Die Coronakrise legt die Welt lahm und bestimmt unseren Alltag. Britta Freis, Antje Tönnis und Julian Mertens sprechen mit dem GLS Bank Vorstandssprecher Thomas Jorberg über seine bisherigen Erfahrungen.
Herr Jorberg, was lernen wir aus der Coronakrise?
Ich finde es sehr früh, jetzt schon Schlüsse zu ziehen. Ich lerne jeden Tag dazu, sei es persönlich, sei es gesellschaftlich oder eben im Betrieb. Es hat mich erstaunt, was in kürzester Zeit alles möglich geworden ist.
Wie war es bei Ihnen persönlich?
Meine erste Reaktion war, dass ich dachte, ich bin unverletzbar. Das ist weit weg, das ist übertrieben, das tangiert mich nicht. Die zweite Reaktion war, dass man unsicher wird und man sich fragt, hat das vielleicht doch etwas mit mir zu tun. Dann: Was hat das mit der Bank und unserer Gemeinschaft zu tun, mit den Mitarbeiter*innen, den Kundinnen und Kunden. Was kann Dich eigentlich verletzten? Da kommen wir auf eine andere Stufe: Mich verletzt das nicht, aber… Insofern habe ich keine Angst, sondern sehe, dass ich in mir die Stärke finden muss, mit der Coronakrise umzugehen. Wenn man tatsächlich infiziert wäre, würde man das natürlich nochmal ganz anders erleben.
Wie geht es Ihren Mitarbeiter*innen?
Bei ihnen erlebe ich das ähnlich wie bei mir. Anfangs hat noch jeder Scherz funktioniert, aber nicht lange. Als die Mitarbeitenden merkten, dass uns die Coronakrise betrifft, gab es schnell das Zusammentun, das Ergreifen, die Übernahme von Verantwortung. Sehr schnell fand sich ein von sich aus ein Corona-Team, noch bevor wir einen Krisenstab einberufen haben. Es ist ein Erlebnis, wie schnell die Veränderungen bei uns möglich sind. Wenn man mich vor einem Monat gefragt hätte, wie lang brauchst Du, um diese organisatorischen Änderungen durchzusetzen, hätte ich gesagt zwei Jahre. Homeoffice zum Beispiel war die Ausnahme. Aber als klar war, das muss sein, ging es sofort. Über 40 Prozent der Mitarbeiter*innen arbeiten seit Wochen im Homeoffice. Oder: Ich wollte immer ein kleines Budget für risikoreiche Kredite. Jetzt sind wir, noch bevor die KfW-Kredite feststanden, hingegangen und haben gesagt: Liebe Unternehmen, wir gehen in Vorleistung.
Wie erleben Sie das virtuelle Arbeiten?
Wir hatten eine Aufsichtsratssitzung. Normalerweise dauert sie 1,5 Tage. Am Telefon haben wir sie in sechs Stunden durchgeführt. Das verlief unglaublich effizient und diszipliniert. jede*r sagt nur dann etwas, wenn er/sie etwas zu sagen hat. Schon die Sekunde, in der man die Stummschaltung aufheben muss, wirkt wie eine Hürde. Andererseits fehlt natürlich die menschliche Begegnung, die Mimik, das Miteinander. Ich denke, dass im Vergleich zu einer Sitzung, bei der alle anwesend sind, die Hälfte auf der Strecke bleibt.
Sie haben auch an die Kolleg*innen am Telefon gedacht.
Ja, denn deren Job ist es, acht Stunden am Tag solche Gespräche zu führen. Alle paar Minuten gehen sie auf jemand neuen ein, den sie nicht kennen, dessen Mimik sie nicht sehen. Was das für eine Leistung ist! Und wir finden eine telefonische Sitzung über fünf Stunden anstrengend. Oder wenn sich jeden Morgen Krisenstab, Vorstände und wichtige Akteur*innen per Telefonkonferenz kurz und bündig auf den Stand bringen, etwa beim Krankenstand oder den Kreditanfragen. Da wird das Ganze erlebbar – ausgelöst durch die Technik.
Viele Menschen sind zu Hause, verändert sie das?
Zunächst einmal können sie nicht konsumieren. Bis auf die Grundbedürfnisse ist alles gestoppt. Das macht etwas, für viele ist Einkaufen ein wichtiges Hobby. Plötzlich sind wir auf die Familie beschränkt, begegnen uns, sind achtsam, nerven uns, und wir müssen lernen, das zu lösen. Das könnten bleibende Erfahrungen werden zu der Frage: Was brauchen wir wirklich?
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Thomas Jorberg / Rückkehr zu welcher Normalität
Wie wirkt der Shutdown auf die Wirtschaft?
Vor allem die urbane Kleinstruktur ist in Gefahr. Insofern finde ich gut, dass direkte Zuschüsse beschlossen wurden. Im Grunde erhält man so drei Monate lang eine Art Grundeinkommmen, wenn auch nicht ganz bedingungslos. Stattdessen die sozialen Netze zu nutzen, wäre eine Tragödie gewesen. Denn dann wären die Strukturen zerstört gewesen in Kunst oder Therapie, vom Friseur über den Einzelhändler und all die kleinen Dienstleister*innen. Sie wären in kürzester Zeit weg. Natürlich wäre es auch naheliegend, nun weiter über ein BGE (bedingungsloses Grundeinkommen) nachzudenken. Aber ich erwarte nicht, dass davon etwas umgesetzt wird.
Wird die Wirtschaft nun weniger global?
Anfangs fiel die Produktion in China aus und selbst jene Volkswirtschaftler*innen, die auf die Weltwirtschaft schworen, fragten sich, ob das noch funktionierten kann. Nun importieren wir zig Millionen Atemmasken aus China und die Weltwirtschaft ist plötzlich wieder der Retter. Wir müssen abwarten, bis der Qualm aus dem brennenden Haus abgezogen ist, bevor wir sagen können, was das richtige Maß an globaler Wirtschaft ist. Sie wird aber nicht rein regional werden.
Sind die Banken in Gefahr?
Es ist zu früh, die langfristigen Folgen zu beurteilen. Was wir derzeit in den Märkten und Börsen erleben, ist die unterschiedliche Intensität von Angst, Erwartungen und Spekulation mit der Angst. Manche Banken sind mit riesigen Verlusten an den Kapitalmärkten konfrontiert, weil sie stark in Aktien und risikoreichen Anleihen investiert sind. Gleichzeitig haben EZB, EU und die Bundesregierung einen satten Schirm gespannt.
Trotzdem müssen wir über das Risiko nachdenken. Es ist wie vor der Finanzkrise ein Risiko eingetreten, mit dem niemand gerechnet hat. Natürlich war eine Pandemie in den Szenarien enthalten, aber eben nicht so. Das sagt viel über unsere Art von Risikodenken aus.
Neulich habe ich gelesen, dass die Menschheit nicht an Corona zugrunde gehen werde, aber vielleicht die Weltwirtschaft. Ich würde sagen: Besser als umgekehrt. Und wenn wir an die Erderhitzung denken, ist es so: Bei der Klimakrise ist nicht die Weltwirtschaft bedroht, sondern stattdessen die Menschheit. Darum ist es richtig, für die Gesundheit der Menschen die Weltwirtschaft aufs Spiel zu setzen.
Es wird schon viel über den Ausstieg vom Shutdown geredet, wie finden Sie das?
Bevor man über Strategien einer Normalisierung nachdenkt, muss man erstmal das Ziel kennen, das man verfolgt hat. Sonst schütten wir das Kind mit dem Bade aus. Ich war anfangs gegenüber den strengen Maßnahmen auch eher kritisch. Aber nun muss uns klar sein, was wollen wir erreichen, was wurde erreicht? Welches Szenario wählen wir? Gehen wir eher Richtung Herdenimmunität oder zögern wir die Ansteckung weiter heraus, bis Medikamente und ein Impfstoff zur Verfügung stehen? Wenn das klar ist, können wir diskutieren, wie wir aussteigt.
GLS Bank – Podcast // Folge 30 – Thomas Jorberg über die Coronakrise
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