Der Media Development Investment Fund (MDIF) mit Sitz in Prag und New York investiert seit 26 Jahren in Medienhäuser mit dem Ziel, deren Unabhängigkeit zu erhalten. Mit einem neuen Fonds kehrt die Organisation nun in die Länder Osteuropas zurück und wird mit dem Krieg in der Ukraine von einer neuen Wirklichkeit eingeholt. Strategiechef Patrice Schneider erklärt im Interview, wie der MDIF funktioniert, wie man investieren kann und wie es den Partnermedien in der Ukraine derzeit geht.
Lieber Patrice Schneider, wir sollten erstmal grundsätzlich beginnen. Sie sind Strategiechef des Media Development Investment Fund, der unabhängige Nachrichtenredaktionen in der ganzen Welt gründet und unterstützt. Was ist die Idee dahinter?
Patrice Schneider: Der MDIF ist eine gemeinnützige Organisation und wurde 1996 gegründet. Wir wollen unabhängige Medien dort stärken, wo die Medienvielfalt unterdrückt wird oder wurde. Nach Projekten in der ganzen Welt verstärken wir jetzt wieder unser Engagement in Mittelosteuropa.
Auf die Region schaut gerade die ganze Welt, nachdem Russland vor zwei Monaten die Ukraine angegriffen hat. Wie würden Sie die Schwierigkeiten beschreiben, mit denen die Medien in Mittelosteuropa konfrontiert sind? Hat sich seit Beginn des Krieges etwas verändert?
Die von uns unterstützten Medien in der Ukraine sind weiter aktiv und berichten so gut es geht. Während Russland seine Angriffe auf die Ukraine verstärkt, bieten drei MDIF-Partnerredaktionen unabhängigen Journalismus an, um ihr Publikum zu informieren und der russischen Desinformation entgegenzuwirken. Zwei Redaktionen in den besetzten Städten berichten derzeit nicht.
Unabhängig von der aktuellen Kriegssituation sind Medien überall von der digitalen Disruption betroffen. Die Einnahmen sinken, auch wenn die Medienhäuser meist noch rentabel bleiben. Sie brauchen also Kapital von Menschen, die sagen: „Wir werden euch und eure Ausrichtung nicht verändern und wir werden eure Unabhängigkeit von der Regierung erhalten.“ Wenn die Einnahmen sinken, kann es für Regierungen einfach und billig sein, ganze Unternehmen aufzukaufen. Die zweite Herausforderung ist, auch mögliche Entwicklungen in der Zukunft im Auge zu behalten. Das investierte Kapital sollte nicht nur Gewinne abwerfen, sondern auch Know-how für die Zukunft schaffen. Auf diese Weise können Medien unabhängig bleiben und gleichzeitig in der digitalen Welt wachsen.
Gab es ein bestimmtes Ereignis, das den Anstoß für die Gründung des MDIF lieferte?
Der Auslöser war, dass Mitte der 1990er Jahre die Medienförderung in den mittel- und osteuropäischen Ländern, in denen ein Umbruch stattfand, hauptsächlich aus Zuschüssen der staatlichen Stellen bestand. Wenn man redaktionell unabhängig sein will, muss man jedoch auch finanziell unabhängig sein. Das war die Idee des MDIF:
Sollte es nicht ein anderes Instrument für private Unternehmen geben als Subventionen? Sollten wir nicht unabhängig von Profitgedanken diese Investitionen als etwas verstehen, das diese Medien stärkt und eine langfristige Zusammenarbeit ermöglicht?
Zwischen 1995 und 1998 gab es – als Folge des Mauerfalls 1989 und angesichts der Tatsache, dass alle diese Länder selbst einen intensiven Wandel durchliefen – große Nachfrage nach Medienunterstützung in Mittel- und Osteuropa. Doch die staatlichen Zuschüsse versiegten langsam und viele standen vor der Frage, wie es weitergehen sollte. Also begannen wir in Mitteleuropa, auf dem Balkan und in den Ländern der ehemaligen Sowjetunion. Das erste Darlehen ging an ein slowakisches Medienhaus – übrigens dasselbe Unternehmen, in das wir im vergangenen Jahr mit dem neuen Fonds „Plūrālis“ investiert haben. Es folgten weitere Projekte. Erst später dehnten wir unsere Aktivitäten auf Afrika und Asien aus.
Als sich die Europäische Union nach Osten erweiterte, dachten wir, dass die Arbeit dort vollendet wäre – die Geschichte hat uns eines Besseren belehrt. Jetzt kehrt MDIF wieder nach Hause zurück.
Mit Plūrālis gibt es jetzt ein Finanzierungsinstrument mit innereuropäischem Schwerpunkt. Das ist neu. Der Fonds ist Ende November 2021 gestartet und soll was tun?
Der MDIF ist nicht nur als Finanzierungsinstrument zu verstehen, sondern auch als Initiator einer Idee. Wir haben eine einzigartige Art der Finanzierung geschaffen, aber das ist nicht alles. Unsere Hauptaufgabe ist es, Menschen zusammenzubringen.
Plūrālis ist außerhalb des MDIF angesiedelt, es ist eine Art Erweiterung, das heißt eines der Unternehmen, die wir verwalten. Wir bringen hier Kapital unterschiedlicher Art und mit unterschiedlichen Erwartungen zusammen. Dazu gehören Stiftungen, die dies noch nie getan haben und nun der Meinung sind, dass es an der Zeit ist. Dann Medienunternehmen, in der Regel kommerzielle Unternehmen mit einem Investitionshintergrund, deren Aufgabe es ist, aus Nachrichtenmedien Geld zu machen. Aber jetzt sagen diese Unternehmen: Wir sind Teil eines Fonds, der dazu beitragen soll, die Pluralität der Medien zu fördern. Das ist ein soziales Anliegen und es ist für uns in Ordnung, eine geringere Rendite zu erwarten. Natürlich nutzen sie dieses Engagement auch, um zu zeigen, dass sie als Unternehmen soziale Verantwortung übernehmen. Die dritte Gruppe sind die Impact-Investoren.
Wie definieren Sie beim MDIF unabhängige Medien?
Der MDIF ist der Initiator von Plūrālis, und natürlich bringen wir eigene Vorstellungen mit. Wir haben die Erwartung, dass die antragstellenden Medien als einzigartige, glaubwürdige, unabhängige Nachrichten gelten und dass sie zur Information und zu Debatten beitragen, die von öffentlichem Interesse sind. Sie sollten Medien sein, die fortschrittliche, starke demokratische Institutionen fördern, einschließlich Pluralität, Menschenrechte und Vielfalt.
Kritiker könnten sagen: Wenn wir den MDIF in osteuropäische Länder exportieren, fördern wir nicht mehr die Unabhängigkeit der Medien dort, sondern tun genau das Gegenteil. Es könnte leicht als Versuch verstanden werden, eine Agenda in Länder mit ehemals „unabhängigen“ Medien zu bringen, indem beispielsweise kritische Berichterstattung über eine Regierung wie die polnische gefördert wird.
Das würde uns größer machen, als wir sind. Wir sagen lediglich: Können wir zumindest ein paar Medien im Lande halten, die etwas anderes sagen als die Regierung? In Polen gibt es nur noch ein Medienhaus mit diesem Anspruch, in Ungarn vielleicht bald keines mehr. Es ist schon vorgekommen, dass Journalist*innen entlassen und durch Menschen ohne journalistische Ausbildung ersetzt wurden, die aber die politisch gewünschte Agenda unterstützen.
Zurück zur technischen Seite: Wenn ich nun Geld in Plūrālis investieren möchte, was muss ich tun?
Es gibt drei Möglichkeiten. Großinvestoren wie Stiftungen, große Unternehmen oder Großanleger können als langfristiges Kapital Darlehen vergeben oder sie kaufen Anteile. Privatanleger können Anleihen von Plūrālis kaufen, damit wir im Gegenzug das Geld in die Medienunternehmen investieren, über die wir bereits gesprochen haben. Einfach gesagt, können Privatanleger Plūrālis auch ein Darlehen gewähren und damit eine Rendite von etwa 3 Prozent erwarten.
Um es für Anfänger klar zu machen: Das Geld geht auf verschiedenen Wegen an Plūrālis – und was passiert dann?
Sobald wir das Kapital zusammen haben, ist die Maschine Plūrālis startklar: Wir fragen Medienunternehmen an, in die wir investieren möchten und die unabhängig bleiben wollen. Dann unterbreiten wir ihnen unser Angebot, damit sie als unabhängige Anbieter in ihrem jeweiligen Land überleben können und so für Pluralität in der Medienlandschaft sorgen und diese erhalten.
Konkret: Im April 2021 investierten wir in der Slowakei in eine angesehene Zeitung, die sich für die Zivilgesellschaft einsetzt und damals viel über den Mord an Jan Kuciak im Jahr 2018 berichtet hat. Im November 2021 drohte die Rzeczpospolita, das polnische „Wall Street Journal“, von einem regierungsnahen, staatlichen Unternehmen übernommen zu werden – und wir haben diese Übernahme verhindert.
Seit Russlands Angriff auf die Ukraine vor zwei Monaten hat sich viel verändert. Ändert sich dadurch der Schwerpunkt von Plūrālis, und wenn ja, wie?
Wie das Ausmaß der Desinformation in Russland zeigt, ist der Bedarf an unabhängigen, faktenbasierten Informationen heute größer denn je. Die Ukraine wird aufgrund des Krieges andere Hilfe benötigen, als Plūrālis und der MDIF leisten können. Aber ich glaube, dass dies ein Auslöser sein wird, um die Notwendigkeit der Medienvielfalt in dieser Region und in ganz Europa zu verstärken. Und wir tragen unseren Teil dazu bei.
Es gibt einige Medien in der Ukraine, in die Plūrālis investiert hat. Sie haben am Anfang unseres Gesprächs berichtet, wie diese sich jetzt im Krieg verhalten. Werden Sie weitere Investitionen in diesem Land tätigen können?
Die gute Nachricht ist, dass unsere Medienpartner in der Ukraine beschlossen haben, zu bleiben und zu berichten. Infolgedessen wurden die wichtigsten Unternehmen mit Ausrüstung für die Kriegsberichterstattung ausgestattet. Derzeit werden Schutzwesten benötigt, da Zeitungen in Kriegsgebiete geliefert werden müssen. Wir helfen dabei.
Bargeldfonds für Medienpartner in der Ukraine
Der vom MDIF eingerichtete Bargeldfonds stellt mehreren derzeitigen und ehemaligen Medienpartnern eine Notfinanzierung zur Verfügung. „Da die regulären Einnahmequellen zusammengebrochen sind, gehen wir davon aus, dass ein kontinuierlicher Bedarf an Finanzmitteln für Ausgaben wie Personalkosten, Umzug und Zeitungspapier bestehen wird“, sagt Patrice Schneider. Derzeit seien 410.000 US-Dollar von sieben Spendern bestätigt, und 111.000 US-Doller für die Unterstützung von drei Klienten ausgegeben worden.
Der Fonds hat 50 Schutzwesten und Helme gekauft. Nach dem Versand nach Polen wurde die Ausrüstung Anfang April am polnisch-ukrainischen Grenzübergang an den Tageszeitungsverlag Express zur Verteilung innerhalb des Landes übergeben. Die Schutzausrüstung soll die Sicherheit der Medienpartner gewährleisten, insbesondere die ihrer Reporter*innen, die über Konflikte berichten, gefährliche Einsätze haben oder in Kampfgebieten arbeiten. Nach Angaben des Komitees zum Schutz von Journalist*innen wurden seit Beginn der russischen Invasion mindestens sieben Journalist*innen bei der Ausübung ihrer Tätigkeit getötet – jedoch keiner von den MDIF-Partnermedien.
In der Ukraine sind Rohstoffe für die Herstellung von Zeitungen rar, da sie vor dem Krieg größtenteils aus Russland und ganz Europa bezogen wurden. Patrice Schneider erklärt:
„Wir arbeiten mit unseren Partnern zusammen, um unseren Kunden und anderen unabhängigen Zeitungen in der Ukraine zu helfen, Zugang zu Zeitungspapier zu erhalten. Mediahuis, unser Partner bei Plūrālis, hat sich großzügig bereit erklärt, 35 Tonnen Zeitungspapier für ukrainische Regionalzeitungen zu spenden.“
Lokaler Partner für den Vertrieb ist der Verband der unabhängigen Regionalverlage der Ukraine. Das Zeitungspapier wird an Molodoy Bukovinetz und Express sowie an mehrere andere unabhängige Printmedien in ukrainischen Regionen geliefert. Die Transportkosten werden durch den Notfallfonds gedeckt.
Partnermedien des MDIF in der Ukraine*
[grey_box]Melitopolske Vedomosti, Melitopol
Melitopolske Vedomosti (MV) schloss die Druckerei und stellte den Druck der Zeitung Anfang März ein, auch die MV-Website mv.org.ua ist derzeit offline. Die russischen Besatzungstruppen in Melitopol haben jedoch eine gefälschte, mit Propaganda gefüllte Ausgabe der Zeitung veröffentlicht und in der Stadt verteilt. Die gefälschte Ausgabe, die das MV-Logo und ein ähnliches Design wie die Lokalzeitung verwendet, zeigte auf der Titelseite ein großes Porträt des selbsternannten pro-russischen Bürgermeisters. Neben dem Titelblatt war ein Foto des russischen Präsidenten Wladimir Putin abgebildet, daneben sein Zitat, dass das Ziel der „Sonderoperation“ darin bestehe, das ukrainische Volk von dem Kiewer Regime zu befreien, das seit acht Jahren Völkermord betreibe.
In der gefälschten Ausgabe wurde auch Propaganda für russische humanitäre Hilfe für die Einwohner von Melitopol gemacht. Zuvor hatten russische Streitkräfte die Büros von MV mehrere Tage lang besetzt gehalten, um den Eigentümer Michail Kumok und die Mitarbeitenden der Zeitung zur Veröffentlichung von pro-russischem Material zu zwingen. Diese hatten sich trotz Drohungen und Verhaftungen standhaft geweigert, die pro-russischen Inhalte zu veröffentlichen. Das russische Vorgehen könnte dem Ruf von MV und Michail Kumok großen Schaden zufügen. Kumok vermutet, dass die gefälschte Ausgabe auf der Krim gedruckt wurde.[/grey_box]
[grey_box]Grivna, Cherson
Grivna, ein lokaler Verlag in der südlichen Hafenstadt Cherson, der unter russischer Kontrolle steht, schloss im März seine Druckerei und stellte die Zeitung ein. Auch die Website wurde abgeschaltet, um nicht gezwungen zu sein, mit den russischen Militärbehörden zusammenzuarbeiten. Das Unternehmen erhielt eine Notfinanzierung in Höhe von 11.000 US-Dollar zur Deckung der Gehälter.[/grey_box]
[grey_box]Liga.net, Kiew
Liga.net ist weiterhin aktiv und bietet landesweite Live-Berichterstattung auf Ukrainisch, Russisch und Englisch. Seit der Invasion hat sich die Reichweite des Senders drastisch erhöht. Seit dem 24. Februar 2022, als Russland seine groß angelegte Invasion begann, wurde Liga.net von 17 Mio. Nutzer*innen besucht (im Vergleich zu 9,3 Mio. im gleichen Zeitraum des Vorjahres). Das Unternehmen erhielt eine Notfinanzierung in Höhe von 50.000 US-Dollar, um die Gehälter der Journalist*innen und andere laufende Kosten zu decken.[/grey_box]
[grey_box]Express, Lviv
Der in der westlichen Stadt Lviv ansässige Tageszeitungsverlag mit eigener Website hat die landesweite Knappheit an Zeitungspapier fast überwunden. Vor einigen Wochen gelang es dem Express, Zeitungspapier von Agora, einem MDIF-Kunden mit Sitz in Warschau, zu beziehen. Es erwies sich aber als sehr schwierig, es in die Ukraine zu importieren. Der Verlag hat es nun geschafft, vier von fünf Lastwagen mit Zeitungspapier zu seiner Druckerei in Lviv zu transportieren. Zusätzliches Zeitungspapier, das Mediahuis, ein Partner bei Plūrālis, gespendet hat, dürfte den Bedarf vorerst decken. Express und Agora haben sich auch zusammengetan, um Flüchtlingen in Polen eine kostenlose Zeitung in ukrainischer Sprache zur Verfügung zu stellen.[/grey_box]
[grey_box]Molodoy Bukovinetz, Czernowitz
Die Lokalzeitung Molodoy Bukovinetz informiert weiterhin die Einwohner und die Flüchtlinge auf dem Weg nach Rumänien und Ungarn. Seit dem 24. Februar wurde die Molbuk-Website von 1 Mio. Nutzer*innen besucht (im Vergleich zu 800.000 im gleichen Zeitraum des Vorjahres). 50.000 US-Dollar Soforthilfe wurden für den Kauf von Zeitungspapier zur Verfügung gestellt. Zusätzliches Zeitungspapier, das ebenfalls Mediahuis gespendet hat, dürfte den Bedarf von Molbuk vorerst decken.[/grey_box]
* Alle Informationen stammen von Patrice Schneider.
Wie konsumiert Ihr Nachrichten? Habt Ihr Euch schon einmal Gedanken darüber gemacht, ob diese wahr sind oder Desinformation? Wie man Fakten recherchiert, lest ihr in unserem Beitrag zur Medienkompetenz. Hier geht es zum Artikel!
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