Archivbeitrag

Lasst uns über Tiere sprechen!

Meist sind wir uns einig in der GLS Gemeinschaft. Wir sind für Ökologie, eine gerechtere Welt und gegen Atomkraft und Massentierhaltung. Ungemütlich kann es aber werden, wenn es ganz grundsätzlich um Tierhaltung geht. Veganer haben dazu deutlich andere Ansichten als beispielsweise Ökolandwirte. Wenn es um Tiere geht wird es schnell emotional und persönlich. Verlassen wir also einmal unsere gemeinschaftlichen Überzeugungen und gehen hinein in diese Kontroverse.

Diskutiert mit uns hier im Blog, hinterlasst uns einen Kommentar mit Eurer Meinung zum Thema Tiere & Ernährung.

 

Auch mich lässt dieses Thema nicht kalt, spätestens nachdem ich letztes Jahr einigen Kindern mal wieder meine Bienen gezeigt habe, drei Völker, die im Garten stehen und fleißig Honig bringen. Eine Wabe hatte ich rausgeholt und die Kinder durften vom Honig kosten. Alle staunten und freuten sich. Dann schritt allerdings eine Mutter ein, eine Veganerin, wie sich herausstellte. „Meine Kinder nehmen den Bienen keinen Honig weg“, sagte sie. Ich war zunächst etwas sprachlos, dass überhaupt jemand auf die Idee kommt, meine schöne Bienenidylle infrage zu stellen. Mit den verbliebenen Kindern machte ich zunächst einfach weiter. Aber danach ratterten mir die Argumente durch den Kopf, warum ich im Recht bin: Es macht den Bienen bestimmt wenig aus, wenn etwas Honig fehlt. Jetzt im Spätsommer hängen die Bienen ohnehin oft in großen Trauben einfach im Stock herum und freuen sich vielleicht sogar, wenn sie die Wabe wieder schön in Ordnung bringen dürfen. Der Übergang von Arbeit zu Spiel ist auch bei Tieren oft fließend. Und überhaupt: Viele vegane Produkte kommen aus der industriellen Landwirtschaft, die unsere Bienen existenziell gefährdet. Die Spritzmittel sind das Problem, nicht das Honigernten. — Solche Gedanken setzten sich allmählich in mir fest und brachten damit wieder Ordnung in mein Weltbild, genauso wie das Bienenvolk wieder in seine Routinen verfiel, nachdem ich den Kasten mit dem Deckel verschlossen hatte.

Dennoch tauchten auch nach Wochen leise Zweifel auf. Nutze ich meine Bienen aus, wenn ich Honig ernte? Mit Blick auf den Bankspiegel musste ich außerdem feststellen, dass wir in den letzten Jahren eine Auseinandersetzung über Tierhaltung möglichst zu vermeiden suchten, nachdem einige Tierrechtler sehr aufgeladene E-Mails und Kommentare geschrieben hatten. Ein Kreditnehmer, der seine Hühner selbst schlachtet, wurde sogar einige Zeit lang beschimpft. Eine ungute Situation. Also machte ich mich auf den Weg.

Erste Station: Ein veganer Brunch

Bochum, sonntags um 13 Uhr. Ich bin mit einem GLS Kollegen verabredet. An der Türe treffe ich zufällig einen weiteren Kollegen und drinnen eine Kollegin. So exotisch sind sie also gar nicht, die Veganer. Jeder hat etwas mitgebracht und kann sich vom selbst gemachten Buffet bedienen. Echt lecker, vor allem die eine Hälfte mit den süßen Sachen. Es geht also auch ohne tierische Produkte.

Die Sitzplätze werden bald knapp. Die meisten hier sind unter 30. Wie die Lebensmittelindustrie auch schon festgestellt hat, strahlt diese Szene ein echtes Potenzial aus. Als ich meinen Notizblock auspacke und sage, dass ich über Tierhaltung schreibe, erhalte ich viel Aufmerksamkeit. Es sind vor allem die persönlichen Geschichten, die mich interessieren. Ein junger Aktivist erzählt, wie er zufällig auf YouTube gesehen hatte, was in einem Schlachthaus passierte. Das schockierte ihn so, dass er sich entschied: „Ich will niemanden mehr dafür bezahlen, dass er für mich intelligente Wesen tötet.“ Solche prägnanten Sätze höre ich dann immer wieder. Schnell wird deutlich, wie konsequent die Leute hier bereit sind, bestimmte Gedanken zu Ende zu denken — auch wenn sie als Folge ihr Leben ändern müssen.

Das ist großartig zu erleben. Und gleichzeitig erschütternd. Denn bin ich selbst ebenfalls dazu bereit? Es gibt auch ganz andere Geschichten, etwa die vom guten Leben. „Vegane Ernährung ist ein Gewinn für mich, kein Verzicht“, so eine Gesprächspartnerin. Der ganze Konsumwahn im Supermarkt kann ihr egal sein, weil sie nur ein paar wenige, qualitativ gute Produkte braucht. Das macht ihren Kopf frei für das, was wirklich wichtig ist im Leben. Ein großes Thema sind auch die ökologischen Folgen des Fleischkonsums: Zum Klimawandel trägt er mehr bei als Flugzeuge, Autos und alle anderen Transportmittel zusammen. Wer sich komplett ohne Fleisch ernährt, verursacht 60 Prozent weniger CO2-Emissionen. Sonst noch Fragen? Eine Ärztin ergänzt schnell im Vorbeigehen, dass laut WHO verarbeitetes Fleisch Krebs auslösen kann. Sie ist Onkologin und muss das wissen. Nach über zwei Stunden und zwölf beschriebenen Blättern meldet sich eine junge Frau, die schon länger schweigend dabeigesessen hat: „Ich will auch noch unbedingt etwas sagen.“ Sie erzählt, dass ein Drittel der weltweiten Getreideernte an Schweine verfüttert wird, mit der Folge, dass die Getreidepreise für die Armen steigen. — Ich bin erstmal bedient, habe keine Fragen mehr, aber großen Respekt vor allen meinen Gesprächspartner*innen.

Zweite Station: Fußgängerzone

Meine nächste Station ist samstagnachmittags in der Fußgängerzone. Hier bin ich mit Nadja Ismail verabredet. Sie organisiert den Cube of Truth, eine Aktion, die sich von Australien aus seit 2017 auch in Deutschland immer weiter ausbreitet. Ein starkes Bild: Zwölf Menschen stellen sich im Quadrat mit dem Rücken zueinander auf, weiß maskiert und schwarz gekleidet. In den Händen halten sie schwarze Tafeln, auf denen „Truth“ und „Wahrheit“ steht, sowie Laptops mit Videos aus der Massentierhaltung und Schlachtung. Die gezeigten Bilder sind schrecklich. „Das soll Fragen provozieren“, sagt Nadja. „Was ist die Wahrheit? Habe ich bisher in Lügen gelebt?“ Die Menschen sollen eine Verbindung zwischen dem herstellen, was in der Fleischindustrie passiert, und dem, was sie ansehnlich verpackt in ihren Einkaufswagen legen.

Nadja ist 19 und hat in Australien den ersten Cube gesehen. Zunächst war sie Vegetarierin. „Mir wurde dann aber deutlich, dass in Milch und Eiern sogar noch viel mehr Gewalt stecken kann als in Fleisch.“ Beim Cube ist sie meistens bei den Outreachern, sie führt also ohne Maske Gespräche mit Passanten. „Wichtig ist mir eine respektvolle Ebene. Niemand ist als Veganer geboren. Wir alle brauchen einen Anstoß, um unsere Gewohnheiten zu ändern.“ Auch die meisten Aktivisten*innen hinter den Masken sind jung. Sie gehören zu der Generation, von der die aktuelle Shell Jugendstudie sagt: Ihr politisches Engagement bringt sie weniger in traditionellen Organisationen ein, sondern in Konsumboykott und anderen Aktionen. Das politische Interesse junger Leute ist demnach seit 2002 von 31 auf beachtliche 40 Prozent gestiegen. Das ist auch hier zu spüren. Man fühlt sich als Teil einer globalen Bewegung. Per Facebook sind die weltweit über 400 Aktionsgruppen bestens vernetzt und unterstützen neue Initiativen. Für Ende Juni ist ein vierundzwanzigstündiger Cube in Berlin angekündigt, vermutlich ein Großevent.

Bleibt noch eine Frage, die mich als GLS Banker besonders umtreibt: „Ist denn Ökotierhaltung okay?“ Nadja antwortet sofort: „Nein!“ Das Töten von Tieren ist in jeder Hinsicht unethisch, „egal wie viel Grün sie vorher gesehen haben. Wir sollten die Tiere einfach in Ruhe lassen“, so Nadja. Auch in dieser Frage zeigt der Cube of Truth also klare Kante.

Dritte Station: Tiere vom Bärenbrunnerhof

Zwei Tage später bin ich unterwegs zum Bärenbrunnerhof, die letzten sechs Kilometer vom Bahnhof zu Fuß auf Wanderwegen durch den schönen Pfälzer Wald mit seinen roten Sandsteinfelsen. Landwirtschaft gibt es hier kaum noch. Die Böden sind zu sauer und die Sommer zu trocken. Wälder und Büsche breiten sich aus. Früher gab es hier überall offenes Weideland mit einer großen Artenvielfalt. Eine interessante Beobachtung: Die durch Tierhaltung entstandene Kulturlandschaft war attraktiv für viele Pflanzen und Wildtiere. Ohne Tierhaltung schwindet die Biodiversität wieder. Ganz andere Probleme waren auf dem Weg hierher zu sehen: großflächig industrialisierte Landwirtschaft, oft tierfrei mit Einsatz von chemischem Dünger. Ist das die Zukunft? Mit Chemie bewirtschaftete Flächen ohne Tiere auf der einen Seite, verwaldete Mittelgebirge mit wenig Vielfalt auf der anderen Seite?

[green_box] Ein Artikel aus dem GLS Kundenmagazin Bankspiegel. Diesen und viele andere spannenden Artikel finden Sie im Blog. Alle Ausgaben des GLS Bankspiegel als PDF finden Sie unter: https://www.gls.de/bankspiegel/. [/green_box]

Das Ehepaar Kill hat anderes vor. Auf ihrem Bioland-Betrieb leben 50 Kühe mit Jungvieh, 60 Schweine und 450 Hühner, eine Bilderbuchidylle zwischen aufragenden Felsen. Dazu kommen noch Hütehunde, Pferde und ein kleines Tierheim für Katzen, die im Laufe der Zeit hierher gebracht wurden und zu denen Nina Kill nicht Nein sagen konnte. Als ich ihr von den Cube-Aktivisten erzähle, sagt sie: „Das wäre sicher auch ein Weg für mich gewesen. Aber ich habe mich anders entschieden. Ich will an Alternativen arbeiten.“ Auf die Frage, wie sie Tiere essen kann, die sie vorher gekannt hat, fragt sie zurück: „Wie kannst du Tiere essen, die du nicht gekannt hast?“ Auch ihr ältestes Pferd, das sie von frühester Jugend an begleitet und mit 28 Jahren bald am Lebensende ist, soll geschlachtet werden. „Den Toni gebe ich doch nicht auf den Kadaverwagen. Er ist doch kein Müll.“

Heute ist Schlachttag auf dem Bärenbrunnerhof. Ich gehe mit Nina zum Stall und sie bringt ein Rind auf den Anhänger, ganz unaufgeregt, einer der Hunde bleibt auf Abstand immer dahinter. Die Fahrt im Schritttempo geht nur wenige Meter, denn die Kills haben ihr eigenes Schlachthaus. „Das Tempo bestimmen die Tiere“, sagt Nina, und die Tiere vertrauen ihr. Am Schlachthaus angekommen ist aber spürbar, dass es jetzt ernst wird. Auch Sebastian Kill und ein helfender Metzger sind voll konzentriert. Jetzt darf nichts schiefgehen. Für einige Sekunden ist die Stimmung angespannt, der Bolzenschussapparat wird aufgesetzt, das Rind betäubt, ins Schlachthaus fallen gelassen und durch einen gezielten Stich getötet. Das Blut fließt ab. Mir wird nicht schwarz vor Augen, aber schon etwas schummrig. Hier wurde aus einem Lebewesen plötzlich ein toter Körper, der dann mit handwerklicher Kunst und viel Kraft zerlegt wird.

Nachher spreche ich mit den Kills über diesen Moment. Nina sagt offen: „Je besser ich ein Tier kenne, desto schwerer fällt mir das Schlachten.“ Sebastian bezeichnet es als Scheidepunkt, wenn er im vertrauensvollen, ruhigen Umgang dem Tier plötzlich den Bolzenschussapparat aufsetzt. Spüren sie auch Trauer dabei, jede Woche vertraute Tiere zu schlachten? „Ja“, sagt Nina, „wenn wir viel schlachten, dann kann ich auch an mein Limit kommen.“ Die wirklich dramatischen Todesszenen, die sie schildern, stammen allerdings von kranken oder verletzten Tieren. Der Tod ist selten ein unbeschwertes Einschlafen, auch nicht in der freien Wildbahn. Es ist beeindruckend, wie Nina und Sebastian mit aller Empathie und Fachlichkeit auf ihre Tiere schauen, ihnen das bestmögliche Leben ermöglichen — und aus ihrer Sicht auch das bestmögliche Sterben.

Nach meiner Reise bin ich mir sicher: Unser empathischer Blick auf die Tiere — also versuchen zu verstehen, was sie fühlen, und wie wir verantwortlich mit ihnen umgehen können — wird sich in den nächsten Jahren und Jahrzenten noch zu einem großen Thema entwickeln.

Die Aktivisten, mit denen ich gesprochen habe, stehen dabei an vorderster Front. Eine solche Entwicklung braucht immer Kämpfer*innen, die kompromisslos für ihre Sache eintreten, wenn nötig auch konfrontativ, immer wieder radikal aus der Perspektive der Tiere geschaut. Was uns die Tiere zur Massentierhaltung sagen würden, ist klar: Das geht gar nicht! Aber wollten die Bärenbrunner Kühe tatsächlich nicht in ihrem idyllischen Tal leben, wenn sie wüssten, dass sie später geschlachtet werden? Und würden meine Bienen akzeptieren, dass für vegane Produkte Chemie auf die Felder kommt, wenn dadurch weniger Schweinemast betrieben wird? Fänden es die Mistkäfer, Tausendfüßler und Schmetterlingsraupen auf einer Kuhweide gut, wenn wir ihren Lebensraum für einen Sojaacker umpflügten? Oder dass daraus wieder Wald wird, weil es keine Tierhaltung mehr gibt?

Die möglichen Antworten zeigen: So schwarz und weiß wie am Cube of Truth ist die Welt nicht ganz. Es gibt auch einige Schattierungen und Farben. Christian Vagedes von der Veganen Gesellschaft Deutschland fragte in einem Interview: „Wie können ehemalige Ausnutz-Tiere Teil einer neuen Kultur werden, in der wir die Tiere in unsere Kommunikation einbeziehen?“

Lasst uns also über Tiere sprechen — und mit ihnen!

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Ein Artikel aus dem aktuellen Kundenmagazin der GLS Bank, den ganzen Bankspiegel gibt es hier: ZUM BANKSPIEGEL

Zum cube of truth: anonymousforthevoiceless.org
Zum Bärenbrunnerhof: baerenbrunnerhof.de
Zum Interview mit Christian Vagedes https://www.info3-magazin.de/bio-dyn-trifft-vegan/
Zum Tierzuchtfonds für eine artgemäße Tierzucht www.tierzuchtfonds.de
Zum Fleischatlas: https://www.boell.de/de/fleischatlas
How to talk with birds, trees, fish, shells, snakes, bulls and lions – Ausstellung im Hamburger Bahnhof
Weitere Artikel im Blog zum Thema: Ernährung
Die Sprachen der Tiere, Eva Meijer[/green_box]

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55 Antworten zu „Lasst uns über Tiere sprechen!“

  1. Avatar von Thomas P.
    Thomas P.

    Sehr guter Artikel, der alle Seiten gelten lässt.
    Es gibt sicher nicht nur schwarz und weiß, sondern viele Schattierungen.
    Was mirnicht so gut gefiel, war die wiederholte Darstellung, dass die Alternative für die Bienenhaltung der chemietote Sojaacker ist. Das ist mir zu platt. Ich will gar nicht davon anfangen, dass 80% der Ackerflächen für die Fütterung von Nutztieren eingesetzt werden und wieviel grüne Wiesen man statt dieser haben könnte usw.
    Das Problem sind ja nicht Betriebe wie der Bärenbrunnerhof oder der Hobby-Imker. Problematisch wird es immer dort, wo industriell produziert wird. Wo man den Bienen zuviel des Honigs wegnimmt und durch Zuckerwasser ersetzt, Tiere in Ställen vegetieren und sich quälen, Felderträge chemisch optimiert und die Fruchtreihenfolge sich nach den Subventionen richtet.

  2. Avatar von Markus Schulz
    Markus Schulz

    Markus

    @ Gereon Janzing
    …er hat den denn bezahlt..?

  3. Avatar von Kai Bergengruen
    Kai Bergengruen

    Die ganze Debatte ist spannend zu Lesen. Gute Argumente von allen Seiten, aber auch viele undifferenzierte Aussagen und pauschalisierende Unterstellungen.

    Ich selber esse kaum Fleisch, wenig Milchprodukte und wenn, dann ist mein fast immer eingehaltener Grundsatz: Ich möchte wissen, dass die Tiere ein gutes Leben hatten, respektvoll gehalten und auch geschlachtet wurden. Und eigentlich wünsche ich mir dies auch für die Pflanzen, die ich esse. Ich habe selber einige Zeit Schafe gehalten und selber geschlachtet. Und gemerkt, dass ich nicht der „Tierhalter“ bin. Und die Erfahrung gemacht, dass das Fleisch aus wirklich tiergerechter Haltung so teuer sein muss, dass die wenigsten bereit sind, es zu bezahlen. Und ich habe als Bio-Kontrolleur leider auch einige Bio-Tierhaltungen gesehen, in denen ich kein Tier sein wollte.

    Ich werde nicht zum Veganer. Und zwar aus dem Grund, auf den „someone“ hinweist: Wir lernen grade immer mehr über Pflanzen. Dabei kommt für mich heraus: Die klare Trennung zwischen Menschen, Tieren und Pflanzen ist eine von Menschen erdachte. In der Biologie sind die Übergänge fließend. Egal, welchen Bereich wir anschauen: Sozialverhalten, Schmerzempfinden, „Intelligenz“.

    Die Trennung der Natur in „belebt“ und „unbelebt“ ist ein Anfang unseres zerstörenden Systems. Für mich ist die ganze Natur „heilig“ und der Mensch untrennbarer Teil davon. Und so sollten wir uns auch verhalten. Mit einem hohen Grad an Respekt und Bewusstsein. Und dann ist für mich klar (um die Extreme zu nennen) was ich im Zweifelfall vorziehen würde: den konventionellen Joguhrt aus brasilianischem Soja oder ein Stück Fleisch von einem Bärenbrunnerhof-Rind. Am Liebsten ist mir aber ein Stück Gemüse von unserem solidarischen Gemüsebau im Dorf, den ich 2 mal wöchentlich direkt aus der Gemüsescheune bei mir um die Ecke abholen kann, mit dem Fahradanhänger vom Acker geholt! Oder einen Apfel direkt von meinen Streuobstwiesen.

    1. Avatar von Rouven Kasten
      Rouven Kasten

      Lieber Herr Bergengrün,
      herzlichen Dank für Ihren Beitrag. Gestern hatten wir einen Serverumzug, so dass wir ihn erst heute online stellen. Ihre erweiterte Perspektive auf Pflanzen ist aus meiner Sicht ganz wesentlich und war im Vorfeld hier bei uns auch schon Thema. Ein Kollege stellte die Vermutung an, dass es in einigen Jahren genau so um die Würde der Pflanzen gehen wird, wie jetzt um die Würde der Tiere. Das sind in der Tat wichtige Entwicklungen.

      Herzlich, Rouven Kasten für Falk Zientz (Bankspiegel Redaktion)

    2. Avatar von Martin H.
      Martin H.

      > Ich möchte wissen, dass die Tiere ein gutes Leben hatten, respektvoll gehalten und auch geschlachtet wurden.

      Ich lese öfter, dass respektvolles Schlachten ein Widerspruch in sich ist; insbesondere in unseren Breiten und im städtischen Bereich, wo Fleisch eher weniger überlebenswichtig ist; in anderen Regionen der Erde sieht die Situation anders aus. Meinen Informationen nach erreichen Tiere, die hierzulande durch Menschen genutzt werden, nur einen Bruchteil ihrer natürlichen Lebenserwartung, weil sie vorher aus wirtschaftlichen Gründen geschlachtet werden (auch dort, wo mit hohem Respekt geschlachtet wird, weil sich sonst der Betrieb nicht hält). Wenn man die natürliche und tatsächliche Lebensdauer z. B. von Mast-Hühnern prozentual auf die Lebenserwartung von Menschen umrechnet, dann entspricht das einem Tötungsalter von 12 Jahren. Mich würde interessieren, wie Sie für sich den Begriff „respektvolles Schlachten“ definieren? Welche konkreten Vorgehensweisen beim Schlachten fallen noch unter diesen Begriff und welche nicht? Ist das gewählte Schlachtalter ein Teil davon? Kann man den Begriff anhand der beobachtbaren Handlungen, die am Tier vorgenommen werden, definieren oder handelt es sich mehr um die innere Einstellung desjenigen der die Schlachtung durchführt bzw. beauftragt?

      > Ich werde nicht zum Veganer. Und zwar aus dem Grund, auf den „someone“ hinweist: Wir lernen grade immer mehr über Pflanzen.

      Dazu zwei Fragen:

      1) Es ist eine gesicherte Erkenntnis, dass die Tiere, die üblicherweise bei uns auf dem Teller landen (Rind, Schwein, Huhn, Fisch), hochkomplexe Lebewesen mit einem Gefühlsleben und Schmerzempfinden sind, die auch gerne weiterleben würden. Warum sollten neue Erkenntnisse im Pflanzenbereich dazu führen, dass man die vorgenannten Tiere nicht bestmöglich behandelt, indem man sie z. B. möglichst in Ruhe lässt? Wo genau sehen Sie da den Zusammenhang? Ist der Sonntagsbraten notwendig für ein glückliches Leben?

      2) Für eine Tierkalorien benötigt man man 5 – 10 Pflanzenkalorien. Macht es – wenn man auch Pflanzen ein Lebensrecht einräumt (oder einfach nur, um energieeffizient zu wirtschaften) – nicht mehr Sinn, diese Verschwendung an wertvollen Pflanzen zu vermeiden, indem man sie direkt (in Form von leckeren und nahrhaften Getreide- und Gemüsegerichten etc.) anstelle über den Umweg über das Tier isst?

      > dass das Fleisch aus wirklich tiergerechter Haltung so teuer sein muss, dass die wenigsten bereit sind, es zu bezahlen

      Dazu gehört auch, dass die Bildungselite mit gutem Beispiel vorangeht und vorlebt, dass man hier für ein gutes und gesundes Leben kein Fleisch braucht. Und dies jeden Tag einfordert, solange es noch so aussieht wie aktuell. Ich denke da z. B. an Schulkantinen, Mensen, Unternehmenskantinen und Caterings; was da täglich aufgrund veralteter Menüvorgaben an Tierleid produziert wird, ist ein Skandal (und optimal gesund ist es auch nicht). Was sollten dann Menschen machen, die glauben, eine gewisse Fleisch-, Milch- und Eiermenge sei unbedingt nötig, es sich aber finanziell schwer leisten können?

    3. Avatar von Kai Bergengruen
      Kai Bergengruen

      Lieber Martin H.,
      danke für die Fragen. Ich gehe in vielen Hinweisen koplett mit. Dass immer mehr Menschen vorleben sollten, dass wir unseren Fleischkonsum drastisch reduziernen müssen mit den bekannten Argumenten der furchtbaren Tierhaltung, dem hohen Kalorienverbrauch etc. Und grade öffentliche Mensen, Kantinen, Schulen, Kindergärten sollten da Vorbild sein.
      Ich will versuchen, auf die Fragen einzugehen.
      >1. Mich würde interessieren, wie Sie für sich den Begriff „respektvolles Schlachten“ definieren? Welche konkreten Vorgehensweisen beim Schlachten fallen noch unter diesen Begriff und welche nicht? Ist das gewählte Schlachtalter ein Teil davon? Kann man den Begriff anhand der beobachtbaren Handlungen, die am Tier vorgenommen werden, definieren oder handelt es sich mehr um die innere Einstellung desjenigen der die Schlachtung durchführt bzw. beauftragt?1) Es ist eine gesicherte Erkenntnis, dass die Tiere, die üblicherweise bei uns auf dem Teller landen (Rind, Schwein, Huhn, Fisch), hochkomplexe Lebewesen mit einem Gefühlsleben und Schmerzempfinden sind, die auch gerne weiterleben würden. Warum sollten neue Erkenntnisse im Pflanzenbereich dazu führen, dass man die vorgenannten Tiere nicht bestmöglich behandelt, indem man sie z. B. möglichst in Ruhe lässt? Wo genau sehen Sie da den Zusammenhang? Ist der Sonntagsbraten notwendig für ein glückliches Leben?2) Für eine Tierkalorien benötigt man man 5 – 10 Pflanzenkalorien. Macht es – wenn man auch Pflanzen ein Lebensrecht einräumt (oder einfach nur, um energieeffizient zu wirtschaften) – nicht mehr Sinn, diese Verschwendung an wertvollen Pflanzen zu vermeiden, indem man sie direkt (in Form von leckeren und nahrhaften Getreide- und Gemüsegerichten etc.) anstelle über den Umweg über das Tier isst?<

      Ja, klar. Das habe ich schon in den 70er Jahre gelernt. Und es ist immer noch war! Und doch gibt es Landschaften auf der Welt, in die eine extensive Tierhaltung passt und auch in unseren Breiten sind angepasste Tierhaltungen kulturell vorhanden, bei denen zu besonderen Anlässen neben Fell- Milch und Eiernutzung auch Tiere geschlachtet werden. Also eine angepasste Tierhaltung ohne Futtermittelimport und ein sehr reduzierter Verbrauch von tierischen Erzeugnissen. Das wäre meine Zielsetzung.

      Ich freue mich auf eine Antwort!

    4. Avatar von Martin H.
      Martin H.

      Sehr geehrter Herr Bergengruen,

      vielen Dank für Ihre Rückmeldung. Sie schrieben, dass Sie sich auf eine Antwort freuen würden; allerdings kann keine direkte Frage an mich herauslesen. Ich wiederhole daher meine zentrale Frage in Kurzform und gehe dann auf die einzelnen Punkte Ihres Standpunktes ein:

      Muss der Durchschnittsmensch in Deutschland Tierprodukte wie Fleisch, Milch und Eier essen, um ein gesundes und glückliches Leben zu führen?

      > Und doch gibt es Landschaften auf der Welt, in die eine extensive Tierhaltung passt

      Ich würde hier gerne global denken, aber lokal handeln. Wenn es anderswo anders ist, dann kann es dort ja anders gemacht werden. Aber wir leben halt nun mal hier. Die andere Frage wäre: selbst wenn es Landschaften gibt, wo die Tierhaltung reinpasst, sollte es dann ohne Not auch unbedingt gemacht werden? Man könnte die Landschaften auch einfach als Naturraum bewahren, von dem es leider auch immer weniger gibt. Wenn man die Tierproduktion stark reduziert, werden ja überall auf der Welt riesige Ackerflächen frei, die für pflanzliche Nahrung genutzt werden können (natürlich alles Bio / ohne Ackergifte).

      > in unseren Breiten sind angepasste Tierhaltungen kulturell vorhanden, bei denen zu besonderen Anlässen […] auch Tiere geschlachtet werden.

      Diese Kultur wurde leider weitgehend durch Massenproduktionsanlagen ersetzt. Und wer von uns denkt im Jahr 2019 beim täglichen Verzehr von Tierprodukten überhaupt noch an die Tiere, die ihr Leben hergeben mussten (750 Millionen jährlich allein in D.)? Die Frage wäre also: soll man die damalige Kultur des „würdevollen“ Schlachtens – die damals aus der Not heraus kam – wieder neu beleben oder sollte man es in der heutigen Zeit nicht einfach auslaufen lassen und stattdessen eine Kultur des Friedens gegenüber den ehemaligen Nutztieren etablieren? (ich wäre für letzteres; das lässt sich auch Kindern viel einfacher erklären und es fließen keine Tränen)

      > Also eine angepasste Tierhaltung ohne Futtermittelimport und ein sehr reduzierter Verbrauch von tierischen Erzeugnissen. Das wäre meine Zielsetzung.

      Ich stimme Ihnen zu, dass mit diesem Schritt schon sehr viel erreicht wäre!

      Um dort hinzukommen müsste es aus oben angeführten Gründen meiner Ansicht nach möglichst bald noch viel mehr Menschen geben, die Tierprodukte bewusst komplett weglassen (zumindest solange bis die Massen-Schlachtanlagen in Deutschland und Europa außer Betrieb genommen werden). Mit diesem sichtbaren Signal können andere Menschen um uns herum, die noch beim Durchschnitt von 60 kg Fleischverbrauch / Jahr liegen, (inklusive Argarlobbyisten und Politiker) im Hier und Heute sehen, dass es im Rahmen einer neuen Normalität möglich ist, viel weniger oder gar keine Tierprodukte zu konsumieren und dennoch gesund und genussvoll zu leben. Ich lade Sie ein, dies einfach mal zwei Jahre lang zu probieren – der Schritt von Ihrem „ganz wenig“ hin zu „ganz ohne“ Fleisch/Milch/Eier sollte ja nicht allzu schwer fallen; es wäre ja auch nur eine zeitlich begrenzte Aktion :-). Mit den gewonnenen Erfahrungen könnte dann vielleicht die tierleidfreie Vision einer Landwirtschaft der Zukunft gar nicht mehr so abwegig sein 🙂 Diesen Aufsatz habe ich letztens dazu gefunden: https://friederikeschmitz.de/meine-landwirtschaft-der-zukunft/

      Vielen Dank für Ihr Interesse und ganz herzliche Grüße.

    5. Avatar von Saro Ratter
      Saro Ratter

      Diesen Beitrag finde ich sehr wertvoll. Es geht nicht um das ob, sondern um das wie und mit welcher Haltung wir andere Lebewesen für unsere Ernährung verwenden.

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