausgezeichnet.

Wie alles begann

„Wenn man anfängt, sich mit Themen rund um unsere Ernährung zu beschäftigen, merkt man schnell: Ich habe gar keine Ahnung, wo das Zeug herkommt und was wir da eigentlich wirklich konsumieren“, erzählt Daniel Überall. Fragen wie „Wurden bei der Produktion Menschen geschädigt?“ oder „Wie wirkt sich das auf das Ökosystem aus?“ führten ihn und seinen Mitgründer Simon Scholl dazu, Alternativen zu den traditionellen Supermärkten zu suchen. Die Antwort fanden sie in der solidarischen Landwirtschaft.

Doch die Ausgangssituation war alles andere als ideal: Die beiden lebten in der Großstadt München, arbeiteten in regulären Jobs und hatten weder Erfahrung in der Landwirtschaft noch im Genossenschaftswesen. Zudem waren die Mieten für Pachtflächen nahezu unbezahlbar. Nach vielen Ideen und Gesprächen ergab sich schließlich eine Kooperation mit der Naturlandgärtnerei Klein in Eschenried. Gemeinsam verfolgten sie die Strategie des „kontinuierlichen Hineinwachsens“, also die Flächen zunächst gemeinsam zu nutzen und später zu pachten.

2017 schließlich erwarb das Kartoffelkombinat seinen eigenen Betrieb: eine ehemalige Baumschule im Westen von München. Dort bauten sie eine moderne Infrastruktur mit Bewässerungssystem, neuer Kühlzelle, einem Packraum für die Gemüsekisten und Landmaschinen auf. Gleichzeitig verdoppelte sich das Team auf 22 Mitarbeitende – und erstmals wurden eigene Kartoffeln angebaut.

„Wir wollen mehr Gemüse“

Zur Zeit der Gründung des Kartoffelkombinats – im Jahr 2012 – stand das Konzept der solidarischen Landwirtschaft in Deutschland noch am Anfang. Es gab kaum Vorbilder, an denen sich das Team orientieren konnte. „Wir wussten nur, wie wir es nicht machen wollten“, erinnert sich Überall. Um ein Konzept zu entwickeln, starteten sie eine Testphase mit Familie und Freunden. Geplant war, diese nach vier Wochen bei einem Gärtnereifest zu beenden. Doch dagegen protestierten alle: „Wir wollen weiterhin Gemüse beziehen“, hieß es.

Also wurde einfach weitergemacht. Die Zahl der Mitglieder stieg kontinuierlich, auch aufgrund gezielter Kommunikation und Aufmerksamkeit seitens der Presse. Bereits im ersten Jahr traten 120 Haushalte der Genossenschaft bei.

Das Bild zeigt 16 Menschen, die Köpfe hinter dem Kartoffelkombinat
Das Kartoffelkombinat bewirtschaftet die Fläche einer ehemaligen Baumschule in München und gewinnt kontinuierlich sowohl Mitarbeitende als auch Genossenschaftsmitglieder hinzu. Solidarische Landwirtschaft funktioniert!

Erfolgsrezepte?

Anders als viele klassische SoLawis, die meist etwa 150 Mitglieder haben und bei denen sich alle aktiv in die Arbeit einbringen, zählt das Kartoffelkombinat heute über 3.000 Mitglieder. „Unsere Struktur unterscheidet sich auch von anderen SoLawis“, sagt Daniel Überall. Ein Beispiel dafür: Die Gemüsekisten werden – bereits fertig gepackt – durch Fahrer*innen ausgeliefert. Dies ermöglicht die Ausgabe an zahlreichen Verteilpunkten in der Stadt: von Buchläden über Garagen- und Kellerbesitzer*innen bis hin zu Gastronomiebetrieben und Bekleidungsstores wie Patagonia.

Ein weiteres Alleinstellungsmerkmal ist die Unverbindlichkeit: Mitglieder können selbst wählen, ob und wie sie sich einbringen möchten. „Viele unserer Mitglieder sind Eltern mit wenig Zeit, die zwischen Vollzeitarbeit, Kinderturnen und Schulprojekten hin und her hetzen. Da bleibt kaum Raum, aktiv auf einem Hof mitzuarbeiten“, erklärt Überall. Um neuen Interessierten den Einstieg zu erleichtern, bietet das Kartoffelkombinat eine Testphase an. So können sie das Konzept ausprobieren, bevor sie sich festlegen.

„Wir hatten aber auch Glück“, betont Gründer Überall ganz bodenständig. „2012 war ein guter Zeitpunkt für unseren Start. Damals erschien unter anderem der Film ‚Taste the Waste‘, und die Menschen, erst recht die bildungsnahen Münchnerinnen und Münchner, begannen, ihr Konsumverhalten mehr zu hinterfragen.“

Solidarische Landwirtschaft

Solidarische Landwirtschaft (SoLawi) ist ein Modell, bei dem Verbrauchende und landwirtschaftliche Betriebe eine Gemeinschaft bilden, um Lebensmittel nachhaltig und fair zu erzeugen. Die Mitglieder finanzieren durch ihre Beiträge ein komplettes Wirtschaftsjahr und teilen Ernte, Kosten sowie Risiken. Oftmals arbeiten sie bei der Ernte mit und stärken dadurch ökologische und soziale Aspekte – wie etwa fairen Lohn und Vielfalt. Im Gegenzug erhalten die Mitglieder frische, regional produzierte Lebensmittel. Die Verteilung erfolgt flexibel, meist durch Abholung oder Depots. SoLawis sichern kleinbäuerliche Betriebe und schaffen ein Bewusstsein für den Wert der Landwirtschaft.

Zukunftsaussichten

Das Kartoffelkombinat ruht sich nicht auf seinen Erfolgen aus. Neben der Weiterentwicklung der eigenen Gärtnerei plant das Team, das Angebot an regionalen Lebensmitteln auszubauen. Produkte wie Hülsenfrüchte, Getreide oder Öle sollen künftig das Sortiment ergänzen. Ein Franchise-Modell, bei dem das Konzept in andere Regionen übertragen wird, lehnt das Team jedoch ab. „Wir wollen uns darauf konzentrieren, was wir hier vor Ort leisten können und dabei als Vorbild für andere dienen“, erklärt Überall. Tatsächlich haben bereits über 40 weitere SoLawis in Deutschland das Kartoffelkombinat als Inspiration genommen.

Menschen im Gewächshaus beim Pflanzen von Gemüse
Mitglieder des Kartoffelkombinats können selbst wählen, ob und wie sie sich einbringen möchten, zum Beispiel bei der Arbeit im Gewächshaus.

Gemeinsam Verantwortung übernehmen

Mitglieder des Kartoffelkombinats haben nicht nur Zugang zu frischen, regionalen Lebensmitteln. Sie sind Teil eines nachhaltigen Modells, das zeigt, wie Landwirtschaft anders gedacht werden kann. „Niemand will, dass Natur zerstört wird oder Menschen ausgebeutet werden. Wir bieten die Möglichkeit, Teil der Lösung zu sein“, fasst Überall zusammen. Das Kartoffelkombinat beweist, dass solidarische Landwirtschaft eine echte Alternative zu konventionellen Modellen darstellen kann – und mehr ist als nur Gemüse.

Diesen Artikel teilen

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Weitere aktuelle Themen