Gemeinschaftliches Wohnen hat viele Vorteile, birgt aber auch Herausforderungen. Wie sich trotz vielfältiger Positionen, gemeinsam Entscheidungen im Interesse aller treffen lassen? Die raumteiler eG in Essen hat einen Weg gefunden.
von Hannah El-Hitami

Ein bisschen Dorfgemeinschaft in der großen Stadt – vielleicht ist es das, was die Wohngenossenschaft Raumteiler eG in Essen ihren Mitgliedern ermöglicht. Mitbegründerin Eva Zitta erinnert sich jedenfalls noch genau daran, wie sie mit 17 Jahren das Haus ihrer Eltern in einem kleinen Dorf in Franken verließ und für ein freiwilliges soziales Jahrins Ruhrgebiet zog: „Ich fühlte mich plötzlich ganz fremd in meiner direkten Umgebung. Ich kannte nicht einmal die Menschen, die über und unter mir im Haus wohnten.“ Eva Zitta war überzeugt, dass Nachbar*innen, die so viel Zeit in physischer Nähe zueinander verbringen, auch eine persönliche Nähe zueinander aufbauen können.
Mitmach-Samstage und Genossenschaftstreffen
Den Wunsch nach mehr Miteinander hat sie sich mit 50 weiteren Personen im Wohnprojekt Raumteiler erfüllt. Seit 2023 leben dort Paare, Familien oder Einzelpersonen in einem Neubau zusammen. Die Wohneinheiten sind zwar in sich abgeschlossen, aber teilen sich jede Menge Gemeinschaftsflächen. Neben Terrasse, Coworking-Etage, Gästezimmern und Garten gibt es einen Werkraum und einen Musikraum, wo die Hausband probt. Ein gemütlicher Gemeinschaftsbereich mit Küche wird unter anderem von einer Kochgruppe genutzt, die sich zweimal die Woche zum gemeinsamen Abendessen trifft. An regelmäßigen Mitmach-Samstagen gehen die Bewohner*innen Projekte wie zum Beispiel die Gartenarbeit an – natürlich nur, wer Lust hat. Und einmal im Monat kommen alle zu einem Genossenschaftstreffen zusammen.
Lohnend fürs Lebensgefühl
Das ist wichtig, denn alle „Raumteiler*innen“ treffen wichtige Entscheidungen über ihre Wohnprojekt gemeinsam. Das fing schon beim Hausbau an, der von der GLS Bank finanziert wurde. Jedes Gestaltungsdetail wurde gemeinsam abgestimmt. Heute, im fertigen Haus, wird zum Beispiel über neue Anschaffungen oder Regeln des Zusammenlebens gemeinsam entschieden. „Das ist eine besondere Erfahrung, diese Redekultur in der Gruppe, bei der es darum geht, konstruktiv zu bleiben, selbst wenn es heiß her geht“, sagt Eva Zitta. Sie weiß aber auch, dass das anstrengend sein kann: „Oft treffen ganz viele Meinungen, Einschätzungen und Befindlichkeiten aufeinander. Und gleichzeitig haben wir uns dazu verpflichtet miteinander eine Lösung zu finden.“

Der geringste Widerstand gewinnt
Miteinander, das heißt bei Raumteiler eG wirklich miteinander. Niemand hat mehr zu sagen als andere und keine*r soll überstimmt werden. Stattdessen gilt die Einladung, dass jede Stimme gehört wird, erklärt Eva Zitta. „Wir treffen gemeinsame Entscheidungen, mit denen alle ausreichend zufrieden sind.“ Was utopisch klingt, wird möglich durch Methoden wie das Systemische Konsensieren. Wenn es mehrere Optionen zur Auswahl gibt – zum Beispiel bei der Gestaltung der Hausfassade – dann werden die Beteiligten nicht nach ihrer Lieblingsvariante gefragt. Stattdessen teilen sie mit, gegen welche Varianten sie Widerstände haben und wie groß diese sind und worin sie begründet liegen. Vorschläge werden so abgewogen und gegebenenfalls angepasst. Am Ende gewinnt die Variante mit den geringsten Widerständen. „So bekommt die Mehrheit zwar nicht unbedingt ihre erste Wahl, aber alle bekommen etwas, womit sie gut leben können, und wogegen sie keine Bedenken haben.“

Gemeinsame Entscheidungen, mit denen alle ausreichend zufrieden sind.
Eva Zitta, Mitgründerin der raumteiler eG
Klar ist: Diese Art der Entscheidungsfindung bedeutet mehr Aufwand als eine einfache Mehrheitsabstimmung. „Wir müssen zusammenkommen, uns austauschen, teilweise Workshops machen“, sagt Eva Zitta. Doch gerade die Mühe und Zeit, die alle gemeinsam investieren, schweiße zusammen. „Es kommt nie vor, dass Konflikte zur kompletten Ablehnung der anderen Person führen. Zu stark ist die Verbundenheit innerhalb der Hausgemeinschaft, weil wir gemeinsam diesen Weg zurückgelegt haben.
(Header-Foto: Johannes Kassenberg)
Radical Transformation: Buch zu gewinnen!
„Radical Transformation. Wie das Wissen über Gefühle die Welt verändern kann“: In ihrem neuen Buch thematisiert GLS Kundin Lisa Jaspers mit ihren Co-Autor*innen Naomi Ryland und Soraida Velazquez Reve den Dreiklang Spüren, Fühlen, Verbinden als Schlüssel zu Veränderung. Für die Teilnahme an der Verlosung sende bis 31. Januar 2026 eine E-Mail mit dem Betreff „Radical Transformation“ an: redaktion@gls.de
Hier geht es zu den Teilnahmebedingungen
Du bist gefragt
Wir würden gerne mehr darüber wissen, wer unsere Beiträge liest, welche Themen besonders interessieren oder auch was fehlt. Wir freuen uns, wenn Du uns ein paar Minuten Zeit schenkst und an unserer kleinen Umfrage teilnimmst!
Weitere Beiträge

Schwerpunkt: Raum für Vielfalt
Eine artenreiche Natur, eine diverse Gesellschaft und eine vielseitige Wirtschaft bilden unsere Lebensgrundlagen. Die GLS Bank schafft daher Raum für Vielfalt – unser Schwerpunkt zeigt, wo es schon gelingt und wo Herausforderungen liegen.

Meinungsvielfalt aushalten: Sprechen & Zuhören
Wenn Sichtweisen auseinanderliegen, wird Vielfalt zur Herausforderung. Wie wir trotz solcher Gegenpole einen Umgang miteinander finden können, probt GLS Kundin Mehr Demokratie e. V. mit dem Format „Sprechen & Zuhören“.

GLS Mitgliedschaft: Raum für Vielfalt ermöglichen
Deine GLS Anteile sind die Basis für unsere Kredite für nachhaltige Projekte und Unternehmen. Das Besondere: Jeder Anteil ermöglicht ein Vielfaches seines Werts an Krediten.





Schreibe einen Kommentar