Alle Menschen haben Potenzial, alle wollen sich einbringen. Darauf baut das bedingungslose Grundeinkommen. Aber ist das nur eine fromme Hoffnung? Oder doch Realität? Mit dieser Frage gehen wir mit Johannes „Joy“ Ponader durch Berlin. Wir treffen ihn auf dem Tempelhofer Feld zwischen Urbanen Gärten und der Startbahn des ehemaligen Flughafens.
Von Falk Zientz, GLS Bank
Joy, Du hast Mein-Grundeinkommen.de mitgegründet, das schon über 200 Grundeinkommen verlost hat. Warum?
JOY: Als ich vor 13 Jahren zum ersten Mal vom Grundeinkommen gehört habe, war die Idee für mich sofort einleuchtend. Ich bin Theaterkünstler und arbeite damit, dass ich Vertrauen in einen Raum gebe und damit Kreativität freisetze. Wenn das gelingt, dann entsteht ein Freiheitsimpuls. Mit den verlosten Grundeinkommen zeigen wir das ganz praktisch, geben dem Gesichter und können jetzt über konkrete Erfahrungen von über 200 Menschen erzählen.
Was bedeutet Fülle für Dich?
Fülle ist in erster Linie eine Qualität, keine Quantität. Fülle kann ich überall finden.
Ich muss zunächst selbst einen Leerraum schaffen, dass sich Fülle entwickeln kann. Das hat viel mit Bescheidenheit zu tun und mit innerer Ruhe, das Gegenteil von Völle. Dann wird der Raum um mich herum größer, in dem ich mich bewegen kann. So wie hier auf dem Tempelhofer Feld. Mitten in der Stadt ist hier ein riesiger Horizont. Und du merkst: Du selbst brauchst gar nicht viel von dem Feld. Es genügt, dass es da ist. Bereits das macht Dich reich. Allen steht alles offen, diese wundervollen Gärten, die von einigen Hundert Menschen versorgt werden, die Diversität unterschiedlicher Kulturen und das Ganze initiiert durch den Volksentscheid 2014. Hier ist Fülle.
Und die Armut gleich nebenan, im Rollbergviertel, wo Du wohnst?
Bei uns im Rollbergviertel ist tatsächlich die Quote von Kinderarmut in Deutschland am Höchsten. Das ist beschämend. Da liegt die Idee vom Kindergrundeinkommen nahe, mit dem auch Alleinerziehende wissen: Für das Essen, die Schultasche, Sportschuhe – dafür ist Geld da. Mein Kind wird nicht verlacht, weil es nur abgetragene Sachen hat. Klar sollten wir nicht alles neu kaufen. Aber für uns Privilegierte ist es leichter, Minimalismus zu predigen und auf Markenklamotten zu verzichten. Für Kinder hier bedeutet das oft eine Demütigung.
Zirkulär Wirtschaften
Wir gehen mit Joy nach Neukölln ins Rollbergviertel. In seiner Nachbarschaft ist das Gelände der ehemaligen Kindl-Brauerei. Einiges wurde in den letzten Jahren abgerissen, eine Treppe mit Aufzug zum Gelände bereits neu aufgebaut. Davor treffen wir eine ältere Dame, die Müll einsammelt und den Aufzug sauber macht – ehrenamtlich. „Das ist mir wichtig, dass es hier schön aussieht“, sagt sie. Stolz zeigt sie auf ein Mosaik an der Wand. Eine Kachel weit unten hat sie selbst bemalt, „weil ich mich ja darum kümmere, dass der Boden ordentlich bleibt“.
In einer alten Lagerhalle hat das Projekt CRCLR einige Räume aus Recycling-Materialien gestaltet, zur Zwischennutzung. Es geht um „Circular Economy“. Friederike Gaedke von CRCLR erklärt das so: „In der Natur gibt es keinen Müll. Aus allem, was entsteht, wird der größte Nutzen gezogen. Für die Kreislaufwirtschaft schauen wir uns diese Prinzipien ab.“ Dafür soll möglichst alles so produziert werden, dass es später ohne großen Aufwand weiterverwertet werden kann. „Dass das noch nicht funktioniert sehen wir in unserem Haus: Wir wollten alte Steine zum Bau einer Zwischenwand nutzen und haben wie die Trümmerfrauen angefangen, den Mörtel abzuschlagen. Aber das ging nicht! Weil der Mörtelspezialist allen Ehrgeiz daran gesetzt hat, den härtesten Mörtel zu schaffen. Wichtiger wäre gewesen, dass er mit dem Steinhersteller und der Bauwirtschaft auf den gesamten Prozess schaut – inklusive der Abfallströme.“ Friederike schildert das Problem auch anhand von unseren Smartphones: Wenn wir diese aufschrauben, dann können kaum was selber machen und sind abhängig vom Produzenten, der immer Neues verkaufen will.
Um das Potenzial der Kreislaufwirtschaft praktisch erfahrbar zu machen, wird CRCLR das Gebäude weiter ausbauen. Dafür hat die anthroposophische Edith-Maryon Stiftung bereits die Lagerhalle gekauft. Ab 2019 soll diese aufgestockt werden und ein Wohn- und Gewerbehaus „als Metapher für eine funktionierende Kreislaufwirtschaft“ entstehen. Friederike spricht von „zirkulär bauen“, und das klingt etwas nach der Quadratur des Kreises: Es soll erschwinglich für alle sein, als Vorbild für andere Orte dienen können und den oft innovationsfeindlichen Bauvorschriften genügen. Aber die Planung schreitet voran, schon bald soll es losgehen. „Wir haben nicht alle Antworten, sondern wir sind ein Ort, an dem Menschen zusammenkommen, ihr Wissen teilen und entwickeln“, sagt Friederike. Hier klingt das Prinzip von Joy wieder an: Offene Räume ermöglichen Freiheit.
Weltacker
Raus aus der Stadt in den Botanischen Volkspark Blankenfelde. Hier hat die Zukunftsstiftung Landwirtschaft der GLS Treuhand gerade einen „Weltacker“ eingerichtet. Auf ihm wächst in Hülle und Fülle alles, was wir als Weltbevölkerung anbauen: größere Flächen an Weizen und Mais, kleinere etwa mit leuchtenden Sonnenblumen, Tomaten und Baumwolle. 2.000 Quadratmeter ist der Acker groß. Das entspricht der globalen Ackerfläche geteilt durch die Weltbevölkerung.
Joy strahlt: Was hier alles wächst, ist augenscheinlich sehr viel mehr, als ein Einzelner in einem Jahr essen kann. Welcher Überfluss anscheinend jedem Menschen zur Verfügung steht! Virginia Boye, Bildungsreferentin beim Weltacker dämpft jedoch gleich die Euphorie und bringt uns zu einem Podest, auf dem zwei grüne Plastikschweine stehen: „Wenn wir 90 Kilo Fleisch im Jahr essen wollen – wie der Durchschnittsdeutsche – dann müssen wir auf dem kompletten Acker Soja anbauen und an Tiere verfüttern.“
Joy ist elektrisiert. Seit 12 Jahren lebt er vegan, weil er im Bewusstsein haben will, wo sein Essen herkommt. „Ich könnte nicht alle Tiere vorm Schlachten besuchen und schauen, ob es ihnen gut geht. Mir wurde das zu komplex.“ Jetzt sieht er auf dem Weltacker ganz konkret eine weitere Seite des Fleischkonsums: Dieser nimmt einen immer größerer Teil der Fläche in Anspruch.
Dann zeigt uns der Gärtner Gerd Carlsson eine rote Demarkationslinie, die etwa ein Drittel des Ackers abtrennt. Alles was dort wächst wird weggeschmissen (siehe Seite 8/9). Ein weiterer, langer Streifen ist für Gummibäume markiert, die nur für Reifen angebaut werden. Außerdem hören wir, dass für ein T-Shirt bis zu 12 Quadratmeter gebraucht werden. Oder Biodiesel: Wenn wir auf dem Weltacker nur Raps anpflanzen, können wir damit zwar 4.000 Kilometer weit fahren, aber zu essen bleibt dann nichts mehr übrig. Und tatsächlich fährt jeder PKW ein Vielfaches davon. Unser Gefühl von Fülle, das wir am Anfang hatten, hat sich verflüchtigt. Es wird verdammt eng.
Für Benny Haerlin, der den Acker mit konzipiert hat, ist die eigentliche Fülle die Biodiversität. „Die Agrarkonzerne sagen, wir hätten einen Mangel an Nahrung. Wenn das stimmen würde, dann müssten wir so viele Produkte wie möglich mit so wenig Einsatz wie möglich produzieren. Wir stellen aber dagegen: Genug herstellen, mit so viel Diversität wie möglich.“ Denn die industrialisierte Landwirtschaft macht den Boden kaputt, so dass die weltweit nutzbare Ackerfläche immer kleiner wird. Sogar im Weltagrarbericht, den die Weltbank beauftragt hatte, steht, dass eine Ernährungssicherheit nur auf Basis einer ökologischen Landwirtschaft möglich ist. „Jeder Bissen wächst an seinem Ort. Und dieser Ort wird gestaltet durch dich, indem du das Produkt isst“, so Benny. Auf der Rückfahrt lesen wir in der U-Bahn: „The essence of strategy is choosing what not to do.“
Blockchain und Minimalismus
Weiter geht’s ins dicht bebaute Kreuzberg. Hier war Joy letzte Woche bei einer Auszugsparty. Afri, der Gastgeber, wollte bei dieser Gelegenheit möglichst viel vom Mobiliar seiner vierköpfigen Familie verschenken. Er bezeichnet sich selbst als Minimalist. Als er sich aufgeschrieben hat, was er persönlich braucht, kam er auf nur etwa 60 Gegenstände. Aber seine bisherige Wohnung ist immer noch voll mit vielen Habseligkeiten. Afri ärgert sich: „Unser System ist perfektioniert für den Verkauf. Alles ist darauf ausgerichtet. Aber wenn ich die Dinge wieder loswerden will, wird es sehr aufwändig. Das Einfachste wäre, alles in die Tonne zu kloppen.“ Geboren in der DDR, musste er als kleines Kind erleben, wie seine Elterngeneration „in eine Komsumfülle gefallen“ sei. Plötzlich war alles verfügbar. Davor war Schokolade ein echtes Ereignis. Jetzt ist der Alltag mit Genussmitteln überfüllt. „Es ist echt anstrengend, sich immer zu wehren, kein neues T-Shirt zu kaufen, nicht mehr zu kaufen als man essen kann.“ Joy denkt an seinen Kalender: „Wenn der voll ist, dann habe ich auch keine Fülle.“
Geld hat Afri mehr als genug, er hat es gewissermaßen selbst produziert, nämlich verschiedene Blockchain-Währungen, geschickter Weise oft genau diejenigen, die kurze Zeit später im Kurs stark gestiegen sind. Für Geld arbeiten müsste er darum nicht mehr. Trotzdem hat er derzeit gleich drei Jobs, neben seiner Familie. „Da ist so viel Geld in die Blockchain-Szene reingeschwemmt worden, das jetzt alles ausgegeben werden muss. Dadurch werden die Leute, die etwas Erfahrung haben, astronomisch bezahlt. Ich habe die Stellenangebote wiederholt abgelehnt, habe auch mal nachgefragt, ob sie sich um eine Null vertippt haben. Die haben geantwortet, dass sie mich, egal wie, haben wollen. Dann habe ich angeboten, einmal die Woche kostenlos für sie zu arbeiten, weil die Arbeit mir Spaß macht. Aber die haben darauf bestanden, mich zu bezahlen.“ Afri sucht noch den richtigen Umgang mit seiner privilegierten Situation: „Wenn es so einfach ist, Geld zu verdienen, kann man depressiv werden.“
Auch Joy hatte sich einen „Miner“ gebaut, also einen Rechner, der Blockchain-Währungen generieren kann. „Mich hat das interessiert wie andere eine Modelleisenbahn. Wie funktioniert das? Außerdem war meine Frage: Kann ich mir damit eine Art Grundversorgung absichern? Aber als der Miner funktioniert hat, habe ich ihn höchsten 100 Stunden laufen lassen, und dann hörte ich auf, weil sich der Stromverbrauch nicht gerechnet hat.“ Afri dagegen blieb dran: „Ich wollte an einem gemeinsamen System mitarbeiten, das die Zentralbanken entmachtet und den Communitys die völlige Kontrolle über ihr Wirtschaften bringt. Das funktioniert nur durch dezentrale Netzwerke. Je mehr Menschen dafür Rechenleistung zur Verfügung stellen, desto größer wird die soziale Stabilität.“ Dass es ihm nicht um Spekulation geht kommt ihm jetzt teuer zu stehen. Hätte er die Währungen gekauft und nicht selbst produziert, dann hätte er keine Steuern zahlen müssen. Jetzt werden bis zu 50 Prozent fällig. An Steuervermeidung denkt Afri nicht mal. Wozu auch? Er hat ja genug zum Leben.
Mein Grundeinkommen
Wieder zurück im Rollbergviertel: Hier hat auch der Verein Mein-Grundeinkommen seinen Sitz. „Das Grundeinkommen wirft Dich auf Dich selbst zurück“, sagt Marlene Graßl. Sie muss es wissen, denn sie hat vom Verein ein Jahr lang jeden Monat 1.000 Euro bekommen. „Mal angenommen, ich bin unglücklich in meinen Job, habe aber eine Grundversorgung von 1.000 EUR. Dann bin ich herausgefordert, mir das klar zu machen und zu entscheiden: Entweder ich akzeptiere den Job, oder ich muss tatsächlich was ändern.
Ich kann mir nicht mehr vormachen, dass die anderen an allem Schuld sind, sondern ich habe selbst die Verantwortung für mein eigenes Leben und mein Glück. Eigentlich ist das auch ohne Grundeinkommen so, aber mit Grundeinkommen wirst Du in solche Entscheidungen hinein katapultiert.“ Marlene erzählt davon, wie sie vor zwei Jahren in Äthiopien war und Kinder gesehen hat, die auf Plastikflaschen einen Hang runtergerutscht sind. „Das hat mich traurig gemacht, dass sie mit unserem Müll spielen. Dann habe ich aber gesehen, dass sie eher glücklicher wirken als die Kinder, die alles haben und die trotzdem darauf fokussiert sind, was sie noch nicht haben. Das Empfinden von Fülle hat weniger mit materiellem Besitz zu tun, sondern viel mehr damit, seine Lebensumstände annehmen zu können und sich gegenseitig zu unterstützen.“
Das sind Erfahrungen, die auch andere mit Mein Grundeinkommen machen. Christina Strohm hält für den Verein den Kontakt zu den Gewinnern*innen. Wenn sie davon erzählt, blüht sie richtiggehend auf. Bei einem Treffen „haben wir uns gefragt, was eigentlich das Grundeinkommensgefühl ist. Letztlich sind wir darauf gekommen, dass es das Gefühl von innerem Frieden ist.“ Gleichzeitig erleben viele das Grundeinkommen auch als einen Auftrag, jetzt tatsächlich das zu tun, was sie sich vorgenommen haben. Das kann auch zur Belastung werden. Aber Joy meint: „Das ist der spannendste Moment, wenn bei der Anmeldung auf der Plattform gefragt wird: Was willst Du machen, wenn Du ein Grundeinkommen gewinnst? Dadurch gibt es jetzt schon 800.000 Mikrogeschichten von Menschen, die sich da geistig reinversetzt haben. Diese Frage wirkt: Was würdest Du tun, wenn für Dein Einkommen gesorgt wäre?“
Auf die Wirksamkeit von Fragen baut Joy ganz grundsätzlich, etwa dann, wenn er Gruppenprozesse moderiert: „Wenn ich eine Ahnung habe, wohin es gehen soll, dann stelle ich meistens eine Frage, die den Raum in diese Richtung öffnet. Wenn es gut läuft, dann werden an der Frage die gemeinsamen Anliegen deutlich.“ In diesem Sinn hat sich Joy auch in eine Gruppe eingebracht, die aus der GLS-Zukunftswerkstatt geboren wurde: Zehn Selbständige führen ein gemeinsames Konto, auf das sie monatlich jeweils ein Zehntel ihrer betrieblichen Gewinne einzahlen. Damit sichern sie sich gegenseitig gegen Einkommensschwankungen ab. „Da entsteht dann eine Fülle, die eingebettet ist in eine größere Idee und in einen sozialen Zusammenhang. Eine solche Fülle können wir mit allen teilen.“
Auf unserer Reise konnten wir beeindruckende Menschen kennenlernen, die Spaß daran haben, ihr Potenzial in die Gesellschaft einzubringen. Sie alle scheinen das nicht zu tun, weil sie ihren Status erhöhen oder persönliche Vorteile erreichen wollen. Stattdessen folgen Sie einem Ruf, ihrer jeweils eigenen Vision: Kreisläufe zu entdecken, für etwas, das bereits lebt, eine neue Verwendung zu finden; begreifbar machen, wie kostbar unsere Erde ist; beweisen, dass ein neuer Solidarpakt möglich ist. Doch was gibt Ihnen die Kraft dazu? Zwischendurch sagte Joy einmal: „Je mehr ich mit der Welt, die ich vorfinde, im Frieden bin, desto besser kann ich sie umgestalten.“
Vielleicht liegt darin ein Schlüssel.
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[green_box] Ein Artikel aus dem GLS Kundenmagazin Bankspiegel. Diesen und viele andere spannenden Artikel finden Sie im Blog. Alle Ausgaben des GLS Bankspiegel als PDF finden Sie unter: https://www.gls.de/bankspiegel/. [/green_box]
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