Neues Traditionshaus: Ledigenheim in Hamburg

Wenn Menschen aus tiefstem Herzen solidarisch miteinander sind, verliert Geld seine Bedeutung, das zeigt das Beispiel des Ledigenheim in Hamburg. Das Fortbestehen des Hauses konnte durch das Engagement vieler Menschen gesichert werden.

Nachbarschaft in Gefahr

In Hamburg begann mit der Entdeckung eines Gebäudes eine Utopie: Vor mehr als zehn Jahren suchte Antje Block im Anschluss an ihr Studium als Industriedesignerin zusammen mit ihrem Kollegen Jade Jacobs, der Visuelle Kommunikation studiert hatte, einen Platz zum Arbeiten und Gestalten. Nicht weit von der Michaeliskirche entfernt sah sie in einem Fenster einen Zettel, der auf freie Räume hinwies. Dass das Haus in der Rehhoffstraße, in dessen Erdgeschoss sie daraufhin einzogen, eine besondere Geschichte hatte, wussten beide zu diesem Zeitpunkt nicht.

Gemeinsam für bezahlbaren Wohnraum: Jade Jacobs und Antje Block, Stiftung Ros, sowie Susanne Kratt, GLS Bank
Gemeinsam für bezahlbaren Wohnraum (v.l.n.r.): Jade Jacobs, Antje Block (Stiftung Ros) und Susanne Kratt (GLS Bank)

Das sogenannte Ledigenheim – eines der letzten in Deutschland – war 1912 im Zuge des sozialreformerischen Wohnungsbaus entstanden. Alleinstehenden Männern sollten ein Leben ohne Not und ein behütetes Zuhause in familienähnlichen Strukturen geboten werden. In einer Hafenstadt wie Hamburg bestand die Wohnklientel vorrangig aus Seeleuten und Hafenarbeitern.

Als Block und Jacobs Ende der Nullerjahre in diese Nachbarschaft kamen, war sie deutlich heterogener; in den Zimmern wohnten nun Männer unterschiedlicher Berufsgruppen, Bildungshorizonte und Herkünfte. Was sie damals einte, war die Angst, ihre Bleibe zu verlieren: Ein dänischer Investor hatte den Wohnkomplex gekauft und wollte das Wohnprojekt auflösen. „Die Bewohner waren aufgebracht“, erzählt Block beim Gespräch im ehemaligen Speisesaal des denkmalgeschützten Hauses, wo sie und Jacobs ursprünglich ihre Büroräume eingerichtet hatten.

„Wir haben uns damals gefragt: Sollen wir unserer beruflichen Vorstellung weiter nachjagen oder unseren Nachbarn in einer existenziellen Lage zur Seite stehen?“, ergänzt Jacobs. Dass diese Entscheidung ihre Leben veränderte und sie am Ende für eine Immobilie verantwortlich wurden, war nie geplant.

Nachbarn als Glücksfall

Eine wichtige Rolle bei der Rettung des Ledigenheims spielte Michael Gerdes. Der gelernte Maschinenschlosser lebt seit 16 Jahren im Ledigenheim und ist in dieser Zeit zu einer Art Sprecher für die Bewohner geworden. „Als ich die Kündigung in meinem Briefkasten fand, wusste ich: Jetzt müssen wir kämpfen.“ Er informierte damals die Hamburger Medien, sorgte dafür, dass sogar der NDR berichtete, und wandte sich — ein Glücksfall — an die beiden Nachbarn aus dem Erdgeschoss. Ob die nicht vielleicht auch helfen konnten? Sie konnten und wollten.

„Die Abmachung lautete: Ihr kämpft und zieht nicht aus, und wir unterstützen euch dabei, bleiben zu können.“ Antje Block

Es sei nicht nur ihr persönlicher Einsatz gewesen. Ohne die Initiative der Bewohner, ohne die vielen Spenden, ohne die Hamburger Politik und Verwaltung und letztlich die GLS Bank, die den Kauf des Hauses für die Stiftung absicherte, wäre diese Geschichte so nicht geschrieben worden. Weder Block noch Jacobs beziehen für ihre Arbeit ein Gehalt. „Wir haben nur geringe Lebenshaltungskosten und brauchen beide nicht viel, um gut zu leben“, erklärt Jacobs.

Die Türen sind immer offen

Die Geschichte des Ledigenheims hat eine gute Wendung genommen und sie ist noch lange nicht auserzählt. Bald sollen Sanierungs- und Umbauarbeiten beginnen. Das im Zweiten Weltkrieg zerstörte Dachgeschoss wird denkmalgerecht rekonstruiert.

Modernisierungsmaßnahmen wie der Einbau eines Fahrstuhls und altersgerechter Sanitär- und Sozialräume sollen den Lebensstandard der Bewohner heben. Aber es ist auch ein Haus für die Nachbarschaft und darüber hinaus. „Unsere Türen sind immer offen“, sagt Block — und das gilt wortwörtlich. Es muss schon sehr stürmen und regnen, dass Türen und Fenster des Saals im Erdgeschoss einmal geschlossen sind. Kulturelle Veranstaltungen wie Lesungen und Konzerte, die durch die Pandemie nur eingeschränkt möglich waren, sollen zeitnah wieder häufiger stattfinden. Jeder ist hier herzlich eingeladen; weder für den Kaffee noch für eine Lesung wird ein Beitrag erwartet.

Vor dem Ledigenheim in Hamburg
Abendstimmung: Die Rehhoffstraße ist eine ruhige Wohngegend mitten in der Millionenstadt Hamburg.

Und immer willkommen sind Menschen, die helfen möchten, das Ledigenheim als ein Haus des sozialen Zusammenhalts und des Miteinanders zu erhalten, ob mit Spenden, Ideen oder dem Bereitstellen eigener Talente. Ein Haus, das auch Menschen in schwierigen Lebenslagen eine Perspektive bietet — in einer Großstadt wie Hamburg sind solche Projekte fast utopische Orte.

 

Ledigenheim Hamburg
Das Ledigenheim in Hamburg bietet heute mehr als 100 Männern einen Wohnraum mit sozialer Einbindung. Susanne Kratt, zuständige Firmenkundenbetreuerin der GLS Bank, findet besonders spannend an dem Projekt, dass hier weder eine Projektgesellschaft noch eine klassische gemeinnützige Organisation mit einem Finanzierungswunsch an sie herantrat, „sondern eine eigentlich private Initiative, die jedoch einen rein sozialen Ansatz verfolgt und dabei eine große Herausforderung annahm.“ Dass das Projekt gelinge, hänge auch damit zusammen, dass die beiden Verantwortlichen darauf verzichtet haben, Stellen einzurichten, um sich ihre Arbeit entsprechend vergüten zu lassen. „Das Konzept, das Ledigenheim zu erhalten und gleichzeitig einen offenen Begegnungsort zu schaffen, ist für die Gesellschaft ein Gewinn.“

Stiftung Ros
Die gemeinnützige Stiftung Ros wurde 2013 von Antje Block und Jade Jacobs ins Leben gerufen. Der Name spielt auf ein bekanntes deutsches Weihnachtslied an, das beide bei einem Konzert in der dem Ledigenheim benachbarten Michaeliskirche (dem Hamburger „Michel“) hörten — der Name war geboren. Vorrangig soll mit der Stiftung das Ledigenheim in Hamburg erhalten werden. Übergeordnetes Ziel ist laut Selbstbeschreibung, ein Instrument zu schaffen, um mit den jeweils aktuellen gesellschaftlichen Herausforderungen besser umgehen zu können und im Sinne des Schönen, Wahren und Guten an der Gestaltung der Welt mitzuwirken.

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Fotos: Severin Wohlleben

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