Louise Thiele hat im Rahmen der Blog Kooperative #glskoop die Habito e.V. für uns porträtiert.
Ich habe viele Freunde, die einsam in ihren Stadtwohnungen hausen. Ich persönlich kann zwar auf kleinstem Raum leben, d.h. ob es nun nur zwei Zimmer sind oder eins oder ein Wohnmobil spielt für mich keine Rolle. Aber ich brauche Platz, Raum und Luft, um mich zu bewegen, zu atmen und klar zu denken. Eine Wohnung ohne Hof, Garten oder Balkon müsste also dementsprechend groß sein. Und nur wenig Wohnraum würde ich dann durch einen entsprechend großen Außenbereich kompensieren…
Während unserer Langzeitreise war das anders. Da hatten wir gar keinen persönlichen Wohnraum mehr, sondern lediglich Fortbewegungsmittel und Kurzzeitaufenthaltsräume. Ehrlich gesagt vermisse ich das sehr, für mich waren und sind unsere Reisen die mit schönste Zeit im Leben. Doch auch unterwegs habe ich ein festes Zuhause irgendwann vermisst. Auf Reisen fühlte ich mich oft einsam und habe daher die Gemeinschaft gesucht. In der Stadt ist sie für mich in jedem Fall die perfekte Lösung, denn ich bin gern unter Leuten und kann so auch meine Ruhe haben, wann ich möchte. Für ein Einzelkind wie meines ist das sogar doppelt schön und ich finde, gerade getrennt lebende Familien, Alleinerziehende und ältere Menschen können so ein deutlich besseres Leben führen.
Wie man das aber als Gesellschaft leben kann, scheint für die meisten noch nicht so klar. In meinen Augen gehören dazu in jedem Fall ein bedingungsloses Grundeinkommen und die Freiheit, in jedem Bereich selbst bestimmt leben zu dürfen sowie eine offene Gemeinschaft, derer man Teil ist und in der man sich gegenseitig auffängt und unterstützt. In meinen Augen kann so jeder ein menschenwürdiges Leben nach eigenen Vorstellungen und mit selbst gewählten Mitteln dauerhaft führen.
Habito: Ein Verein, der Lebens- und Begegnungsorte schafft
Der Schweizer Hof in Heidelberg-Rohrbach, das Herzstück des Vereins, ist ein gemeinschaftliches Wohnprojekt und anerkanntes Mehrgenerationenhaus. Hier leben Menschen so bunt gemischt zusammen, wie das Leben selbst. Der Altersabstand beträgt etwa 80 Jahre, d.h. von etwa drei- bis 83jährigen ist hier jede und jeder willkommen. Inklusion spielt eine Rolle, aber auch alleinerziehende Mütter und ältere Menschen finden hier ein Zuhause. Und genauso Menschen mit Migrationshintergrund, Kinder oder Jugendliche.
Buntheit und Vielfalt kennen keine Grenzen
Das Schöne am gemeinschaftlichen und inklusiven Zusammenleben ist, dass die Menschen mitten im Leben stehen und sich nicht abschotten. Neben den persönlichen Wohnräumen und Rückzugsbereichen stehen Bewohnern des Projekts, aber auch vor allem Besuchern aller Altersstufen die öffentlich zugänglichen Gemeinschaftsräume zur Verfügung. Diese werden für ganz verschiedene Veranstaltungen genutzt, so dass sich daraus ein buntes Programm ergibt: Filmabende, gemeinsames Kochen oder Gärtnern, aber auch Lesungen, Vorträge, Workshops, Tanz-, Yoga- und Sprachkurse finden statt. Geburtstage werden hier gefeiert und Kleinkinder treffen sich zum Spielen. Am offenen Mittagstisch kann jeder teilnehmen, für Musikbegeisterte gibt es einen hauseigenen Chor und die Band. Für die Jüngsten werden regelmäßige Kindertheateraufführungen veranstaltet, aber auch ein bald fertig gestelltes Spielzimmer ist im Kommen. Das Nachtcafé bietet älteren Menschen eine ansprechende Begleitung, während derer sich ihre pflegenden Angehörigen ein bisschen Freizeit und Ruhepause gönnen dürfen.
Nicht nur die Bewohner gestalten das bunte Treiben, sondern auch die Nachbarschaft nimmt daran teil. Es gibt z.B. ein offenes Café, in dem auch ein Flügel steht und auch typische Altersangaben z.B. für Veranstaltungen gibt es hier nicht. Gelebt wird bei habito ein ganz natürliches „Modell“, so normal wie möglich und wie es eben der Realität des Lebens ringsherum entspricht. Daher ist es den Verantwortlichen wichtig, dass z.B. auch prozentual nicht viel mehr Menschen mit Handicap in den Projekten wohnen als sie in der Gesellschaft vertreten sind. So entstehen attraktive Wohnmodelle für alle Menschen, die niemanden ausschliessen und in ihrer Vielfalt sich gegenseitig und die Nachbarschaft bereichern.
„Wir bringen Menschen zusammen, die sich sonst eher nicht begegnen würden, geben ihnen Gelegenheit, sich kennenzulernen und in Beziehung zu treten. So bauen wir Hürden ab und legen die Grundlage für ein generationenübergreifendes inklusives Miteinander.“
Die Begleitung durch das Leben selbst
Menschen mit Hilfebedarf im täglichen Leben werden durch Begleiter von habito unterstützt. Diese Unterstützung bieten die Mitarbeiter z.B. in Form von anfänglicher Betreuung und Gesprächen an. Jede Form der Begleitung setzt sich zum Ziel, den Bewohnern eine echte Teilhabe und ein wirklich menschenwürdiges Leben mit viel Freude und Liebe in ihrem Alltag zu ermöglichen, tragendes Element dafür sind die Menschen selbst.
Das Prinzip der Partnerschaft spielt bei habito eine große Rolle und funktioniert hier als solche ganz besonders gut. Eine Tochtergesellschaft z.B. steht dem Verein mit der Rohrbacher Wirkstätte Heidelberg gGmbH als Partner im Bereich der beruflichen Qualifizierung und Rehabilitation zur Seite. Die Zusammenarbeit mit Selbsthilfegruppen, den lokalen Vereinen im Quartier oder eine Kooperation zwischen habito, der benachbarten Schule und dem benachbarten Altenpflegeheim ergänzen das Prinzip.
Wenn man bedenkt, mit welchen Schwierigkeiten anlässlich politischer und sozialer Entwicklungen Menschen heutzutage millionenfach zu kämpfen haben, muss man doch sagen, dass selbst die beste Altersvorsorge diesen Entwicklungen nicht standhalten kann. Eine so offene, vielfältige Gemeinschaft aber mit all ihren Höhen und Tiefen, die sie vielleicht gelegentlich durchlebt, bietet Menschen Halt, Stabilität, Raum und Möglichkeiten zur Selbstentfaltung und Entwicklung. Sie fördert Potentiale und bildet ein weiches Bett für alle Lebenslagen. Sie braucht Engagement und Initiative, lässt die Menschen darin aber auch im Hier und Jetzt. Gemeinschaft beginnt im Kleinen, kann sich ständig erweitern und ist an allen Orten der Welt möglich und verschieden. Sie vertritt menschliche Werte; bezieht alle ein, die an ihr teilhaben. Mit Geld kann man sich so eine Form der Sicherheit wohl nicht kaufen.
Fotos: Louise Thiele
Über Louise Thiele
Louise Thiele ist Künstlerin, Musikpädagogin und Beraterin für alternative Lebensgestaltung und Reisen mit Kindern. Sie schreibt u.a. für die Freilerner-Zeitschrift für selbst bestimmtes Lernen und Leben und bloggt auf zwerggeflüster.de.
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