Zwei Hände machen eine Geste der Surfer.

Quiet Quitting: Mit der stillen Kündigung zur Arbeitsmarktrevolution

Lying flat („tang ping“), let it rot („bai lan“) oder great resignation – noch nie gehört? Wer viel im digitalen Raum unterwegs ist, kennt das Phänomen, das diese Wörter umschreiben, vielleicht unter dem Begriff Quiet Quitting. Wörtlich übersetzt bedeutet Quiet Quitting zwar „stille Kündigung“, zutreffender wäre jedoch „innere Kündigung“. Quiet Quitter sind Menschen, die nicht wirklich kündigen, sondern dazu tendieren, die „Minimalanforderungen“ ihres Jobs zu erfüllen.

Überstunden? Niemals! Um 20 Uhr noch eben die Mail schreiben, obwohl ich bereits Feierabend habe? Auf keinen Fall! Erreichbarkeit im Urlaub? Das könnt ihr vergessen! – Das ist eine krasse Arbeitseinstellung, oder? Vor allem wenn ich bedenke, dass in den meisten Arbeitskulturen ständige Erreichbarkeit vorausgesetzt wird. Wer sich dem verweigert, „brennt nicht für seinen Job“; Überstunden kennen wir außerdem alle und das Verschwimmen der Grenzen von Arbeits- und Privatleben ebenso.

Ein Phänomen der Generationen Y und Z

Quiet Quitting setzt hier an: keine unnötigen Überstunden, keine Mails nach Feierabend und die Arbeitsgeräte bleiben im Urlaub aus. Im Prinzip also eine Art „Dienst nach Vorschrift” oder „9-to-5 und keine Minute länger”. Als ich zum ersten Mal von diesem „neuen Phänomen“ erfuhr, dachte ich: Was ist so schlimm daran, wenn jemand einfach seiner Arbeit nachgeht, ohne sich dabei „kaputt“ zu arbeiten? Mit dieser Frage würde ich in einigen Kreisen vermutlich schon ein Stirnrunzeln kassieren.

Aber ich als Millennial (geboren zwischen 1980 und 1995) bin wohl besonders anfällig für das Phänomen, denn Quiet Quitting wird oft der Generation Y (Millennials) und der Generation Z zugeordnet. Doch stimmt das wirklich? Um dieser Frage nachzugehen, habe ich mich mal auf Recherche begeben…

Woher kommt Quiet Quitting?

Die Herkunft des Arbeitsmarktphänomens ist umstritten. Einige sehen die „Tang Ping“-Bewegung (engl. lying flat, dt. flach liegen) sowie die „Bai lan“-Bewegung (engl. let it rot, dt. lass es verrotten) in China als Inspiration für das Quiet Quitting, andere wiederum sprechen dem Wirtschaftswissenschaftler Markt Boldger die Entwicklung dieses Phänomens zu. Boldger habe bereits 2009 das Phänomen auf einem Texas A&M Economics Symposium erläutert.

So richtig populär wurde Quiet Quitting jedoch erst über ein 17-sekündiges TikTok-Video, in dem ein Mittzwanziger, der Ingenieur Zaid Kahn (@zaidleppin) aus New York, über seine neue Erkenntnis Quiet Quitting sprach. Er beschreibt es als „not going above and beyond”, was sinngemäß heißt „nicht mehr leisten als notwendig“. Untermauert mit ein paar schönen Clips aus dem hippen New York und einer passenden melancholischen Musik, trendete das Video unter dem Hashtag #quietquitting auf den Social-Media-Plattformen vor sich hin. Et voilà – ein neuer Trend war da, gekommen, um zu bleiben?

Resignation auf dem amerikanischen Arbeitsmarkt

Laut einer Umfrage des Marktforschungsinstituts Gallupen betrieben im zweiten Quartal des Jahres 2022 bereits 50 Prozent der amerikanischen Arbeitnehmer*innen Quiet Quitting. Und das nachdem bereits die „great resignation” (die große Resignation) in den Hochphasen der COVID19-Pandemie ihren Feldzug durch die USA vollzog. Laut des „Bureau of Labor Statistics” (das amerikanische Amt für Arbeitsstatistik), verließen im Jahr 2021 47,8 Millionen Menschen in den USA ihren Job. Kein Abrackern mehr für die eigene Karriere: Hustle culture ade!

Betrifft uns in Europa, was die Amerikanner*innen treiben? Zwar liegen für Deutschland bzw. Europa noch keine genauen Zahlen vor, wie viele Menschen hierzulande Quiet Quitting bereits anwenden bzw. es betreiben würden. Doch „New Work”, also der Trend zu einer flexibleren und entspannteren Arbeitskultur, hat auch bei uns Einzug in die deutschen Unternehmen gefunden. So ist etwa das Arbeiten aus dem selbst ausgebauten Bus heraus keine Seltenheit mehr. Mit Meerblick lässt sich der Meeting-Marathon deutlich besser aushalten.

Eine Frau sitzt am Strand, mit Steinen gebaut steht dor Work Life Balance.

Unzufriedenheit oder Selbstachtung? – Eine Gretchenfrage

Egal, ob bei einer inneren oder einer richtigen Kündigung, in der Regel liegen negative Gefühle wie Unzufriedenheit, Ungerechtigkeit oder fehlende Wertschätzung durch Kolleg*innen oder Arbeitgeber*innen zu Grunde. Diese negativen Gefühle können die extrinsische Motivation beeinflussen, also die Motivation, mehr zu leisten, die durch äußere Anreize wie Geld oder Anerkennung entsteht. Sie schlagen sich aber auch auf die intrinsische Motivation nieder, also auf die Mehr-Machen-Motivation, die durch den eigenen Antrieb entsteht. Beides hat Einfluss auf die allgemeine Arbeitsmotivation oder sogar auf den grundlegenden Gemütszustand einer Person.

Die eigene gesundheitliche Verfassung: Das führt mich zu einer anderen Definition. Quiet Quitting kann auch als Achtung vor sich selbst gesehen werden. Die Einstellung lautet dann: Ich mache meine Arbeit gerne. Deswegen nehme ich mir den nötigen Freiraum, den ich brauche, um diesen Job noch so lange wie möglich machen zu können. – Schön, oder? Diese positive Deutung lässt das Quiet Quitting schon weniger bedrohlich für den Arbeitsmarkt wirken. Ich bin der Meinung, wir sollten alle ein bisschen mehr von dieser Art des Quiet Quittings in unser Leben lassen und diese positive Assoziation in die Welt tragen.

Unterschiedliche Arbeitskulturen in USA, China und Europa

Während die hustle culture, eine Arbeitskultur in der hartes Arbeiten und lange Arbeitszeiten als Schlüssel zum Erfolg gelten, in den USA und China also nun durch öffentliches Quiet Quitting im Zaum gehalten werden soll, findet das Phänomen in Deutschland bzw. Europa eher verdeckt statt. Eine Studie wie die des Meinungsforschungsinstituts Gallup existiert für Deutschland bislang noch nicht, insofern lässt sich über Quiet-Quitting-Aspekte und ihre Ausbreitung auf dem europäischen Arbeitsmarkt nur mutmaßen.

Wenn man das Phänomen als Selbstachtungsbewahrung und Burnout-Prävention betrachtet, kann das für Arbeitgeber*innen durchaus positiv sein. So auch für meine Arbeitgeberin, die GLS Bank, die den Trend zu mehr Work-Life-Balance sowie weniger Überstunden begrüßt und sogar aktiv fördert. Meine Kollegin Silke Bender hat in einem Interview mit Jobverde gesagt:

„In der GLS Bank arbeiten viele Menschen, die sich dazu entschieden haben, dass neben der Arbeit auch genug Zeit für beispielsweise ihre Familie oder ein Ehrenamt bleiben soll. Das unterstützen wir.“

In Sachen Zufriedenheit der Mitarbeitenden macht die Bank schon sehr vieles gut, und wer auf der Suche nach sinnstiftender Arbeit ist, wird hier auf jeden Fall fündig!

Sind wir weniger von Quiet Quitting betroffen?

So pauschal lässt sich das für die GLS Bank nicht beantworten. Als Arbeitgeberin, die sich der sozial-ökologischen Transformation verschrieben hat, hat die Bank jedoch einige Vorteile gegenüber anderen Unternehmen. Im Interview hat meine bereits erwähnte Kollegin erzählt, wie die GLS Bank Mitarbeiterzufriedenheit stärkt und so versucht, dem Trend des Quiet Quittings entgegenzuwirken.

Grundsätzlich ist zu erkennen, dass Arbeit nicht mehr nur ausreichend das Leben finanzieren soll, sondern auch für die Gesellschaft eine bedeutungsvolle Aufgabe widerspiegeln darf. Und das ist nicht nur ein neumodischer Wunsch der voguen Y´s und Z´s: Es ist schlicht nicht nur nicht verwerflich, sondern – ganz im Gegenteil – sogar äußerst erfüllend, fünf Tage die Woche acht Stunden lang Zeit damit zu verbringen, zufriedenstellend und sinnvoll zu arbeiten.

Globaler Wunsch: Arbeit mit Sinn

Sinnstiftende Arbeit von NGOs, gemeinnützigen Vereinen oder sozial und ökologisch ausgerichteten Unternehmen ist für viele Arbeitnehmer*innen mittlerweile ein zentraler Aspekt bei der Jobsuche. Auch deswegen, da diese meist eine positivere Mitarbeiterkultur haben als andere Unternehmen. Der Wunsch nach einer Arbeit mit Sinn sowie einer besseren Arbeitskultur verbreitet sich zunehmend global.

Durch die aktive Förderung der mentalen und physischen Gesundheit aller Mitarbeiter*innen kann ein Arbeitsumfeld geschaffen werden, in dem persönliche Entfaltungsmöglichkeiten sowie Gefühle von Zusammenhalt und Wohlbefinden entstehen. Menschen kommen dann gerne zur Arbeit und machen ihre Arbeit gut. Das würde ich gerne mal Andrea Nahles, Chefin der Bundesagentur für Arbeit, sagen, wenn sie darauf insistiert: „Arbeit ist kein Ponyhof!“ Oder Steffen Kampeter, Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände. Er verknüpft seine Forderung nach längeren Arbeitszeiten mit der Aussage: „Wir brauchen mehr Bock auf Arbeit!“

Auf Surfbrettern der Gelassenheit die Welle der Revolution reiten

Ja, Arbeit ist wichtig und ein großer Teil unseres Lebens, aber sie sollte uns Freude machen und uns mit Sinn erfüllen. Also lasst uns doch alle ein bisschen mehr den Wind des Quiet Quittings auf unseren Surfbretter der Gelassenheit genießen und so auf der Welle der Arbeitsmarktrevolution reiten. Aber natürlich nur, Ironie on, wenn wir unsere Motivation irgendwo im Bett oder bei einem flat white (Kaffee) wieder finden. Ironie off.

Was denkst du über das Thema? Wenn du interessante Beiträge über Quiet Quitting und New Work kennst, freue ich mich über einen Hinweis darauf in den Kommentaren.

Das vollständige Interview mit Silke Bender von der GLS Bank auf Jobverde kannst du hier nachlesen.

Zum Thema Personal / Human Resources habe ich einen Lesetipp auf dem Blog für dich: Drei Grundsätze für nachhaltige HR ohne Greenwashing.

Personal: 3 Grundsätze für nachhaltige HR ohne Greenwashing

  1. “Quiet Quitting setzt hier an: keine unnötigen Überstunden, keine Mails nach Feierabend und die Arbeitsgeräte bleiben im Urlaub aus. […] Im Interview hat meine bereits erwähnte Kollegin erzählt, wie die GLS Bank Mitarbeiterzufriedenheit stärkt und so versucht, dem Trend des Quiet Quittings entgegenzuwirken.”

    Okay, verstehe ich das richtig: Die GLS-Bank will darauf hinwirken, dass Mitarbeitende unnötige Überstunden machen, Mails auch nach Feierabend checken und Arbeitsgeräte im Urlaub nutzen? Das ist nicht nur illegal (allein schon der Teil mit “Mails nach Feierabend checken”), sondern auch ansonsten absolut empörend, unnötig, unproduktiv und ausbeuterisch.

    Ich hoffe, da liegt ein Missverständnis vor…

  2. Ein spannender Artikel über das Phänomen des “Quiet Quitting”! Dieses Konzept betont die zunehmende Bedeutung des persönlichen Wohlbefindens und der Work-Life-Balance, vor allem unter jüngeren Generationen. Es ist interessant zu beobachten, wie sich die Einstellung zur Arbeit verändert, insbesondere im Kontext des Arbeitsrechts. So wird z. B. die Achtung vor der eigenen Gesundheit und das Bedürfnis nach Freiräumen immer relevanter. Darina, wie sehen Sie die Auswirkungen dieser Trends auf die Unternehmen und deren Pflichten im Hinblick auf Arbeitszeiten und Überstundenregelungen? Könnte dies auch die Art und Weise verändern, wie Rechtsberater und Arbeitsrechtsexperten ihre Kunden beraten, etwa durch die Betonung von rechtlicher Absicherung und Flexibilität?

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