„Frauen bewegen mich“ – Teil 2 – Dr. Annette Massmann

Frauen machen kleine und große Schritte zu einer innovativen zukunftsfähigeren Gesellschaft – häufig bleibt es unbemerkt. Diese Leistungen müssen sichtbar werden, wir müssen institutionelle Barrieren abbauen und brauchen Vorbilder, die zeigen, wie Frauen sich gegenseitig helfen, unterstützen und Türen öffnen.

Genau hierum geht es in der Blogreihe „Frauen bewegen mich“. Unglaublich viele Frauen der GLS Community setzen sich mit ihrer Arbeit für Geschlechtergerechtigkeit ein und reißen uns mit ihrem Engagement mit. Sie gründen, informieren, helfen, reisen, schreiben, arbeiten und leben mit der Mission, die Welt weiblicher/feministischer zu gestalten. Erfahrt mehr über ihren Werdegang, ihre Anliegen und ihre tägliche Arbeit – hier im Blog bei „Frauen bewegen mich“.

Dr. Annette Massmann, Geschäftsführerin Zukunftsstiftung Entwicklung
Dr. Annette Massmann

Als zweite in der Reihe stelle ich euch Dr. Annette Massmann, Geschäftsführerin der Zukunftsstiftung Entwicklung, vor.

Die Corona Pandemie hat Annette Massmann an die „heimischen vier Wände“ in Bochum gebunden. Für gewöhnlich ist sie etwa die Hälfte des Jahres auf Reisen – im globalen Süden bei Projekten der Zukunftsstiftung Entwicklung der GLS Treuhand. Die Arbeit der Stiftung lebt momentan vor allem von langfristigen Kooperationsverträgen und davon, dass sie ihre Partner*innen so gut kennt. Doch das hält nicht mehr lange, so Annette Massmann. Sie weiß, dass sich die Lage in den Ländern des globalen Südens dramatisch verändert hat: die Menschen sind längst nicht nur durch das Corona Virus bedroht, sondern die sozial ökonomischen Auswirkungen der Shutdowns in ohnehin geschwächten Wirtschaftssystemen zieht dramatische Folgen mit sich.

„Vor der Pandemie hatten wir 690 Millionen chronisch hungernde Menschen, jetzt haben wir locker 130 Millionen mehr“,

so Annette Massmann. Für sie wird es höchste Zeit, wieder auf Reisen zu gehen, um vor Ort den Menschen helfen zu können, neue Projektpartner*innen zu besuchen und direkt mit den Menschen ins Gespräch zu kommen. Sie sagt,

„Wenn man immer nur von diesem Elend an seinem Schreibtisch erfährt, dann ist es einfach hart. Wenn man bei den Menschen ist, verschiebt sich dieses Bild, weil man sieht, wie aktiv die Menschen sind, wie sehr sie miteinander ringen und sich zusammenschließen. Das gibt Kraft, obwohl die Lage so schwierig ist.“

Der Ansatz der Zukunftsstiftung Entwicklung

Der enge Kontakt zwischen der Zukunftsstiftung Entwicklung und den 77 Partner*innen weltweit macht die Art der Entwicklungsarbeit besonders. Annette Massmann betont, dass der Motor für die Veränderung bei den Menschen liegen muss und nicht bei der Stiftung im fernen Deutschland. Vor Ort möchte sie die Menschen in die Lage versetzen, ihre Lebensverhältnisse unter Berücksichtigung der örtlichen Bedingungen und individuellen Bedürfnisse eigenverantwortlich und selbstbestimmt zu gestalten.

Die Zukunftsstiftung Entwicklung, rund um Annette Massmann, sieht ihre Arbeit als eine Art Brücke zwischen Tatkraft und Engagement. Sie suchen herausragende Persönlichkeiten, die in Anbindung an ihrer Gemeinschaft und in einer partizipatorischen Führungskultur, Veränderungen im Sozialen, Ökologischen und Ökonomischen ganzheitlich aufbauen wollen. Die Schwerpunkte der Arbeit sind der organische Landbau, die ganzheitliche Gesundheitsförderung, emanzipatorische Bildung, Menschen- und Umweltrechte, der Ausbau von Kleingewerbe und die Vergabe von transparenten, von Ausbildung begleiteten Mikrokrediten sowie der Einsatz regenerativer Energien.

Darüber hinaus fördert die Zukunftsstiftung Entwicklung ihre Partnerinstitutionen jenseits von Projektlaufzeiten, aber mit klaren jährlichen Zielvorgaben auf der Basis der festgelegten Entwicklungspläne. In 1-2 Jahren, der typischen Projektzeit traditioneller Entwicklungszusammenarbeit, lässt sich in Krisen- und Armutsregionen nicht viel erreichen, es brauche einen längeren Atem, so Annette Massmann.

Frauen als agents of change

Unabhängig von Finanzierungsfragen geht es in den Projekten vor allem um Aus- und Weiterbildung. So z.B. bei Massaigruppen in Kenia: Sie lernen die vorhandene Ressourcen besser zu nutzen, um ihr Gemeindeland zu nachhaltigen, ökologisch bewirtschafteten Modellfarmen auszubauen. Auffällig ist, sagt Annette Massmann, dass die treibenden Kräfte in den verschiedenen Projekten weltweit meist Frauen sind. Obwohl Frauen häufig in Ländern des globalen Südens marginalisiert sind, agieren sie in ihren Gemeinschaften als agents of change – als Veränderungstreiberinnen.

„Im Endeffekt können wir fast jedes unserer Projekte ein „Frauenprojekt“ nennen. Wir arbeiten nicht mit einer abstrakten Gerechtigkeitslogik, sondern mit denen, die sich bewegen und organisieren – und das sind einfach überwiegend die Frauen.“,

sagt Annette Massmann. In den Armuts- und Krisenregionen hängt das alltägliche Überleben an den Frauen: Frauen sorgen dafür, dass die Kinder zur Schule gehen können und sichern die Grundernährung ihrer Familie. Auch Männer engagieren sich, sind aber in der deutlichen Minderheit. Häufiger migrieren die Männer in die Städte, um dort Gelegenheitsjobs nachzugehen. Sie entfleuchen im sogenannten „informellen Sektor“ ihrer Verantwortung der traditionellen Rolle als Familienernährer. Abwesende Männer sind eher die Regel als die Ausnahme.

 Annette Massmann mit Frauen der Massaigemeinde Selenkei, Kenia, die Weiterbildungen im Organischen Landbau absolvieren
Annette Massmann mit Frauen der Massaigemeinde Selenkei, Kenia, die Weiterbildungen im Organischen Landbau absolvieren

Bei Eigentumsfragen kommen jedoch die Männer wieder ins Spiel: in Kenia beispielsweise kümmern sich die Frauen um die Kühe. Sie versorgen sie, melken und bringen ihre Milch zur Kooperative – aber in dem Account, auf dem vermerkt ist, wie viel Milch gebracht wurde und entsprechend ausgezahlt wird, sind die Männer eingetragen. Dieses Beispiel zeigt, warum grade Frauen im globalen Süden einen erhöhten Druck verspüren zu handeln – und genau an diesem Punkt setzt die Zukunftsstiftung Entwicklung gemeinsam mit Annette Massmann an.

Netzwerke und emanzipatorische Bildung

Netzwerke und Bildung befähigen Frauen, die Verantwortung für Eigentum zu übernehmen und rechtliche Teilhabe einzufordern. In den Verfassungen der Länder im globalen Süden sei alles da, so Annette Massmann, nur die Diskrepanz zur gelebten Realität ist riesig. Mit ihren Projekten möchte Annette Massmann diese Teilhabe ermöglichen. Ein Beispiel für emanzipatorische Bildung mit Achtung der Chancengleichheit von Mädchen und Jungs ist der Schulunterricht in Uganda. Die Menstruation ist für Mädchen ein großes Problem, da es keine Sanitärartikel gibt. Aus Scham bleiben die Mädchen zuhause, es kommt zu Fehlzeiten und dadurch zu Lernrückständen. Als Konsequenz lernen alle in der Schule nähen: Mädchen und Jungs. Gemeinsam nähen sie „Sanitary Pads“ (Damenbinden), um mehr Gleichstellung zu gewährleisten. Auch die Jungs haben Schwestern, Mütter und zukünftig vielleicht eine Ehefrau und Töchter.

Annette Massmann ist mittlerweile 15 Jahre bei der Zukunftsstiftung Entwicklung beschäftigt. Aber auch davor war sie bereits in der Entwicklungszusammenarbeit tätig. Zunächst studierte sie Geisteswissenschaften in Deutschland und später Ökonomie in Chile. Sie arbeitete in der Entwicklungszusammenarbeit in Mittelamerika und kehrte anschließend mit vielen Erfahrungen und Lehren zurück nach Deutschland. In Deutschland schrieb sie eine Forschungsarbeit zum Thema neue Technologien und Auswirkungen auf gesellschaftlichen Wandel an der Universität in Bochum und stoß wenig später auf die GLS Treuhand mit der Zukunftsstiftung Entwicklung. Hier fand sie einen Ansatz, der sie reizte und ein Netzwerk, auf dem sie aufbauen wollte.

Mit ihrer Arbeit unterstützt sie nicht nur Frauen im globalen Süden: das Team der Stiftung in Bochum besteht aus 11 Frauen und einem „Quoten-Mann“ – eine gute, aber noch ungewöhnliche Mischung. Hoffen wir, dass Annette Massmann und ihre Mitarbeitenden bald wieder auf Reisen gehen können, um sich weltweit für Chancengleichheit einzusetzen.

Im nächsten Blogbeitrag der Reihe „Frauen bewegen mich“ geht es weiter mit Janine Steeger, Co-Founderin des Portals futurewomen.de, und der Frage, warum Sichtbarkeit von Frauen grade in der Nachhaltigkeitsbranche so wichtig ist.

Bereits hier im Blog erschienen „Frauen bewegen mich“ – Teil 1 – Kristina Lunz

„Frauen bewegen mich“ – Teil 1 – Kristina Lunz

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4 Antworten zu „„Frauen bewegen mich“ – Teil 2 – Dr. Annette Massmann“

  1. Avatar von Oliver Schmitt
    Oliver Schmitt

    |

    Ein sehr guter Artikel, ebenso wie der erste Teil. Danke dafür. Es gibt noch viele weitere gesellschaftliche Bereiche mit Nachholbedarf. Ich habe hier einen interessanten Artikel zum Thema Klimakrise und aktive Frauen gefunden:
    Weltrettung ist ein Frauending. Wie wir das nutzen – und ändern! https://perspective-daily.de/article/1636/CBLbmwOO
    Das könntet Ihr doch hier nochmal vertiefen.
    Schöne Grüße
    Oliver #heforshe

    1. Avatar von Charlotte Siering

      |

      Lieber Oliver,
      das ist ein interessanter Artikel – ich schaue es mir mal an!
      Danke Dir & viele Grüße
      Charlotte

  2. Avatar von Urs E. Gattiker, #drkpiPageTracker

    Nach dem interessanten Teil 1 dieser Story freute ich mich heute, den Teil 2 lesen zu dürfen.
    Was mich schockierte ist das folgende Zitat zu lesen:

    „Vor der Pandemie hatten wir 690 Millionen chronisch hungernde Menschen, jetzt haben wir locker 130 Millionen mehr“,

    Doch der Mangel an Arbeitsplätzen für jüngere Menschen macht hier COVID-19 noch schlimmer.

    Beispielsweise, ca. 19 Mio. junge Menschen sind in den letzten 5 Jahren in Nigeria dem Arbeitsmarkt beigetreten – monatlich 300,000 – gemäss der Weltbank. Doch nur 3.5 Mio neue Arbeitsplätze wurden in derselben Zeit geschaffen. 80% dieser jungen Menschen ist heute arbeitslos.

    Im vierten Quartal 2020 waren in Nigeria von den 15-24 jährigen Menschen 53.4% arbeitslos. Für 25-34 jährige Bevölkerung ist es 37.2%.

    Hunger ist hier Teil der Corona Pandemie

    Freundlichst
    Urs
    #drkpi #drkpiMetrics

    1. Avatar von Charlotte Siering

      |

      Lieber Urs,
      danke für dein Kommentar. Du hast Recht – Hunger ist ein Teil der Pandemie und das haben wir häufig nicht so sehr im Blick.
      Viele Grüße
      Charlotte

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