Das Foto zeigt aufgereihte Stofftiere im Dorf Lützerath nahe der Kante zum Braunkohletagebau.

Lützerath lebt (am Abgrund)

Während auf der COP 27 noch debattiert wird, zeigt die Zivilgesellschaft schon, was getan werden muss und wo in Deutschland die Pariser Klimaziele vergeigt werden: Mitten in der Klimakrise soll das Dorf Lützerath dem Braunkohletagebau weichen. Der Kampf um Lützerath ist aber nicht verloren: Morgen (12.11.) findet dort eine Großdemonstration statt. 

Für die Tagebauerweiterung wurden vor ein paar Wochen schon Windräder dem Boden gleichgemacht. Jetzt erhöht RWE den Druck erneut und fordert, Lützerath noch in diesem Winter zu räumen. Wie absurd das ist, sehen zum Glück viele Menschen. Sie sind dazu aufgerufen, sich der morgigen Großdemonstration in Lützerath anzuschließen.

Ich frage mich, was würde es für die Klimaziele bedeuten, wenn Lützerath abgebaggert wird? Braucht es dieses Opfer in der Energiekrise? Und was macht das mit den Aktivist*innen, die derzeit in Baumhäusern, Zelten und besetzten Häusern leben?

Ein früherer Protest in Lützerath mit dem Plakat 1,5 Grad heißt Lützerath bleibt.

Inzwischen hat das kleine Dörfchen Lützerath große Berühmtheit erlangt. Hier trifft sich der Braunkohlewiderstand in Deutschland. Doch Lützerath ist mehr als nur ein Symboldorf. Mehr als 200 Millionen Tonnen Kohle liegen unter dem Dorf begraben, die zusätzlich verfeuert werden sollen. Doch ist das mit den 1,5 Grad Klimazielen vereinbar? Nein, lautet die Kurzantwort der Studie vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (kurz: DIW) aus dem Jahr 2021. Um das auf Deutschland heruntergerechnete Treibhausgasbudget einzuhalten, dürfen aus den Tagebauen Hambach und Garzweiler II ab Januar 2021 noch maximal 200 Millionen Tonnen Braunkohle für die Kohleverstromung und -veredelung gefördert werden. Wenn sich die Förderung auf diese 200 Millionen Tonnen beschränkt, muss Lützerath nicht abgebaggert werden.

Mogeldeal

Über einen Monat ist es her, dass sich RWE, das Bundeswirtschaftsministerium und das NRW-Wirtschaftsministerium darauf einigten, Lützerath zu opfern und dafür den Kohleausstieg in NRW um acht Jahre vorzuziehen. 280 Millionen Tonnen CO2 – das ist die Einsparung, die uns der Deal bescheren soll. Diese Einsparung trifft jedoch erst nach dem Jahr 2030 ein und kann auch nur als Einsparung bezeichnet werden, wenn Kohlestrom bis dahin nicht sowieso vom Markt verdrängt worden wäre.

Das Bündnis „Alle Dörfer Bleiben“ bezeichnet die Zahlen als irreführend. Sie führen aktuelle Berechnungen von Wissenschaftler*innen des DIWs an. Demnach belaufen sich die Einsparungen des Kohleausstiegspfads auf maximal 64 Millionen Tonnen CO2. Realistischer sei sogar ein Szenario, in dem es gar keine Einsparungen gegenüber dem bisherigen Abschaltplan gibt. Einen Gewinn für das Klima sehen die Aktivist*innen in Lützerath nicht. „Denjenigen, die den Kohleausstieg 2030 als Sieg feiern, sollte bewusst sein, dass wir das Klimaziel 2030 für die Profite von RWE geopfert haben“, stellt Aktivist Florian Özcan klar.

“Es braucht die Kohle unter Lützerath nicht”

„Wir in Lützerath sind für Energiesicherheit – dafür braucht es die Kohle unter Lützerath nicht“, so Aktivistin Julia Riedel. Sie verweist auf eine Studie der „Coal Exit Research Group“. Diese kam im August zu dem Schluss, dass im jetzigen Abbaubereich bereits deutlich höhere Kohlemengen zur Verfügung stehen, als bis zum Ende der Kohleverstromung 2030 zur Sicherung der Energieversorgung benötigt werden. Trotz Energiekrise bestehe „keine energiewirtschaftliche Notwendigkeit für die Inanspruchnahme weiterer Dörfer und Höfe am Tagebau Garzweiler II“.

Der Ukrainekrieg führt uns vor Augen, wie fragil ein von Fossilen abhängiges System ist. Anstatt Kohle schneller abzubaggern, sollten wir unsere Kräfte für den Ausbau der Erneuerbaren bündeln. „Die Entscheidung wurde im Namen, aber nicht zugunsten der Leute getroffen, die ihre Stromrechnung nicht zahlen können. Das ist nur ein Alibi. Wenn man den Menschen helfen will, dann sollten die Rekordgewinne umverteilt werden“, ergänzt Julia Riedel.

Proteste gehen weiter und machen Mut

Auf den ersten Blick scheint es keine gute Zeit für die Klimagerechtigkeitsbewegung zu sein. Eine Schlappe folgt der nächsten: Am 3. Oktober musste der letzte Landwirt Lützeraths, Eckhardt Heukamp, seinen Hof an RWE übergeben. Am 4. Oktober schlossen die Grünen den Deal mit RWE. Am 16. Oktober stimmte die Mehrheit der Grünen bei der Bundesdelegiertenkonferenz gegen ein Räumungsmoratorium. Und selbst vor dem Abriss von Windrädern macht die Abwärtsspirale keinen Halt – trotz Energiekrise.

Und ja, Wut spielt auch eine Rolle, wenn sich die Aktivist*innen das Weltgeschehen angucken. „Ich bin wütend und schockiert über die Tatsache, wie verantwortungslos und menschenverachtend mit der Klimakatastrophe umgegangen wird“, erzählt uns Ronni Zepplin, eine Klimagerechtigkeitsaktivistin. Es gäbe tausend Gründe zur Resignation, doch die entschlossenen Proteste für Lützerath gehen weiter. Und sie machen Mut.

Mehr als 10.000 Unterschriften für Lützerath

Das Dorf Lützerath mit den selbstgebauten Häusern.Wer Lützerath vor einem Jahr zuletzt besucht hat, erkennt das Dorf jetzt kaum wieder: Es wirkt mitnichten verlassen. Mit selbstorganisierten Strukturen wird ein anderes Zusammenleben erprobt: In der KoLaWi bewiesen die Aktivist*innen dieses Jahr ihren grünen Daumen. KoLaWi, das steht für Kollektive Landwirtschaft und ist eine selbstorganisierte, solidarische Landwirtschaft. Neben der Skatehalle und den besetzten Häusern wurde auch fleißig selbst gebaut. Auf Eckhardts Wiese sprießen die improvisierten Holzbauten und Türme wie Radieschen, und natürlich dürfen auch Baumhäuser nicht fehlen. Sie erinnern mich sofort an den Hambacher Forst, an kraftvolle Waldspaziergänge.

Wer es morgen nicht zur Demonstration schafft, kann sich auch in Lützerath den Dorfspaziergängen anschließen (jeden Sonntag um 12 Uhr). Auf der Seite „x tausend für Lützerath“ haben bereits mehr als 10.000 Menschen unterzeichnet, dass sie sich einer Zerstörung Lützeraths in den Weg stellen werden.

Was spornt die engagierten Menschen an, weiterzumachen?

Eine Antwort bekommen wir von Ronni Zepplin: „Ich kämpfe, weil ich nicht will, dass wir unsere Lebensgrundlage verlieren. Ich denke, dass alle ein viel besseres Leben haben können, wenn nicht mehr Profit, sondern die Bedürfnisse der Menschen im Vordergrund stehen. Und ich bin nicht die Einzige, die das denkt. Die Klimagerechtigkeitsbewegung ist international und schließt sich dekolonialen Kämpfen an, die schon seit Jahrhunderten die Ursachen dieses ungerechten Systems angehen.“

Wer Lützerath unterstützen will, ohne sich physisch der Räumung entgegenzustellen, hilft auch mit einer Sach- oder Geldspende.

Spendenkonto

Lützerath Lebt
DE24 4306 0967 1204 1870 01
Verwendungszweck: Lützi Lebt

Infos zur Demonstration

Samstag, 12.11.2022, um 12 Uhr in Lützerath
Weitere Infos unter https://www.alle-doerfer-bleiben.de/demo/

Wir haben auf unserem Blog bereits einmal über Lützerath geschrieben: genau vor einem Jahr. Damals fühlte es sich so an: “Du hast das Gefühl, du bist in Mordor”.

Lützerath: „Du hast das Gefühl, du bist in Mordor“

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