Interview mit Anna Leidreiter von der Energiegenossenschaft BürgerEnergie Nord
Damit die Energiewende gelingt, braucht es den politischen Rahmen für Investitionen vor Ort – und innovative Ideen. Eine unserer Kund*innen, die BürgerEnergie Nord, hat zum Beispiel geniale Lösungen für Mieterstrom-Projekte entwickelt. Die Energiegenossenschaft in Norderstedt übernimmt die Umsetzung und den Betrieb der Anlagen und trägt damit alle technischen und wirtschaftlichen Risiken und Pflichten. Wie wir das gesamte Potenzial von Mieterstrom heben können, wenn alle anpacken: Darüber berichtet Vorstandsmitglied Anna Leidreiter in diesem Interview.
Mieterstrom war lange Zeit ein sehr schwieriges Thema. Komplizierte gesetzliche Hürden haben einigen engagierten Menschen den Wind aus den Segeln genommen: Sie schafften es nicht, erneuerbare Energien aus Photovoltaik-Anlagen in Mehrfamilienhäusern zu verteilen. Wie funktionieren die Mieterstrom-Projekte in eurer Energiegenossenschaft, der BürgerEnergie Nord? Was hat sich in den vergangenen Monaten regulatorisch verändert?
Das vergangene Jahr hat auch im Bereich Mieterstrom einen Boom ausgelöst. Die Turbulenzen am Energiemarkt haben den Menschen vor Augen geführt, dass Solarenergie vom eigenen Dach die günstigste Form der Stromerzeugung ist.
Tatsächlich ist die Herausforderung bei Mieterstromprojekten allerdings die Verteilung des Stroms in einem Haus mit einer entsprechenden Abrechnung. Das hat zweierlei Gründe:
Zum einen führten die gesetzlichen Regelungen dazu, dass bisher eine relativ teure Messtechnik verbaut werden musste. Dadurch wurden Mieterstromprojekte unrentabel oder waren zumindest nicht im großen Maßstab attraktiv. Dies hat sich nun durch das „Gesetz zum Neustart der Digitalisierung der Energiewende“ endlich geändert. Es senkt die Investition in Mieterstrom-Projekte spürbar, indem es den physischen Summenzähler überflüssig macht und eine digitale Lösung ermöglicht.
Das zweite Thema ist bisher nicht gelöst und kann auch nur bedingt gelöst werden: Wenn Eigentümer*innen ein Mieterstrommodell umsetzen, werden sie zum Energieversorger für die Bewohner*innen und müssen ein großes energiewirtschaftliches Wissen mitbringen. Das hemmt Entscheidungen, führt teilweise zu Widerstand und ist in den seltensten Fällen praktikabel. Für die Wohnungswirtschaft kommt noch hinzu, dass Einnahmen aus Mieterstrom größtenteils gewerbesteuerpflichtig sind. Wenn die Einnahmen 10 Prozent der Einnahmen aus der Vermietung übersteigen, gefährden sie die Gewerbesteuerbefreiung der Mieteinnahmen.
Hier haben wir als BEN eine Lösung entwickelt, in dem wir die Umsetzung und den Betrieb übernehmen und damit alle technischen und wirtschaftlichen Risiken und Pflichten tragen. Gleichzeitig bieten wir aber als Energiegenossenschaft allen die Möglichkeiten sich zu beteiligen und dementsprechend von den Projekten zu profitieren.
Wie sieht die Kooperation mit der GLS Bank aus?
Die GLS-Bank ist unser Finanzierungspartner. Es gibt nicht viele Banken, die das Geschäftsmodell verstehen und hier Angebote machen können. Wir freuen uns daher sehr, dass wir mit der GLS-Bank einen verlässlichen und fairen Partner haben, der nicht nur unsere Ziele teilt, sondern gleichzeitig als Genossenschaft auch die gleiche DNA hat.
Wie habt ihr das vergangene Energie-Krisenjahr erlebt und wie hat es sich auf die Genossenschaft ausgewirkt? Gab es einen Run auf eure Angebote, ein gesteigertes Interesse?
In dem Energie-Krisenjahr ergaben sich für uns neben den Herausforderungen vor allem auch Chancen. Natürlich war für uns die größte Schwierigkeit, den Einkauf des Netzstroms zu kalkulieren, den wir unseren Kunden verkaufen, wenn die Sonne nicht scheint und der Speicher leer ist. Aber durch die drastischen Preiserhöhungen in dem Bereich wurde es für die Menschen auch noch deutlicher, dass der Solarstrom eine verlässliche und günstige Form der Energieversorgung ist. Denn unsere Solarstrompreise haben sich nicht verändert. Das hat auch dazu geführt, dass die Mitmachquoten in den Projekten gestiegen sind.
Die Nachfrage ist signifikant gestiegen, teilweise so stark, dass wir Anfragen erst nach mehreren Wochen beantworten konnten. Gleichzeitig führten aber auch Lieferengpässe, Lieferverzögerungen bei sämtlichen Materialien, aber auch die Knappheit der Installationskapazitäten dazu, dass wir Projekte nur schleppend umsetzen konnten.
Wir freuen uns jetzt, dass die Nachfrage weiterhin so hoch ist und sich der PV-Markt aber etwas entspannt, sodass die Umsetzung nun einfacher und schneller ist.
Gibt es noch Hindernisse, die dringend aus dem Weg geräumt werden müssen, damit noch viel mehr Menschen eine Chance haben, erneuerbare Energien zu beziehen?
Regulatorisch gibt es noch einige Hindernisse. Viele davon wurden in der PV-Strategie des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz bereits adressiert und müssen nun in Gesetze gegossen werden. So hoffen wir beispielsweise auf weitere Erleichterungen für Mieterstrom in kleinen Mehrfamilienhäusern oder auch die Ermöglichung des Energy Sharings.
Hinzu kommt aber auch das Thema Fachkräfte und Know-how. Mieterstrom ist nach wie vor ein Nischenthema in der Energiebranche, selbst in der PV-Branche. Solarteure, Stadtwerke, Energieversorger, Elektriker*innen, Bauträger, Architekten, Finanzinstitute – all diese Akteure müssen technisches, energiewirtschaftliches und Abrechnungswissen aufbauen. Denn natürlich freuen wir uns als BEN, dass wir von allen zu Rate gezogen werden. Aber das gesamte Potenzial von Mieterstrom heben wir, wenn alle anpacken können.
Energiewende vor Ort – was bedeutet das für euch? Wie sieht eure Vision aus? Was kann der Einzelne auf dem Weg dahin tun, wie kann Wirtschaft, Verwaltung und Finanzwelt dabei unterstützen?
Energiewende vor Ort bedeutet für uns zum einen, dass alle mitmachen und profitieren können. Auch Menschen ohne eigenes Dach und diejenigen, die ihr Geld ökologisch anlegen wollen. Es bedeutet aber auch, dass alle Menschen in die Verantwortung gehen. Das zeigt sich beispielsweise in der Fähigkeit von Eigentümergemeinschaften, Entscheidungen treffen zu können, oder auch in der Fähigkeit von Hausverwaltungen, die Kommunikation mit Bewohner*innen zu unterstützen. Sowohl in der Energie- und Wohnungswirtschaft als auch in der Finanzwelt brauchen wir ein Umdenken, wenn es um Energiemanagement, Risikobewertungen oder auch Profitabilitätsberechnungen geht.
Welches Wissen aus der einstigen Marktposition Deutschlands im Erneuerbare-Energien-Bereich können wir für die Zukunft übernehmen? Was sollten wir dieses Mal auf alle Fälle besser machen?
Deutschland hat Anfang der 2000er Jahre mit dem Energieeinspeisegesetz und dem Aufbau der Erneuerbare-Energien-Industrie die Energiewende weltweit in Bewegung gesetzt und eine Vorreiterrolle eingenommen. Unser Vorteil war es, dass wir die gesetzlichen Rahmenbedingungen für Planungssicherheit und Beteiligung geschaffen haben. In den letzten Jahren haben wir diesen Vorsprung verloren. Gleichzeitig ist die Umsetzung der Energiewende vor dem Hintergrund der sich verschlimmernden Klimakrise und der veränderten geopolitischen Lage drängender geworden. Wenn wir es in Deutschland nun also schaffen, den politischen Rahmen für Investitionen in die Energiewende vor Ort zu gestalten, können wir einen wichtigen Standortvorteil für eine zukunftsfähige Wirtschaft und für lebenswerte Städte schaffen. Das muss unser aller Ziel sein und dafür steht BEN. Wir freuen uns über alle, die mitmachen wollen.
Danke für das Gespräch!
Trefft uns auf der Intersolar in München!
Vom 14. bis 16. Juni 2023 sind Kolleg*innen der GLS Bank auf der Intersolar in München, der weltweit führenden Fachmesse für die Solarwirtschaft. Sie beraten zu Finanzierungen von Photovoltaik-Anlagen und Solarprojekten. Wer vor Ort ist und die Messe besucht, sollte unbedingt auf unsere 35-jährige Erfahrung im Bereich der erneuerbaren Energien zugreifen.
Das ist unser Stand-Standpunkt: Halle A4, Stand A4.640
Weitere Informationen: gls.de/intersolar
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