Das bedingungslose Grundeinkommen (BGE) polarisiert. Befürworter*innen sehen darin ein Instrument, um die Ungerechtigkeiten einer marktdominierten Gesellschaft auszugleichen und Spielraum für soziales Engagement, Innovation und Unternehmertum zu schaffen. Das Grundeinkommen – gewissermaßen ein Schutzschild gegen negative Effekte der Globalisierung und der Digitalisierung.
Die Kritiker*innen meinen allerdings, dass mit dem BGE genau das Gegenteil erreicht wird. Sie sehen es als ein Armengeld, das die Position der abhängig Beschäftigten schwächt, die Ungleichheit in der Gesellschaft nur weiter verschärft und die Funktionsfähigkeit eines Staates auf Dauer untergräbt.
Stellvertretend für beide Positionen treffen Friederike Spiecker und Prof. Dr. Bernd Neumärker im Streitgespräch aufeinander. Zuerst hier im Blog, danach live in Freiburg.
Probleme werden durch die Entkoppelung von Einkommen und Erwerbsarbeit nicht behoben.
Friederike Spiecker
„Die Ziele, die die meisten Befürworter*innen des Bedingungslosen Grundeinkommens (BGE) mit diesem revolutionären Ansatz anstreben, leuchten ein: Es geht um die Beseitigung von Armut, von Ausbeutung in der Erwerbsarbeit, von entwürdigenden Bedürftigkeitsprüfungen. Es geht um eine gerechtere Einkommensverteilung, um mehr kreatives Arbeiten, mehr Zeit und (ehrenamtliches) Engagement für Kinder und alte Menschen usw. Kurz: Es geht um mehr Freiheit für den einzelnen Menschen, sein Leben selbstbestimmt sinnvoll zu gestalten. Doch ist das BGE tatsächlich der richtige Weg, diese Ziele zu erreichen? Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass diejenigen, die vom BGE in erster Linie profitieren sollen, auf Dauer noch schlechter gestellt sein werden als schon heute. Denn die eigentlichen Ursachen unserer wirtschaftspolitischen Probleme werden durch die Entkoppelung von Einkommen und Erwerbsarbeit nicht behoben.
BGE überfordert
Die unabweisbare Notwendigkeit, sich den Herausforderungen des Klimawandels zu stellen, wird den Menschen in den kommenden Jahrzehnten ohnehin ein hohes Maß an Anpassungsfähigkeit und Veränderungsbereitschaft abverlangen. Werden parallel dazu für die Einführung eines BGE so wichtige Institutionen wie die Renten-, Kranken- und Unfallversicherung grundlegend umgebaut und noch dazu das gesamte Steuersystem umgestellt, stiege die Unsicherheit über die zukünftige Entwicklung für jede*n einzelne*n Bürger*in wie für die Gesellschaft insgesamt noch dramatischer – mit allen unvorhersehbaren Folgen für die politische Stabilität unseres Landes. Auch das spricht dafür, die berechtigten Ziele der BGE-Befürworter*innen mit den vorhandenen „Bordmitteln“ unseres Wirtschaftssystems anzustreben. Dies ist tatsächlich möglich und realistischer als die Einführung eines BGE.“
Durch das BGE werden neue Impulse für produktive, aber eben nicht zwingend fremdbestimmte Arbeit und Unternehmertum entstehen.
Prof. Dr. Bernd Neumärker
„Das Bedingungslose Grundeinkommen (BGE) ist eindeutig ein Rettungsanker für eine moderne soziale Marktwirtschaft. Ausgangspunkt ist dabei die Integration menschlicher Zeitsouveränität und Selbstbestimmung in ein Konzept eines „Neuen progressiven Ordoliberalismus“, der sich nicht nur auf herkömmliche Konsumentensouveränität bezieht. Freiwillige und faire Partizipation durch Arbeits- und Freizeitgestaltung verlangt eine Entkoppelung von Einkommen und Erwerbsarbeit. Ist der/die Bürger*in je nach Höhe des BGE von Existenznöten und grundlegenden ökonomischen Sachzwängen befreit oder gar mit hinreichenden Partizipationsmöglichkeiten am üblichen gesellschaftlichen Leben ausgestattet, wird er mit einem Mix aus bezahlter, unbezahlter Arbeit oder kreativer Freizeit (z. B. „Muße“) Tätigkeiten übernehmen können, die für sein/ihr Leben als sinnstiftend erscheinen. Es werden neue Impulse für produktive, aber eben nicht zwingend fremdbestimmte Arbeit und Unternehmertum entstehen.
BGE ermöglicht mehr Selbstbestimmung
Das BGE eröffnet Arbeitskräften am Erwerbsarbeitsmarkt eine Selbstbestimmung fördernde Ausstiegsoption, die Hartz IV nicht ansatzweise liefern kann. Bedürftigkeits- und Zumutbarkeitsprüfungen und Bezugsauflagen, die allesamt politisch und individuell strategisch manipuliert werden und keine echte Ausstiegsoption bieten, verwirft das BGE. Die starke Erwerbsarbeitsorientierung in Wirtschaftsbeurteilung, Arbeitsmarkt(politik) und Sozialstaat trägt zu den aufgeführten Lebenskomponenten kaum bei. Es lassen sich in der realen Politik schon Ansatzpunkte für Reformen hin zu derartigen Transferzahlungen finden: Grundrente, Klimaprämie, Bürgerfonds. Reformkonzepte zeigen, dass das BGE testbar, finanzierbar, gesundheitsfördernd ist. Man erwartet sich von ihm auch, dass neben Armuts- und Ungleichheitsbelangen die Sorgewirtschaft (Care Economy) entscheidend gefördert wird.“
Wer hat Recht?
Oder liegt die Wahrheit wie so häufig in der Mitte? Darüber werden am Abend des 25. Oktober die beiden Referent*innen Friederike Spiecker und Prof. Dr. Bernd Neumärker auf Einladung des Vereins Freiburger Diskurse e. V. in der Uni Freiburg streiten. Am Morgen des 26. Oktober gibt es zudem ein Vertiefungsseminar mit den beiden Referenten.
Weitere Informationen unter freiburger diskurse.
Foto: CC BY 2.0 Jan Hagelstein/flickr
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