Ulrike Herrmann erklärt, wieso der Zusammenhalt in Europa gefährdet ist, welche Verantwortung Deutschland dafür hat und warum sie die Euro-Krise in ihrer Küche erlebt.
Frau Herrmann, ihr Rückblick auf die Finanzkrise ist mehr als ernüchternd. Fangen wir beim Euro an.
Der Euro war eine richtige Idee, die falsch umgesetzt worden ist. Bedenken Sie nur, dass Griechenland als Auslöser der Schuldenkrise gilt. Ein Land mit der Wirtschaftsleistung von Hessen hat den gesamten Kontinent ins Wanken gebracht.
Was wurde falsch gemacht?
Die Zentralbank hat bei der Aufsicht versagt. Sie hat nicht gesehen, dass in einigen Ländern wie Griechenland, Portugal oder Irland die Kredite faktisch umsonst waren, weil die Inflation ungefähr so hoch war wie die Zinsen. Es ist also gar kein Wunder, dass in Portugal, Irland und Griechenland zu viele Darlehen aufgenommen wurden. Niemand hat sie gestoppt.
Und zweitens?
Wir haben einen Euro, aber 19 Staatsanleihen. Also können die Investoren Staatsanleihen verkaufen, ohne ein Währugnsrisiko zu haben. Sie bleiben immer im Euro. Wozu das führen kann, haben wir im Juli 2011 gesehen. Da explodierten die Zinsen auf italienische Staatsanleihen. Denn Italien galt plötzlich als sehr unsicher. Und warum? Weil die Euro-Gruppe erstmals über einen Schuldenschnitt für Griechenland diskutiert hatte. Daraufhin haben sich Investoren gefragt: Wer kommt als Nächstes? Die Panik der Investoren brachte die italienische Wirtschaft zum Erliegen.
Deutschland gilt dagegen bei Investoren als sicherer Hafen. Alle wollen ihr Geld nach Deutschland schaffen. Am besten ist da eine Immobilie in Berlin. Ich wohne in einer Mietwohnung im Prenzlauer Berg, die meine Vermieterin verkaufen will. Ich hatte schon alle Nationalitäten zu Gast, die dringend nach einer Immobilie suchten . Ich kann praktisch in meiner Küche ablesen, wie groß die Euro-Panik ist.
Sie kritisieren auch die hohen Exportüberschüsse Deutschlands. Wieso?
Deutschland verkauft weit mehr Waren ins Ausland, als es von dort importiert. Also muss sich das Ausland bei Deutschland verschulden, um die Waren bezahlen zu können. Unsere Wirtschaft ist nur deswegen so „wettbewerbsfähig“, weil die Politik dabei geholfen hat, jahrelang die Löhne zu drücken. Hartz IV wirkt wie ein Damoklesschwert, mit dem sich die Mittelschicht verunsichern ließ. Andere Länder verlieren ihre Marktanteile, weil Deutschland Lohndumping betreibt. Macron versucht deswegen, in Frankreich ein Hartz IV light umzusetzen.
Welche Folgen kann das haben?
Wenn alle Länder anfingen, ihre Löhne zu drücken, wäre das dramatisch. Es käme zur Deflation, was die Europäische Zentralbank am meisten fürchtet. Wenn die Preise fallen, bricht der Konsum ein, weil alle warten, dass die Produkte noch günstiger werden. Zudem können die Unternehmen ihre Kredite nicht mehr bedienen, wenn die Preise und damit die Umsätze fallen. Dies führt zur Überschuldung und im Zweifel zum Konkurs. Dann sitzt der Kapitalismus sozusagen in der Todesfalle.
In der Eurokrise haben die Verantwortlichen keine gute Figur gemacht. Sie sprechen von einer Management-Krise.
Ein dramatischer Fehler war, dass Griechenland in den Konkurs geschickt worden ist. Der Schuldenschnitt war nicht zwingend. Die EZB hätte die griechischen Anleihen kaufen und in ihre Bilanz nehmen können. 2013 ist genau das mit irischen Anleihen gemacht worden.
Es fehlt auch an Konjunkturpolitik. Es heißt zwar zum Beispiel, dass Spaniens Wirtschaft sich wieder erhole. Aber aus Sicht der Spanier erholt sich da gar nichts. Es gibt dort immer noch keine Jobs. Wir produzieren verlorene Generationen, die verzweifeln und sich von Europa abwenden. Die Euro-Krise ist die größte Bedrohung für Europa.
Wo bleibt da eigentlich die Nachhaltigkeit?
Die Ökologie-Frage scheitert nicht an fehlenden Ideen. Es gibt Visionen, wie eine ökologische Kreislaufwirtschaft aussehen könnte. Aber es fehlt die Brücke: Wie kommen wir vom Kapitalismus zur ökologischen Kreislaufwirtschaft, ohne dass unterwegs eine schwere Wirtschaftskrise entsteht, die einen rechtspopulistischen Diktator an die Macht spülen würde? Diese Frage ist ungelöst. Deutschland hat 15.000 hauptamtliche Ökonomen, aber kein einziger erforscht diese Brücke. Es ist, als würden wir mit Vollgas auf eine Wand zurasen und keiner kümmert sich um den Bremsweg. Uns muss klar sein: Ohne Verzicht wird es nicht gehen. Das eigene Auto hat keine Zukunft. Aber was macht man mit den Beschäftigten in der Autoindustrie? Dafür bräuchten wir ein Modell, wie der Übergang gestaltet werden kann. Frei nach Marx: Wenn man den Kapitalismus überwinden will, muss man ihn erstmal verstehen.
Was muss geschehen?
Die EZB muss in Krisen eingreifen, also im Zweifel Staatsanleihen kaufen dürfen. Es darf kein Land mehr pleitegehen, Schuldenschnitte müssen ausgeschlossen werden. Zusätzlich brauchen wir eine europäische Anleihe, also Euro-Bonds. Und wir brauchen auch mehr europäische Integration. Man könnte gemeinsam in Energie oder IT investieren.
Fotos: Geldgipfel 2018/Ulrike Herrmann, Fotograf: Simon Bierwald, Bildrechte: GLS Bank Stiftung
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