Archivbeitrag

Lasst uns über Tiere sprechen!

Meist sind wir uns einig in der GLS Gemeinschaft. Wir sind für Ökologie, eine gerechtere Welt und gegen Atomkraft und Massentierhaltung. Ungemütlich kann es aber werden, wenn es ganz grundsätzlich um Tierhaltung geht. Veganer haben dazu deutlich andere Ansichten als beispielsweise Ökolandwirte. Wenn es um Tiere geht wird es schnell emotional und persönlich. Verlassen wir also einmal unsere gemeinschaftlichen Überzeugungen und gehen hinein in diese Kontroverse.

Diskutiert mit uns hier im Blog, hinterlasst uns einen Kommentar mit Eurer Meinung zum Thema Tiere & Ernährung.

 

Auch mich lässt dieses Thema nicht kalt, spätestens nachdem ich letztes Jahr einigen Kindern mal wieder meine Bienen gezeigt habe, drei Völker, die im Garten stehen und fleißig Honig bringen. Eine Wabe hatte ich rausgeholt und die Kinder durften vom Honig kosten. Alle staunten und freuten sich. Dann schritt allerdings eine Mutter ein, eine Veganerin, wie sich herausstellte. „Meine Kinder nehmen den Bienen keinen Honig weg“, sagte sie. Ich war zunächst etwas sprachlos, dass überhaupt jemand auf die Idee kommt, meine schöne Bienenidylle infrage zu stellen. Mit den verbliebenen Kindern machte ich zunächst einfach weiter. Aber danach ratterten mir die Argumente durch den Kopf, warum ich im Recht bin: Es macht den Bienen bestimmt wenig aus, wenn etwas Honig fehlt. Jetzt im Spätsommer hängen die Bienen ohnehin oft in großen Trauben einfach im Stock herum und freuen sich vielleicht sogar, wenn sie die Wabe wieder schön in Ordnung bringen dürfen. Der Übergang von Arbeit zu Spiel ist auch bei Tieren oft fließend. Und überhaupt: Viele vegane Produkte kommen aus der industriellen Landwirtschaft, die unsere Bienen existenziell gefährdet. Die Spritzmittel sind das Problem, nicht das Honigernten. — Solche Gedanken setzten sich allmählich in mir fest und brachten damit wieder Ordnung in mein Weltbild, genauso wie das Bienenvolk wieder in seine Routinen verfiel, nachdem ich den Kasten mit dem Deckel verschlossen hatte.

Dennoch tauchten auch nach Wochen leise Zweifel auf. Nutze ich meine Bienen aus, wenn ich Honig ernte? Mit Blick auf den Bankspiegel musste ich außerdem feststellen, dass wir in den letzten Jahren eine Auseinandersetzung über Tierhaltung möglichst zu vermeiden suchten, nachdem einige Tierrechtler sehr aufgeladene E-Mails und Kommentare geschrieben hatten. Ein Kreditnehmer, der seine Hühner selbst schlachtet, wurde sogar einige Zeit lang beschimpft. Eine ungute Situation. Also machte ich mich auf den Weg.

Erste Station: Ein veganer Brunch

Bochum, sonntags um 13 Uhr. Ich bin mit einem GLS Kollegen verabredet. An der Türe treffe ich zufällig einen weiteren Kollegen und drinnen eine Kollegin. So exotisch sind sie also gar nicht, die Veganer. Jeder hat etwas mitgebracht und kann sich vom selbst gemachten Buffet bedienen. Echt lecker, vor allem die eine Hälfte mit den süßen Sachen. Es geht also auch ohne tierische Produkte.

Die Sitzplätze werden bald knapp. Die meisten hier sind unter 30. Wie die Lebensmittelindustrie auch schon festgestellt hat, strahlt diese Szene ein echtes Potenzial aus. Als ich meinen Notizblock auspacke und sage, dass ich über Tierhaltung schreibe, erhalte ich viel Aufmerksamkeit. Es sind vor allem die persönlichen Geschichten, die mich interessieren. Ein junger Aktivist erzählt, wie er zufällig auf YouTube gesehen hatte, was in einem Schlachthaus passierte. Das schockierte ihn so, dass er sich entschied: „Ich will niemanden mehr dafür bezahlen, dass er für mich intelligente Wesen tötet.“ Solche prägnanten Sätze höre ich dann immer wieder. Schnell wird deutlich, wie konsequent die Leute hier bereit sind, bestimmte Gedanken zu Ende zu denken — auch wenn sie als Folge ihr Leben ändern müssen.

Das ist großartig zu erleben. Und gleichzeitig erschütternd. Denn bin ich selbst ebenfalls dazu bereit? Es gibt auch ganz andere Geschichten, etwa die vom guten Leben. „Vegane Ernährung ist ein Gewinn für mich, kein Verzicht“, so eine Gesprächspartnerin. Der ganze Konsumwahn im Supermarkt kann ihr egal sein, weil sie nur ein paar wenige, qualitativ gute Produkte braucht. Das macht ihren Kopf frei für das, was wirklich wichtig ist im Leben. Ein großes Thema sind auch die ökologischen Folgen des Fleischkonsums: Zum Klimawandel trägt er mehr bei als Flugzeuge, Autos und alle anderen Transportmittel zusammen. Wer sich komplett ohne Fleisch ernährt, verursacht 60 Prozent weniger CO2-Emissionen. Sonst noch Fragen? Eine Ärztin ergänzt schnell im Vorbeigehen, dass laut WHO verarbeitetes Fleisch Krebs auslösen kann. Sie ist Onkologin und muss das wissen. Nach über zwei Stunden und zwölf beschriebenen Blättern meldet sich eine junge Frau, die schon länger schweigend dabeigesessen hat: „Ich will auch noch unbedingt etwas sagen.“ Sie erzählt, dass ein Drittel der weltweiten Getreideernte an Schweine verfüttert wird, mit der Folge, dass die Getreidepreise für die Armen steigen. — Ich bin erstmal bedient, habe keine Fragen mehr, aber großen Respekt vor allen meinen Gesprächspartner*innen.

Zweite Station: Fußgängerzone

Meine nächste Station ist samstagnachmittags in der Fußgängerzone. Hier bin ich mit Nadja Ismail verabredet. Sie organisiert den Cube of Truth, eine Aktion, die sich von Australien aus seit 2017 auch in Deutschland immer weiter ausbreitet. Ein starkes Bild: Zwölf Menschen stellen sich im Quadrat mit dem Rücken zueinander auf, weiß maskiert und schwarz gekleidet. In den Händen halten sie schwarze Tafeln, auf denen „Truth“ und „Wahrheit“ steht, sowie Laptops mit Videos aus der Massentierhaltung und Schlachtung. Die gezeigten Bilder sind schrecklich. „Das soll Fragen provozieren“, sagt Nadja. „Was ist die Wahrheit? Habe ich bisher in Lügen gelebt?“ Die Menschen sollen eine Verbindung zwischen dem herstellen, was in der Fleischindustrie passiert, und dem, was sie ansehnlich verpackt in ihren Einkaufswagen legen.

Nadja ist 19 und hat in Australien den ersten Cube gesehen. Zunächst war sie Vegetarierin. „Mir wurde dann aber deutlich, dass in Milch und Eiern sogar noch viel mehr Gewalt stecken kann als in Fleisch.“ Beim Cube ist sie meistens bei den Outreachern, sie führt also ohne Maske Gespräche mit Passanten. „Wichtig ist mir eine respektvolle Ebene. Niemand ist als Veganer geboren. Wir alle brauchen einen Anstoß, um unsere Gewohnheiten zu ändern.“ Auch die meisten Aktivisten*innen hinter den Masken sind jung. Sie gehören zu der Generation, von der die aktuelle Shell Jugendstudie sagt: Ihr politisches Engagement bringt sie weniger in traditionellen Organisationen ein, sondern in Konsumboykott und anderen Aktionen. Das politische Interesse junger Leute ist demnach seit 2002 von 31 auf beachtliche 40 Prozent gestiegen. Das ist auch hier zu spüren. Man fühlt sich als Teil einer globalen Bewegung. Per Facebook sind die weltweit über 400 Aktionsgruppen bestens vernetzt und unterstützen neue Initiativen. Für Ende Juni ist ein vierundzwanzigstündiger Cube in Berlin angekündigt, vermutlich ein Großevent.

Bleibt noch eine Frage, die mich als GLS Banker besonders umtreibt: „Ist denn Ökotierhaltung okay?“ Nadja antwortet sofort: „Nein!“ Das Töten von Tieren ist in jeder Hinsicht unethisch, „egal wie viel Grün sie vorher gesehen haben. Wir sollten die Tiere einfach in Ruhe lassen“, so Nadja. Auch in dieser Frage zeigt der Cube of Truth also klare Kante.

Dritte Station: Tiere vom Bärenbrunnerhof

Zwei Tage später bin ich unterwegs zum Bärenbrunnerhof, die letzten sechs Kilometer vom Bahnhof zu Fuß auf Wanderwegen durch den schönen Pfälzer Wald mit seinen roten Sandsteinfelsen. Landwirtschaft gibt es hier kaum noch. Die Böden sind zu sauer und die Sommer zu trocken. Wälder und Büsche breiten sich aus. Früher gab es hier überall offenes Weideland mit einer großen Artenvielfalt. Eine interessante Beobachtung: Die durch Tierhaltung entstandene Kulturlandschaft war attraktiv für viele Pflanzen und Wildtiere. Ohne Tierhaltung schwindet die Biodiversität wieder. Ganz andere Probleme waren auf dem Weg hierher zu sehen: großflächig industrialisierte Landwirtschaft, oft tierfrei mit Einsatz von chemischem Dünger. Ist das die Zukunft? Mit Chemie bewirtschaftete Flächen ohne Tiere auf der einen Seite, verwaldete Mittelgebirge mit wenig Vielfalt auf der anderen Seite?

[green_box] Ein Artikel aus dem GLS Kundenmagazin Bankspiegel. Diesen und viele andere spannenden Artikel finden Sie im Blog. Alle Ausgaben des GLS Bankspiegel als PDF finden Sie unter: https://www.gls.de/bankspiegel/. [/green_box]

Das Ehepaar Kill hat anderes vor. Auf ihrem Bioland-Betrieb leben 50 Kühe mit Jungvieh, 60 Schweine und 450 Hühner, eine Bilderbuchidylle zwischen aufragenden Felsen. Dazu kommen noch Hütehunde, Pferde und ein kleines Tierheim für Katzen, die im Laufe der Zeit hierher gebracht wurden und zu denen Nina Kill nicht Nein sagen konnte. Als ich ihr von den Cube-Aktivisten erzähle, sagt sie: „Das wäre sicher auch ein Weg für mich gewesen. Aber ich habe mich anders entschieden. Ich will an Alternativen arbeiten.“ Auf die Frage, wie sie Tiere essen kann, die sie vorher gekannt hat, fragt sie zurück: „Wie kannst du Tiere essen, die du nicht gekannt hast?“ Auch ihr ältestes Pferd, das sie von frühester Jugend an begleitet und mit 28 Jahren bald am Lebensende ist, soll geschlachtet werden. „Den Toni gebe ich doch nicht auf den Kadaverwagen. Er ist doch kein Müll.“

Heute ist Schlachttag auf dem Bärenbrunnerhof. Ich gehe mit Nina zum Stall und sie bringt ein Rind auf den Anhänger, ganz unaufgeregt, einer der Hunde bleibt auf Abstand immer dahinter. Die Fahrt im Schritttempo geht nur wenige Meter, denn die Kills haben ihr eigenes Schlachthaus. „Das Tempo bestimmen die Tiere“, sagt Nina, und die Tiere vertrauen ihr. Am Schlachthaus angekommen ist aber spürbar, dass es jetzt ernst wird. Auch Sebastian Kill und ein helfender Metzger sind voll konzentriert. Jetzt darf nichts schiefgehen. Für einige Sekunden ist die Stimmung angespannt, der Bolzenschussapparat wird aufgesetzt, das Rind betäubt, ins Schlachthaus fallen gelassen und durch einen gezielten Stich getötet. Das Blut fließt ab. Mir wird nicht schwarz vor Augen, aber schon etwas schummrig. Hier wurde aus einem Lebewesen plötzlich ein toter Körper, der dann mit handwerklicher Kunst und viel Kraft zerlegt wird.

Nachher spreche ich mit den Kills über diesen Moment. Nina sagt offen: „Je besser ich ein Tier kenne, desto schwerer fällt mir das Schlachten.“ Sebastian bezeichnet es als Scheidepunkt, wenn er im vertrauensvollen, ruhigen Umgang dem Tier plötzlich den Bolzenschussapparat aufsetzt. Spüren sie auch Trauer dabei, jede Woche vertraute Tiere zu schlachten? „Ja“, sagt Nina, „wenn wir viel schlachten, dann kann ich auch an mein Limit kommen.“ Die wirklich dramatischen Todesszenen, die sie schildern, stammen allerdings von kranken oder verletzten Tieren. Der Tod ist selten ein unbeschwertes Einschlafen, auch nicht in der freien Wildbahn. Es ist beeindruckend, wie Nina und Sebastian mit aller Empathie und Fachlichkeit auf ihre Tiere schauen, ihnen das bestmögliche Leben ermöglichen — und aus ihrer Sicht auch das bestmögliche Sterben.

Nach meiner Reise bin ich mir sicher: Unser empathischer Blick auf die Tiere — also versuchen zu verstehen, was sie fühlen, und wie wir verantwortlich mit ihnen umgehen können — wird sich in den nächsten Jahren und Jahrzenten noch zu einem großen Thema entwickeln.

Die Aktivisten, mit denen ich gesprochen habe, stehen dabei an vorderster Front. Eine solche Entwicklung braucht immer Kämpfer*innen, die kompromisslos für ihre Sache eintreten, wenn nötig auch konfrontativ, immer wieder radikal aus der Perspektive der Tiere geschaut. Was uns die Tiere zur Massentierhaltung sagen würden, ist klar: Das geht gar nicht! Aber wollten die Bärenbrunner Kühe tatsächlich nicht in ihrem idyllischen Tal leben, wenn sie wüssten, dass sie später geschlachtet werden? Und würden meine Bienen akzeptieren, dass für vegane Produkte Chemie auf die Felder kommt, wenn dadurch weniger Schweinemast betrieben wird? Fänden es die Mistkäfer, Tausendfüßler und Schmetterlingsraupen auf einer Kuhweide gut, wenn wir ihren Lebensraum für einen Sojaacker umpflügten? Oder dass daraus wieder Wald wird, weil es keine Tierhaltung mehr gibt?

Die möglichen Antworten zeigen: So schwarz und weiß wie am Cube of Truth ist die Welt nicht ganz. Es gibt auch einige Schattierungen und Farben. Christian Vagedes von der Veganen Gesellschaft Deutschland fragte in einem Interview: „Wie können ehemalige Ausnutz-Tiere Teil einer neuen Kultur werden, in der wir die Tiere in unsere Kommunikation einbeziehen?“

Lasst uns also über Tiere sprechen — und mit ihnen!

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Ein Artikel aus dem aktuellen Kundenmagazin der GLS Bank, den ganzen Bankspiegel gibt es hier: ZUM BANKSPIEGEL

Zum cube of truth: anonymousforthevoiceless.org
Zum Bärenbrunnerhof: baerenbrunnerhof.de
Zum Interview mit Christian Vagedes https://www.info3-magazin.de/bio-dyn-trifft-vegan/
Zum Tierzuchtfonds für eine artgemäße Tierzucht www.tierzuchtfonds.de
Zum Fleischatlas: https://www.boell.de/de/fleischatlas
How to talk with birds, trees, fish, shells, snakes, bulls and lions – Ausstellung im Hamburger Bahnhof
Weitere Artikel im Blog zum Thema: Ernährung
Die Sprachen der Tiere, Eva Meijer[/green_box]

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55 Antworten zu „Lasst uns über Tiere sprechen!“

  1. Avatar von Mariel Davies
    Mariel Davies

    Herr Zientz,

    vielen Dank für diesen wirklich gut geschriebenen Artikel. Was mich etwas verdutzt hat, ist die Überlegung dass eine vegane Ernährungsweise eine großflächige industrielle Landwirtschaft mit Einsatz von chemischem Dünger fördern würde.

    aus dem Artikel:
    „Ganz andere Probleme waren auf dem Weg hierhier zu sehen: größflächig industrialisierte Landwirtschaft, oft tierfrei mit Einsatz von chemischem Dünger.“
    „Würden meine Bienen akzeptieren, dass für vegane Produkte Chemie auf die Felder kommt, wenn dadurch weniger Schweinemast betrieben wird?“

    Vielleicht kommt der Gedanke aus dieser Überlegung: Würden viele Menschen keine Tiere mehr essen, würde weniger Gülle produziert, ein biologischer Dünger und somit der Verbrauch von chemischen Dünger gefördert.
    Das Gegenteil ist der Fall. Denn wofür werden die meisten „veganen Produkte“, also Getreide und Hülsenfrüchte, in industriell angebaut und verbraucht? Für Tiere. Schweine, Hühner und auch Kühe bekommen Soja, Mais und andere Getreide verfüttert.
    Würden viele Menschen keine tierischen Produkte mehr essen, bräuchten wir somit weltweit weniger Acker, Monokultur, Dünger allgemein und es würde vermutlich eine freundlichere Welt entstehen für Ihre Bienen.

    1. Avatar von Rouven Kasten
      Rouven Kasten

      Hallo Mariel Davies, danke für Deine gute Rückmeldung. Dieser Punkt ist tatsächlich im Artikel nicht ganz klar geworden: Die Mehrzahl der als vegan ausgezeichnete Produkte werden mit chemischen Spritz- und Düngemitteln in „ausgeräumten“ Landschaften hergestellt. Viele Veganer legen allerdings Wert auf Öko-Lebensmittel, und biovegan ist unserer Wahrnehmung nach immer stärker gefragt. Aber es gibt (noch) wenige biovegane Höfe und die Bodenfruchtbarkeit ohne tierischen Dung zu verbessern ist deutlich aufwändiger bzw. es gibt auch die Meinung, dass dies nur im Kleinen, nicht aber großflächig für die Welternährung möglich ist. Eventuell können Leser*innen eigene Erfahrungen dazu einbringen. Einstweilen ist es so, dass viele als vegan ausgezeichnete Lebensmittel dadurch für Tierleid sorgen, dass die industrialisierte Landwirtschaft Lebensräume von Singvögeln, Wildtieren, Insekten, u.a. zerstört. Das ist eine der vielen Widersprüchlichkeiten, in denen wir alle leben. Biovegan wir hoffentlich immer mehr zu einer Lösung. Rouven Kasten für Falk Zientz

    2. Avatar von Nathan V.
      Nathan V.

      Sehr geehrter Herr Kasten,

      die Widersprüchlichkeiten, in denen wir leben, sind speziell im Bereich des Tierkonsums gar nicht so groß als es mit dem „Vegan = Industrie und Chemie und auch schlecht für die Insekten“-Bild, mit dem Sie Ihre Argumentation untermauern, suggeriert wird. Mir ist aufgefallen, dass in den Texten immer wieder Begriffe vermischt oder nicht scharf genug getrennt werden. Dadurch redet man aneinander vorbei und eine saubere Argumentation wird erschwert. Ich habe einmal versucht, die betreffenden Begriffe herauszuarbeiten:

      „Bio-Produkt“ = ein Produkt aus kontrolliert ökologischer Landwirtschaft; je nach Kriterienkatalog EU-Bio, Bioland, Naturland oder Demeter („bio-dynamisch“)

      „vegan“ = „Veganism is a way of living which seeks to exclude, as far as is possible and practicable, all forms of exploitation of, and cruelty to, animals for food, clothing or any other purpose.“ (https://www.vegansociety.com/go-vegan/definition-veganism)

      „Veganes Produkt“ = ein Produkt, das veganen Kriterien entspricht; im Allgemeinen hat das Produkt keine Zutaten tierischen Ursprungs. Über die Form des Düngers in der Landwirtschaft wird derzeit eher selten eine Aussage getroffen.

      „als vegan ausgezeichnetes Produkt“ = ein Produkt, dass ein Vegan-Label hat. Davon gibt es verschiedene. Gemeinsamkeit: das Produkt hat keine Zutaten tierischen Ursprungs. Die meisten Labels machen gar keine Aussage über die Landwirtschaft, die die nicht-tierischen Zutaten erzeugt hat. Dies ist eine kleine Teilmenge von „veganen Produkten“ und daher für Argumentationen allgemeiner Art ungeeignet.

      „Bio und veganes Produkt“ = Kombination aus „Bio-Produkt“ und „Veganes Produkt“, z. B. Kartoffeln aus Bioanbau, mit oder ohne Tierhaltung für die Düngung.

      „Als veganes ausgezeichnetes Bio-Produkt“ = Kombination aus „Bio-Produkt“ und „als vegan ausgezeichnetes Produkt“, z. B. Kartoffeln mit V-Label (habe ich zwar noch nicht gesehen, aber das ist ja denkbar) oder ein veganes Bio-Tiefkühlfertiggericht. Dies ist eine kleine Teilmenge von „Bio und veganen Produkten“ und daher für Argumentationen allgemeiner Art ungeeignet.

      „Bio-veganer Landbau“ = Landwirtschaft, die ohne Züchtung von Wirbeltieren auskommt, siehe http://biovegan.org/

      Demnach muss es nicht gleich der noch fern liegende „Bio-vegane Landbau“ sein, um für Mensch, Tier und Umwelt hierzulande einen Weg aus der pestizid-behafteten und tierausbeuterischen Sackgasse aufzuzeigen. Mit „Bio und veganen Produkten“ auf unserem täglichen Speiseplan haben wir jetzt und heute schon greifbare Werkzeuge, um einen Riesenschritt vorwärts zu kommen.

      Viele Grüße

  2. Avatar von Keith Gelfert
    Keith Gelfert

    Ein gute Ausrede, trotz aller Erkenntnisse dann doch Tiere zu Essen, gibt es ja immer.

    Zitat: Wenn es um Tiere geht wird es schnell emotional und persönlich.

    Das stimmt, denn für die Tiere ist es immer emotional und was mit Ihnen passiert ist für sie sehr persönlich.

    Zitat: Es gibt auch einige Schattierungen und Farben

    Stimmt auch. 2 % ist ja Bio, also nur 98% Massentierhaltung. Übrigens haben die 2% Bio-Haltung mit dem Bericht und der Bauernhofromantik vom Bärenbrunnerhof nichts zu tun.

    Schöne Schattierung.

  3. Avatar von Aksel Uhl
    Aksel Uhl

    Danke für diesen Beitrag!
    Diese authentische, offene, kontroverse Auseinandersetzung brauchen wir: Eine dialogische Auseinandersetzung unterschiedlicher Perspektiven auf Augenhöhe und mit klarem Bewusstsein über unseren eigenen Schmerz.
    Wenn uns am Ende noch ein solcher Dialog mit dem konventionellen Massentierhalter gelingt, dann könnte Wandlung im Gange sein… ; )

    1. Avatar von Keith Gelfert
      Keith Gelfert

      Dialog auf Augenhöhe lässt leider die Tier und Umwelt außen vor, denn die stehen offensichtlich ganz weit unter uns.

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