Ein Mensch zerschlägt Steine mit einem Hammer.

Was haben Banken mit Menschenrechten zu tun?

Was haben Banken mit Menschenrechten zu tun? Über diese Frage tausche ich mich mit Ricarda Rösch, Nachhaltigkeitsanalystin der GLS Investments, zum Tag der Menschenrechte am 10. Dezember aus. Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte vor 74 Jahren war eine Reaktion auf die Gräuel des Zweiten Weltkriegs. Sie definiert die Rechte jedes Menschen – unabhängig von Herkunft, Geschlecht oder Religion.

Doch wie sieht es mit den Menschenrechten heute aus? Afghanistan, Iran, China oder Katar verstoßen jeden Tag dagegen. Auch bei uns in Europa sind die Menschenrechte nicht selbstverständlich, wie die unterlassene Hilfe für Menschen in Seenot oder die Bevormundung von Menschen mit Behinderung zeigen. Welchen realistischen Beitrag kann der Finanzmarkt zur Achtung von Menschenrechten leisten? Darum geht es in diesem Interview.

„Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren.“ So lautet der erste Artikel der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. Ricarda, wie schätzt du die aktuelle Lage der Menschenrechte weltweit ein?

Ricarda Rösch: Während einerseits viele zivilgesellschaftliche Organisationen wertvolle Menschenrechtsarbeit leisten und die Bedeutung der Menschenrechte auch vermehrt in den Medien aufgegriffen wird, sehen wir bei vielen Regierungen starke Diskrepanzen zwischen ihren Bekenntnissen und der Umsetzung der Menschenrechte. Einige Staaten wie Ungarn, Polen oder Italien bewegen sich in eine zunehmend autokratische Richtung. Aber auch in Staaten wie Deutschland besteht gerade im Bereich der sozialen Rechte weiterhin großer Handlungsbedarf. Ein wichtiger Schritt wäre beispielsweise die Verabschiedung des Selbstbestimmungsgesetzes für trans* Personen. Sehr wahrscheinlich werden auch der Klimawandel und das zögerliche Handeln der Weltgemeinschaft bei der Bekämpfung der Folgen zunehmend zu Verstößen gegen die Menschenrechte führen.

Die Fußball-WM in Katar wurde bereits im Vorfeld aufgrund der Menschenrechtslage als äußerst kritisch angesehen. Kann die öffentliche Kritik zu einer Verbesserung dieser Situation führen?

Ricarda Rösch: Große internationale Sportverbände nutzen kontinuierlich das Narrativ, dass Sport an sich die Völker eint und sich internationale Sportgroßveranstaltungen demnach als Demokratisierungswerkzeug eignen. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass dies nicht der Fall ist. In China haben in den vergangenen 15 Jahren gleich zweimal die Olympischen Spiele stattgefunden. Menschenrechtsorganisationen werfen China weiterhin Völkermord und Unterdrückung von Minderheiten vor (siehe Tagesschau-Bericht vom 1.9.2022). Im Vorfeld der WM 2018 in Russland gab es laute Kritik vor allem an der mangelnden Pressefreiheit im Land. Wie wir heute wissen, hat sich auch das nicht verbessert. Ich bin skeptisch, ob sich die Lage von Menschen durch große Sport- und Medienspektakel nachhaltig verbessern lässt. Stattdessen dienen solche Großveranstaltungen eher der Legitimierung autokratischer Regierungen.

Welche Verantwortung tragen Unternehmen für die Achtung von Menschenrechten?

Ricarda Rösch: Originär sind Menschenrechte eine Staatenpflicht. In den letzten Jahrzehnten hat sich jedoch zunehmend ein Konsens darüber entwickelt, dass auch Unternehmen nicht frei von sogenannten „menschenrechtlichen Pflichten“ sind. Denn ihre Aktivitäten können schwerwiegende Konsequenzen für Umwelt und Menschenrechte haben. Ein prominentes Beispiel ist der Einsturz der Textilfabrik Rana Plaza in Bangladesch im Jahr 2013. Dabei starben mehrere tausend Arbeiter*innen oder wurden verletzt.

Eine wichtige Vorgabe für die menschenrechtlichen Pflichten von Unternehmen sind die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte. Sie wurden 2011 als erster globaler Standard vom UN-Menschenrechtsrat verabschiedet. Nach diesen Leitprinzipien müssen auch Unternehmen Menschenrechte respektieren: Sie haben eine Sorgfaltspflicht, müssen Abhilfemechanismen schaffen und unter Umständen Wiedergutmachung leisten. Obwohl die Leitprinzipien über ein hohes Maß an Legitimität verfügen, sind sie nicht rechtlich bindend. Seit 2014 wird zwar ein bindendes UN-Übereinkommen zu Wirtschaft und Menschenrechten in Genf verhandelt, eine Einigung ist aber nicht absehbar.

Bezüglich der Fußball-WM in Katar sind auch deutsche Finanzinstitute in die Kritik geraten, denn sie haben den WM-Bau-Boom mitfinanziert. Welche Verantwortung tragen Finanzinstitute?

Ricarda Rösch: Die meisten Finanzdienstleister*innen beschäftigen sich heute mit den sozial-ökologischen Auswirkungen der eigenen Kapitalflüsse. Besonders die Bekämpfung der Klimakrise durch Investitionen in klimaneutrale und innovative Technologien rückt hier häufig in den Vordergrund. Jedoch kommen menschenrechtliche Sorgfaltspflichten sowohl im Kredit- als auch im Anlagegeschäft bisher flächendeckend zu kurz.

Doch Finanzdienstleister*innen sind dazu verpflichtet, Menschenrechte zu respektieren. So bestätigte das Büro des UN-Hochkommissars für Menschenrechte (OHCHR) die Anwendbarkeit der UN-Leitprinzipien auf Investor*innen. Jedoch hinkt die Realität den Anforderungen der UN-Leitprinzipien deutlich hinterher: So ist das deutsche Lieferkettengesetz aktuell kaum auf den Finanzsektor anwendbar. Ich hoffe sehr, dass die Politik hier nachsteuern wird.

Zur Kritik an den deutschen Finanzinstituten öffne dieses PDF von facing-finance.org.
Zur Anwendbarkeit der UN-Leitprinzipien auf Investor*innen siehe dieses PDF auf ohchr.org.
Zu den konkreten Pflichten für Investor*innen siehe dieses PDF auf oecd.org.

Wie sehen die konkreten Pflichten der Finanzdienstleister*innen aus?

Ricarda Rösch: Gemäß der OECD-Richtlinien für institutionelle Investor*innen (OECD Guidance for Institutional Investors), die auf den UN-Leitprinzipien für Menschenrechte und den OECD-Leitsätzen für multinationale Unternehmen beruhen, ergeben sich die folgenden konkreten Pflichten für Investor*innen:

  • die Verankerung von Menschenrechten in Richtlinien und Managementsystemen,
  • die Identifizierung tatsächlicher und möglicher menschenrechtlichen Risiken,
  • die Verhinderung und Minderung negativer menschenrechtlicher Auswirkungen,
  • Ergebnisse messen und kommunizieren,
  • Schaffung von Prozessen zur Wiedergutmachung.

Im Fall Katar ist eine Finanzierung von Projekten, bei denen Wanderarbeiter*innen unter hochproblematischen Arbeitsbedingungen für den Bau von Infrastruktur für eine Weltmeisterschaft eingesetzt werden, kaum rechtfertigbar.

Es geht auch anders. Die GLS Investments möchte Geld dorthin lenken, wo es unter sozial-ökologischen Gesichtspunkten am meisten gebraucht wird. Werden bei der Auswahl der Unternehmen für das GLS Anlageuniversum auch Menschenrechte beachtet?

Ricarda Rösch: Bei der GLS Investments spielen die Menschenrechte eine zentrale Rolle im strengen sozial-ökologischen Prüfprozess. Bei der Auswahl der Unternehmen, die es in das GLS Anlageuniversum schaffen, berücksichtigen wir Themen wie Arbeitsrechte, Lieferketten und die Transparenz zu menschenrechtlichen Themen. Je höher das Risiko eines Unternehmens ist, desto genauer sehen wir hin: wenn wir zum Beispiel von Produktionsstandorten in autokratischen Staaten oder auf indigenem Territorium wissen oder von der möglichen Verwendung von Konfliktrohstoffen, also von Rohstoffen, die in Konflikt- oder Hochrisikogebieten häufig illegal angebaut oder gefördert werden.

In Unternehmen, bei denen uns die Risiken zu hoch erscheinen, investieren wir nicht. Zudem treten wir in den Dialog mit den Unternehmen: Zum einen, um mehr Informationen über Unternehmenspraktiken zu sammeln, zum anderen, um den Unternehmen zu zeigen, dass wir Menschenrechtsverletzungen nicht tolerieren. Auch behalten wir all unsere investierten Unternehmen kontinuierlich im Blick und überprüfen sie regelmäßig auf menschenrechtliche Kontroversen.

Der Umgang mit Menschenrechten ist bei der GLS Investments also ein zentraler Bestandteil jeder Unternehmensprüfung. Sind Rechtsverstöße damit konsequent ausgeschlossen?

Ricarda Rösch: Eine Verringerung dieses Risikos auf null ist quasi unmöglich. Wichtig ist, dass wir sofort handeln, wenn wir von Problemen bei der Achtung von Menschenrechten erfahren. Dafür haben wir unser monatliches Monitoring. Dabei überprüfen wir, ob es bei unseren Unternehmen soziale und ökologische Kontroversen gibt. Das können zum Beispiel strittige Umweltpraktiken sein oder Verstöße gegen Arbeitsrechte. Regelmäßig prüfen wir auch unsere eigenen Prozesse kritisch. So stellen wir sicher, dass wir schnell und angemessen reagieren können. Da unterstützt uns auch der Austausch mit menschenrechtlichen Brancheninitiativen und Nichtregierungsorganisationen.

Worauf müssen Anleger*innen achten, wenn sie Menschenrechtsverstöße in ihrer Geldanlage ausschließen wollen?

Ricarda Rösch: Leider gibt es darauf keine einfache Antwort, denn es ist nicht alles Gold, was glänzt. Es lohnt sich bei der Auswahl der Anlageangebote genau hinzuschauen. Um zu erkennen, wie ernst es ein Finanzinstitut mit der Beachtung von sozialen und ökologischen Kriterien meint, bedarf es einen Blick in die „Anlage- und Finanzierungsgrundsätze“ (die der GLS Bank findet ihr hier). Welche Branchen werden ausgeschlossen? Gibt es auch konkrete soziale Kriterien?

Noch genauer verrät dir eine Portfolioaufstellung oder ein Transparenzbericht, welche Unternehmen sich im Fonds verstecken. Ich sage dir: Hier gibt es manchmal Überraschungen! Denn viele Finanzinstitute sehen Nachhaltigkeit inzwischen als lukrativen Trend an. Daher sollten sich Anleger*innen auch genau ansehen, wer die nachhaltigen Fonds anbietet. Beschäftigt sich der oder die Anbieter*in erst seit kurzem mit Nachhaltigkeit? Und welcher Aufwand wird betrieben, um nachhaltige Unternehmen und Projekte auszuwählen? Sich mit diesen Fragen vor einer Geldanlage zu beschäftigen, ist auf jeden Fall sinnvoll.

Der Tag der Menschenrechte – was beschäftigt dich derzeit bei dem Thema? Und wenn du Geld anlegst: Spielen Menschenrechte dabei eine Rolle? Schreibe gerne einen Kommentar!

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  1. Oliver Schmitt

    Ein wichtiger und wertvoller Artikel, danke dafür. Insbesondere das PDF zur Kritik an den deutschen Finanzinstituten war sehr aufschlussreich. Aber was kann die Öffentlichkeit oder Einzelpersonen gegen privatwirtschaftliche Korruption in der FIFA tun?
    Ich war überrascht von diesen Investitionen zu lesen, da ich vor Jahren schon auf einer Veranstaltung der GLS Bank gehört habe dass Investition bzgl. Nachhaltigkeit stärker durch die BaFin (?) geprüft bzw. reguliert werden. Greift das noch nicht?
    Schöne Grüße
    Oliver Schmitt

    • Lieber Herr Schmitt,

      herzlichen Dank für Ihr positives Feedback. Die Europäische Union und die BaFin arbeiten aktuell daran den nachhaltigen Kapitalmarkt zu regulieren. Die Entwicklung der sozialen Kriterien sind hier noch in den Kinderschuhen. Auch wir hoffen, dass der Gesetzgeber hier nachholt und mehr Relevanz auf das Thema lenkt.

      NGOs wie facing-finance leisten hier einen Beitrag, den auch Privatpersonen unterstützen können. Ich persönlich habe mich in diesem Jahr auch ganz bewusst entschieden die WM lieber nicht zu schauen.

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