„Biostadt allein reicht nicht – wir brauchen einen kommunalen Ernährungsrat“
Heute findet in der GLS Filiale München ein Werkstattgespräch zu „München auf dem Weg zur Ernährungswende“ statt.
Sabine Jacobs vom mitveranstaltenden Institut für Welternährung hat dazu Jürgen Müller vom Kartoffelkombinat e.V. interviewt.
Die Ernährungswende ist mittlerweile bundesweit ein Thema. Die Großstädte Köln, Berlin und Hamburg haben auch schon sogenannte Ernährungsräte nach dem Vorbild der amerikanischen Food Policy Councils. München nicht. Warum?
Seit 2006 trägt München das Siegel „Biostadt“, gilt sogar als Vorreiter der Initiative. Von der Stadtverwaltung wird schon Einiges getan, zum Beispiel in Sachen Kindergartenernährung, Aufklärung in Schulen oder Kantinenessen. Das ist alles gut und wichtig. Aber es entsteht dabei leicht der Eindruck, bei uns sei doch schon alles super…
… aber Sie sagen das stimmt nicht?
Genau. Allein, wenn man sich die Entwicklung ansieht, dass künftig bis zu 75 Prozent der Bevölkerung in Städten leben und 80 Prozent der Treibhausgase verursachen werden, dann weiß man eigentlich schon, dass solche Maßnahmen angesichts vieler und schwerwiegender Krisenszenarien allein nicht reichen. Es geht zu langsam voran. Außerdem denke ich, der Blick ist noch zu verengt auf das unmittelbare Thema Ernährung. Wir müssen die Perspektiven erweitern, auf unsere gesamte Ernährungskultur.
Zum Beispiel?
Denken Sie an die unsägliche Coffe2Go-Kultur. Pro Stunde brauchen wir Deutschen 320.000 Kaffee-Becher. Das ist nicht nur ein Müllproblem, sondern auch eine unsägliche Ressourcenverschwendung, ausgelöst durch eine gedankenlose Ernährungskultur. Dabei gibt es tolle Initiativen wie zum Beispiel Coffee To Go Again, aber es ändert sich dadurch zu wenig und zu langsam.
Als Einzelinitiative sind die zu schwach?
Ja, und das gilt nicht nur in diesem Bereich. Es gibt viele tolle Initiativen in München, aber die arbeiten nebeneinander vor sich hin, eine Zusammenarbeit gibt es oft nicht und die Kommunalpolitik nutzt sicher auch nicht alle ihr zur Verfügung stehenden Möglichkeiten.
Und ein Ernährungsrat könnte da helfen?
Ja, ein Ernährungsrat als ein breites Bündnis unterschiedlicher zivilgesellschaftlicher Gruppierungen rund um das Thema Ernährung und Nachhaltigkeit könnte sich ganz anders Gehör verschaffen, neue Perspektive einbringen, Knowhow zuliefern, und im Notfall auch demokratischen Druck ausüben, damit sich was ändert.
Und das alles nicht nur im Hinblick auf die Pappbecher….
Wenn es nur Pappe wäre. Die Becher sind ja auch noch innen beschichtet und kommen im Paket mit Kunststoffdeckel und Trinkhalm daher, so dass am Ende meist die thermische Verwertung steht. Sprich, sie werden verbrannt.
Es gibt aber noch viele andere Stellschrauben, um eine Ernährungswende voranzutreiben. Denken Sie nur an die Ausweisung landwirtschaftlicher Flächen zugunsten eines ökologischen Anbaus oder artgerechter Tierhaltung. Wichtig wären auch der weitere Aufbau und die Förderung von Stadt-Landpartnerschaften und Regionalvermarktungsinitiativen.
Oder das Oktoberfest: Wie wäre es zum Beispiel Biobetriebe durch reduzierte Standmieten zu fördern und auf der anderen Seite bislang externalisierte Kosten bei der Pacht einzupreisen. All das könnte ein Ernährungsrat zum Thema machen. Ich halte es da mit Rob Hopkins, dem Begründer der Transition-Town-Bewegung, der sinngemäß gesagt, wenn wir darauf warten, dass die Regierenden handeln, dann wird es zu wenig und zu spät sein, und wenn jeder für sich alleine handelt, dann wird es auch zu wenig sein. Aber wenn wir als Gemeinschaften handeln, dann könnte es gerade noch genug und rechtzeitig sein.
Weitere Informationen
Jürgen Müller ist Rechtsanwalt und Mitglied des Vorstands des Münchener Vereins Kartoffelkombinat-der Verein e.V. Der gemeinnützige Verein ist aus der gleichnamigen Verbraucher-Erzeugergenossenschaft hervorgegangen. Sein Ziel ist es zu zeigen, dass der Aufbau einer alternativen, am Gemeinwohl und nicht am Profit orientierten Versorgungsstruktur für eine Großstadt möglich und auch betriebswirtschaftlich sinnvoll ist.
Werkstattgespräch Ernährungswende, GLS Filiale, 30.03.2017
Ernährungswende – Essen ist politisch
Sabine Jacobs ist beim Institut für Welternährung (IWE) zuständig für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit.
Das IWE ist ein Zusammenschluss von Journalist*innen, Wissenschaftler*innen, Praktiker*innen und interessierten Laien, die sich für eine Ernährungswende einzusetzen.
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