Genossenschaften: Auf dem Weg ins digitale Zeitalter

Genossenschaften liegen voll im Trend. Ich denke da zum Beispiel an Energiegenossenschaften, die sich dafür einsetzen, ihren Mitgliedern einen fairen Zugang zu Energie zu verschaffen. Dennoch liegt auf Genossenschaften auch eine Staubschicht und etwas Spinnengewebe, jedenfalls in der Vorstellung vieler junger Menschen aus den Generationen Y und Z. Die Initiative #GenoDigitalJetzt schwingt seit einigen Monaten den Staubwedel: Mehr als 200 Unterstützer wollen die Rechtsform eG = eingetragene Genossenschaft modernisieren.

An mir ist das komplett vorbeigegangen: Seit 2016 ist die Genossenschaftsidee als immaterielles UNESCO-Weltkulturerbe anerkannt. Wow! Auf der Webseite der Deutschen UNESCO-Kommission wird kurz erläutert, dass die Kulturform der Genossenschaften nicht ausschließlich in Deutschland entstanden ist. Hermann Schulze-Delitzsch und Friedrich Wilhelm Raiffeisen haben jedoch Mitte des 19. Jahrhunderts entscheidende Grundlagen dafür gelegt, die weltweit bis in die Gegenwart wirken.

Die Arbeitsgemeinschaft #GenoDigitalJetzt geht aktuell von rund 7.800 Genossenschaften in Deutschland mit mehr als 22 Millionen Mitgliedern aus. Vor 100 Jahren seien es aber noch über 50.000 Genossenschaften gewesen – die Anzahl der Gründungen sinke seit Jahren. Eigentlich unverständlich, da Genossenschaften so viele Vorteile haben. In einem Positionspapier von Oktober 2021 stellt die Initiative fest, dass Genossenschaften den Mitgliedern gehören, demokratisch organisiert und kontrolliert und somit krisenfester und gemeinwohlorientierter als andere Rechtsformen sind.

Wie werden Genossenschaften wahrgenommen?

Doch wie werden Genossenschaften eigentlich wahrgenommen und warum ist ihre Zahl rückläufig? In der Zusammenfassung eines Berichtes in der Zeitschrift für das gesamte Genossenschaftswesen heißt es: “Generell nimmt die deutsche Bevölkerung Genossenschaften gut und überwiegend positiv wahr. Eine geringere Wahrnehmung tritt bei Frauen und der jüngeren Generationen (Generation Y und Generation Z) auf.” Im Netz finden sich viele Seiten, die vom “verstaubten Image” von Genossenschaften sprechen oder zumindest darüber mutmaßen. Die GLS Bank hat bei einem Workshop mit der Uni Witten-Herdecke im Sommer 2021 die Erfahrung gemacht, dass jüngere Menschen wenig Bezug zu diesem Thema haben und es eben nicht als hip oder trendy ansehen.

Dabei fußt eine Genossenschaft auf Prinzipien wie Selbsthilfe, Selbstverantwortung und Identität – Prinzipien, die im Grunde viele Menschen ansprechen. Zudem wird nicht nur gewinnorientiert gehandelt, sondern auch im Sinne der Mitglieder. Dieser Mitgliederorientierung bescheinigt Michaela Schaffhauser-Linzatti, Leiterin des Fachbereiches für Genossenschaftswesen an der Universität Wien, eine “extrem hohe Attraktivität”.

Was brauchen Genossenschaften heute?

Dazu hat #GenoDigitalJetzt eine klare Meinung: “Um den genossenschaftlichen Gedanken in die heutige Zeit zu übertragen, müssen die Gründung und Organisation von Genossenschaften digital, schnell und einfach funktionieren.” Hinter der Initiative stecken Gründer*innen, Vorständ*innen und Aufsichtsrät*innen von Genossenschaften, Vertreter*innen von Verbänden, Parteien, Netzwerken und anderen Organisationen sowie Jurist*innen, Forscher*innen und Wirtschaftsprüfer*innen, die mit Genossenschaften zusammenarbeiten. Ein großer Expert*innen- und Unterstützer*innenkreis also.

Und das ist die Vision dieser Menschen, präsentiert von Matti Pannenbäcker, Koordinator bei #GenoDigitalJetzt:

“Stell dir vor, mit nur zwei Klicks gehört dir nicht nur die Bank, bei der du Kund*in bist. Dir gehört auch die Suchmaschine, die du täglich für deine Recherchen nutzt. Das soziale Netzwerk, in dem du Kontakt zu alten Schulfreund*innen hältst. Der Messenger, mit dem du Fotos mit deiner Familie teilst. Der Supermarkt, in dem du deine Wocheneinkäufe machst. Dein Lieblingscafé mit dem besonders leckeren Kaffee. Das Freibad, in dem du im Sommer vor der Arbeit schwimmen gehst. Und sogar die Wasser- und Stromversorgung in deiner Stadt. Stell dir vor, du bist nur zwei Klicks davon entfernt, dich an diesen Unternehmen zu beteiligen und mitzugestalten, wie nachhaltig sie wirtschaften, welche Produkte sie anbieten und was sie mit Gewinnen machen. Du glaubst, das geht nicht? Es geht!”

Unser Freibad, unser Café, unser Supermarkt

Aha. Doch wie? Wie kann ich in Zukunft mit nur zwei Klicks Mitglied einer Genossenschaft werden? Wie kann ich über mein Handy im Prinzip 100 Genossenschaften in meiner Tasche mit mir herumtragen?

Momentan – um das deutlich zu machen – ist die Double-Click-Membership in einem genossenschaftlich geführten Unternehmen meiner Wahl noch Zukunftsmusik. Leider – und das ist abschreckend für Y und Z – benötige ich heute nicht nur Klicks im Internet, sondern auch einen Drucker und eine Briefmarke. Diese Hürden in einer aufs Digitale ausgerichteten Gesellschaft lassen sich aber aus dem Weg räumen. Genau dafür tritt die Initiative #GenoDigitalJetzt an: Sie will der Rechtsform “eingetragene Genossenschaft” (eG) ein grundsätzliches Update verpassen. Das Potenzial der eG’s ist groß, die Mängelliste überwindbar.

Digitale Genossenschaften sind möglich

Die GLS Bank ist selbst eine (wie ich finde tolle) Genossenschaft (mit einer großen Community) und will nun zeigen, dass es viele andere coole Genossenschaften und alternative Finanzierungsformen gibt. Dafür hat die GLS Bank zusammen mit der Initiative #GenoDigitalJetzt drei junge Genossenschafts-Startups eingeladen: “Poly Poly”, “SuperCoop” und “Krautreporter” berichten am Donnerstag, 10. März 2022, um 19 Uhr online von ihren Gründungserfahrungen.

Unter dem Titel “Digitale Genossenschaften für ein nachhaltiges Leben” soll viel diskutiert werden. Wie digitale Geschäftsmodelle als Genossenschaft funktionieren, zum Beispiel, oder wie eine Crowd Kapital für eine Gründung zur Verfügung stellen kann. Ebenfalls eine wichtige Frage: Wie sieht die Zukunft von digitalen Genossenschaften aus?

Fünf Fitmacher fürs digitale Zeitalter

Für das Update des Genossenschaftsrechts hat #GenoDigitalJetzt folgende fünf Forderungen aufgestellt:

  1. Digitaler Genossenschaftsbeitritt
  2. Digitale Gründung, Prüfung und Eintragung
  3. Digitale und hybride Generalversammlungen
  4. Digitale Schwarmfinanzierung
  5. Digitale Plattform-Genossenschaften

Ich unterstütze das Anliegen der Initiative und freue mich jetzt schon auf viele neue digitale Genossenschaften. Auf Unternehmen, die ihren Mitgliedern und Kund*innen gehören, also den Menschen, die von den Produkten und Dienstleistungen dieser Unternehmen überzeugt sind und sie selber nutzen.

Du findest das Thema spannend und möchtest gerne an der Veranstaltung teilnehmen? Dann melde dich hier an!

Es gibt einige Beispiele für Genossenschaften in der GLS Bank Community:

  1. Schon wieder so eine Initiative, die die Digitalisierung als das Allheilmittel für wirklich alles sieht. Was ist so schlimm daran, wenn man ein Blatt Papier ausdrucken und (mit Briefmarke – um Gottes Willen!) wegschicken muss? Ich kann nicht verstehen, warum man Menschen angeblich nicht mehr zumuten kann, sich mit einer Sache mal gründlich auseinander zu setzen. Genossenschaften sind auf Beständigkeit und Langfristigkeit ausgelegt. Wenn man Mitglieder nur “mit zwei Klicks” gewinnt, dann sind genau diese Mitglieder auch mit zwei Klicks recht schnell wieder weg.

    • Silke Bender

      Liebe Martha,
      vielen Dank für Ihre Meinung. Ich möchte gerne darauf hinweisen, dass eine schnelle und einfache Mitgliedschaft in einer Genossenschaft übers Smartphone nicht zwangsläufig bedeuten muss, dass das neue Mitglied sich nicht sehr intensiv damit beschäftigt hat :o)
      Sonnige Grüße
      Silke Bender

  2. Elinor Ostrom hat zu diesem Thema 1990 ein wichtiges Buch geschrieben “Governing the Commons: The Evolution of Institutions for Collective Action”
    Sie war 2009 die erste Frau welche den Nobelpreis in Volkswirtschaft erhalten hat.

    Die Ansprache für den Nobelpreis gibt es hier: https://www.nobelprize.org/uploads/2018/06/ostrom_lecture.pdf

    In Ihrer Arbeit studierte Sie auch die Kooperativen in den Walliser Alpen die bis auf das Mittelalter zurückgehen. Genossenschaften welche noch heute bestehen.

    Freundlichst
    Urs DrKPI CyTRAP

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