Inklusion - 7 Tipps: So finden Unternehmen Bewerber*innen mit Behinderung

7 Tipps: So finden Unternehmen Bewerber*innen mit Behinderung

Die Inklusion in Deutschlands Arbeitsmarkt hat ein großes Problem. Es fehlen die Minderheiten. Das ist unternehmerisch nicht schlau. Hier sind sieben Tipps von JOBinklusive, wie Unternehmen Bewerber*innen mit Behinderung finden. Ein inklusiver Anfang muss nicht schwer sein. 

Gesellschaftliche Minderheiten sind in Deutschland zumeist auch Minderheiten in der Arbeitswelt. Der Grund: Menschen mit minderheitsspezifischen Merkmalen – dazu zählen zum Beispiel Geschlecht, Hautfarbe, sexuelle Orientierung, Behinderung – haben schlechtere Berufschancen. Unternehmen schreiben sich zwar Diversität als Ziel in die Agenda, doch es bleibt viel zu oft bei guten Vorsätzen. Weder ist Diversität Kernprinzip der Unternehmensführung, noch denken die Strategen dabei die Dimension Behinderung mit.

Stattdessen beklagen die wenig diversen Unternehmen: “Wir würden ja gern mehr Leute mit Behinderungen einstellen, aber die bewerben sich nicht bei uns.” Genau hier fängt das Problem an: Wenn es nur bei den Menschen gesehen wird, die “sich nicht bewerben”, erkennen die Entscheidungsträger*innen in Unternehmen nicht, was sie selbst damit zu tun haben, dass Minderheiten in der Wirtschaftswelt unterrepräsentiert sind.

In jedem noch so kleinen Unternehmen gibt es Tätigkeiten, die Menschen mit Behinderungen ausüben können. Sie haben vielfältige Kompetenzen und sind überdurchschnittlich loyal gegenüber ihren Arbeitgeber*innen. Außerdem haben Menschen mit Behinderung oft ausgeprägte Soft Skills. Sie finden innovative Lösungsansätze oder bringen Organisationstalente mit, die sie in der barrierevollen Umwelt entwickeln mussten. Ausschlaggebend dafür, ob sich ein Mensch mit Behinderung für ein Unternehmen entscheidet, ist häufiger das Betriebsklima als die Bezahlung.

Talente gibt es überall. Nicht immer sind sie entlang der oft eingefahrenen Wege des Recruiting-Prozesses zu entdecken. Um Talente für ein Unternehmen aufzuspüren, müssen sich die Entscheidungsträger*innen folgende Fragen stellen:

Warum bewerben sich nicht genügend Menschen mit Behinderungen?

Sucht das Unternehmen aktiv und gezielt nach Menschen mit Behinderungen?

Gibt es im Auswahlprozess Ausschlusskriterien, die Menschen mit Behinderungen benachteiligen?

Macht es sich das Unternehmen zur Pflicht, qualifizierte Bewerber*innen aus unterrepräsentierten Minderheiten zu einem Gespräch einzuladen, bevor nicht-diverse Kandidat*innen eingeladen werden?

Setzt sich das Unternehmen aktiv mit unbewussten Vorurteilen auseinander?

Schafft das Unternehmen ein Klima, das alle einschließt?

Gibt es im Unternehmen Möglichkeiten, Diskriminierungen zu melden, ohne Angst vor negativen Folgen?

Wenn an diesen Themen ehrlich gearbeitet wird, stärken Betriebe nicht nur die Gerechtigkeit in der Welt, sondern auch das eigene Unternehmen.

1. Warum bewerben sich nicht genügend Menschen mit Behinderungen?

Unreflektierte Vorurteile führen dazu, dass Vorgesetzte in der Regel Leute einstellen, die so sind wie sie. Da in Führungspositionen immer noch überwiegend weiße, heterosexuelle, nicht behinderte Männer sitzen, erhalten überwiegend auch solche Männer weiterhin Führungspositionen – bewusst oder unbewusst.

Menschen mit und ohne Behinderungen lernen, arbeiten und leben meistens in unterschiedlichen Lebenswelten und lernen sich selten richtig kennen. Trotz diverser wissenschaftlicher Studien und der Kritik der UN halten wir in Deutschland an einem exklusiven Bildungssystem und Arbeitsmarkt fest. Förderschulen tragen nicht ausreichend zur gesellschaftlichen Teilhabe und Berufsqualifizierung ihrer Schüler*innen bei. Unter anderem wegen ihrer schlechten Bildungschancen sind nur 30 Prozent der Menschen mit Behinderungen in den allgemeinen Arbeitsmarkt integriert.

Wer einmal in einem Sondersystem für Menschen mit Behinderungen ist, kommt da nur sehr, sehr selten wieder heraus. Deshalb braucht es Qualifizierungen für Menschen mit Behinderungen in der realen Arbeitswelt: in Unternehmen, um dort Tätigkeiten und ein kollegiales Miteinander zu lernen und damit Chancen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu erhalten.

2. Sucht das Unternehmen aktiv und gezielt nach Menschen mit Behinderungen?

Wenn Unternehmen bereits gezielt nach Menschen mit Behinderungen suchen, sind sie schon mal auf einem guten Weg. Tun sie dies noch nicht, dann ist es jetzt Zeit, daran etwas zu ändern. Es ist wichtig, die Gründe dafür zu reflektieren. Arbeitgeber*innen sagen beispielsweise oft, dass sie nicht wissen, wie und wo sie nach Bewerber*innen suchen können.

Dabei suchen Menschen mit Behinderungen genau wie Bewerber*innen ohne Behinderung auf allen gängigen Jobplattformen nach Jobs. Aber auch spezielle Plattformen wie myability.jobs bieten eine Möglichkeit, behinderte Bewerber*innen zu finden. Egal wo sie gelistet sind, sollten Stellenausschreibungen darauf hinweisen, dass Bewerbungen von Menschen mit Behinderung ausdrücklich erwünscht sind.

Das Unternehmen sollte außerdem transparent darstellen, wie es sich Gedanken macht. Individuelle Formulierungen wirken dabei authentischer als Floskeln. Für die Tätigkeitsbeschreibung gilt: so konkret wie möglich benennen, welche Kompetenzen wirklich notwendig sind, und auf Kompetenzen verzichten, die gar nicht zwingend gebraucht werden – aber Bewerber*innen ausschließen.

Besonders wichtig für Menschen mit Behinderung ist die Barrierefreiheit eines Unternehmens. Die betrifft nicht nur Rollstuhlfahrende, auch Aspekte wie Licht und Akustik oder barrierefreie Software können für manche Menschen mit anderen Behinderungen wichtig sein. Interessant ist für Bewerber*innen mit Behinderungen darüber hinaus, inwieweit ein Unternehmen die Barrierefreiheit gewillt ist zu verbessern und welche gesundheitsfördernden und familiengerechten Möglichkeiten es schon anbietet. Eine Ansprechperson für individuelle Fragen zu Inklusion und Barrierefreiheit rundet eine gelungene Anzeige ab.

Mit der richtigen Bildsprache können Unternehmen zudem zeigen, wie Inklusion bei ihnen bereits gelebt wird. Es macht einen großen Unterschied, ob Menschen mit Behinderung aktiv oder passiv in Erscheinung treten. Gerade Betroffene erkennen leicht, ob Bilder mit Menschen mit Behinderung gestellt sind, also eigentlich nicht-behinderte Menschen zeigen, die etwa in einen veralteten Rollstuhl gesetzt wurden. Die Fotodatenbank gesellschaftsbilder.de enthält Beispiele für authentische und gelungene Darstellungen auf Augenhöhe. Weitere Informationen dazu enthält die Checkliste Voll im Bild?!

Auch wenn die Stellenausschreibungen einladend formuliert und bebildert sind, kann die Bewerbung von Menschen mit Behinderung dennoch am nicht barrierefreien Internet scheitern. Wichtig ist, Jobs auf barrierefreien Plattformen zu veröffentlichen und dass die eigene Job-Page zugänglich ist.

Es lohnt sich darüber hinaus, sich mit Initiativen und Projekten zu vernetzen, die Menschen mit Behinderung ganz konkret dabei unterstützen, inklusiv auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu arbeiten.

3. Gibt es im Auswahlprozess Ausschlusskriterien, die Menschen mit Behinderungen benachteiligen?

Viele gut qualifizierte Menschen mit Behinderung berichten, dass sie sich zwar weitläufig bewerben, doch nie zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen werden. Gleichzeitig berichten Personaler*innen, dass keine behinderten Personen bei ihnen in die engere Auswahl kommen. Es könnte sein, dass interne Prozesse beim Recruiting ungünstig wirken. So kann es sein, dass Menschen mit längeren Lücken oder Fehlzeiten im Lebenslauf automatisch ausgeschlossen werden. Dabei ist es nicht ungewöhnlich, wenn behinderte Menschen aufgrund zeitintensiver Therapien oder einer längeren Krankheit mal ein Jahr länger zur Schule gegangen sind oder ihr Studium nicht in der Regelstudienzeit geschafft haben. Warum nicht solche Phasen mal anders betrachten? In einer Welt voller Barrieren hat die Person trotz allem an ihrem Ziel, einen Abschluss zu erreichen, festgehalten.

Anderes Beispiel: Rechtschreibfehler in Bewerbungen. Sie gelten in den meisten Personalabteilungen als No-Go. Doch was ist, wenn die Person eine Leserechtschreibschwäche hat und sonst qualifiziert ist? Nicht jede Stelle erfordert perfekte Rechtschreibfähigkeiten. Es macht also Sinn, nicht immer an rigiden Einstellungskriterien festzuhalten und Ausnahmen zuzulassen. Vielleicht gibt es Umstände, in denen eine Ausnahme in Betracht kommt. Und vielleicht können dafür im Unternehmen Prozesse entwickelt werden, so dass ein Algorithmus die Ausnahmen lernen kann. Apple beispielsweise leitet die Bewerbungen von behinderten Menschen mit bestimmten Schlagwörtern generell an eine gesonderte Abteilung, die dann die Bewerber*innen unterstützt und bei Fragen zur Verfügung steht.

4. Macht es sich das Unternehmen zur Pflicht, qualifizierte Bewerber*innen aus unterrepräsentierten Minderheiten zu einem Gespräch einzuladen, bevor nicht diverse Kandidat*innen eingeladen werden?

Wenn benachteiligte Personen nicht die Chance bekommen, ihre Potenziale zu zeigen und durch Herausforderungen zu wachsen, wird sich die Spirale des Nicht-Einstellens weiter drehen. Es lohnt sich also, innovativ im Sinne von Diversität und Inklusion zu handeln und über eine bevorzugte Einladung nachzudenken. Dadurch bekommt das Unternehmen die Chance, qualifizierte Mitarbeiter*innen zu finden, die nicht in ein Schema F passen. Auch neue Wege jenseits von schriftlicher Bewerbung und Lebenslauf senken die Hürden für Menschen mit Behinderungen.

Wenn ein Bewerbungsgespräch mit einem Menschen mit Behinderung zustande kommt, sollte Barrierefreiheit mitgedacht werden: Ist der Raum mit dem Rollstuhl erreichbar? Braucht es Gebärdensprache-Dolmetschende? Kann jemand aus dem Unternehmen eine blinde Person am Empfang oder Bahnhof abholen?

5. Setzt sich das Unternehmen aktiv mit unbewussten Vorurteilen auseinander?

Bestimmte Vorurteile und Stereotype, die wir gegenüber Menschen mit Behinderungen haben, sind seit vielen Jahren in unserer Gesellschaft verankert. Manche dieser Vorurteile – und unser daraus resultierendes Verhalten – sind uns bewusst und wir versuchen, dieses Verhalten zu verändern. Viele Vorurteile sind uns jedoch nicht bewusst. Zum Beispiel assoziieren viele Menschen unbewusst eine kräftige Stimme oder Körpergröße mit Führungsqualitäten. Um Menschen mit Behinderung gleichberechtigte Chancen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt geben zu können, ist es wichtig, dass sich Unternehmen, und insbesondere die Personalverantwortlichen, mit diesen Vorurteilen auseinandersetzen. Denn längst nicht alle Menschen mit Behinderung sind sympathisch, aber inkompetent. Mit Schulungen und Workshops kann diesen unbewussten Vorurteilen entgegengewirkt werden.

6. Schafft das Unternehmen ein Klima, das alle einschließt?

Wenn ein Mensch mit Behinderung seine Arbeit in einem Unternehmen beginnt, dürfen die Bemühungen um Inklusion nicht aufhören. Studien zeigen, dass das Klima und die Offenheit der Kolleg*innen oft ausschlaggebend sind für den beruflichen Erfolg von Menschen mit Behinderung. Je positiver und gelassener die Führungsebene der Anstellung einer behinderten Person gegenübersteht, umso mehr werden es auch die Kolleg*innen so sehen. Wichtig ist, dass nicht über Menschen mit Behinderung gesprochen wird, sondern mit ihnen.

Führungskräfte sollten gut zuhören, was ihre Mitarbeiter*innen bewegt und sich Strategien überlegen, wie etwaige Bedenken und Ängste abgebaut werden können.

Oft muss der Arbeitsplatz noch barrierefrei eingerichtet oder andere Dinge organisiert werden. Wenn eine zusätzliche Finanzierung oder Unterstützung bei einer Behörde benötigt wird, kann es dauern, bis die Bewilligung da ist. Es lohnt sich, diesen Weg mit dem behinderten Menschen gemeinsam zu gehen. Übrigens: Behörden sind gesetzlich dazu verpflichtet, innerhalb bestimmter Fristen zu reagieren und über einen Antrag zu entscheiden. Notfalls hilft die Rechtsabteilung des Unternehmens oder ein*e Rechtsanwält*in weiter.

In der GLS Bank vertritt Kai Becker zusammen mit Udo Lücke sowie unterstützt durch eine interne Arbeitsgruppe seit rund fünf Jahren schwerbehinderte Menschen im Unternehmen. In der sozial-ökologischen Bank ist es explizites Ziel, Diversität und Inklusion zu fördern. In Stellenbeschreibungen fordert die Personalabteilung ausdrücklich Menschen mit Behinderungen auf, sich zu bewerben. Ein Selbstläufer ist das jedoch nicht, wie Kai Becker immer wieder feststellt. „Es ist auch in diesem grundsätzlich offenen Umfeld nicht immer leicht, das Thema Schwerbehinderung anzusprechen bzw. mit seiner Schwerbehinderung anderen gegenüber offen umzugehen“, sagt Becker. Sein Ziel ist, aufzuzeigen, dass Menschen mit Behinderung überall dabei sein können. Grundsätzlich hat er festgestellt, dass jeder eben anders mit dem Thema umgehe. Er wirbt über die internen Kommunikationsplattformen dafür, sich mit Fragen und Anliegen zum Thema Inklusion an ihn zu wenden.

7. Gibt es im Unternehmen die Möglichkeit, Diskriminierungen zu melden – ohne Angst vor negativen Folgen?

Weil wir alle Vorurteile haben, diskriminieren wir – beabsichtigt und unbeabsichtigt. Deshalb brauchen Unternehmen Prozesse, mittels derer Diskriminierungen mitgeteilt werden können – um anschließend Lösungen zu finden.

In vielen Unternehmen gibt es Personen oder Mitteilungsmechanismen. Es kommt jedoch vor, dass Meldungen öffentlich werden oder negative Konsequenzen mit sich bringen. Hier braucht es unbedingt ein sensibles Bewusstsein und die Einhaltung der Schweigepflicht und des Datenschutzes. Es ist wichtig, diese Arbeit auch als solche anzuerkennen und dementsprechend zu entlohnen. Personen, die sich in einem Unternehmen für ein diskriminierungsfreies Arbeitsumfeld einsetzen, sollten dies nicht in ihrer Freizeit tun.

Auch wenn große und mittelgroße Unternehmen nach Paragraph 13 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes verpflichtet sind, eine Beschwerdestelle zu haben, fühlen sich viele von Diskriminierung betroffene Menschen allein und erfahren keine Unterstützung (siehe auch ZEIT online vom 11.2.2020). Schulungen für die Beschäftigten und Führungskräfte können eine wichtige Präventionsmaßnahme für weitere Diskriminierung sein. Besonders wichtig ist jedoch, dass sich Mitarbeiter*innen, die Diskriminierung erfahren haben, sicher sind, dass der*die Arbeitgeber*in hinter ihnen steht und keine Diskriminierung duldet. Transparente innerbetriebliche Vereinbarungen können regeln, wie mit Diskriminierung umzugehen ist.

Fazit

Der Weg zur einer inklusiven Gesellschaft ist für uns alle neu und manchmal auch anstrengend und nervend. Doch Inklusion ist keine Frage des Ob, sondern des Wie. Es gilt nur eine einfache Frage zu beantworten: Wann fangen wir an, darüber nachzudenken, wie ein Arbeitsplatz für einen Menschen aussehen kann – und nicht der Mensch für den Arbeitsplatz?

Weitere spannende Artikel zum Thema Inklusion im GLS Blog.

Inklusion: Heim oder nicht Heim?

  1. Danke für diesen sehr interessanten Beitrag zum Thema Inklusion … Recruiting von Menschen mit Behinderung.
    Interessant finde ich auch die Links zu weiteren Dokumenten und Checklisten.
    Da müssen wir uns für die Ausbildung von Azubis auch mehr anstrengen, siehe hier:

    ==> https://drkpi.com/de/azubi-recruiting-trends-und-strategie-2022/

    Schönes Wochenende.
    Urs DrKPI CyTRAP

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