Seit den 1990er Jahren widmet sich der Geowissenschaftler, Aktivist und Unternehmer Daniel Dahm den planetaren ökologischen Wechselwirkungen im Mensch-Natur-Verhältnis. Der Erstunterzeichner von Scientists for Future trieb in den 2000er Jahren die Subsistenz- und Gemeingüterforschung voran und trug den Begriff der aufbauenden Landwirtschaft in die Breite des wissenschaftlichen Dialogs. Er widmet sich Zeit seines Lebens der Regeneration und Stärkung der menschlichen Lebensgrundlagen und einer lebensdienlichen Ökonomie. In einem Gastbeitrag für das GLS Bank Blog erklärt er, was wir für die Zukunft brauchen: eine re:generative Ökonomie.
Eine nachhaltige Zukunftsentwicklung, der Schutz und die Stärkung unserer natürlichen und kulturellen und sozialen Lebensgrundlagen beschäftigen mich Zeit meines Lebens. In den 1990er Jahren wurde ich als einer der wenigen Jüngeren, die sich damals mit ihrer Biografie einer zukunftsfähigen Entwicklung verschrieben, belächelt. Nach drei Jahrzehnten, in denen ich publizierte, Vorträge hielt, Tagungen und Fachveranstaltungen initiierte und wissenschaftlich wie zivilgesellschaftlich bis zur Erschöpfung dafür kämpfte, eine ökologische Krise aufzufangen, erscheint es wohl an der Zeit, mit klarem Blick die neuen Herausforderungen anzunehmen.
Denn die von uns Menschen ausgelösten Degradationen der Vergangenheit rufen uns nun vehement zu einer tiefen Umorientierung auf, zum Wiederaufbau des Lebendigen, der Ökosysteme und Naturräume um uns, und zur Schaffung der infrastrukturellen Lebensgrundlagen, die uns schützen und stärken und zugleich die natürlichen Wertschöpfungen entlasten und für uns Menschen ergänzen.
Was bisher geschah:
Raubbau anstelle von Wertschöpfung
Was bisher als Wachstum bezeichnet wurde, war nichts anders als Verbrauchssteigerung zulasten der Mehrheit der Menschen. Die Wirtschaftsweisen der Vergangenheit bis in die Gegenwart basierten auf Raubbau anstelle von Wertschöpfung, ideologisch legitimierten sie sich über systemische Zwänge. Naturkapital wurde großformatig in Finanzkapital umgewandelt und die Zukunftschancen unserer Kinder und Kindeskinder massiv beschädigt. Um die planetaren ökologischen Gemeingüter zu regenerieren, wo es noch möglich ist, sie zu gestalten und zu vitalisieren, brauchen wir einen tiefgreifenden Paradigmenwechsel. Es ist eine aufbauende und wiederaufbauende, zugleich eine erschaffende Kultur nötig, um der Menschheit ein gutes Leben im Einklang miteinander und mit der Natur auf unserem geteilten Planeten zu ermöglichen.
Für eine friedliche und pluralistische Zukunft,
für eine gerechte und solidarische Zukunft,
für eine ökologisch widerstandsfähige und kulturell anpassungsfähige Zukunft,
benötigen wir eine re:generative Ökonomie.
Nachhaltigkeit beginnt an einer Nulllinie
Als Ausgangspunkt und Orientierungsbasis für eine re:generative Ökonomie, die sich am lebendigen Potenzial der Erde und ihrer Biokapazität messen lassen muss, wähle ich die Nachhaltigkeits-Nulllinie (Sustainability Zeroline). Sie definiert einen fiktiven Zustand einer totalen Ausgeglichenheit zwischen der globalen Biokapazität und dem globalen ökologischen Fußabdruck als Nulllinien-Maßstab – als minimale Voraussetzung für Nachhaltigkeit, die aber offenkundig bislang nicht erfüllt wird.
Nachhaltigkeit beginnt an einer Nulllinie, entlang derer die volle Integrität der Biogeosphäre inklusive des Menschen gewahrt bleibt.
Nachhaltigkeit setzt entsprechend mehr voraus als Vermeidung und Verminderung, sondern viel mehr, nämlich dass Wirtschaftsaktivitäten und Anlagekapital die Stärkung der Gemeinschaftsgüter der Biogeosphäre und der Anthroposphäre bewirken.
Zukunftsfähigkeit leistet neben dem Erhalt und Schutz der Commons von Biogeosphäre und Anthroposphäre deren Anreicherung, Stärkung und Vitalisierung. Zukunftsfähigkeit leistet über Vermeidung, Internalisierung und Kompensation hinaus den Aufbau und die Förderung des planetaren Lebenspotenzials. „Lebensdienlichkeit“, also „good impact“ wird hier zum Schlüssel.
Soll also Nachhaltigkeit lebensdienlich sein, verlangt dies mehr als Substanzerhalt. Erst der (Wieder-) Aufbau der degradierten Lebenssysteme und die Renaturierung und Rekultivierung der geschädigten Biokapazität des Planeten schafft echte Zukunftsfähigkeit. Die wichtigste Leistung, die die Menschheit zu vollbringen hat, ist der Ausgleich der Verschuldung an den planetaren Gemeinschaftsgütern, damit wir eine ökologische schwarze Null – eine Nachhaltigkeits-Null – schreiben können.
Wo wir handeln müssen, ist leicht zu erkennen. Die Ursachen der planetaren ökologischen Krise und die nötigen Handlungsbereiche liegen schließlich direkt vor unseren Füßen.
Das letzte Jahrhundert der Menschheit?
Die planetaren Grenzen, wie sie die Forscher*innen um Johan Rockström veröffentlichten, zeigen klar, wo die großen Herausforderungen liegen. Bedroht ist die funktionale Vielfalt aller Ökosysteme, indem die Landschaftsräume, Wälder, Steppen und Moore, aber auch die Ozeane durch Übernutzungen – Abholzung, industrielle Landwirtschaft, Überweidung, Überfischung und Vermüllung – aus ihrem natürlichen Gleichgewicht gestoßen und zerstört werden. Und es sind die biogeochemischen Kreisläufe von Stoffen wie Nitrat und Phosphor, die auf Böden, Gewässer und auf alle Lebensprozesse wirken und so die Ökosysteme und Nahrungsketten schwächen.
Der Klimawandel ist nur ein prominenter Teil dieser lebensgefährlichen planetaren Umgestaltung. Wir haben möglicherweise das letzte Jahrhundert der Menschheit eingeläutet, das „final century“, formuliert Lord Martin Rees – und er ist nicht irgendwer, sondern der königliche Astronom Englands, Astrophysiker und Professor in Cambridge und 20. Präsident der Royal Society of Science.
Heute, in den 2020er Jahren reichen appellative Rufe nach einem Ende des Raubbaus, einem Ausstieg aus der Wachstumsvorstellung, die Bitte um Verzicht, Einschränkung und Genügsamkeit, keinesfalls mehr aus.
Abstrakte Geldvermehrung ohne Sinn
Mit der Priorisierung von Finanzkapital gegenüber Kultur-, Natur- und Sozialkapital wird weiterhin die konkrete, planetar verbundene Lebenswirklichkeit aus dem Wirtschaftsdenken verdrängt. An dessen Stelle wurde eine ideologisch aufgeladene Idee der abstrakten Geldvermehrung ohne lebensweltlichen Sinn gesetzt. Gegenwärtig wirtschaften im unternehmerischen Wettbewerb jene am profitabelsten, die ihre Kosten auf Natur und Gesellschaft und die kommenden Generationen auslagern. Das Ausnutzen der globalen Arbeitsteilung und Lieferketten macht Raubbau zum Wettbewerbsvorteil und die Akkumulation der Finanzgewinne bei Wenigen wird zum Treiber von Investitionen. Auf diese Weise können höhere finanzielle Gewinne generiert werden, und auf Nachhaltigkeit orientierte Unternehmen und Wertschöpfungen werden auskonkurriert.
Monetäre Profitabilität und kurzfristige Ertragsoptimierung im Wettbewerb mit allen anderen gelten immer noch als unverzichtbar. Der Finanzkapitalismus wird ordnungspolitisch durch den Staat erzwungen, indem die gemeinschaftlichen natürlichen Lebensgrundlagen gegenüber privaten Profitinteressen nicht angemessen geschützt werden. Die natürlichen Gemeingüter werden verbraucht und zerstört, die Vielfalt der Marktteilnehmer verdrängt und Innovation verhindert. Das fehlverstandene Wachstumsdenken, welches mit Blick in den Rückspiegel des 20. Jahrhunderts vor allem als stetige Steigerung des Verbrauches von Natur, Rohstoffen und ökologischer Tragfähigkeit zu bewerten ist, basierte auf diesem Missverständnis.
Im Widerspruch zur ökologischen Vernunft
Der (finanz-)kapitalistische Wettbewerb verunmöglicht einerseits eine zukunftsfähige Entwicklung und andererseits eine funktionierende (soziale und ökologische) Marktwirtschaft. Dies widerspricht jeder ökologischen Vernunft. Die alte Wirtschaftsweise, welche sich ihrer natürlichen und sozialen Produktionsgrundlagen beraubt und diesen auch den ökonomischen Wert versagt, konnte niemals zukunftsfähig sein, generationengerecht erst recht nicht.
Mit ihrem „there is no alternative“ legte Margaret Thatcher in den 1970ern die Grundlage des als „t.i.n.a.-Prinzip“ bekannten Denkens, welches Angela Merkel in ihr „alternativlos“ hüllte, um fortzufahren wie zuvor – es gäbe keine Alternative zur raubbauenden Wirtschaftsweise des 20. Jahrhunderts, die in der Folge die größte ökologische Krise der Geschichte auslöste.
Wohlstand für alle? Oder Profit für wenige?
Jahrzehntelang wurde der Irrglauben gepflegt, Kapitalismus würde Wohlstand für alle erschaffen, doch es war nur der Profit weniger zulasten der vielen, mittlerweile fast 8 Milliarden Menschen, die niemals den Wohlstand erreichen können, der ihnen vorgegaukelt wird. Das Wissen, dass die moderne Idee von Marktwirtschaft historisch in Abgrenzung zu einem lebenszerstörerischen Kapitalismus ihren Aufstieg fand, sollte wieder erinnert werden.
Marktwirtschaftliche Funktionalität und Produktivität setzen intakte natürliche und kulturelle wie soziale Lebensgrundlagen voraus, diese bilden schließlich die ökonomischen Produktionsgrundlagen. Dazu ist eine gemeingütersensitive Wirtschaft und eine entsprechende Ordnungspolitik vonnöten, die unsere gemeinschaftlichen Lebensgrundlagen nicht nur als außerhalb von uns liegende Externalitäten betrachtet, auf welche wir unsere Lasten und Kosten abwälzen können, sondern als evolutionären lebendigen Schatz, der unsere Zuwendung, Pflege und Stärkung benötigt.
„The world has enough for everyone’s need but not enough for a few people’s greed“,
wie meine Kollegin, die indische Biologin und alternative Nobelpreisträgerin Vandana Shiva in Anlehnung an Mahatma Gandhi formuliert.
Nur eingebettet und getragen im offenen und dynamischen Netz des Lebens, mit unserer Natur, ist menschliche Existenz möglich. Nur durch und mit unserer Welt können wir Zukunft gestalten, sodass wir getragen sind von den ökologischen Lebensgrundlagen, welche auch unsere Wiege sind.
An dieser Stelle wollen wir einmal innehalten. Unser Gastautor Daniel Dahm ruft in seinem Text zum Wiederaufbau der Naturräume um uns herum auf. Er zeigt auf, dass Wachstum bislang ein Raubbau an der Welt war und fordert die ökologische schwarze Null. Was hältst du von Daniel Dahms re:generativer Ökonomie? Welche Gedanken gehen dir dazu durch den Kopf? Schreibe uns gerne einen Kommentar!
Oder lese weiter, denn Daniel Dahms Text zur Ökonomie ist noch nicht zu Ende: Er schreibt über Wirtschaftsziele, mit denen sich unsere Lebensgrundlagen regenerieren können (2/4), über Investitionen in Naturkapital und den Bedarf an richtungsweIsenden politischen Entscheidungen (3/4). Und er findet, dass es jetzt überall auf der Welt Menschen gibt, die einen mutigen Neubeginn fordern (4/4).
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