Das Foto zeigt ein Plakat mit der Aufschrift: Zusammen können wir die Welt verändern.

COP27: Der Klimawandel enteilt der Welt-Klimapolitik

Am Sonntag beginnt im ägyptischen Sharm el-Sheikh die COP27, der 27. Weltklimagipfel. Klimareporter Jörg Staude hat für uns zusammengefasst, wie die Stimmung im Vorfeld ist und welche Erwartungen an das Treffen bestehen.

Von Jörg Staude

Auf dem letzten Klimagipfel in Glasgow hatten sich die Staaten einiges in die Hand versprochen. Sie wollten ihre nationalen Klimabeiträge – die „Nationally Determined Contributions“ (NDCs) – verschärfen. Fossile Projekte im Ausland sollten nicht mehr finanziert werden. Einig war man sich auch, dass der Klimawandel immer größere Schäden anrichtet und daher mehr Finanzhilfen für die Betroffenen nötig sind.

Von den 193 Ländern, die das Pariser Klimaabkommen unterzeichnet haben, reichten seit dem Glasgow-Gipfel vor einem Jahr allerdings erst 24 Länder neue NDCs ein – und nicht immer mit verbesserten Zielen.

Stillstand bei den nationalen Klimabeiträgen

„Hier hat sich quasi nichts getan“, urteilt Klimaforscher Niklas Höhne, Chef des renommierten New Climate Institute, vor dem am Sonntag beginnenden 27. Weltklimagipfel im ägyptischen Sharm el-Sheikh.

Mit den jetzt zugesagten Maßnahmen würden die globalen Treibhausgasemissionen bis 2030 ungefähr auf dem heutigen Niveau stabilisiert. Um das Paris-Ziel zu erreichen, die Erwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, sei es aber nötig, die Emissionen bis 2030 zu halbieren, verweist Höhne auf die anerkannten Prognosen der Klimawissenschaft.

Praktisch bedeutet das für ihn: Weltweit dürfe keine neue fossile Infrastruktur geschaffen werden. Derzeit geschehe aber vielfach das Gegenteil – wie in Deutschland, wo neue Terminals für Flüssigerdgas entstehen. „Wird weltweit die jetzt noch geplante neue Infrastruktur gebaut und läuft dann über die ganze Lebenszeit, schaffen wir das 1,5-Grad-Ziel auf keinen Fall“, warnt Höhne.

Natürlich sei nicht vorherzusehen gewesen, dass Russland in die Ukraine einmarschiert, räumt er ein. Die Regierungen sehen deshalb die Energiekrise als das Nummer-eins-Thema und machten beim Klimaschutz Abstriche. Höhne hofft aber, dass sich das in Sharm el-Scheikh wieder umkehrt.

Klimaschutz wieder auf die Tagesordnung bringen

Auch für Lambert Schneider, Forschungskoordinator für internationale Klimapolitik beim Öko-Institut, besteht das Ziel des Gipfels vor allem darin, das Thema Klimaschutz wieder auf die Tagesordnung zu setzen, ein neues „politisches Moment“ zu schaffen.

Allerdings beginnt der Klimawandel der Klimapolitik quasi zu enteilen. Denn die neuesten, 2022 veröffentlichten Berichte zum Weltklima stellen klar: Bereits eine Erwärmung um 1,5 Grad birgt die Gefahr, dass Kipp-Punkte des Weltklimas erreicht werden, wie das vollständige Abschmelzen des grönländischen Inlandseises.

Und alle spüren auch: Schon jetzt, bei einer globalen Erwärmung um etwa 1,2 Grad, ist der Klimawandel im täglichen Leben angekommen – mit Wetterextremen wie Hitzesommern und massiven Niederschlägen, mit Waldbränden und Dürren, mit wochenlangen Überflutungen wie in Pakistan oder Nigeria.

Industrieländer drücken sich vor finanziellen Klimahilfen

Der schneller werdende Klimawandel erschwert auch die Debatten um die finanziellen Klimahilfen. Seit Jahren drücken sich die Industrieländer davor, ihre bereits 2009 gegebene Zusage einzulösen, die Entwicklungsländer mit jährlich 100 Milliarden US-Dollar zu unterstützen. Die Mittel sollen dazu dienen, den Treibhausgasausstoß zu senken und bei der Klimaanpassung voranzukommen. 2020 sollen ungefähr 84 Milliarden Dollar an öffentlichen und privaten Gelder mobilisiert worden sein.

„Die Industrieländer sind dringend aufgefordert, hier nachzubessern“, betont Wolfgang Obergassel, Co-Leiter des Forschungsbereichs Internationale Klimapolitik beim Wuppertal-Institut für Klima, Umwelt, Energie.

Angesichts der Kosten der Klimaschäden wirken die 100 Milliarden inzwischen fast antiquiert. Allein die Flutkatastrophe des vergangenen Jahres im Ahrtal kommt Deutschland mit 30 Milliarden Euro zu stehen. „Das ist der Schaden durch ein Extremwetterereignis in einem Jahr in einem Land“, zieht Lambert Schneider vom Öko-Institut den Vergleich. Die 100 Milliarden sollen dagegen für sämtliche Entwicklungsländer sowohl zur Emissionsreduktion als auch zur Anpassung reichen.

Blockadehaltung gegenüber besonders betroffenen Ländern

Noch schwieriger wird in Sharm el-Scheikh die Frage zu beantworten sein, wie man mit dem zweiten großen Finanzthema des Gipfels umgeht, dem Ausgleich für Verluste und Schäden durch den Klimawandel in den besonders betroffenen Ländern, im Konferenzsprech „Loss and Damage“ genannt. Damit sind Schäden gemeint, wenn zum Beispiel ganze Landstriche austrocknen oder Küstenstreifen überflutet werden und Menschen nicht anders als durch Umsiedlung geschützt werden können.

„Die Entwicklungsländer fordern hier seit Langem mehr Unterstützung – die Industrieländer haben sich darauf bisher nicht eingelassen“, umreißt Obergassel vom Wuppertal-Institut die seit Jahren bestehende Blockade. Die Industrieländer befürchten hier nicht absehbare Kosten – und vor allem, dass sie als Hauptverursacher des Klimawandels in eine Art Haftung für die Schäden genommen werden könnten.

Auch Niklas Höhne hält es für möglich, dass die Schäden irgendwann nicht mehr bezahlbar sind, wenn ganze Regionen unbewohnbar werden. Als Lösung kann er sich vorstellen, dass die 100-Milliarden-Zusage und die Kosten für „Loss und Damage“ in ein Gesamtpaket gepackt werden und dieses dann „gedeckelt“ wird.

Langfristiger Blick macht noch Hoffnung

Trotz aller Probleme macht dem Klimawissenschaftler der langfristige Blick noch Hoffnung. Denn 2009 sagten die Prognosen noch eine Erwärmung um 3,5 Grad bis Ende des Jahrhunderts voraus. Derzeit würde die Welt mit ihrer aktuellen Klimapolitik nach seiner Aussage bei 2,5 Grad landen.

„Das ist ein Grad besser als zuvor und insofern gut, aber immer noch katastrophal“, erklärt Höhne. Und würden die Länder alle ihre bisherigen Ankündigungen zur Klimaneutralität tatsächlich umsetzen, dann seien immerhin 1,8 Grad drin. Höhne: „Die Ziele sind noch in Reichweite, wenn auch noch nicht erreicht.“

Noch könnte die Welt den Klimawandel also wieder einholen.

 

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Auch im vergangenen Jahr haben wir über den Klimagipfel berichtet: COP26.

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