Bargeld abheben, eine Rechnung online begleichen, für ein neues Haushaltsgerät einen Kredit aufnehmen: Das ist für uns Alltag und selbstverständlich. Viele Menschen haben diese Möglichkeiten jedoch nicht. Allein im globalen Süden besitzen rund zwei Milliarden Menschen keine Konten oder Versicherungen. Diesen Zustand wollen Mikrofinanzierungen verändern. Sie verschaffen Menschen mit geringem oder gar keinem Einkommen einen Zugang zu den Angeboten von Banken, etwa zu Darlehen. Kleine Kredite haben das Potenzial, Menschen im globalen Süden dabei zu unterstützen, Geld als Gestaltungsmittel zu nutzen.
[grey_box]Globaler Süden – kurz erklärt von der Bundeszentrale für politische Bildung
Mit dem Begriff „Globaler Süden“ wird umschrieben, dass bestimmte Länder und Regionen eine politisch und wirtschaftlich benachteiligte Position in einer globalisierten Welt einnehmen. Das sind beispielswiese viele Regionen oder Länder mit Kolonialerfahrung. Dabei ist Süden hier keine rein geografische Zuordnung, da Länder des globalen Südens auch auf der Nordhalbkugel liegen können und beispielsweise Australien auf der Südhalbkugel als Industriestaat nicht zu diesen Ländern gezählt wird. Anders als mit dem Begriff „Entwicklungsländer“ soll betont werden, dass Ungleichheiten kein Merkmal einzelner Länder sind, sondern sich weltweit in unterschiedlichen Konstellationen wiederfinden.[/grey_box]
Soziale Missstände auf der Welt
Es gibt viele soziale Missstände auf der Welt. Armut, Hunger, fehlender Zugang zu Trinkwasser, unzureichende Bildungsmöglichkeiten, Diskriminierung von Frauen, um nur einige zu nennen. Missstände tauchen gehäuft in den Ländern des globalen Südens auf, früher als Entwicklungs- oder Schwellenländer bezeichnet. Die Mehrzahl dieser Länder liegt in Afrika, Latein- und Südamerika sowie Asien. Viele Menschen dort leben in ärmlichen Verhältnissen. Sie können sich nicht gegen Unwetterkatastrophen oder Dürreperioden absichern oder auf die Hilfe des Staates hoffen. Sie können kein Geld für ihre Altersvorsorge zurücklegen, haben oft noch nicht einmal die Chance, überhaupt etwas sicher ansparen zu können. Auch im Kosovo, der Ukraine oder in Polen, also in unmittelbarer Nachbarschaft zu Deutschland, ist ein Bankkonto keine Selbstverständlichkeit.
Zur Veränderung dieser Situation haben sich sogenannte Mikrofinanzinstitute (MFIs) entwickelt: Unternehmen, die zur finanziellen Inklusion beitragen, indem sie Kleinst- und Kleinkredite bewilligen. Ihre eigenen Kosten decken die MFIs durch die Zinsen, die sie einnehmen. Bei dieser Struktur ist es entscheidend, dass alles mit rechten Dingen zugeht. Arbeitsweise und Kreditbedingungen, Management und wirtschaftliche Stabilität der Institute werden regelmäßig überprüft.
[grey_box]Die Mikrofinanzierung
… vergibt Kleinkredite an Menschen mit keinem oder geringem Einkommen, an kleine Unternehmen sowie an Existenzgründer mit erschwertem Zugang zu Bank- und Finanzdienstleistungen. Im globalen Süden werden meist Kleinstbeträge zu Sicherung und Aufbau einer dauerhaften Existenz vergeben. Das Volumen eines Kredites hängt von den Laufzeiten und dem Einkommensniveau des jeweiligen Landes ab. Es bewegt sich meist zwischen 50 und 5.000 Euro.[/grey_box]
Uganda: Umfangreiches Leasingpaket fürs Bodaboda
In Uganda heißen Motorräder Bodabodas. Mit ihnen werden – neben Mofas, Rikschas, Tuk-Tuks etc. – Personen befördert. Die Fahrer müssen ihr Bodaboda aber nicht nur führen, sondern es auch erstfinanzieren und unterhalten können. Ganz zu schweigen von allen notwendigen Versicherungen. Das 2009 gegründete Mikrofinanzinstitut „Tugende“ bietet den Motorradfahrern ein umfassendes Leasing- und Finanzierungspaket. Darin enthalten sind Fahrerlaubnis, Kranken- und Lebensversicherung, Weiterbildung und technischer Support. Ein zukünftiger Fahrgastbeförderer erhält also nicht nur die finanziellen Mittel für sein neues Geschäftsmodell und den notwendigen offiziellen Beförderungsschein. Das MFI bietet ihm auch Beratung und Schulungen an, damit er sich betriebswirtschaftliches Basiswissen aneignen kann. Am Ende der Leasing-Laufzeit geht das Motorrad zudem in den Besitz des Fahrers über. Das Tugende-Team haben inzwischen mehr als 17.000 selbstständige Bodaboda-Fahrer finanziert und beraten – und ihnen damit eine Lebensperspektive gegeben.
Nicaragua und Ecuador: Ausbildung in Pestizid-Management
Die Menschen vor Ort aus- und weiterzubilden ist rund um den Globus einer der wichtigsten Faktoren für positive Wirkungen von Entwicklungsprojekten und Mikrofinanzierungen. Erst die Weitergabe von Erkenntnissen aus „Best Practice“-Beispielen führt zu einer ökologisch und sozial sinnvollen Verwendung finanzieller Mittel. Zu praktischen und theoretischen Grundlagen im Pestizidmanagement wurden 2020 beispielsweise ausgewählte lokale Expert*innen in Nicaragua und Ecuador geschult. In der Weiterbildung wurden alle relevanten Fragen zur lokalen Landwirtschaft behandelt: Welche Risiken bergen die Inhaltsstoffe der verwendeten Pestizide? Wie können Verpackungsabfälle umweltgerecht entsorgt werden? Gibt es Alternativen zur konventionellen Landwirtschaft und dem Pestizideinsatz?
Palästina: Siebdruckmaschinen für die eigene Marke
Das MFI „Faten“ bietet in Palästina sowohl Gruppen- und Individualkredite als auch Wohnraum- oder Start-up-Finanzierungen an. Frauen und Bewohner*innen in Flüchtlingscamps werden gezielt gefördert. Mit der Bereitstellung von Produkten und Dienstleistungen des Finanzmarktes will Faten den Menschen dabei helfen, ein eigenes Gewerbe oder Geschäft zu betreiben. Im Falle von „Habbar“ hat das hervorragend geklappt: Die Gründer wollten T-Shirts, Sweatshirts und Hoodies bedrucken. Sie führten eine Marktstudie durch und erkannten: Um die Marke Habbar zu kreieren, brauchen wir Siebdruckmaschinen. Also legten sie Faten einen Geschäftsplan mit allen erforderlichen Unterlagen vor und erhielten einen Kredit für den Kauf der Maschinen. Das Facebook-Profil des Bekleidungsgeschäfts zeigt eindrucksvoll, wie weit die Idee der Gründer getragen hat. Seit seiner Gründung Mitte der 1990er Jahre hat Faten übrigens die stolze Summe von rund 100 Millionen Euro als Kleinkredite vergeben.
[grey_box]Die Anfänge der Kleinstkredite
Die Idee, ärmere Menschen an Geldsystemen teilhaben zu lassen, ist eine globale – und sie reicht bis ins späte Mittelalter zurück. Im Jahr 1462 etwa kämpfte ein italienischer Mönch mit der Monte di Pietà, einem Pfandleihgeschäft, gegen den vorherrschenden Zinswucher. Bei ihm erhielten die Armen gegen ein Pfand kleine Kredite mit niedrigen Zinsen. Im 18. Jahrhundert etablierten sich in England einzelne Stiftungen, die kleinere Kredite zu günstigen Konditionen an junge Männer vergaben.
1778 wurde in Hamburg die erste Sparkasse gegründet – zur finanziellen Vorsorge breiter Bevölkerungsschichten. Vorläufer der Sparkassen waren Waisen- und Witwenkassen sowie öffentliche Leihhäuser. Im 19. Jahrhundert entstanden schließlich die Vorläufer der heutigen Volks- und Raiffeisenbanken: Die beiden Gründungsväter des Genossenschaftswesens, Hermann Schulze-Delitzsch und Friedrich Wilhelm Raiffeisen, gelten als visionäre Denker und Pioniere. Sie verfolgten den Grundsatz, wirtschaftliche und gesellschaftliche Probleme gemeinsam zu lösen – in einer Zeit, in der viele Bauern und Handwerker in Deutschland tief in die Verschuldung und Abhängigkeit von privaten Geldverleihern hineingerutscht waren.
Als Pionier der Mikrofinanzierung wird häufig die von Muhammad Yunus im Jahr 1983 gegründete Grameen Bank genannt. Im Rahmen eines Entwicklungsprojektes vergab er erstmals Kleinstkredite an arme Menschen in Bangladesch. Er wollte damit Armut bekämpfen und Emanzipation fördern. Für seine Pionierarbeit wurde Yunus 2006 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet.[/grey_box]
Faire und zuverlässige Beratung
Armutsbekämpfung und Emanzipation: Aus den ursprünglichen Motiven der Mikrofinanzierung haben sich inzwischen eine Reihe anderer entwickelt. Die finanzielle Inklusion, also der Zugang zu den Dienstleistungen von Banken für jeden Menschen, steht im Vordergrund. Das bedeutet, dass die Menschen auch Sparmöglichkeiten, Versicherungen sowie eine faire und zuverlässige Beratung erhalten. Diesen Zielen stehen oft enorme Herausforderungen gegenüber: weite Entfernungen zur nächsten größeren Stadt, schlechte Infrastrukturen, fehlende Ausweispapiere, geringer Verbraucherschutz und komplexe regulatorische Anforderungen.
Mikrokredite machen das Leben ein bisschen leichter. Mal wird mit ihnen ein effizienter Ofen angeschafft, mal eine Kühltruhe. Vielleicht auch Saatgut, Schulbücher oder eine Ziege. Sie können für die Verbesserung der Wohnungssituation oder die Weiterbildung der Kinder genutzt werden, mit ihnen lässt sich aber auch ein alter Kredit mit horrenden Zinsforderungen ablösen. Auf jeden Fall finanzieren die Klein- und Kleinstkredite unterschiedlichste unternehmerische Tätigkeiten.
Guatemala: Webkunst ist Teil der Familientradition
Das Weben hat Paula Calabay dabei geholfen, sich eine wirtschaftliche Existenz in Guatemala aufzubauen. Für die Mutter von zwei Töchtern ist die Webkunst sowohl Beruf und Einkommen als auch fester Bestandteil ihrer Familientradition, so wie für viele Frauen in den guatemaltekischen Bergregionen. Mit den Mikrokrediten, die Paula Calabay erhalten hat, konnte sie ihr Gewerbe ausweiten: Mittlerweile beschäftigt sie in ihrer Weberei acht Mitarbeitende und trägt damit zur positiven Entwicklung der Gemeinde bei. Die Stoffe und Handarbeiten aus ihrem Geschäft werden auf den Touristenmärkten in Antigua, Panajachel und Cobán angeboten.
Indien: Geld für die erste Nähmaschine
Ihre Begabung für das Anfertigen von Kleidungsstücken entdeckte Jayanti Sahoo aus der indischen Stadt Rourkela früh. Sie wollte ihr Talent unbedingt zum Beruf machen, aber ihre Familie konnte sie finanziell nicht unterstützen. Ein Freund machte sie auf die Mikrokredite aufmerksam. Anfangs zögerte Jayanti Sahoo vor der finanziellen Verantwortung, doch das Gespräch mit dem Institut überzeugte sie. Sie beantragte erfolgreich einen ersten Kredit, kaufte sich eine Nähmaschine und begann damit, Kleidung zu schneidern. Im Anschluss daran nutzten sie und ihr Ehemann einen zweiten Kredit zur Eröffnung eines Sticker-Shops. Die erfolgreiche Geschäftsfrau gibt ihr Wissen bereits seit mehreren Jahren an andere Frauen weiter und bildet sie zu Schneiderinnen aus.
Alternativ investieren: der Fonds der GLS Bank
Die sozial-ökologische GLS Bank hat 2016 mit dem „GLS Alternative Investments“-Mikrofinanzfonds einen Fonds mit breiter geographischer Streuung aufgelegt. Er ist zu mindestens 50 Prozent in Ländern mit geringen und mittleren Einkommen in Südeuropa, Lateinamerika, Asien sowie Afrika aktiv. Die Kredite werden unter anderem in Lokalwährungen ausgezahlt. Die dadurch wegfallenden Absicherungskosten können die MFIs in Form von geringeren Zinsen an ihre Kreditnehmer*innen weitergeben. Im Ausgangsjahr 2016 betrug das Fondsvolumen 54 Mio. Euro, im Jahr 2021 lag es bei 226 Mio. Euro. Ein unabhängiger Anlagebeirat hat spezielle Richtlinien für die Mikrofinanzierung erarbeitet (siehe Kasten) und überprüft diese auch regelmäßig.
[grey_box]Ausschluss- bzw. Negativkriterien des Fonds
- ausbeuterische Kinderarbeit,
- Raubbau an (Regen-)Wäldern
- Produktion oder Dienstleistungen, die (Land-)Rechte von indigenen Bevölkerungsgruppen gefährden oder verletzen
- intransparente Kostengestaltung für Kreditnehmer*innen[/grey_box]
[grey_box]Aufnahme- bzw. Positivkriterien des Fonds
- Menschen in ländlichen Gebieten
- ökonomische Beratung
- kleinbäuerliche Landwirtschaft
- Förderung der Geschlechtergerechtigkeit (women empowerment)
- Versicherungen
- soziale und ökologische Beratung
- Sparen
- Wohnen
- Zertifizierung und Transparenz
- Energieeffizienz und erneuerbare Energien
- Bildung
- Mikrofinanz für benachteiligte Gruppen[/grey_box]
Für die GLS Bank ist es entscheidend, dass die MFIs die Darlehen für sinnvolle und sozial-ökologische Kreditprogramme verwenden. Der ökonomische, ökologische und soziale Nutzen von Mikrofinanzierungen ist so am größten. Durch die gezielte Förderung von nachhaltigen Projekten, die die Ressourcen der Erde respektieren, entfalten kleine Kredite ihr höchstes Potenzial.
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