Klimamythen halten sich hartnäckig und bieten vermeintlich Lösungen beim Umgang mit dem Klimawandel. Aber ein Blick auf die Fakten ist ernüchternd: Im vergangenen Jahr lag die Temperatur auf der Erde im Vergleich zur vorindustriellen Zeit um 1,3 °C höher, in Deutschland sogar um 1,5 °C. Damit haben wir kritische Kipppunkte des Klimas fast erreicht. Höchste Zeit zu handeln. Dazu gehört auch, dass wir uns sofort von irreführenden Klimamythen verabschieden. Denn sie verhindern, dass wir das Richtige tun, um unsere Lebensgrundlagen noch zu retten.
Klimamythos Nr. 1: CO2-Speicher sind DIE Lösung gegen den Klimawandel
Die Technik soll es lösen: Fast alle Klimaprogramme und Aktionspläne setzen große Hoffnung auf die technische Abscheidung und Speicherung von Kohlenstoffdioxid (Carbon Capture und Storage). Bei diesem Verfahren wird CO2 aus industriellen Prozessen herausgefiltert und in unterirdische Höhlen und Reservoirs geleitet. Abgesehen davon, dass die Methode noch nicht hinreichend erforscht und bislang sehr energieintensiv ist, sind ihre Sicherheit, Wirtschaftlichkeit und die damit einhergehenden Umweltrisiken ungeklärt. Außerdem ist es schwierig, geeignete Regionen für die Speicherung zu finden, ohne dass dabei wertvolle oberirdische Flächen verloren gehen.
Sinnvoller ist es, alles daran zu setzen, klimaschädliche Emissionen von Anfang an zu vermeiden.
Klimamythos Nr. 2: Wiederaufforstung kann das Klima retten
Bäume speichern CO2, also sollten wir so viel wie möglich aufforsten. Leider ist das keine echte Klimaschutzstrategie.
Exkurs: Es gibt zwei verschiedene Kohlenstoffkreisläufe: einen schnellen und einen langsamen. Der langsame Kohlenstoffkreislauf findet zwischen dem Erdinneren und der Atmosphäre statt. Am Beispiel der Verbrennung von Braunkohle oder Öl bedeutet das: Die Rohstoffe werden dem Erdinneren entnommen und verbrannt. Dadurch wird CO2 der Atmosphäre zugeführt. Es kann dann Millionen Jahre dauern, bis der Kohlenstoff im langsamen Kreislauf wieder von der Erde aufgenommen wird. Hier kommt der schnelle Kohlenstoffkreislauf ins Spiel: Das CO2 aus der Verbrennung fossiler Rohstoffe wird kurzfristig in Bäumen und Böden gespeichert. Durch Waldbrände oder Ähnliches kann das so der Atmosphäre entzogene CO2 allerdings sehr schnell wieder in diese entlassen werden.
Besonders alte Wälder haben viel Kohlenstoff gespeichert. Diese abzuholzen, kann deshalb fatale Folgen für das Klima haben. Auch Aufforstung hilft nicht sofort: Bis neu gepflanzte Bäume der Atmosphäre eine signifikante Menge an CO2 entzogen haben, vergehen einige Jahre.
Bäume zu pflanzen ist also nicht schlecht. Viel wichtiger ist es aber, alte Wälder, die enorme Mengen an Kohlenstoff über die Jahre gespeichert haben, unberührt zu lassen – und selbstverständlich möglichst wenig Kohlenstoff durch die Verbrennung fossiler Rohstoffe dem langsamen Kreislauf zu entziehen.
Klimamythos Nr. 3: Die Klimaziele Deutschlands reichen aus
Deutschland hat 2019 mit dem Klimaschutzplan und dem Klimaschutzgesetz die Rahmenbedingungen für den Klimaschutz festgelegt. Das Ziel, die Treibhausgasemissionen bis 2030 im Vergleich zu 1990 um 55 % zu reduzieren, hört sich ausreichend an, oder? Ist es aber nicht.
Die Organisation Climate Action Tracker berechnete, dass Deutschland mit seinen Klimazielen bis 2050 auf eine Erwärmung von ca. 4 °C zusteuert. Wenn wir weiter machen wie bisher, kommen wir auf eine Erwärmung von 5 °C. Die aktuellen Klimaziele der Bundesregierung reichen also keineswegs aus, um die Erderwärmung auf 1,5 bis maximal 2 °C zu begrenzen. Deutschlands Klimaziele müssen deshalb dringend angepasst werden.
Die Studie von Fridays-For-Future zeigt, dass Deutschland für eine 1,5 Grad-Kompatibilität bis 2035 Nullemissionen verursachen dürfte. Einen weiteren Klimaplan für 1,5 Grad hat GermanZero vorgelegt.
Klimamythos Nr. 4: Klimaneutral wirtschaften reicht aus
„Klimaneutral bis 2030!“, „Klimaneutrale Produktion bis 2050!“ – Klimaneutralität scheint sich als Maxime des Klimaengagements in Wirtschaft und Politik etabliert zu haben. Doch Klimaneutralität rettet nicht das Klima, sondern hat eben nur eine neutrale Wirkung. Die Treibhausgaskonzentration in der Atmosphäre verringert sich dadurch nicht. Doch das wirkliche Problem an „klimaneutral bis …“ ist, dass Unternehmen bis zum Zieljahr fossile Energieträger verbrennen, Wälder abholzen und die industrielle Landwirtschaft unterstützen können. All das fließt nicht in die Rechnung mit ein.
Wir müssen stattdessen in CO2-Budgets denken, die uns noch zur Verfügung stehen, bevor wir Klimakipppunkte überschreiten. Damit müssen wir sogenannte kumulierte Emissionen von heute bis zum Zieljahr berechnen und anschließend bestimmen, ob ein Unternehmen, Land oder eine Einzelperson innerhalb ihres CO2-Budgets wirtschaftet und somit 1,5-Grad-kompatibel ist, nur darauf kommt es an. Auf Greenwashing können wir verzichten.
[green_box]Übrigens: Für das 1,5-Grad-Ziel dürfte jede*r Einzelne pro Jahr weniger als 1 Tonne CO2 emittieren. Heute verursacht jede*r Deutsche jährlich 11,6 Tonnen pro Jahr. [/green_box]
Klimamythos Nr. 5: Kompensationen gleichen Emissionen wirksam aus
Der Handel mit Kompensationszertifikaten boomt – in der Wirtschaft und im Privatem. Es ist verführerisch, die eigenen Emissionen durch eine einfache Zahlung an ein Klimaschutzprojekt auszugleichen. 2 Tonnen eingesparte CO2 für 50 Euro scheinen ein guter Deal. Doch leider nur für das Gewissen, denn einen wirksamen Klimaeffekt hat dies nicht.
Es ist schwierig, durch Solarkocher in der Subsahara oder Aufforstung in den Tropen eingesparte Emissionen wissenschaftlich zu beziffern. Hinzu kommt der zeitliche Verzug zwischen dem Ausstoß und der Einsparung von CO2. Die Kompensation hat in der Regel sehr lange Laufzeiten. Durch die geringen Kosten der Kompensation fehlen zudem Anreize, klimafreundliche Produkte zu entwickeln.
Was wir brauchen sind Einsparungen am Entstehungsort, nicht nachgelagerte Kompensationen. Hinzu kommt, dass ein Großteil der Kompensationsprojekte in Ländern des globalen Südens liegen. Diese Länder haben den Klimawandel am wenigsten zu verantworten, sind aber von seinen Folgen am stärksten betroffen. Unsere eigenen Emissionen in Ländern des Südens zu kompensieren oder diese zu zwingen, ihre Emissionen einzusparen, ist nicht (klima-)gerecht. Ebenso ungerecht ist es, Emissionen aus der Nutzung von Luxusgütern in Industrienationen gleichzusetzen mit Emissionen, die zum Beispiel durch die Produktion lebensnotweniger Lebensmittel entstehen. Das ist nicht klimagerecht, das ist kein gesellschaftlicher Fortschritt. Wir müssen unsere eigenen Emissionen einsparen, statt Außenstehenden diese Verantwortung zu übertragen.
Was tun?
Angesichts der vielen Informationen und Diskussionen um den Klimawandel ist es nicht einfach, den Durchblick zu behalten. Wenn ihr euch von Klimamythen verabschiedet, fällt es euch vielleicht etwas einfacher. Was ihr darüber hinaus konkret für Klimaschutz tun könnt, erfahrt ihr auf der Nachhaltigkeitsplattform Utopia oder bei MyClimate.
Mehr Infos
Eine Fundgrube für Fachbegriffe und einzelne Aspekte von Nachhaltigkeit und Klimaschutz ist die Leseecke im Nachhaltigkeitsbericht der GLS Bank, ab Seite 110.
Autorinnen
Co-Autorinnen sind mit Theresa Pleye unsere beiden Werkstudentinnen Teresa Kersting und Sophia Orbach. Beide wirken in der in der Stabstelle Wirkungstransparenz und Nachhaltigkeit. Sophia studiert Nachhaltige Entwicklung und beschäftigt sich bei der GLS Bank mit dem Thema, wie neue Formen der Nachhaltigkeitsberichterstattung umgesetzt werden können. Teresa beschäftigt sich insbesondere mit der Branche Landwirtschaft und Ernährung. Sie unterstützt uns bei der Nachhaltigkeitsberichterstattung. Dabei setzt sie die Kenntnisse aus ihrem Studium Nachhaltige Entwicklung an der Hochschule Bochum in die Tat um.
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