Gegen jede Regel verwirklicht Johann Gerdes seine Vision einer regenerativen Landwirtschaft: im von Dürre geplagten Brandenburg, ohne Eigenkapital und allen Zweifeln zum Trotz. Unbeirrbar verfolgt er seinen Weg, weil er ihn richtig findet.
Autorin: Ulrike Wronski
In Berlin-Mitte würde Johann Gerdes mit seiner hellen Brille unter der Basecap und dem gestutzten Bart nicht weiter auffallen. Doch die Enge der Großstadt liegt ihm nicht. Auf dem Beerfelder Hof, eine Autostunde östlich von Berlin, kann Gerdes sich frei entfalten. Seit 2020 ist der 40-Jährige Eigentümer des Biohofs am Rande der Märkischen Schweiz. Um seine Vorstellung von einer zukunftsfähigen Landwirtschaft umzusetzen, sucht er beharrlich nach neuen Lösungen, probiert den Anbau von Kichererbsen aus oder errichtet für seine Rinder einen Windschutz aus Strohballen.
Für Gerdes ist sein Betrieb „eine große Sandkiste mit Spielzeugen, die man unterschiedlich kombinieren kann, um gute Ergebnisse zu erzielen“. Mit guten Ergebnissen meint Gerdes funktionierende Kreisläufe. Er will Landwirtschaft so betreiben, dass er „mit dem Boden, dem Wasser, den Menschen, den Tieren so umgeht, dass das noch Jahre so weitergehen kann”. Dieses Zielbild leitet sein Handeln.
Weniger Risiko für Ernteausfälle
Während auf dem Großteil deutscher Ackerflächen – laut Bundesanstalt für Ernährung und Landwirtschaft auf 75 Prozent – nicht mehr als fünf Fruchtarten wachsen, sind es bei Johann Gerdes jedes Jahr zwischen 15 und 20. So versucht er, Schwankungen auf den Märkten abzufedern, und senkt gleichzeitig das Risiko von Ernteausfällen. Brandenburg gehört zu den trockensten Regionen Deutschlands und die Böden sind nicht die besten. Entsprechend gemischt waren die Reaktionen aus seinem Umfeld, als Gerdes den Betrieb zur Übernahme angeboten bekam: „Renommierte Agrarökonomen haben gesagt, das ist unter den Klima- und Bodenbedingungen ein ziemliches Himmelfahrtskommando.“ Doch er habe mehr die Potenziale gesehen als die Risiken. „Ich wusste in etwa, worauf ich mich einlasse.“
Der gebürtige Niedersachse stammt aus einer Bauernfamilie. Aufgewachsen auf einem kleinen Milchviehhof an der Nordseeküste, steht sein Berufswunsch früh fest. Nach der Ausbildung auf einem Ökohof studiert Gerdes Landwirtschaft und Ökoagrarmanagement. Dabei lernt er, dass die technische Ausstattung für moderne Landwirtschaft wahnsinnig teuer ist. Traktoren, Mähdrescher, Gebäude kosten viel Geld. Dazu kommt das Vermögen, das in Grund und Boden steckt.
Neues ausprobieren
Damals verabschiedet er sich mangels Eigenkapital davon, sich selbstständig zu machen. Um seine Vorstellungen von Ökolandbau dennoch umzusetzen, arbeitet er als Betriebsleiter auf großen Höfen in Brandenburg. Er liebt das Arbeiten unter freiem Himmel, den abwechslungsreichen Alltag und die Möglichkeit, Neues auszuprobieren. Er ist gerne angestellt, aber „die Konsequenzen für sein Handeln komplett selber zu spüren, ist schon gut“, sagt er im Nachhinein.
Als ihm ein befreundeter Landwirt überraschend seinen Betrieb anbietet, überlegt Gerdes daher nicht lange. Die Zahlen stimmen und die Standortnachteile kennt Gerdes aus eigener Erfahrung: „Ich benötigte nur die Zustimmung der GLS Bank, um ohne viel Eigenkapital in die Fußstapfen meines Vorgängers zu treten.“
Der Hof folgte bereits seit vielen Jahren den Standards von Naturland. Johann Gerdes wollte zusätzlich die Zertifizierung durch Demeter – aus seiner Sicht der konsequenteste Ansatz für Ökolandbau. Dafür brauchte er Mutterkühe. Ein Vorhaben, das Geduld erfordert: „Bis ich mein Geld wiedersehe, vergehen fünf Jahre“, sagt Gerdes. Die Jungtiere füttere er zunächst drei Jahre, bis sie kalben. Die Kälber wachsen weitgehend natürlich auf, trinken die Milch der Mütter und weiden mit ihnen gemeinsam. Nach der Trennung bleiben die Jungtiere weitere anderthalb bis zwei Jahre auf dem Hof, bevor sie geschlachtet werden.
Das Futter für die Kühe kommt direkt vom Hof. Klee, Luzerne und Gräser, die Gerdes anbaut, um den Ackerböden im Wechsel ein paar Jahre Ruhe zu gönnen, kann er für die Rinder verwerten. Auch über die Kartoffeln, die er nicht verkaufen kann, freuen sich die Tiere. So schließt sich ein Kreislauf. Die Demeter-Zertifizierung hat er längst.
Lohnend fürs Lebensgefühl
Johann Gerdes ist es wichtig, möglichst viele Schritte der Wertschöpfung in seinen Betrieb zu holen. Deshalb hat er zum Beispiel eine alte LPG-Halle zum Lager für bis zu 500 Tonnen Kartoffeln umgebaut. „Vorher haben wir unsere Ernte immer zu einem weit entfernten Dienstleister transportiert und dort abpacken lassen. Aber die Transportwege haben uns schon gestört, als die Energiekosten noch niedrig waren.“ Gerdes hörte erneut auf sein Bauchgefühl – heute verpackt er die eigene Ernte vor Ort und liefert direkt an den nahen Naturkosthandel in Berlin.
Auf seinen inneren Kompass hört der Landwirt auch, wenn es darum geht, ob sich sein Betrieb lohnt: „Rein finanziell nicht, aber für mein Lebensgefühl lohnt es sich fast jeden Tag.“ Johann Gerdes hat eine Tochter. Auch an sie denkt er, wenn er sagt: „Es ist nicht mein Anspruch, möglichst viel Geld herauszuziehen, damit ich meinen Nachfahren ein großes Vermögen übergeben kann.“ Lieber möchte er einen gesunden Betrieb hinterlassen, in dem mit den natürlichen Ressourcen verantwortungsvoll umgegangen wird.
(Fotos: Jule Frommelt)
Johann bewegt. Hier geht’s zum Videobeitrag über den Beerfelder Hof.
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