BS 2018 / 2 – Ökonomie der Fülle

Geldvermehrung? Ja! Zukunft? Nein! Unsere Wirtschaft produziert Überfluss auf Kosten der Umwelt. Wie können wir das ändern? Zwei Studierende im Gespräch mit Thomas Jorberg.

Von Sarah Mewes und Lorenz Ottilinger

Wir, Sarah Mewes und Lorenz Ottilinger, wurden von der GLS Bank eingeladen, uns mit dem Begriff der Fülle auseinander zu setzen und darüber mit Vorstandssprecher Thomas Jorberg ins Gespräch zu gehen. In unserem Master „Ökonomie und Gesellschaftsgestaltung“ an der Cusanus Hochschule befassen wir uns mit der kulturhistorischen Entstehungsgeschichte unseres derzeitigen ökonomischen Denkens sowie dessen Wirkung auf unsere soziale und natürliche Umwelt. Darum haben wir für unseren Besuch bei der GLS Bank eine These mitgebracht: Der materielle Überfluss, den unser derzeitiges Wirtschaftssystem ermöglicht, reproduziert nicht nur einen Mangel in anderen Teilen der Welt, sondern zieht bei uns in Westeuropa einen Mangel im Sozialen sowie in der Natur nach sich. Denken wir an Burnout als Volkskrankheit in unserer leistungsorientierten Gesellschaft oder an den massiven Rückgang der Artenvielfalt in der Natur. Thomas Jorberg hatte das in der Börsen Zeitung so beschrieben:

„So erfolgreich unser System in der Beseitigung von Mangel war, so überfordert ist es mit vorhandenem Überfluss“.

Wir fragen uns: Ist es möglich, eine Fülle zu denken, die nicht gleichzeitig Mangel schafft? Ein Wirtschaftssystem, das eine Fülle an Möglichkeiten und Potenzialen hervorbringt, statt Überfluss auf der einen und Mangel auf der anderen Seite? In unserem Gespräch spricht Thomas Jorberg gleich am Anfang von einem „grundsätzlichen Systemversagen“. Dies zeige sich etwa darin, dass in Deutschland rund ein Drittel der produzierten Nahrungsmittel im Müll landet, während ca. 11 Prozent der Weltbevölkerung an Hunger leidet. Der Überfluss, so Jorberg, mache jedoch auch Chancen sichtbar:

„Das Potenzial ist da. Man könnte alle Menschen versorgen. Gerade die nachhaltigen Unternehmen zeigen das. Ob das in erneuerbaren Energien oder in der Bio-Landwirtschaft ist oder die Textilbranche. Noch nie waren die Chancen so groß, das positiv zu gestalten. Aber das gegenwärtige System ist nicht geeignet dafür“.

Wie kann dieses Systemversagen also behoben werden? Wie kann unser Wirtschaftssystem so gestaltet werden, dass es eine gerechte Verteilung und Fülle für alle ermöglicht, bei gleichzeitiger Einhaltung der natürlichen Grenzen? Auf welcher Ebene gilt es dabei anzusetzen? Bei den Rahmenbedingungen? Müssen wir unser eigenes Verhalten ändern? Oder gar unsere zugrunde liegenden gesellschaftlichen Werte und Denkstrukturen? Oder alles zusammen? Als einen möglichen Lösungsansatz sprechen wir mit Jorberg über die sogenannte Einpreisung bisher unbeachteter Kosten in die Buchhaltung eines Unternehmens. Der Verbrauch von Natur soll damit sichtbar gemacht und eingeschränkt werden. Thomas Jorberg sagt dazu:

„Zu Zeiten, als das jetzige System kreiert worden ist, schien Natur in unbegrenzter Menge vorhanden zu sein. Und insofern spielte sie keine große Rolle bei den Kosten. Arbeit schien knapp zu sein und Kapital auch. Das ist heute ganz neu anzuschauen. Mittlerweile ist Natur der knappste Faktor, wird aber immer noch kaum bepreist.“

Bisher werden ökologisches Kapital wie Bodenfruchtbarkeit oder Biodiversität nicht als Werte berücksichtigt. Sie werden zum Nullkostentarif genommen. Innovative Wege beschreiten hier zum Beispiel die niederländische Agentur Soil&More Impacts mit ihrem Konzept des True Cost Accounting oder die Regionalwert AGs in Deutschland, die in der ökologischen Land- und Ernährungswirtschaft bereits mit einer erweiterten Buchhaltung arbeitet. Jorberg gehen solche Ansätze noch nicht weit genug. Wichtig sind ihm darüber hinaus politische Konsequenzen.

„Ich weiß nicht, ob Sie in allen Ihren Verhaltensweisen als Konsumentin immer so konsequent sind, dass Sie damit Ihren eigenen Idealen folgen. Mir geht es regelmäßig so, dass ich wider besseren Wissens nicht nachhaltig handle. Als Bürger sollten wir uns darum einen Rahmen für eine nachhaltige Entwicklung schaffen.“

Dafür hat die GLS Bank vier politische Forderungen aufgestellt. Es geht ihr um eine CO2-Abgabe, eine Abgabe auf Spritz und Düngemittel, ein bedingungsloses Grundeinkommen sowie um die steuerliche Entlastung von Arbeit und die Belastung von Kapital. Wir fragen uns an dieser Stelle, ob diese Änderungen schon weit genug gehen.

Gilt es für eine Ökonomie der Zukunft nicht gleichermaßen, die bestehende Logik der rein monetären Gewinnmaximierung zu hinterfragen? So könnte dem Begriff der Fülle hier eine entscheidende Bedeutung zukommen – für eine Ökonomie, die sich in diesem Kontext an der Pflege, dem Erhalt und der Schaffung von Fülle im Bezug auf Natur ausrichtet.

Der Begriff der Fülle, so verlockend er erscheint, entzieht sich uns im Gespräch jedoch immer wieder. Erst als Jorberg einen Wettbewerb fordert, welcher sich an der Qualität ausrichtetet, nimmt der Begriff eine konkretere Form an. An dieser Stelle schaut der Vorstandssprecher hoffnungsvoll in die Zukunft und bestärkt:

„Es gibt für alle Lebensbereiche bereits qualitativ extrem hochwertige, umweltschonende, soziale Produkte und Dienstleistungen. Also bottom-up – durch Projekte und Unternehmen – ist bereits nachgewiesen, dass es anders geht.“

Was fehle, ist der gesellschaftliche Rahmen, so dass sich umweltschädigendes Verhalten auch für den Einzelnen nicht mehr lohne.

Ein Zwischenstand: Ausgehend von unserer These sind wir im Gespräch immer wieder darauf eingegangen, für wie wichtig wir ein grundsätzliches Hinterfragen unseres gegenwärtigen ökonomischen Denkens und dessen Konsequenzen halten. Kurz gesagt: Kann Wertschätzung ausschließlich über Bepreisung funktionieren? In dieser Hinsicht gibt sich Thomas Jorberg pragmatischer und fordert Korrekturen im bestehenden System, wie beispielsweise die Abgabe auf Spritz- und Düngemittel.

Welche Rolle jedem und jeder Einzelnen als Konsument*in zukommt, haben wir anschließend in der Mittagspause mit rund 25 Mitarbeiter*innen diskutiert. Müssen wir verzichten oder intelligenter produzieren, um aus dem Dilemma von Überfluss und Mangel auszusteigen? Eine Mitarbeiterin fragte noch weiter: „Sind das nicht Luxusprobleme? Können wir darüber diskutieren auf fossile Energien zu verzichten, kein Fleisch mehr zu konsumieren und weniger zu fliegen, ohne die Perspektive der Menschen einzunehmen, die eben diese Entscheidungsfreiheit nicht haben und andernorts unfreiwillig auf eine gesunde Lebensgrundlage verzichten müssen?“

Mit dieser Ungerechtigkeit im Blick, wurde nicht nur rege über individuelle Verantwortung, sondern auch über neue politische Ansätze diskutiert.

Als eine Essenz aus unserer Recherche halten wir fest, dass der Begriff der Fülle eine qualitative Dimension braucht, entgegen dem quantitativen Überfluss beziehungsweise dem Mangel. Dafür gilt es Räume zu schaffen, in denen Menschen und Natur ihr volles Potenzial entfalten können. Statt alles in Geld zu denken, müssen wir sensibel für Vielfalt werden, sodass jedes Element dasjenige bekommt, was es braucht, um erblühen zu können. An diesem Punkt gilt es weiter anzusetzen, wenn wir das „grundsätzliche Systemversagen“ überwinden und eine Ökonomie der Fülle erschaffen wollen.

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[green_box] Ein Artikel aus dem GLS Kundenmagazin Bankspiegel. Diesen und viele andere spannenden Artikel finden Sie im Blog. Alle Ausgaben des GLS Bankspiegel als PDF finden Sie unter: https://www.gls.de/bankspiegel/. [/green_box]

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Eine Antwort zu „BS 2018 / 2 – Ökonomie der Fülle“

  1. Avatar von Carl-Hermann Meyer

    |

    Wichtige Fragen – interessante Antworten.

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