Purpose: Eigentum neu denken

Purpose: Eigentum neu denken

Immer wieder werden Ökopioniere von Konzernen aufgekauft. Gleichzeitig denken Unternehmen über nachhaltige Eigentumsformen nach. Zwei Herausforderungen, eine Antwort: Verantwortungseigentum — also Unternehmen, die „sich selbst gehören“. Daran arbeitet die Purpose Gruppe gemeinsam mit der GLS Bank.

Von Lothar Schmitz, Journalist

Im obersten Geschoss der ehemaligen Schnapsfabrik auf der Münchner Praterinsel herrscht an diesem Abend Startup-Atmosphäre. Anzug und Kostüm neben Jeans und Sneakern, vegane Smoothies neben Wein vom Prädikatsweingut, Designerstühle neben bunten Papphockern. Gut 40 Unternehmer*innen und Investor*innen sind an diesem Februarabend zum „Impact Salon“ der BMW Foundation Herbert Quandt zum Thema „Sinn und Gewinn — Unternehmenseigentum neu denken” gekommen.

Welches Potenzial neue Eigentumsformen für Unternehmen haben, weiß Armin Steuernagel, Hauptreferent des Abends. Der 29-Jährige baute mit drei Mitgründern die Organisation Purpose auf, zu der die Purpose Stiftung und zwei Beteiligungsgesellschaften, Purpose Ventures und Purpose Evergreen Capital, gehören. Was Steuernagel und seine Mitstreiter*innen antreibt: „Eigentum ist die DNA von Unternehmen. Es bestimmt, wer das Unternehmen kontrolliert und ob Vermögensmaximierung oder Sinn im Vordergrund stehen. Wer hier ansetzt, kann die besten Bedingungen schaffen, dass Unternehmen langfristig sinnorientiert wirtschaften können”, sagt er. Auf zwei Prinzipien komme es an:

1. Selbstbestimmung: Das Unternehmen wird von Menschen geführt, die mit dem Unternehmen verbunden sind. Wie ein Familienunternehmen wird es von Generation zu Generation weitergegeben, aber nicht in einer genetischen Familie, sondern in einer Werte- und Fähigkeitenfamilie.
2. Sinn-Orientierung: Gewinne sind kein Selbstzweck. Die Eigentümer*innen können das Unternehmen nicht für privaten Konsum versilbern oder Gewinne personalisieren. Sie sind also Treuhänder auf Zeit.

Steuernagel sieht darin die Voraussetzungen dafür, dass nicht ferne anonyme Shareholder, sondern leidenschaftliche, intrinsisch motivierte Unternehmer*innen das Sagen haben — jetzt und in Zukunft. „Das Unternehmen ist dann kein Spekulationsgut mehr, die Kontrolle wird weder nach Kaufkraft noch nach Vererbung weitergegeben, sondern nach Fähigkeiten und Werten.“

Selbstführung praktisch erproben

So revolutionär das klingt: Ganz neu ist das nicht. In Deutschland gibt es Konzerne wie Bosch oder Zeiss, die sich als Stiftungsunternehmen bereits seit vielen Jahren selbst gehören. Aber für die meisten kleinen und mittleren Unternehmen sind solche Formen zu komplex.

Hier kommt die Purpose Gruppe ins Spiel: Mittlerweile 27 Kolleg*innen auf der ganzen Welt haben bereits über 100 Unternehmen bei der Transformation in Verantwortungseigentum begleitet. Außerdem arbeiten sie täglich an der Erforschung und Kommunikation des weitgehend noch unbekannten Konzepts. „Da ist noch viel zu tun“, sagt Jana Lessenich, Investmentpartnerin bei Purpose. „Eigentum neu denken, ohne Finanzierung von Unternehmen neu zu denken — das geht nicht“, findet sie. „Als Investor erwartet man
üblicherweise, dass man für Geld Macht erhält — also Stimmrechte. Und dass man über einen Verkauf des Unternehmens an einen Konzern sein Investment zurückbekommen kann. Mit Verantwortungseigentum funktioniert das aber anders: Stimmrechte erhalten die Investoren nicht, und das Unternehmen kauft sich selbst zurück. Das heißt: Es zahlt schrittweise die Investoren aus.“

Die praktische Umsetzung läuft über Purpose Ventures und Purpose Evergreen Capital. Beide verwalten inzwischen rund 50 Millionen Euro. Geldgeber sind unter anderem die GLS Bank und die BMW Stiftung, aber auch die dänische Lotteriestiftung. Damit konnte bereits der zweitgrößte Biogroßhändler der USA vor einem Verkauf an einen Konzern gerettet und das Unternehmen in Verantwortungseigentum überführt werden. Auch kleineren Biopionieren hat Purpose bereits beim Eigentumsübergang geholfen, beispielsweise
— gemeinsam mit der GLS Bank — Arche Naturprodukte. Nicht zuletzt ist Purpose für Start-ups wie Wildplastic attraktiv, die ihren Kund*innen und Mitarbeiter*innen glaubhaft zusichern wollen: Wir stehen nachhaltig für Sinnmaximierung. Wir verkaufen Produkte, aber nicht unsere Ideen.

Jetzt geht es um Politik

Inzwischen geht es den Eigentumsneudenkern aber um mehr. Sie wollen die rechtlichen Rahmenbedingungen deutlich verbessern. Dafür haben sich 32 Unternehmen im Herbst 2019 in Berlin zusammengetan und die Stiftung Verantwortungseigentum gegründet. Zu den Mitgründer*innen zählen unter anderem Alnatura und die GLS Bank. Sogar Bundes-wirtschaftsminister Peter Altmaier und Noch-CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer waren zur Gründungsfeier gekommen. Am nächsten Tag titelte das Handelsblatt: „Der deutsche Mittelstand will sich unverkäuflich machen.“ Auf Nachfrage versicherte Altmaier den Journalist*innen, dass er einer neuen Rechtsform nicht im Wege stehen würde. Damit scheint es Purpose gelungen zu sein, das Thema in der Mitte der Gesellschaft zu platzieren. Dazu nochmals Steuernagel: „Diese Zustimmung ist für uns ein klares Zeichen: Wir brauchen eine neue Rechtsform, die ein Unternehmen nicht zwangsläufig zu persönlichem Vermögen macht. Auch, um gerade in Krisenzeiten Unternehmen vor der Übernahme durch Spekulanten zu schützen.“

Engagement der GLS Bank

„Im Grunde beschäftigen wir uns seit unserer Gründung mit Eigentumsfragen. Es gehört zu unserer Grundüberzeugung, dass sich Nachhaltigkeit und eine hohe Rendite für wenige Shareholder nicht miteinander vertragen. Wir freuen uns, dass dieser Gedanke offenbar langsam aber sicher in der breiteren Wirtschaft ankommt.“

Cornelia Roeckl, GLS Bank, Abteilungsleiterin Branchen und Strukturierte Finanzierungen 

Zwei der Purpose-Unternehmen

elobau
Das mittelständische Unternehmen ist mit 950 Beschäftigten und einem Jahresumsatz von 115 Millionen Euro Weltmarktführer auf dem Gebiet von Bedienelementen und Sensor-systemen. Seit 2016 gehört elobau sich selbst und kann nicht verkauft werden. Es ist sicher kein Zufall, dass damit auch die Umstellung der Produktion in Richtung Kreislaufwirtschaft sowie neue Modelle von Mitarbeiterteilhabe einhergehen.
Mehr zu elobau

SHQUARED
Das Münchner Start-up steht für shared square, also geteilten Raum oder Parallelnutzung von Flächen. „München und andere Städte leiden unter extremer Flächenknappheit. Dadurch können viele kreative Konzepte nicht verwirklicht werden“, sagt Mitgründerin Nastasia Broda. Warum also nicht zum Beispiel Restaurants, Clubs oder Läden außerhalb der Öffnungszeiten zweitnutzen lassen? „Das spart Ressourcen, schafft Raum für Selbstverwirklichung und ermöglicht ganz neue Partnerschaften.“ Diese Idee wollen die vier Gründer*innen auf keinen Fall durch Verkauf preisgeben. Darum wurden sie Purpose Unternehmen. „Ein Unternehmen macht doch nur Sinn, wenn ich damit einen wirklichen Mehrwert für die Gesellschaft schaffe“, findet Broda.

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Ein Artikel aus dem GLS Kundenmagazin Bankspiegel zum Thema “Neu denken – So geht Transformation”. Diesen und viele andere spannenden Artikel finden Sie im Blog. Alle Ausgaben des GLS Bankspiegel als PDF finden Sie unter: https://www.gls.de/bankspiegel/.

  1. Maria Schmider

    Eigentum neu denken
    das finde ich genial, eigentlich kommt es ja aus der Übergabe von Höfen wie diese in der Schwarzwälder Tradition weitergegeben wurden, indem Fall ja vererbt, an den der Die Fähigkeiten und den Willen dazu hat.
    Letztendlich sind wir nur Verwalter des Hofes bis der in die nächste Generation geht nach der Nachhaltigkeit orientiert bei den Waldbauern, denn was der Opa gepflanzt hat, kann der Enkel ernten und so dass er entnimmt was er braucht und nicht ausbeutet.
    Leider haben Umweltbedingungen durch Stürme und Trockenheit mit eingeschleppten Krankheiten und Schadbildern dem Wald derart zugesetzt, dass es für alle Auswirkungen haben wird.
    Jetzt brauchen wir die Transformation weg von der Gewinnmaximierung und dem ewigen Wirtschaftswachstum, das soviele Ungerechtigkeiten und Umweltbelastungen zulässt.
    Ich drück ihnen die Daumen dass es einen großen Systemwechsel geben kann,

    • Fred Marschall

      Hallo Maria,
      Genau diese Vererbbarkeit eines Hofes steht steht einem Gemeinützigkeitskonzept entgegen, weil eben bei den Erben nicht immer einer dabei sein muss , der das Gemeinnützige gut und nützlich findet. Selbst der Pflichtteil kann dann das Unternehmen zerstören. Das Erbrecht sollte also zugunsten des gemeinnützigen Unternehmenskonzeptes zurücktreten.

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