Seit Anfang des Jahres müssen Restaurants und Cafés ab einer bestimmten Größe für ihre Getränke und Speisen to go auch Mehrwegverpackungen anbieten. Wir Besteller*innen treffen dann die Entscheidung: Einweggeschirr wie üblich oder gegen Pfand das Wiederverwendbare? GLS Kunde CUNA aus Dortmund tüftelt seit knapp zwei Jahren an einem funktionierenden Pfandsystem. In der Hoffnung, dass viele Menschen ihr Herz für Mehrweg entdecken und so die Abkehr von Rohöl gelingt.
770 Tonnen Takeaway-Müll und weitere Zahlen
Corona hat dem Verpackungen-Wegschmeiß-Wahn nicht gutgetan: Im Jahr 2020 stellten viele Restaurantbetreiber*innen auf Gerichte to go um. Das Umweltbundesministerium geht davon aus, dass wir rund 7,5 Milliarden Getränkebecher und 28,8 Milliarden Lebensmittelverpackungen gebraucht haben. Aktuell entstehen in Deutschland laut Bundesregierung täglich 770 Tonnen Verpackungsmüll durch Takeaways. Da kann einem schon schwindelig werden: 280.000 Tonnen Abfall im Jahr, nur weil wir alle unterwegs aus Kunststoff-Einwegverpackungen konsumieren?
Seit dem 1. Januar 2023 gilt in Deutschland die neue Mehrwegpflicht. Die wichtigsten Informationen dazu in unserer Infobox.
- Das neue Gesetz gilt nicht für den Kiosk bei dir um die Ecke: Die Verkaufsfläche muss mindestens 80 Quadratmeter groß sein, der Betrieb mehr als fünf Angestellte haben. Ketten wie etwa Bahnhofsbäckereien zählen nicht zu Kleinbetrieben: Entscheidend ist das gesamte Unternehmen, nicht die einzelne Verkaufsstelle.
- Für Einwegbehälter, die kein Plastik enthalten, müssen keine Mehrwegalternativen angeboten werden. Das heißt, bei Aluschalen, Papierverpackungen und Pizzakartons ohne Kunststoffbeschichtung gibt es keine Alternativen.
- Jeder Mehrwegbehälter soll im Laufe seines Einsatzes rund 1.000 seiner Einwegkollegen ersetzen.
- Wie die Unternehmen die Vorgaben aus dem Gesetz zur Mehrwegangebotspflicht umsetzen, ist ihnen überlassen. Sie können eigene Lösungen aus Kunststoff, Glas und Keramik anbieten oder auf sogenannte Pool-Systeme zurückgreifen, die sie mit mehrwegfreundlichem Geschirr beliefern.
- Die Verkäufer*innen von Gerichten und Getränken, die keinem Pool-System mit mehreren Ausgabestellen angeschlossen sind, müssen nur die Mehrwegverpackungen zurücknehmen, die sie selbst ausgegeben haben.
- Unklar ist, wer die neue Verordnung überwachen kann. Für die Kontrolle sind die Behörden der Bundesländer zuständig. Das können zum Beispiel Abfallrechts- oder Umweltbehörden sein.
Drei GLS Bank Kunden, drei gute Mehrweglösungen
Die neue Mehrwegpflicht verschafft mir als Verbraucherin ein Anrecht auf Mehrweg. Drei Kunden der GLS Bank bieten Lösungen in diesem Bereich an:
- Das Unternehmen RECUP wurde 2016 gegründet und gilt als Wegbereiter dieser Branche in Deutschland. Becher und Schüsseln in verschiedenen Größen gibt es gegen Pfand inzwischen an mehr als 20.700 Ausgabestellen.
- Ein pfandfreies System bietet Relevo an, das Anfang 2020 aus einer gemeinsamen Idee eines Trierers, Allgäuers und Münchners entstand. Das Trio beliefert über 3.000 Partnerbetriebe und arbeitet mit einem QR-Code für Ausleihe und Rückgabe.
- CUNA setzt sich aus den beiden Wörtern „Cup“ und „Nature“ zusammen. Den Impuls fürs Start-up hatte Gründer Rafael Dyll 2018/2019. Seine Vision: eine innovative Mehrwegalternative auf pflanzlicher Basis schaffen, inklusive Recyclingkonzept.
Was aus Impuls und Innovation bei CUNA geworden ist, habe ich im Gespräch mit Rafael Dyll herausgefunden.
Rafael, du sagst, in den CUNA Bechern und Bowls stecken „Superpowers“. Was ist das Besondere?
Beim Material unserer Mehrwegprodukte grenzen wir uns, glaube ich, stark von der Konkurrenz ab. Wir verwenden eine spezielle Rezeptur, die auf Erdöl verzichtet. Der Rohstoff für die meisten, wenn nicht sogar 99 Prozent aller Kunststoffe auf der Welt ist immer noch ein synthetisches Produkt, und das ist in der Regel Rohöl.
Wir setzen zu 95 Prozent auf ein pflanzlich basiertes Ethanol, also auf einen Alkohol, der aus Pflanzenresten gewonnen wird. Das hat zwei entscheidende Vorteile: Pflanzen wachsen schnell nach und sie binden CO2. Wenn wir daraus Kunststoff-Produkte herstellen, dann haben wir das Kohlenstoffdioxid aus der heutigen Zeit darin gebunden und bringen nicht durch die Verwendung von Rohöl noch zusätzliche Gase aus der Vergangenheit in die Atmosphäre.
Das sind dann die Superpowers „nachwachsend“ und „bindend“?
Ja, genau. Bei CUNA werden pro Kilogramm Material ungefähr 1,49 kg Treibhausgase gebunden. Mit anderen Worten: Wo die ganze Welt nach Emissionssenkung ruft, sind wir Vorreiter, denn unser Material ist CO2-negativ.
Der nächste Schritt, den wir bereits mit unserem Partner, dem Fraunhofer Institut, entwickeln, ist der „vollumfängliche Emissionsfußabdruck“. Damit wollen wir nachweisen, dass sich CUNA Becher und Bowls bereits durch die CO2-Bindung mitfinanzieren. Das ist der Markt der Zukunft und deswegen glauben wir, dass die bisherige Materialwirtschaft auf eine Sackgasse zusteuert. CUNA steht für die Zukunft. Ich denke, wir haben auch ein einzigartiges Konzept für Investoren, die auf das richtige Pferd setzen wollen.
Es gibt aber noch eine dritte Superkraft?
Wir können das Material selbst recyceln, das ist die dritte Superpower. Herkömmliche Kunststoffe landen in der gelben Tonne, das ist prinzipiell ja auch richtig. Die Kunststoff-Recyclingquoten sind aber gar nicht so hoch, wie Verbraucher*innen vielleicht denken, weil die Mengen von vielen exportierten und auch verbrannten Kunststoffen mit hineingerechnet werden. Im Grunde genommen verbrennen wir also zum Teil wieder Rohöl und blasen das darin gespeicherte uralte CO2 in die Atmosphäre.
Euer Material bezeichnet ihr dennoch als Kunststoff?
Ja, technisch gesehen ist es das auch: biobasierter Kunststoff, auch Bio PE genannt. Dem Kunststoff ist es egal, woraus er raffiniert wurde, ob aus Erdöl oder Zucker. Der Kunststoff ist nur das fertige Produkt. Viele Menschen haben sofort den Begriff Plastik im Kopf, das ist heutzutage ja fast schon ein Schimpfwort. Kunststoff an sich ist aber etwas Feines, völlig formbar; wir können daraus Autoarmaturen machen, Türgriffe, Becher, was auch immer. Das Tragische allerdings ist, dass es bis jetzt am einfachsten, am günstigsten und am bequemsten war, Rohöl für die Herstellung zu verwenden. Deswegen hat sich die komplette Industrie darauf eingeschossen.
Mit CUNA wollte ich von Anfang an einen anderen Weg gehen, und die Krisen, die wir seitdem erlebt haben, bekräftigen mich. Corona hat den Finger in die Wunde der Einwegverpackungen gelegt. Unser vorheriges Büro lag direkt gegenüber eines Fastfood-Lokals. Da konnten wir in Echtzeit sehen, was to go anrichtet. Wie sich Autokolonnen bilden, die Leute schnell ihr Essen greifen, um den Abfall dann drei Minuten später und drei Meter weiter in die Tonne zu werfen. Da bin ich froh, dass wir nicht auf Old Economy setzen, sondern auf New Economy.
Spielt euch die gesetzliche Mehrwegpflicht in die Karten?
Auf jeden Fall. Seit einigen Monaten spüren wir, dass die Kunden jetzt auf uns zukommen. Insgesamt ist das neue Gesetz wahrscheinlich noch zu lasch. Andererseits muss man auch bedenken, was es für die großen Gastronomieketten bedeutet. Die sagen sich, oh je, was für ein Riesenaufwand, jetzt muss ich mich damit beschäftigen, ich muss die Becher spülen, es meinen Kunden erklären etc. Viele haben diese bittere Pille jetzt aber geschluckt. Die Bäckerei-Branche etwa geht das, meiner Meinung nach, ganz professionell an. Die sagen sich einfach, dass alle paar Jahre irgendetwas kommt, also kümmern sie sich halt – und reden mit uns. Und für die gebeutelte Gastro-Industrie haben wir auch kaufmännisch eine gute Lösung, sehr flexibel, sehr günstig, man muss nicht in Vorleistung für die Gefäße gehen. Da muss keiner tief in die Tasche greifen.
Wie sieht euer Mehrweg-Konzept konkret aus?
Unsere Kund*innen werden Mitglied bei uns und als sogenannte Systemteilnehmer an unser Netzwerk angeschlossen. Dafür zahlen sie eine monatliche Gebühr oder schließen einen günstigeren Jahresvertrag ab. Sie bekommen unser Starterpaket mit 100, über unseren Partner BÄKO sogar mit 130 Gefäßen, die wir für die Länge der Vertragslaufzeit dauerhaft bereitstellen. Wir statten also jeden Gastronomen, auch jede Kette mit mehreren Filialen mit Bechern und Bowls in verschiedenen Größen aus – und empfehlen dann natürlich, Pfand dafür zu nehmen, damit die Produkte nicht einfach verschwinden. Und wir liefern sofort das Informationsmaterial mit, mit dem sie im Geschäft auf die Mehrwegalternative hinweisen können, durch Poster, Aufkleber, Aufsteller etc. Ich sage immer gerne: Wer sich uns anschließt, macht das Paket auf – und hat das Thema Mehrwegpflicht von der Backe.
Was passiert, wenn die Becher und Bowls aus dem Starterpaket weg sind?
Dann hat der Gastronom, so die Pfandtheorie, für zum Beispiel 100 Becher á zwei Euro ein Pfandgeld von 200 Euro in der Kasse und kann einfach bei uns neu bestellen. Wir haben uns sehr bewusst für ein einfaches Pfandsystem entschieden, weil das jeder Mensch versteht. Wenn morgens der Handwerker seine drei Kaffee in der Bäckerei ordert, will er sich nicht mit komplizierten Systemen befassen. Ich glaube, es ist wichtig, dass wir die Verbraucherinnen und Verbraucher nicht mit technischen Hürden und digitalen Voraussetzungen abschrecken.
Wenn ich den Kaffee aufhabe: Wo gebe ich den CUNA Becher wieder ab?
Die nächste CUNA-Aus- und Abgabestelle um die Ecke – das ist unser Traum. Also arbeiten wir daran, möglichst schnell viele Teilnehmer im System zu sammeln. Einer unserer Partner ist die bereits erwähnte BÄKO, das ist die größte Einkaufsgenossenschaft für Bäckereien. Damit decken wir ganz Deutschland ab. Es knubbelt sich etwas in NRW und dem Ruhrgebiet, weil wir hier sitzen. Die Bäckerei Grobe zum Beispiel macht mit allen 62 Filialen mit. Bisher haben wir mehr als 1.000 Kund*innen ausgestattet und jede Woche kommen neue hinzu. Ich war letztens am Phoenixsee in Dortmund, da haben wir schon fünf unterschiedliche Teilnehmer. Alle paar hundert Meter ein anderer, das ist natürlich toll!
Wie funktioniert das Recyceln?
Jeder Systemteilnehmer erhält eine Recyclinggarantie von uns. Das heißt, wenn die Becher und Bowls nach vielleicht zwei Jahren dauerhafter Nutzung nicht mehr so schön sind wie am Anfang, gibt der Gastronom uns sie zurück. Wir sammeln die Gefäße und machen neues Granulat daraus. Dafür arbeiten wir mit verschiedenen wissenschaftlichen Partnern und Instituten zusammen, unter anderem auch mit dem Fraunhofer Institut.
Das Recyceln selbst ist sehr einfach: Unsere Becher und Schüsseln bestehen aus Bio-Polyethylen. Das wird in einer Maschine, die wie ein riesiger Fleischwolf aussieht, zermalmt und unten kommt Pulver raus. Dieses Granulat müssen wir dann in einem weiteren Produktionsschritt noch mit neuem Granulat anmischen – fertig. Wir werden unsere Becher also auf keinen Fall der gelben Tonne überlassen!
Wenn du noch mehr über CUNA erfahren willst, klicke deren Website: https://www.CUNAproducts.de
Mehrweg – Eine kleine Anekdote
Zum Schluss noch eine kleine Anekdote zum Thema. Mitte Januar in Münster, auf der Suche nach einem Kaffee to go für die Heimfahrt. Endlich entdecke ich ein Eiscafé und bestelle einen Cappuccino. Die neue Mehrwegpflicht im Kopf frage ich den Besitzer, ob er auch einen Mehrwegbecher hätte. „Nein, wir sind zu klein, wir müssen das nicht“, rattert es aus ihm heraus. Sichtlich genervt wendet er sich wieder dem Siebträger zu. Leicht konsterniert stehe ich da – und grübele, warum das mit der Müllverbesserung in Deutschland eigentlich immer so schwer ist…
Hast du auch Erfahrungen mit Mehrweg, die du mit uns teilen willst? Dann hinterlasse deinen Kommentar.
Vielleicht könnte man Wirtschaft insgesamt neu denken? Denkanstöße dazu liefert dieser Blogbeitrag.
Schreibe einen Kommentar