Muss es in der Wirtschaft immer Gewinner und Verlierer geben? Nein! Das ist kein Naturgesetz, sondern wir alle könnten das ändern. Davon sind viele in der GLS Community überzeugt — und stoßen damit zusehends auf große Resonanz.
Die auf die Sehnsucht setzt
Wer Sarah Mewes begegnet, muss nicht befürchten, von ihrer Sicht auf Wirtschaft überrollt zu werden. Ganz im Gegenteil: Es empfehlen sich gutes Zuhören und gezieltes Nachfragen. In alternativen Wirtschaftskreisen ist das nicht immer so. Bei Themen wie Zinskritik oder Geldschöpfung werden Protagonist*innen schnell vehement. Nicht aber Mewes: „Was es braucht, sind Zukunftsszenarien für unser Handeln, die Sehnsucht wecken.“ Druck auf-zubauen, ist nicht ihre Sache. Sie setzt auf die Attraktivität eines guten Lebens statt auf Wachstum und Beschleunigung. Um daran zu arbeiten, hat sie ZOE mitgegründet, das Institut für zukunftsfähige Ökonomien.
Die Vorgeschichte beginnt bereits mit der Finanzkrise 2008. Diese löste nicht nur Kurseinbrüche und wirtschaftliche Notlagen aus, sondern stellte auch die etablierten Ideologien infrage — zumindest bei vielen Studierenden. Sie wollten neue Denkansätze für die Wirtschaft, fanden aber an den Hochschulen erschreckend wenig dazu. Darum schlossen sich Studierende zum Netzwerk Plurale Ökonomik zusammen und begannen, selbst organisiert zu lernen und zu forschen. Eine Handvoll von ihnen gründete vor drei
Jahren das ZOE Institut, um die Erkenntnisse in Politik und Unternehmen zu bringen.
Was sind nun die Bilder einer lebenswerten Zukunft, von denen Mewes erzählt? Zunächst bezieht sie sich auf ihre Lehrerin Prof. Silja Graupe von der Cusanus Hochschule und beschreibt Wirtschaft mit dem Bild eines Gartens: „Es geht um ein bewusst gestaltetes Miteinander und um den Erhalt der Ressourcen. Alle Elemente sind im Einklang, mit Blick auf das große Ganze.“ Das Leben in einem solchen Garten wäre allemal attraktiver als in der Megamaschine, in der wir uns menschheitlich derzeit befinden. Dazu gehört auch ein neues Verständnis von Arbeit: „Wir brauchen neue Formen der Zusammenarbeit und damit einen größeren Sinn unserer Arbeit über den Arbeitsplatz hinaus.“ Dass Menschen in ihrer Arbeit aufblühen können, ist ein oft noch ungenutztes Potenzial. Das erkennen auch immer mehr mittelständische Unternehmen. Hier setzt ZOE mit Beratung und Prozess-begleitung an. „Mehr als die Hälfte aller Arbeitsplätze sind in KMUs. Da können wir was bewirken“, sagt Mewes. Auch in der Politikberatung sind sie aktiv, insbesondere auf europäischer Ebene. Im September veranstaltet ZOE für die EUKommission eine Konferenz über wachstumsunabhängiges Wirtschaften. „Es geht uns darum, Gestaltungsräume sowohl im Großen als auch im Kleinen zu ergreifen“, so Mewes.
Der widerständige Utopist
Wer Alexander Repenning treffen will, der passt ihn am besten auf einer seiner vielen Reisen quer durch die Lande ab. Seit ein paar Monaten arbeitet er bei der Right Livelihood Foundation, die den Alternativen Nobelpreis vergibt. Im Herbst 2019 brachte er mit Luisa Neubauer ein Buch heraus: „Vom Ende der Klimakrise. Eine Geschichte unserer Zukunft“. Was fällt dem 30-Jährigen spontan zu „Wirtschaft neu denken“ ein? Überraschenderweise als Erstes das lang tradierte Wissen von indigenen Völkern, insbesondere aus der Andenregion. „Da ist ein tiefes Verständnis dafür, dass wir Teil eines interdependenten Systems sind: Wir befinden uns in einer Wechselbeziehung zur Mutter Erde.“
Gerade Menschen, die in einfachen Verhältnissen leben, hätten dazu oft einen viel direkteren Zugang. „Eine solche Ökonomie ist direkt auf die menschlichen Grundbedürfnisse ausgerichtet.“ Jetzt komme es darauf an, dieses Wissen vom guten Leben in politisch handhabbare Konzepte umzusetzen. „In Bolivien und Ecuador haben die Rechte von Mutter Erde bereits Verfassungsrang bekommen“, so Repenning. „Entscheidend ist unsere Haltung: Sehen wir die Erde als einen Ressourcenpool, an dem wir uns einfach bedienen können? Oder achten wir auf Kreisläufe und auf die Balance des ökosozialen Systems?“
Darum geht es auch in den „realen Utopien“ Europas, über die Repenning 2017 ein Buch geschrieben hat. „Diese sozial-ökologischen Projekte können dazu beitragen, dass die gegenwärtige Ökonomie bröckelt.“ Für eine systemische Transformation sei aber zweierlei nötig: erstens der Aufbau von Alternativen und zweitens der Widerstand gegen das be-stehende System. Wichtige Erfahrungen in diese Richtung hat Repenning in Klimacamps gemacht, wo „Visionen einer zukünftigen Gesellschaft mit einer widerständigen Praxis Hand in Hand gehen.“ Denn alle gesellschaftlichen Errungenschaften seien erkämpft worden, von der Abschaffung der Sklaverei bis hin zum Frauenwahlrecht. „Für eine klimagerechte Ökonomie müssen wir einige Gewohnheiten und Privilegien aufgeben. Viele Menschen werden das als einen Verlust empfinden.“ Wesentlich sei darum eine Fokussierung auf die menschlichen Bedürfnisse. Das ist Sinn und Zweck einer Ökonomie des menschlichen Maßes, die sich im Einklang mit der Natur entwickelt. „Buen vivir“ heißt das in der Andenregion, also „gutes Leben“.
Die Vorstandsflüsterin
Sabine Nallinger treffe ich in der Berliner GLS Filiale bei einem kleinen Meeting mit Luisa Neubauer von Fridays for Future und einigen Unternehmensvertreter*innen. Sie ist Vorständin der Stiftung 2° — Deutsche Unternehmer für Klimaschutz, einer Initiative von derzeit 19 Unternehmensvorständen, unter anderem von thyssenkrupp, ALDI SÜD und EnBW. Politisch sozialisiert wurde sie in einem ganz anderen Milieu, nämlich in der Umwelt- und Friedensbewegung der 80er-Jahre. „Damals gab es viel Freund-Feind-Denken“, sagt Nallinger rückblickend. „Deshalb sind unsere Impulse verpufft, weil wir in der Ausein-andersetzung stecken geblieben sind. Keiner wollte seinen Standpunkt verlassen.“ Tatsächlich sei die Wirtschaft über lange Jahre der Bremser von Nachhaltigkeit gewesen. „Das hat sich aber geändert. Mittlerweile haben viele Wirtschaftslenker die Politiker überholt. Das ist eine riesige Chance“, so Nallinger. Wie es dazu kam? Mit Blick auf die Klimakrise müssen jetzt viele Geschäftsmodelle neu gedacht werden, etwa in Richtung Kreislauf-wirtschaft, Sharing-Economy oder Sektorkopplung. Dabei geht es um ausgesprochen langfristige Investitionen. „In den nächsten zehn Jahren muss die Stahlindustrie die Hälfte ihrer Anlagen ersetzen, die Chemie sogar 60 Prozent. Diese Anlagen sollen dann 40 Jahre und länger betrieben werden können. Das funktioniert nur, wenn die Politik jetzt verlässliche Weichenstellungen beschließt.“
Denn unter den bisherigen Rahmenbedingungen würden sich klimafreundliche Anlagen nicht rechnen. Gleichzeitig seien Banken nicht mehr bereit, klimaschädliche Anlagen zu finan-zieren. Auch dies sei ein Grund, warum viele Unternehmen zunehmend Druck auf die Politik für eine nachhaltige Klimapolitik ausübten. „Dazu kam, dass im letzten Jahr die Fridays-Bewegung in manch einem Unternehmen Einzug gehalten hat — durch die Kinder von Führungskräften. Da wird eine neue Generation wirksam“, so Nallinger. „All das ist vor fünf Jahren so noch nicht möglich gewesen.“ Sie hat große Hoffnung, dass „der Impuls der Jugend dieses Mal aufgegriffen wird.“
Die Bilderschafferin
Eher zufällig treffe ich Silja Graupe, die erwähnte Hochschullehrerin von Sarah Mewes. Sie kam zu einem Workshop über ökonomische Bildung in die GLS Bank. „Mich ärgert, dass wir versuchen, Schüler und Studierende zu Maschinen auszubilden durch rein kognitives Lernen und die reine Verarbeitung von fertigen Wissensbeständen. Und wenn sie schließlich in die Arbeitswelt kommen, dann sagen wir zu ihnen: Ihr seid schlechter als die Maschinen.
Das hätte uns aber von vorneherein klar sein müssen! Denn die humane Intelligenz und damit die Stärken des Menschen liegen eigentlich ganz woanders.“ Als Ergebnis der derzeitigen ökonomischen Standardbildung sieht sie eine „mitleidlose Distanziertheit“, die derzeit das Handeln in der Wirtschaft präge. Was wir zukünftig in der Ökonomie bräuchten, sei aber ein „reflektiertes Mitfühlen, ein Hineinversetzen in fremde Perspektiven, begründete Wertvorstellungen und verantwortliches Handeln“. Dafür arbeitet Graupe mit Bildern; beispielsweise fragt sie ihre Studierenden: „Wie verhaltet Ihr Euch in einer fremden Welt, auf Reisen oder zu Gast? Was wäre, wenn wir uns gegenüber der Natur so verhielten? Wie sähe eine solche Wirtschaft aus?“ Sie erzählt aus ihrer Lehrtätigkeit, dass die jungen Leute sehr offen seien für solche Ansätze. Wesentlich sei dabei zunächst gar nicht so sehr die Kritik am bestehenden System, sondern neue Narrative zu schaffen und an der Fähigkeit zur Imagination für eine positive Gestaltungskraft zu arbeiten. „Ich sehe eine Aufbruch-stimmung“, sagt sie abschließend, „gerade auch in Krisenzeiten. Andere Welten sind möglich!“
Kann es sein, dass sich die unsichtbare Hand der Ökonomie gerade zurückzieht? Bislang galt frei nach Adam Smith: Wenn alle Menschen nur auf ihr eigenes Wohl achten, dann führt das zu einer optimalen Produktion und zu einer gerechten Verteilung — wie von Zauber-hand. Die globalen Krisen stoßen uns jetzt aber darauf, dass wir selbst in der Verantwortung stehen. Dafür müssen wir einen Blick aufs Ganze gewinnen und handeln. — Höchste Zeit, mit dem „guten Leben“ anzufangen.
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[green_box]Ein Artikel aus dem GLS Kundenmagazin Bankspiegel zum Thema „Neu denken – So geht Transformation“. Diesen und viele andere spannenden Artikel finden Sie im Blog. Alle Ausgaben des GLS Bankspiegel als PDF finden Sie unter: https://www.gls.de/bankspiegel/. [/green_box]
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