In kürzester Zeit hat sich wegen des Coronavirus unser Leben vollständig gedreht. Zeit, innezuhalten und zu fragen: Was ist wichtig?
Sonntag Mittag, Anfang April. Ich sitze in der Küche und blicke aus dem Fenster. Draußen summen Bienen munter um den blühenden Zwetschgenbaum. Ein ganz normaler Frühlingstag. Alles wie immer? Nein, nichts ist mehr wie immer.
Tagesthema Coronavirus
Corona (lat. für „Kranz“) – ein an sich harmloses Wort – beherrscht seit Wochen unseren Alltag. Wir sahen es auf uns zukommen. Ich erinnere mich noch, wie ich Anfang Februar auf dem Weg nach Hause im Radio von der „einknickenden Textilindustrie“ in China hörte, weil die Provinz Hubei unter Quarantäne stand. „Das Ausmaß werden wir erst im Herbst bei der Präsentation der Winterkollektion zu spüren bekommen“, erklärte der Reporter. Ich fühlte mich befreit – ein Geschenk fürs Klima. Wer benötigt schon das 54. T-Shirt, das vermutlich weder unter ökologischen noch unter sozialen Bedingungen hergestellt wurde? Der Herbst ist noch weit. Aber das Virus ist mittlerweile überall präsent. Nahezu stündlich gibt es neue Fallzahlen. In den Talkrunden werden die immer gleichen Fragen gestellt.
Krisenerfahrung
Hektisch organisieren wir Arbeit und Alltag um und sind gleichzeitig durch den Lockdown zum Stillhalten gezwungen. Genau der richtige Zeitpunkt nachzudenken! Wie gehen wir mit solchen Krisen um, als Einzelne und als Gesellschaft? Wo haben wir Ähnliches erlebt? Wie können wir solch außergewöhnliche Ereignisse bewältigen? 9/11, Finanzkrise 2008, islamistische Terroranschläge in Paris, London, Berlin. Lauter einschneidende Krisen. Aber keine betraf uns so direkt und mit solcher Wucht – außer vielleicht Tschernobyl. Nach dem Reaktorunglück am 26. April 1986 waren unsere Lebensmittel kontaminiert, wir sorgten uns unmittelbar um unsere Gesundheit. In keiner dieser Krisen war jedoch unsere Freiheit und unser soziales Leben so sehr eingeschränkt. Hätten wir vielleicht etwas aus früheren Ereignissen lernen können?
Freiheit oder Leben?
Wenn wir unsere existentiellen Sorgen um Gesundheit, Arbeit, Essen und Wohnen etwas beiseiteschieben, rückt die Freiheit in den Blick. Ausgangsbeschränkungen wegen dem Coronavirus haben den öffentlichen Raum leergefegt. Die große Mehrheit der Bevölkerung nimmt die Einschränkung der individuellen Freiheit hin – um alle anderen zu schützen. Allerdings wurden schon erste Demonstrationen von der Polizei aufgelöst. Deshalb brauchen wir eine wachsame Zivilgesellschaft. Jede*r von uns ist gefragt.
Wenn wir aus dem Schock und aus dem Stillstand herauskommen, müssen wir den Neustart mit kritischen Debatten begleiten. Wir werden uns fragen müssen, was sind uns Freiheit, soziale Marktwirtschaft, bürgerliche Rechte und die Demokratie wert? Die Krise lehrt uns, dass das, was so selbstverständlich schien, sehr zerbrechlich ist.
Neu denken
Momentan ist vieles ausgesetzt: Dennoch muss schon jetzt neues Denken in die Welt. Um den Wandel zu meistern, müssen wir alte Modelle aufgeben und der Welt aufrichtig, kühn und inspiriert begegnen. Gesamtgesellschaftlicher Zusammenhalt als Bewältigungsstrategie der Coronakrise braucht es auch dringend für die Klimakrise.
[green_box]Randnotiz: Mission Lifeline berichtete am 18. März 2020, dass Deutschland die humanitäre Flüchtlingsaufnahme unterbrochen hat. Gelder werden nun dafür eingesetzt, deutsche Staatsbürger*innen aus anderen (Wohlfahrts)Staaten zurück nach Deutschland zu holen. Gleichzeitig wird über Menschen in Not in den Medien kaum mehr berichtet. Die Coronakrise scheint die “Flüchtlingsdebatte“ und die Klimakrise abgelöst zu haben.[/green_box]
In diesen Zeiten wird uns klar, was wichtig ist und was nicht: Familie, Lebensmittel, medizinische Versorgung, unabhängige Medien, Zusammenhalt, der verantwortungsvolle Staat sind wichtig. Plötzlich sind Berufe wie Postbot*in, LKW-Fahrer*in, Ärzt*in, Pfleger*in und Menschen, die die Versorgung mit Wasser und Strom sicher stellen, systemrelevant. Aber auch wir selbst: Wir können zu einer Weltgesellschaft beitragen, die nicht von Macht und Konkurrenz geprägt ist, sondern von Solidarität, Fürsorge und Kooperation.
Achtsam in die Zukunft
„Was ich schon immer einmal machen wollte“ – jetzt wäre die Zeit, es zu tun. Wir sollten in diesen Tagen und Wochen gut hinhören, hineinspüren, was für uns und unsere Mitmenschen am wichtigsten ist. Auf Kleinigkeiten, die wir täglich meistern, stolz sein. Wir sollten die Achtsamkeit, die wir gerade wieder neu entdeckt haben, bewahren. Damit wären wir für die Zukunft nach dem Coronavirus gut gerüstet.
Lest auch andere Beiträge zu Covid19
Schreibe einen Kommentar