Politökonomin Prof. Dr. Maja Göpel

„Wenn die Umgangsform entgleist, hilft nur noch die Meta-Ebene“

Interview mit Maja Göpel

Seit über 25 Jahren arbeitet Prof. Dr. Maja Göpel an der Schnittstelle von Wissenschaft, Politik und Gesellschaft – als Politökonomin, Expertin für Transformation und als Nachhaltigkeitswissenschaftlerin. Für ihre Arbeit wurde sie vielfach ausgezeichnet, zuletzt mit der Science Communication-Medaille und dem Theodor Heuss Preis. Unser Interview mit einer wahren Nachhaltigkeits-Ikone.

Politökonomin Prof. Dr. Maja Göpel
Politökonomin und Transformationsforscherin Prof. Dr. Maja Göpel

Frau Göpel, eine Ihrer schönsten Zuschreibungen ist „Mutmacherin“ – wer oder was macht Ihnen Mut?

Der Blick zu Menschen, die sich mit Begeisterung und stoischer Persistenz für gewaltfreies Miteinander, Chancengerechtigkeit und respektvollen Umgang mit Tier und Natur einsetzen.

Im aktuellen wirtschaftlichen und politischen Diskurs wird Nachhaltigkeit oft nur noch als „Bonus“ betrachtet, nicht als Grundlage. Woran liegt das Ihrer Meinung nach?

Als Transformationsforscherin interessieren mich immer Akteure und die Strukturen, in denen sie agieren. Aus meiner Sicht sind die Planetaren Grenzen in weiten Teilen der politischen und ökonomischen Elite verstanden worden und die wachsende Ernsthaftigkeit, mit der 2019 und noch bis 2021 an einer politischen Antwort darauf gearbeitet wurde, hat den Besitzern der fossilen Reichtumsgarantien nicht gefallen. Es geht ja nicht nur um Brennstoffe, sondern auch um Plastikvermüllung, bergeweise Polyestertextilien, industrielle Düngemittel, großskalige Wasserverschmutzung – Öl, Gas und Kohle sind der rote Faden durch die Geschichte der Umweltzerstörung.

Diese Geschichte ist umgekehrt das Fundament des extraktiven Wirtschaftsmodells, mit dem auch nach 50 Jahren Erkenntnis noch weiter vorangeprescht wird, insbesondere angetrieben durch das Design der Finanzmärkte, -standards und -produkte, die solche „Externalitäten“ systematisch aus Bilanzen in die Gesellschaft verschieben – gerne auch in anderen Gesellschaften als die eigene.

Wenn die Faktenlage so eindeutig ist – wie erklären Sie sich dann die jüngsten Rückschritte, sowohl auf politischen als auch auf gesellschaftlichen Ebenen?

Die unübersichtlichen Zeiten der Krisen und Schocks der letzten fünf Jahre bot diesen Akteuren ein politisches Fenster, um die Bestrebungen der Europäischen Union und anderer Demokratien zu torpedieren, durch veränderte Designs mehr Transparenz und Verantwortung für soziale und ökologische Effekte des Geldverdienens einzuziehen. Viele Instrumente des Green Deal zielen ja genau darauf ab, dass Finanzwerte und Realwerte wieder zusammenfinden, seien es Berichte über die doppelte Materialität eines Geschäftsmodelles, eine Verantwortung für Lieferketten, Standards für nachhaltige Investments oder verbindliche Aussagen dazu, wie die Finanzplanung und das Erreichen der Klimaziele in Unternehmen zusammenpassen. Und nun sehen wir, wie leicht es ist, diese als „unwirtschaftlich“ zu brandmarken.

In den Schlagzeilen der Wirtschaftsredaktionen tun wir plötzlich auch wieder so, als würden Ressourcen, Flächen, Wasser, Nahrung, Rohstoffe schon irgendwo herkommen, Hauptsache, der Geldzuwachs wird nicht kurzfristig weniger.

Prof. Dr. Maja Göpel

Warum ist dieses vermeintliche Ausspielen von „der Wirtschaft“ gegen „das Klima“ als Narrativ immer noch so wirkmächtig?

Weil wir die ökonomischen Messgrößen und Modelle nicht angepasst haben: BIP, Konjunkturprognosen, Produktivitätsdefinitionen, Betriebsergebnisse – nirgendwo sind bisher Korrekturen erfolgt, die den erodierenden Bestand von Naturkapital spiegeln würden oder das Risiko anzeigen, komplexe Systeme über Kipp-Punkte zu treiben, also aus ihren dynamisch-stabilen Regenerationszyklen. In den Schlagzeilen der Wirtschaftsredaktionen tun wir plötzlich auch wieder so, als würden Ressourcen, Flächen, Wasser, Nahrung, Rohstoffe schon irgendwo herkommen, Hauptsache, der Geldzuwachs wird nicht kurzfristig weniger. Wenn ich so realitätsblind aufs Wirtschaften schaue, dann kommt mir Nachhaltigkeit natürlich wieder wie ein Gutmenschen-Bonus vor. „Wirtschaftlichkeit“ scheint mir gerade der zentrale Euphemismus für diesen Backlash zu sein – der natürlich genau die Akteure stützt, die ihren Besitzstand über Chancengerechtigkeit und den Schutz der Lebensgrundlagen stellen.

Wie gehen Sie persönlich mit dieser Veränderung im Diskurs um, wenn wissenschaftliche Argumente verächtlich gemacht werden?

Resilienz ist heute ein ganz wichtiges Konzept, für die persönliche, aber auch gesellschaftliche Kraft: nicht nur mit dem Backlash, sondern vor allem auch mit der aggressiven bis zynischen Art umzugehen, mit der er vorangetrieben wird. Mir hilft dabei sehr, mich an Wissenschaft zu orientieren und damit eine solide Basis zu haben für mein Einmischen. Wenn die Umgangsform entgleist, hilft nur noch die Meta-Ebene, also zu benennen, was passiert und fragen, ob das nun wirklich der Anspruch des Gegenübers ist.

Als Frauen sind wir leider besonders herausgefordert – und leider wieder zunehmend, auch hier in Deutschland. In den USA sehen wir, wie sämtliche Fragen nach Chancengerechtigkeit mit einer gesellschaftlich ignoranten Übermänner-Erzählung pariert werden. Das kann nur ein Signal für alle an liberaler Demokratie interessierten Männer sein, sich in solchen Fällen neben Frauen zu stellen; auf der Bühne und besonders in den Hintergrund-Runden der Mächtigen. Das gilt natürlich für andere Fälle herabsetzender Machtausübung genauso. Individuelle Resilienz kann nur eine bestimmte Strecke tragen, gesellschaftlich stark wird sie erst, wenn viele mitwirken.

Wie können Unternehmen innerhalb dieser Branchen mit dem Backlash umgehen?

Indem sie endlich laut werden in der Öffentlichkeit und für eine Marktwirtschaft eintreten, in der Märkte auch ihre Funktionen erfüllen können:

  • Preissignale müssen die ökologische Wahrheit sagen,
  • Angebot- und Nachfrage-Beziehungen vor feudaler Machtkonzentration geschützt werden,
  • Steuern sollten auch entsprechend steuern, anstatt Externalisierung weiter zu begünstigen,
  • und staatlich geschaffenes wie geschütztes Finanzkapital wieder als das öffentliche Gut verstanden werden, das es in der Theorie immer war, als Diener der Realwirtschaft mit längerfristiger und ganzheitlicher Risiko- und Gewinnbeteiligung.

Wie schaffen wir mehr Sichtbarkeit für den eigentlichen Kooperations- und Veränderungswillen der Menschen?

Indem wir darüber sprechen und schreiben, anstatt ständig über die nächste, verstören sollende Schlagzeile der Rechtspopulisten und US-Autokraten zu springen. Worum geht es uns hier in Deutschland und Europa und wer macht mit? Dazu gehört natürlich auch, vor Ort zusammenzuarbeiten. Die kommunale Ebene ist dabei sehr wichtig, auch um der empfundenen Ohnmacht vieler Menschen mit Wirksamkeit begegnen zu können. Hier muss die Bundespolitik dringend handeln und die finanziellen wie regulatorischen Freiheiten schnell verbessern. Die Länder und vor allem parteipolitischer Kleinmut dürfen dabei nicht im Weg stehen.

Unternehmen sind umgekehrt wichtige Partner*innen für die lokale Politik und oft der Ort, an dem Menschen Orientierung und Stabilität suchen. Schwingt das gut zusammen – gut begründete Ziele, passende Maßnahmen und transparente Fortschrittsberichte mit Verweis auf die vielen Mitwirkenden – dann entsteht auch Kooperation und Leistungsbereitschaft.

Zum Abschluss: In Ihrem jüngsten Buch konzentrieren Sie sich auf das Thema „Werte“. Warum ist gerade jetzt der richtige Zeitpunkt, um über Werte zu sprechen?

In turbulenten Zeiten ist es wichtig, sich auf das Wesentliche zu besinnen, die Frage nach vorne zu stellen, was wirklich wichtig ist. Gerade, wenn das dauerhafte Schüren von Unsicherheiten eine zentrale Machtstrategie geworden ist, hilft es, Diskussionen auf grundlegende Voraussetzungen und Letztbegründungen (Anm.d.Red.: Argumentationen, die keiner weiteren Begründung mehr benötigen) zurückzuführen. Das hilft zum einen bei der eigenen Entscheidungsfindung, wofür und wo ich mich einsetze, und zum anderen bringt es in aller Regel die Themen nach oben, die uns als Menschen verbinden. Dann kann ich mich immer noch um die besten Lösungen streiten, aber ich habe wenigstens einmal geklärt, worum es eigentlich geht und wie das bestmöglich von wem verhandelt werden kann. Wegweisend scheint mir dabei übrigens ein tief konservativer Wert: der Anstand.

Titelfoto: Koelnmesse GmbH, Oliver Wachenfeld

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