Eine Biene auf Lavendel

Aurelia Stiftung: Verletzliche Vielfalt

Schwerpunktthema | Raum für VIelfalt

Ohne Bienen wäre die Stabilität vieler Ökosysteme bedroht. Die Aurelia Stiftung setzt sich ein, um das zu verhindern. Ein Interview mit Vorstand Thomas Radetzki.

Dazu später mehr. Zunächst zu den Bienen: Was unterscheidet die Honig- von den Wildbienen?

Die Honigbiene ist der evolutionäre Höhepunkt der Insektenwelt. Aber in Deutschland gibt es rund 600 Bienenarten. Die Honigbiene ist nur eine davon. Sie ist die, um die sich der Imker kümmert, regelmäßig ihre Krankheiten bekämpft und meist auch füttert. Ganz anders ist das bei den Wildbienen. Sandbienen, Blattschneiderbienen, die Rostrote Mauerbienen, Maskenbienen und viele mehr. Eine unglaubliche Vielfalt, mit ganz unterschiedlichem Aussehen und Größen. Die meisten leben solitär, manche brauchen spezielle Pflanzen in erreichbarer Nähe und sind extrem empfindlich. Etwa die Hälfte dieser Arten steht auf der Roten Liste.

Herr Radetzki Sie leiten die Aurelia Stiftung. Worum geht’s da?

Unser Motto lautet: Es lebe die Biene! Damit meinen wir nicht nur die Honigbienen, sondern alle bestäubenden Insekten. Die Aurelia Stiftung versteht sich als „Anwältin der Bienen“. Wir sind operativ und fördernd tätig, machen Bildungsarbeit, forschen, betreiben politischen Dialog und ziehen vor Gericht. Aktuell klagen wir etwa gegen die EU-Kommission.

Was macht den Wildbienen so zu schaffen?

Kurz gesagt: vor allem die konventionelle Agrarproduktion. Sie zerstört Lebensräume durch Monokulturen, Überdüngung, Pestizideinsatz. Viele Wildbienen sterben nicht sofort, aber sie verlieren die Orientierung, ihre Lebensdauer verkürzt sich oder ihr Paarungsverhalten wird gestört. Besonders betroffen sind spezialisierte Arten, die auf bestimmte Pflanzen angewiesen sind. Anders als Honigbienen, deren Flugradius mehrere Kilometer beträgt, sind viele Wildbienen auf wenige hundert Meter um ihr Nest beschränkt. Fehlen dort passende Blüten oder Nistmöglichkeiten, gehen sie zugrunde.

Das Wort „Insektensterben“ ist zwar in aller Munde, bleibt aber irgendwie abstrakt. Was bedeutet es konkret für uns?

Erste Anzeichen sehen wir längst, etwa mit dem Vogelsterben. Auf der Hälfte der EU-Agrarflächen gibt es schon jetzt zu wenige Bestäuber. Das bedeutet: weniger Erträge, mehr Ernteausfälle. Ohne Bestäuber gibt es keine Wildbeeren, keine Nüsse. Und dabei reden wir nicht nur über Nahrung für den Menschen. Bienen bestäuben auch Wildpflanzen die wiederum Grundlage sind für Vögel, Kleinsäuger und viele andere Tiere. Sie werden auch selbst gefressen. Das ganze Ökosystem hängt daran. Wenn das zusammenbricht, hat das massive Auswirkungen auf alles. Biodiversität ist keine Öko-Spielerei, hier geht es um unsere Lebensgrundlagen.

Raum für Vielfalt

Vielfalt steht unter Druck, obwohl eine artenreiche Natur, eine diverse Gesellschaft und eine vielseitige Wirtschaft unverzichtbare Lebensgrundlagen bilden. Die GLS Bank schafft Raum für Vielfalt – nicht erst jetzt, aber jetzt erst recht. Unser Schwerpunkt zeigt, wo es schon gelingt und wo Herausforderungen liegen.

Warum tut sich so wenig?

Weil die Strukturen verfilzt sind. Unsere Landwirtschaft hängt am Tropf der EU-Subventionen – und diese belohnen Fläche, nicht Vielfalt. Das heißt: Große, intensive Betriebe bekommen am meisten. Kleine Betriebe geben auf. Insektensterben und Höfesterben sind Symptome derselben „Krankheit“. Und die Institutionen, die angeblich die Bauern vertreten, vertreten vor allem die Interessen der großen Agrarindustrie – von Düngemittelherstellern bis Landmaschinenfirmen.

Was bräuchte es für Veränderungen?

Wir brauchen eine radikale Agrarwende. Keine kosmetische Korrektur, sondern ein Umbau unserer Landwirtschaft hin zu strukturreichen, resilienten Landschaften. Hecken, Blühstreifen, Teiche, Moore – Lebensräume also. Und wir müssen die Biodiversität bei der Zulassung von Pestiziden endlich ernst nehmen. Im Moment ist das kein maßgebliches Kriterium, obwohl sogar die eigene europäische Behörde EFSA die Schäden bestätigt. Deshalb klagt die Aurelia Stiftung gegen die Glyphosat-Zulassung durch die EU-Kommission.

Und wir als Einzelne? Was können wir tun?

Bio-Lebensmittel kaufen, im Garten oder auf dem Balkon blühende Pflanzen setzen, solidarische Landwirtschaft unterstützen. Aber ich glaube, es geht um mehr. Ich sage meinen Kursteilnehmern oft: „Bei den Bienen lernt man still zu werden.“ Das ist keine Floskel. Wer sich wirklich mal hinsetzt – an einen Waldrand, in einen Garten – und lauscht, der realisiert, wie sehr wir die Verbindung zur Natur verloren haben. Die Agrar-Situation ist Ausdruck eines allgemein veränderten Bewusstseins: Beziehungsverlust und Entfremdung prägen doch oftmals auch unsere persönliche Situation.

Was können wir von den Bienen lernen?

Wir können sie nicht nachahmen. Ich bestaune immer wieder neu, wie Bienen immer im Sinne des Ganzen handeln. Nehmen und Geben sind bei Ihnen im Gleichgewicht. Nektar sammeln und Bestäuben gehören zusammen. Sie stärken und erhalten die Kreisläufe der Landschaft. Und im Inneren des Bienenstockes läuft ihre Zusammenarbeit erstaunlich effizient. Jede Biene weiß, was sie für das Gelingen des Ganzen zu tun hat und wenn Entscheidungen zu treffen sind, geht es nach einem „demokratischen“ Verfahren. Davon können wir uns inspirieren lassen!

Illustration drei Körner auf dunkelblauem Grund

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