Vom Klimawandel bis zur wachsenden Ungleichheit: Die weltweiten Probleme sind gewaltig. Das geht auch Banken und deren Kunden etwas an. Ein Positionspapier von Vorstandssprecher Thomas Jorberg anlässlich der „Euro Finance Week“.
Die Banken sind zu sehr mit sich beschäftigt. Dabei vergessen sie die Zukunftsfragen der Gesellschaft.
„Quo vadis, Banking?“ oder „Digital und dynamisch – die Bank von morgen“: Wenn sich die Branche auf Konferenzen trifft, wird ausführlich über die heftigen Umbrüche im Bankgeschäft diskutiert. Die Ziele bleiben dabei dieselben wie früher: Wachstum und Rendite. Die entscheidenden Zukunftsfragen – etwa die ungerechte Vermögensverteilung oder der Klimawandel – werden dagegen gar nicht thematisiert.
Über die eigentlichen Herausforderungen ist man sich einig. Erstens die Schatten der Vergangenheit, also der anhaltende Vertrauensverlust der Banken in der Gesellschaft sowie die daraus folgende Regulierung. Zweitens die Geldflutung durch die Notenbanken in Verbindung mit dem niedrigen Zinssatz. Und drittens die Digitalisierung. Der Tenor ist dabei einhellig, egal ob sich die Vorstände von Deutschlands größten oder kleinsten Banken äußern. Alle halten die Regulierung in all ihren Details für übertrieben. Das sogenannte „Niedrigzinsumfeld“ ist von Übel. Und technischen Innovationen gehört die Zukunft.
Auch die GLS Bank widmet sich intensiv diesen Veränderungen des Bankgeschäfts. Nur tut sie es mit einer völlig anderen Ausgangsfrage: Wie können wir gewährleisten, dass Geld weiterhin dorthin gelangt, wo es in der Gesellschaft gebraucht wird? Wo kann es sinnvoll wirken?
Orientierungslos wie eine „Portugiesische Galeere“
Der Philosoph Richard David Precht hat in einem Vortrag über „Geld und Moral“ ein treffendes Bild gewählt. Er verglich das Gebaren der Finanzbranche mit dem einer „Portugiesischen Galeere“. Diese Qualle besteht aus einzelnen hochintelligenten unabhängigen Organismen, die sich mit ihren Tentakeln aneinanderketten – aber insgesamt führungs- und orientierungslos durch das Meer wabern. Im Bankgeschäft würde zwar viel über den Verfall von Moral und Werten geklagt. Auf die Banker habe dies aber keinen Einfluss, so Precht. Was nach seiner Analyse vollkommen fehle, sei aus einer Gesamtintelligenz und einer Gesamtverantwortung heraus Ziele zu erarbeiten und auf diese allmählich zuzuwandern.
Die Finanz-Galeere treibt orientierungslos an allen offensichtlichen Widersprüchen vorbei. In den vergangenen Jahren sind etwa die globalen Geldvermögen deutlich schneller gewachsen als die Wirtschaft. Händeringend wird nach Anlagemöglichkeiten dafür gesucht. Eigentümer sind schon seit Jahren aufgrund der überliquiden Märkte weder in der Lage, ihr Vermögen real zu konsumieren, noch zu investieren. Dieses Marktgeschehen hat zu den Niedrigzinsen geführt, die wir gegenwärtig haben. Die Notenbanken haben dies verstärkt – aber keineswegs verursacht. Das Quantitative Easing der Europäischen Zentralbank (EZB) hatte bisher keinerlei Auswirkung auf Wirtschaftswachstum und Inflation. Auch der Einfluss auf das Zinsniveau dürfte marginal sein. Dass dauerhaft zu viel Geld im Markt vorhanden ist, ist eine bittere Erkenntnis und bedarf einer gewaltigen Umstrukturierung unseres Bankensystems. Darüber wird nicht gesprochen.
Digitale Innovationen gelten im Wesentlichen als positive Zukunftsentwicklung, nicht nur im Bankensektor. Sie gelten als einfach, flexibel und schnell. Nur drohen immer neue Regeln und Vorschriften genau diese Entwicklungen abzuwürgen. Denn die Banken müssen der Aufsicht Unmengen von Daten liefern, Handlungsanweisungen ausführen und ihre Prozesse darauf ausrichten. Das macht wiederum eine ganz eigene Digitalisierung erforderlich, die den Kunden keineswegs zugute kommt. Das kann sinnvolle Investitionen verhindern und schränkt kreative Finanzierungslösungen ein. Auch darüber wird nicht gesprochen.
Finanzmarkt hat dienende Funktion
Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble hat bei einem Branchentreffen betont, der Finanzplatz Deutschland müsse sich daran messen lassen, ob er seiner dienenden Funktion für die Realwirtschaft nachkomme. Die Banken stimmen dieser Aussage zwar zu. Aber wie das gelingen soll, ist völlig unklar. Die einzig sinnvolle Aufgabe des Finanzmarktes ist es doch, Geld dorthin zu bringen, wo Menschen es in der Realwirtschaft brauchen. Dieser Aufgabe kann aber ein Finanzmarkt nicht nachkommen, wenn er sich nicht mit den gegenwärtigen und zukünftigen Herausforderungen unserer Gesellschaften beschäftigt. Im Gegenteil. Der Finanzmarkt diskutiert lediglich darüber, dass die Realwirtschaft wachsen muss. Das impliziert, dass letztendlich die Realwirtschaft dem Finanzmarkt zu dienen hat. Das wird nicht infrage gestellt.
Gerade die hochentwickelten Gesellschaften müssen heute die Frage beantworten, wovon wir mehr brauchen und wovon möglicherweise nicht. Umbrüche können derzeit oft deswegen nicht in der notwendigen Art und Weise vorangebracht werden, weil es an Finanzierung fehlt. Wenn der Finanzmarkt eine dienende Funktion für die Realwirtschaft hat und dies, wie Schäuble sagt, der einzige Maßstab ist, dann muss man sich die Fragen stellen:
- Wie finanzieren wir den Stopp der Klimaerwärmung und lösen die Energiefrage?
- Wie finanzieren wir die Neugestaltung der weltweiten Ernährung, ohne die natürliche Bodenfruchtbarkeit weiter zu zerstören?
- Wie finanzieren wir in die notwendigen Infrastruktur-Investitionen?
- Wie finanzieren wir neue Mobilitätskonzepte?
- Wie finanzieren wir die Verbesserung unseres Bildungs- und Kulturwesens?
- Wie finanzieren wir die Integration und Inklusion von Migranten und Flüchtlingen?
Die Bankkunden von gestern erwarteten vornehmlich eine sichere, ertragreiche Geldanlage, eine günstige Finanzierung sowie einen einfachen, gut funktionierenden Zahlungsverkehr. Als Bürger von heute und morgen fragen sie nach Lösungen für die großen Zukunftsaufgaben – und deren Finanzierung. Sollten die Banken darauf nicht reagieren, würde die Akzeptanz ihrer Geschäftsmodelle gewaltig sinken.
Zudem wird das Misstrauen gegenüber dem Finanzmarkt besonders dadurch befeuert, dass die Ungleichverteilung von Geld und sonstigem Vermögen immer weiter steigt. Laut einer Oxfam-Studie besitzen die 85 reichsten Menschen so viel wie die ärmsten 3,5 Milliarden Menschen.
Das schadet auch den Vermögenden selbst. Es ist offensichtlich, dass für vorgenannte Herausforderungen erhebliches – vorhandenes – Geld eingesetzt werden muss. Wer weniger Verschuldung will, muss eine realwirtschaftliche Antwort geben, wo das Überangebot an Anlage suchendem Geld sein soll. Wenn zu viel Geld lediglich abstrakt eingesetzt wird, führt dies – wie wir in der letzten Krise gesehen haben – zu einem zerstörerischen Potential für die Realwirtschaft.
Mehr Schenkungen und Stiftungsmittel
Schon aus langfristigem Eigeninteresse ist es daher notwendig, dass sich der Finanzmarkt und die Vermögenden intensiv mit der Finanzierungsfrage der großen Herausforderungen unserer Zeit beschäftigen. Dies wird nicht mit sicheren Anlagen möglich sein, sondern nur in Verbindung mit erheblichen Risiken und letztendlich auch mit viel Schenkungs- und Stiftungsmitteln. Insbesondere Letztere sind in Europa im Vergleich zu den USA noch völlig unterentwickelt. Die Vermögenden müssen sich in ganz anderem Ausmaß als bisher an der Finanzierung meritorischer und öffentlicher Güter beteiligen. Tun die Eigentümer es nicht, gefährden sie langfristig ihren Wohlstand.
Diese zunächst unlösbar erscheinenden Sachverhalte spiegeln sich längst in den betriebswirtschaftlichen Daten der Banken wieder. Dass Null- oder sogar Minus-Zinsniveau wird sich so schnell nicht ändern. Es wird mittel- bis langfristig die bisherige Art von Bankgeschäft, insbesondere in Bezug auf Einlagen und Kredit, unfinanzierbar machen.
Diese großen widersprüchlichen Fragen sind scheinbar bei den meisten Bankvorständen noch nicht angekommen. Die einzigen Treiber von Umbrüchen sind Einsicht und Not. Es bleibt darum zu wünschen, dass zukünftig endlich eine Diskussion über die gesellschaftlichen Widersprüche stattfindet. Nur so können wir die Umbrüche aktiv und zielgerichtet gestalten. Wird die Finanzbranche das nicht tun, treibt sie auf eine noch größere Not zu. Der notwendige Umbruch wird langfristig kommen – so oder so!
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