Archivbeitrag

Alles richtig gemacht?

Die GLS Bank finanziert die Guten. Das ist bekannt. Was aber, wenn Gut und Schlecht nur schwer auseinanderzuhalten sind?

In diesem Sommer habe ich zwei Monate lang auf einer Alp gearbeitet, in einer herrlichen Landschaft gemeinsam mit einer Bauernfamilie 38 Milchkühe versorgt, die Weiden freigeschnitten, den Stall ausgemistet und täglich 50 Kilo wunderbaren Käse produziert. Zwei Monate lang keinen Bildschirm, keine To-do-Liste, keine Corona-Maske. Ein Ökoparadies mit Panoramablick.

Ein Kollege sagte dazu nur: „Du hast alles richtig gemacht!“ Und das war auch mein eigenes Lebensgefühl.

Die Idylle nach Kriterien beurteilen?

Wieder zurück in der GLS Bank ging es an diesen Bankspiegel über Wirkung. Dazu hatten meine Kolleg*innen bereits sehr beeindruckende Zukunftsbilder entwickelt, mit jeweils fünf Qualitäten zu jedem unserer sechs Bereiche. Für die Ernährung sei wichtig, dass Innovation, Regionalität, Gesundheit, Fairness und 100 Prozent bio messbar sind (siehe Beitrag Einzelährendrescher). Mir gab das zu denken. Denn die Alp ist so wenig innovativ wie kaum eine andere Produktion in Europa: Der Käse wird überregional als Spezialität vermarktet, eine Öko-Zulassung hat die Familie nie auch nur erwogen. Und ob unsere 80-Stunden-Wochen den Fairnesskriterien entsprachen, glaube ich nicht. Wie konnte ich mit meinem Lebensgefühl so danebenliegen? Oder passt das gute Alpleben doch irgendwie zur GLS Bank? Kommt es nicht letztlich darauf an, was wir als mündige Menschen für richtig und gut halten? Mit solchen Fragen war ich schon mittendrin in der Konzeption dieses Bankspiegels.

Hinzu kamen einige kritische Rückmeldungen zur letzten Ausgabe: Darin hatten wir groß über die Finanzierung der terreco GmbH berichtet, die mit mehr als 5.000 Hektar die hundertfache Fläche von manch einem Familienbetrieb bewirtschaftet und erst im Laufe der nächsten zehn Jahre schrittweise auf Ökolandwirtschaft umstellt. Als Redakteur hatte ich diese Kreditvergabe nicht groß infrage gestellt und wurde jetzt sowohl aus der Kollegenschaft als auch aus der Kundschaft mit Kritik konfrontiert. Was rechtfertigt diese große Darstellung, wenn der Betrieb derzeit nicht den Kriterien der GLS Bank entspricht? Treiben wir damit nicht genau diejenige Entwicklung voran, die den Ökopionieren derzeit
so schwer zu schaffen macht? Verschärfend hinzu kam die Überschrift des Artikels: „Viel hilft viel“ hieß es da. Hat die GLS Bank ihre Wurzeln vergessen?

Auch Good Banking ist widersprüchlich

Noch immer dachte ich oft an die Alp zurück, an die kleinbäuerliche, aus der Zeit gefallene Idylle. Gleichzeitig wurde ich als Protagonist eines landwirtschaftlichen Großunternehmens
angesprochen und kritisiert. — Willkommen zurück in den Widersprüchlichkeiten von Good Banking.

Mit Freude konnte ich aber feststellen, dass einige Kolleg*innen zwischenzeitlich aktiv das Thema aufgegriffen hatten. Unter der Überschrift „Transformationsfinanzierung“ gingen sie die Frage an: Wie können wir Unternehmen finanzieren und begleiten, die sich jetzt erst auf den Weg zur Nachhaltigkeit machen? Denn die Pioniere schaffen die Transformation etwa der Energieversorgung oder der Landwirtschaft nicht allein. Es geht vielmehr um ganze Sektoren, also auch um die großen Akteure, die bisher noch wenig nachhaltig sind. Das wurde an einzelnen Beispielen wie eben jener terreco GmbH gezeigt und deutlich gemacht, warum diese Finanzierungen doch sehr gut zur GLS Bank passen. In den kollegialen Gesprächen zeigte sich außerdem, wie wichtig die Menschen sind, die hinter einem Unternehmen stehen. Sind diese tatsächlich bereit, mit ihrem Unternehmen den ganzen Sektor zu ändern? Oder wollen sie nur von dem Nachhaltigkeitsboom profitieren? Bei dieser Frage geht es übrigens nicht nur um Neukunden. Wenn etwa ein Biopionier immer konventioneller wird und seine Marktmacht im Preiskampf gegen die Landwirte einsetzt, dann muss auch nach langen Jahren der Zusammenarbeit gefragt werden: Passt das noch zur GLS Bank?

Gänzlich neu sind solche Fragestellungen für uns nicht. Es gibt ein Gremium, das etwa monatlich über inhaltlich kontroverse Kreditvergaben entscheidet. Darin ging es beispielsweise schon um die Finanzierung eines Hindu-Tempels oder einer Moschee. In beiden Fällen war auch zu beurteilen, inwieweit damit internationale religiöse Konfliktlinien hierzulande etabliert und verstärkt werden. Öfters beriet das Gremium außerdem über Unternehmen, die nicht in unseren Kernbranchen tätig sind.

Ein nachhaltiges Rechenzentrum — ernsthaft?

Welche Kriterien sollen beispielsweise für Prior1 gelten? Dieses Unternehmen betreibt Rechenzentren. Nachhaltig, klar, aber was heißt das? Exemplarisch will ich verstehen: Auf welche Widersprüche stößt das Unternehmen dabei und wie geht es damit um? Ich frage nach bei Anja Zschäck und Stefan Maier von Prior1. Ihr Metier sind klinisch reine Hallen, in denen Menschen wie Fremdkörper wirken, vollgestapelt mit Servern, die unglaublich viel Strom verbrauchen. Und doch geht es Prior1 um die Menschen. Das zeigt sich etwa dann, wenn neue Mitarbeiter*innen deshalb kommen, weil sie unbedingt bei einem Unternehmen mit Gemeinwohlbilanz arbeiten wollen. Oder wenn Dienstleister im Auswahlprozess erfahren: Prior1 entscheidet nach klaren sozialen und ökologischen Kriterien. Maier erzählt, wie er bei einem globalen Dienstleister vorstellig wurde, weil ein deutscher Mitarbeiter rechtsextreme Meinungen verbreitet hatte. Der Konzern reagierte tatsächlich. Damit änderte sich auch das Kundenverhältnis.

„Die haben Respekt vor unserer Haltung. Das wurde klar“,

so Maier. Außerdem können etwa durch Energieeffizienz bis zu 80 Prozent Energie eingespart werden. Trotzdem muss festgestellt werden, dass global gesehen die IT-Infrastruktur fast doppelt so klimaschädlich ist wie der Flugverkehr. Klar spart IT auch viel ein, etwa wenn Dienstreisen durch Videokonferenzen vermieden werden. Aber all das Streamen, Gamen, Chatten und Googeln — damit wird viel CO2 emittiert. Für Prior1 ist das Verhalten der privaten Nutzer*innen bisher kein Thema. Aber auf seine Kund*innen wirkt Maier durchaus ein.

„Meist planen unsere Auftraggeber zu große Kapazitäten. Für uns wären große Anlagen finanziell attraktiv. Trotzdem empfehlen wir regelmäßig einen modularen Aufbau entlang der tatsächlich benötigten Kapazitäten.“

Gelöst ist die Klimakrise damit nicht. Aber es wird spürbar: Hier sind Menschen, die ernsthaft zur Veränderung bereit sind — auch ihrer eigenen.

Rechthaber in der GLS Community

In der GLS Bank erwartete mich ein weiteres kontroverses Thema: Die Onlineplattform KenFM, die regelmäßig hinter Nachrichten Verschwörungen vermutet, gibt bei ihren Spendenaufrufen die GLS Bank an. Dadurch ist der Eindruck entstanden, dass wir KenFM unterstützen, auch wenn wir einer solchen Organisation niemals einen Kredit geben würden.

Eine Gesinnungsprüfung bei jeder Kontoeröffnung wäre zwar keine Option. Aber bei Unternehmen, die mit uns auftreten, stellen wir uns schon die Frage: Wie ist deren gesellschaftliche Wirkung? Und für komplexe Probleme stets dieselben Personen oder Gruppen verantwortlich zu machen, ist falsch und spaltet die Gesellschaft. Das passt einfach nicht zur GLS Bank. Wie aber damit umgehen? In einem ersten Blogpost, der darüber den Austausch anregen sollte, fragte ich:

„Wenn es auf der einen Seite um die Offenheit für alle Positionen und Perspektiven geht, wie ist das vereinbar mit der Abgrenzung gegenüber einzelnen Personen?“

In den folgenden Wochen fand dazu ein konstruktiver Austausch im kleineren Rahmen statt. Dann wurde der Ton aber zusehends schärfer. So wurde gegenüber der GLS Kundschaft etwa per Twitter behauptet: „Ihre Bank unterstützt Repression und Unterdrückung der Meinungsfreiheit.“ Andere Kund*innen fragten gleichzeitig: Warum distanziert Ihr Euch erst jetzt von KenFM? Warum nicht schon vor Jahren? Ich persönlich meine zwar, dass solche Stimmen recht haben. Aber geht es jetzt überhaupt darum, recht zu haben? Wolf Lotter von brandeins stellte fest:

„Sozial ist, was Vielfalt schafft.“

Wichtig seien „Verunsicherungsfähigkeit“, Spaß an Perspektivwechseln, Ambiguität,

„nicht Rechthaberei, sondern immer wieder neu die Frage, ob das, was man tut, das Richtige ist“.

Wer also meint, alles richtig gemacht zu haben, hat vermutlich den Anschluss an diese Entwicklung verpasst. Worauf es viel mehr ankommt, ist, dass wir uns gegenseitig in unserem Kampf mit den Widersprüchlichkeiten anerkennen. Dazu gehört auch, sich von den inneren Bildern und Motiven zu erzählen, um die es uns geht. Der Grund, warum ich übrigens unbedingt auf die Alp wollte, war der Wunsch nach Verbundenheit mit einer überschaubaren Landschaft, mit den Lebewesen, dem Wetter und den Gebirgsformationen. Das kann ich zur Nachahmung nur empfehlen. Und: Danach gut auf die Widersprüchlichkeiten achtgeben. Das sind Wegweiser, die wir jetzt brauchen.

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[green_box]Ein Artikel aus dem GLS Kundenmagazin Bankspiegel zum Thema „Wirkung – Transformation durch grünes Geld“. Diesen und viele andere spannenden Artikel finden Sie im Blog. Alle Ausgaben des GLS Bankspiegel als PDF finden Sie unter: https://www.gls.de/bankspiegel/.[/green_box]

Mehr Zuhören, mehr Empathie – mehr Abgrenzung?

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10 Antworten zu „Alles richtig gemacht?“

  1. Avatar von Mattheo Pfleger
    Mattheo Pfleger

    Ich finde solche Diskussionen sehr wichtig – vor allem in einer Zeit, in der „Political correctness“ droht, den politischen und demokratischen Diskurs zu erdrosseln und eine „cancel culture“ nachhaltigen Schaden in der ungemein wichtigen Meinungsvielfalt anrichtet.
    Wo kämen wir hin, wenn eine angesehene Bank das Konto von jemandem kündigt, weil er von bestimmten Gruppen als Verschwörungstheoretiker oder als rechtsradikalenfreundlich bezeichnet? Wenn der Wind sich dreht, dann bekommen vielleicht Menschen, die noch ein Auto mit Verbrennungsmotor fahren keine Kredite mehr oder Menschen, die sich nicht vegan ernähren, müssen Strafzinsen zahlen? Gruselig! Das alles ginge meines Erachtens ganz deutlich gegen basale Grundrechte einer Demokratie mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung.
    Ich möchte an dieser Stelle gerne eine „Lanze brechen“ für einen ganz anderen Umgang mit „Andersdenkenden“ oder „Andershandelnden“ (soziologisch gesprochen mit Menschen mit „Abweichendem Verhalten“). Ich habe in meinem Studium der Sozialarbeitswissenschaft gelernt, dass eine gesunde Gesellschaft diese Menschen unbedingt braucht, als Korrektiv und als Inspiration. Für mich sind Menschen wie Ken Jebsen ein „Advocatus diaboli“ oder, wie es in der Disney-Strategie heißt, „Kritiker“, die Aspeke sichtbar machen können, die in einer immer rasanter werdenden Entscheidungsfindung und einer immer enger und aggressiver werdenden Diskussionskultur verloren gehen könnten.
    Ich denke, wir sollten vielmehr lernen, mit Portalen wie kenFM und Menschen wie Ken Jebsen umzugehen, wir brauchen ja nicht jedes Wort zu glauben. Stattdessen könnten wir lernen, deren Aussagen als Antithese, Korrektiv und Sparringspartner der eigenen Meinung zu nutzen. Ich meine, dass gerade in schwerwiegenden Krisen- oder Umbruchszeiten unbedingt auch die kritischen und kritischsten Stimmen gehört werden sollten, jenseits von politisch korrekten Faktenchecks – ganz nach dem Prinzip: „audiatur et altera pars“. Ich glaube, es nützt niemandem und schadet uns selbst und vor allem dem öffentlichen Debattenraum, wenn wir diese Menschen pauschal verteufeln, bekämpfen, ausgrenzen und zensieren. Im Gegenteil, ich glaube, es wäre ein großer Gewinn, wenn man nicht auf die Person, sondern auf die Argumente schauen würde und nicht extreme oder falsche Aussagen oder extreme Randerscheinungen überzeichnen würde.
    In diesem Sinne freue ich mich, dass es Menschen, wie Ken Jebsen und Portale wie kenFM, RT, Nachdenkseiten, Rubikon, KaiserTV oder correktiv.org gibt und hoffe, dass sie sich noch lange kontrovers und anregend zu Wort melden können.

  2. Avatar von Reinhard Sczech
    Reinhard Sczech

    Dank an Falk Zientz für diesen Diskussionsbeitrag!
    Die Thematik begegnet uns bei einem so anders gelagerten Thema wie der Mobilitätswende: Mobilität in Gemeinschaft. Angefangen haben wir mit einer genossenschaftlichen, europäischen e-Carsharing Plattform.
    Dürfen auch Organisatoren unser Plattform nutzen, die keine Genossenschaften sind?
    Solche die noch Verbrenner in ihrem carsharing Betrieb haben (aber logischerweise zu e-Autos migrieren wollen)?
    Wie und mit wem vernetzten wir uns?
    Wie schaffen wir vorrang für zuFuß, Fahrrad und ÖPNV?
    Wie reagieren wir auf unterschiedliche Verhältnisse in Stadt und Land?
    Das macht das agieren sehr komplex. Deshalb gefällt mir die Leitschnur „nicht Rechthaberei, sondern immer wieder neu die Frage, ob das, was man tut, das Richtige ist“. Ansonsten könnten wir von einer schnellen Mobilitätswende nur träumen.
    Reinhard Sczech Vianova eG i.G.

  3. Avatar von Hubertus Schubert
    Hubertus Schubert

    Dank an Falk Zientz!
    ein guter Artikel, der persönlich und lebendig einführt und zur Diskussion einlädt!
    Ken Jebsen ist ein Feuerkopf, der sicher überkochen kann. Er lernt dazu. — Kulturell ist er meinem Empfinden nach ein wichtiger vergleichweise homöopatischer Ausgleich für die Flut der sanft an dem Brei vorbei schreibenden Vertretern gegenwärtiger politischer Korrektnes. Dass er von dort mit den vielfach bemühten Ausschluss-Stereotypen geprügelt wird, wen wundert’s?

    Gut, wenn ihre Bank nicht einfach auf dieser Rufmord-Schine mit rollt, sondern Mitdenken anregt.

    Bei der Initiative „Demokratischer Widerstand“ hatten Sie dies Aufwach-Erlebnis noch nicht?

    Den Finger in die Wunde legen ist nicht quälen, spalten oder zerstören, auch wenn es erst einmal Schmerz weckt und stört. Wir wachen auf für den Umweltschutz,die Corona-Gefahr, das Flüchtlingselend, unseren Überverbrauch und unsere selbstgefällige Urteilsgewohnheit weil es schmerzt.
    Dann machen wir es besser.

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