Etablierte Medien haben Schwierigkeiten, Jugendliche zu erreichen. Die Correctiv-Jugendredaktion Salon5 will einiges anders machen. Warum die Rettung für den Journalismus ausgerechnet aus Bottrop kommen könnte.
Autor: Lars-Thorben Niggehoff
Es hat etwas von einer Zeitreise: Bottrop wirkt an diesem Mittwochmorgen im Marz wie in Schwarzweis getaucht. Nebel liegt über der Stadt im Ruhrgebiet und ihren 118.000 Einwohnern. Bis 2018 wurde in der Zeche Prosper-Haniel Steinkohle abgebaut, es war der letzte Standort Deutschlands. Die Bergehalde Beckstraße, bekannt durch den Bottroper Tetraeder, liegt nicht weit weg und bewahrt die Vergangenheit Bottrops als Bergbaustadt. Wer hinter den Nebel guckt, erkennt zwar, dass hier längst nicht alles ist wie früher. Bottrop hat den Strukturwandel besser gemeistert als andere Städte im Ruhrgebiet. Die Arbeitslosenquote ist mit gut 8 Prozent trotzdem noch überdurchschnittlich. Die Stadt stand vergangenes Jahr vor der Pleite. Nicht nur das Wetter heute, auch die Aussichten scheinen also getrübt.
Der Eindruck ändert sich, wenn man aus der Fußgängerzone in die Essener Straße abbiegt und durch die Tür eines alten Ladengeschäfts tritt. Dahinter beginnt eine andere Welt: Statt Beton gibt es hier warme Teppiche, modernste technische Ausstattung für Video- und Podcastaufnahmen, in der Teeküche steht ein Tischkicker. Es ist die Welt von Hatice Kahraman und ihrem Team. Hatice leitet in diesen Räumen die Jugendredaktion Salon5, ein Projekt des Medienunternehmens Correctiv, vor allem bekannt für investigativen Journalismus. Aufsehen erregte zuletzt vor allem die sogenannte „Geheimplan“-Recherche zu einem Treffen von Rechtsextremen, bei dem über umfangreiche Abschiebung beraten wurde. Im Salon5 geht es nicht unbedingt um investigativen Journalismus. Vielmehr handelt es sich um ein ambitioniertes Projekt, das Jugendlichen zwischen 13 und 18 Jahren Medienkompetenz und journalistisches Handwerk naherbringen soll. „Wir vermitteln den Jugendlichen, was Demokratie ist und warum sie für uns alle wichtig ist“, erklärt die Hausherrin.
Aber warum Bottrop? „Wir wollen dahin gehen, wo Angebote für Jugendliche benötigt werden“, sagt Jeannette Gusko, ihres Zeichens Correctiv-Geschäftsführerin. „Deswegen haben wir uns für Bottrop entschieden, und auch für unsere anderen Standorte Greifswald und Hamburg-Bergedorf.“ Neue Journalist*innen zu rekrutieren, sei bei Salon5 bestenfalls ein Nebeneffekt. Es gehe darum,junge Menschen für wichtige Themen unserer Zeit zu begeistern, gerade diejenigen, die besonders weit von klassischen Medien entfernt sind. Und das sind viele, wie Kahraman berichten kann. „Die jungen Menschen, die zu uns kommen, beziehen ihre Informationen in erster Linie über Tiktok, die erkennen teilweise nicht einmal das Logo der Tagesschau“, berichtet sie.
Die Bedeutung etablierter Medien für Jugendliche sei deutlich geringer, als es in den Verlagshäusern teilweise angenommen wird. Das deckt sich mit Erkenntnissen der Wissenschaft. „Immer mehr Jugendliche und junge Erwachsene […] haben nur ein geringes Interesse am aktuellen Weltgeschehen, nutzen kaum Informationsangebote etablierter Medien und werden daher mit journalistischen Angeboten kaum noch erreicht“, erklärten etwa Forscher des Leibniz-Instituts für Medienforschung vergangenes Jahr in einem Arbeitspapier. Das gelte etwa für ein Drittel der 14- bis 24-Jährigen, bei den 14- bis 17-Jährigen seien es sogar 45 Prozent. Stattdessen nutzen sie Tiktok und Youtube, und das vor allem zu Unterhaltungszwecken und nur beiläufig zur Informationsgewinnung.
Die Erfahrung vieler sogenannter junger Medien aus den vergangenen Jahren scheint das zu bestätigen. Egal ob nun Bento, Zett oder jetzt.de: Die jungen Marken etablierter Medien scheiterten durch die Bank. Einst mit großen Erwartungen gestartet, konnten sie nicht die Aufrufzahlen erreichen, die man sich erhoffte, junge Menschen schienen sich von der bewusst frechen Ansprache und den gesetzten Themen nicht abgeholt zu fühlen. Kahraman hat eine Theorie, woran das liegt: „Zum einen waren es dort junge Erwachsene, die die Themen gesetzt haben und keine Jugendlichen.“ Das mache einen Unterschied. „Zum anderen ging es am Ende dann wohl doch darum, Leser für die Kernmarke zu gewinnen.“ Die Jugendableger waren also eher Mittel zum Zweck.
Redaktion und Jugendclub
Warum sollte es Salon5 anders ergehen? „Wir nehmen die Jugendlichen ernst, hören ihnen zu und finden so heraus, was sie interessiert“, sagt Kahraman. Das konnten fehlende Spiegel auf der Schultoilette sein, aber auch die ganz großen Themen wie der Klimawandel. Im Anschluss arbeitet das Team von Salon5 mit den Jungredakteuren aus, wie sich diese Themen in Podcasts oder Videos aufbereiten lassen. Die Ausstattung in der Redaktion gibt ihnen die Möglichkeit, mit verschiedenen Medien zu experimentieren. Es gibt ein Studio mit Greenscreen für Videoaufnahmen und ein kleines Podcaststudio mit modernen Mikrofonen. Wichtig dabei: Journalistische Standards wurden nicht aufgeweicht, die Mitglieder der Jugendredaktion bekamen das journalistische Handwerk vermittelt. „Dafür bieten wir über das Jahr ein umfassendes Workshop-Programm für die Jugendredakteure an“, sagt Kahraman. Sprachlich dürfen sich die Jugendlichen ihrer Alterskohorte anpassen, aber die Fakten müssen stimmen.
Allerdings ist die Arbeit mit Jugendlichen anders als mit erwachsenen Journalisten. „Wir sind bis zu einem gewissen Grad auch Sozialarbeiter und Pädagogen, unsere Raume eine Mischung aus Redaktion und Jugendclub“, sagt Kahraman. Also müssen sie und ihre Kolleg*innen manchmal auch mehr leisten als reguläre Chefredakteur*innen. Kahraman berichtet etwa von einer Gesprächsweise mit den Spitzenkandidaten der letzten Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen. Einer der zuständigen Redakteure drohte seinen Termin zu verpassen. „Also haben wir ihn von seiner Schule abgeholt, nur um festzustellen, dass er mit Jogginghose unterwegs war“, erinnert sie sich. Zum Glück konnte er mit einem Freund noch schnell die Hose tauschen und war so rechtzeitig passend gekleidet, um den Spitzenpolitiker zu interviewen.
Viel Arbeit also, die sich aber auszahle. „Wir sehen, dass es bei denen, die mehrere Jahre bei uns sind, eine Entwicklung gibt“, sagt sie. Einer habe eine Schülergewerkschaft in Bottrop gegründet, andere wurden sich politisch engagieren. Manche Ex-Salon5-Mitglieder haben den Schritt in den Journalismus gewagt, sind heute zum Beispiel Volontäre, etwa beim ZDF. „Und bei allen merkt man, dass sie jetzt Dinge, die sie zum Beispiel bei Tiktok aufschnappen, noch einmal gegenchecken“, freut sich die Redaktionsleiterin.
20 Standorte sollen entstehen
Über die drei Standorte verteilt, hat Salon5 heute etwa 70 Jungredakteur*innen, die regelmäßig mitarbeiten. Eine steile Entwicklung innerhalb der vier Jahre seit der Gründung. „Mittelfristig wollen wir etwa 20 Standorte eröffnen, alle in eher peripheren Gegenden“, kündigt Correctiv-Geschäftsführerin Jeannette Gusko an: „Die theoretische Ursprungsidee, Journalismus und Demokratieerfahrung zu verknüpfen, hat sich bewährt.“ Am Ende sei es Aufgabe von Medienhäusern, Kontakt zu den Nutzer*innen herzustellen, nicht umgekehrt. Ob andere Verlage die Idee übernehmen könnten, da ist Gusko skeptisch. „Das klappt bei uns vor allem dank des Gemeinwohlgedankens, wir müssen ja auch unsere Finanzierungspartner immer wieder überzeugen.“ Zu diesen Partnern zahlen Einrichtungen wie die GLS Treuhand, auch die Zeit Stiftung Bucerius ist dabei. Die Hoffnung scheint inner- und außerhalb der Medienbranche vorzuherrschen, dass hier in Bottrop Ideen entwickelt werden, die langfristig die Bedeutung des Journalismus sichern können.
Correctiv versteht sich als gemeinwohlorientiertes Medienhaus. Bekannt ist es vor allem für seine investigativen Recherchen und für seine Faktencheck-Redaktion. Mit Salon5, der Reporterfabrik und dem Schulunterstutzungsprogramm Reporter4You soll zusätzlich die Medienkompetenz in der Bevölkerung gestärkt werden. Correctiv sichert seine Unabhängigkeit durch eigene Einnahmen, etwa aus dem Buchverkauf, private Spenden und die Unterstützung durch Institutionen wie die GLS Treuhand. Correctiv ist Kundin der GLS Bank. Details zur Finanzierung sowie weitere Infos gibt es auf: correctiv.de
Schwerpunkt: Wir machen Zukunft
Was braucht die Zukunft? Diese Frage stellt sich die GLS Bank seit ihrer Gründung vor 50 Jahren immer wieder neu. Unser Schwerpunkt zum Jubiläum zeigt: Eine aktive Gemeinschaft mit positiven Visionen und den notwendigen Mitteln für die Umsetzung sind Zutaten, mit denen wir selbst in Krisenzeiten Zukunft gestalten können!
Schreibe einen Kommentar